Theaterkritik | Schaubühne - "In Memory of Doris Bither": Der Horror des sexuellen Missbrauchs
Im Horrorfilm "The Entity" von 1983 wird eine Frau von Geistern heimgesucht und vergewaltigt. Der Fall beruht auf der "wahren" Geschichte der Amerikanerin Doris Bither. Yana Thönnes rollt den Fall nun an der Schaubühne auf. Von Barbara Behrendt
Der Fußboden im Glashaus auf der Bühne (Bühnenbild: Katharina Pia Schütz) ist so barbie-rosa wie die bodenlangen Vorhänge. In diesem surrealen Albtraum in Rosé hat die junge Autorin und Regisseurin Yana Thönnes eine Art szenische Installtaion aufgebaut. Die Performer:innen Ruth Rosenfeld, Kate Strong und Heinrich Horwitz fächern darin auf unterschiedlichen Realitätsebenen Erinnerungssplitter des Falls um Doris Bither auf.
Ruth Rosenfeld etwa spielt Filmset. In Spitzen-Nylonstrumpfhosen räkelt sie sich auf dem Teppich und wird von einem unsichtbaren Regisseur dazu angehalten, die Vergewaltigung doch mit ein bisschen mehr Sexappeal zu versehen. Heinrich Horwitz dagegen ist nicht Teil des Films, Horwitz spielt den völlig traumatisierten Sohn, der im knallroten Pyjama einen großen roten Teddybären als besten Freund herumträgt, ihn fast zerfetzt und Sekunden später wieder liebhat. Er fühlt sich schuldig, seine Mutter nicht beschützt zu haben – manchmal wird auch eine inzestuöse Verbindung zwischen den beiden angedeutet.
Die Geschichte von Doris Bither
Yana Thönnes unternimmt den Versuch, Doris Bither ihre Geschichte zurückzugeben. Schließlich stammt fast alles, was über den Fall bekannt ist, von einem amerikanischen Romanautor und einem Horrorfilm-Regisseur. "The Entity" erschien im Jahr 1983 und beruht auf der Geschichte, die Bither in den 1970er Jahren in Kalifornien der Polizei erzählt hat: Sie werde in ihrem Haus von Geistern heimgesucht, die sie vergewaltigen. Am Roman und am Film wurde Doris Bither nicht beteiligt – weder wurde sie vom Filmteam interviewt, noch wurde ihr ein Honorar gezahlt. Doris lebte weiterhin mit ihren vier Kindern von Sozialhilfe.
Roman und Film inszenieren Doris Bither nicht auf Augenhöhe, sondern als Opfer, als Objekt, auch als Versuchskaninchen parapsychologischer Phänomene. Yana Thönnes hat mit Menschen im Umkreis von Doris Bither gesprochen und kommt nun schnell zu der Lesart, zu der man nun einmal tendiert, wenn man nicht an Geister glaubt: dass Doris durch den sexuellen Missbrauch, den sie seit ihrer Kindheit erlebt hat, schwer traumatisiert war. Thönnes möchte aufzeigen, wie sexueller Missbrauch erlebt und erinnert wird – und wie die Gesellschaft damit umgeht.
Splitterhafte Traumaerinnerungen
Thönnes rekonstruiert den Fall nicht mit Doku-Material, sondern wählt den stark formalen, künstlerischen Ansatz der szenischen Installation. Dass sich die einzelnen Szenensplitter nicht zu einem Ganzen formen, gehört zum Konzept. Schließlich wird sexueller Missbrauch nicht als Geschichte mit Anfang, Mitte und Ende erinnert, sondern in einzelnen Sequenzen, in Geräuschen, Gerüchen, Flashbacks. Sie entziehen sich oft dem Versprachlichen. Deshalb findet fast mehr Körper-Theater als Sprech-Theater im Glashaus statt, mit einem repetitiven Gesten-Repertoire: Sprünge, Verrenkungen, bohrende Finger, überspannte Körper.
Dissoziieren: zum Geist werden, der über der Szene schwebt
Doch auch manche Textstelle ist zentral. Etwa der Ratschlag, den Doris‘ Freundin gibt: Doris, das reale Vergewaltigungsopfer, solle bei der Polizei die Rolle eines unschuldigen Teenager-Mädchens mit verschrecktem Blick spielen, damit man ihr die Vergewaltigung auch glaube. Oder das Dissoziieren, das Ruth Rosenfeld beschreibt, ganz typisch bei sexuellem Missbrauch: Da verlässt Doris ihren Körper und schaut sich selbst von oben zu, sobald ihr Vater das Zimmer betritt. Ein psychologisches Phänomen, das ebenfalls fast geisterhaft wirkt.
Dieses Experimentieren mit Doris Bithers Geschichte geht nicht an allen Stellen auf. Dafür ist der Fall zu undurchsichtig, manches bleibt auch auf der Bühne in einer vagen Gruselatmosphäre stecken. Und auch Yana Thönnes eignet sich schließlich Bithers Geschichte mit ihrer eigenen Interpretation an – Doris selbst hätte sie vermutlich weiterhin als Geister-Vergewaltigung beschrieben. Doch die junge Regisseurin hat mit ihrer ersten Arbeit an der Schaubühne eine formal starke Arbeit vorgelegt, die sich mit der wichtigen Frage beschäftigt, wie sexueller Missbrauch erinnert, verarbeitet und von außen instrumentalisiert wird.
Sendung: rbb24 Inforadio, 27.09.2023, B. Behrendt