Konzertkritik | The Notwist im Festsaal Kreuzberg - Vorzeige-Indie-Band für in Kapuzenpullis Geborene
The Notwist kommen aus Oberbayern und klingen seit 1989 trotzdem so international wie kaum eine andere deutsche Band. Ihre Live-Konzerte sind Klangreisen und Arbeitsnachweise für Auskenner. Nun bewiesen sie das im Festsaal Kreuzberg. Von Hendrik Schröder
"Indie-Band" - das war mal ein Gütesiegel. Das stand mal für etwas. Und wenn es jemals eine deutsche Band gegeben hat, auf die der Begriff "Indie" schon immer perfekt gepasst hat und so viele Jahre nach der Gründung noch passt, dann ist das The Notwist.
Indie, von independent, unabhängig, beschrieb popkulturell mal, dass man bei keinem großen Plattenlabel unter Vertrag ist, sondern bei einem kleinen, unabhängigen eben. Später wurde Indie auch eine Musikrichtung, die ungefähr so definiert war: Irgendwas mit Gitarren, aber nicht zu doll, Elektronik darf auch, zudem Anspruch an Haltung und eine gewisse Kommerzskepsis. Und natürlich: Man meint und nimmt das bei aller Lockerheit durchaus ernst, was man da macht und das Publikum auch.
Musiker bei der Arbeit
Und all das strahlen The Notwist aus, wie sie da auf der Bühne im Festsaal Kreuzberg stehen und los spielen.
Gleich drei Tourmusiker und eine -musikerin haben sich die drei festen Notwist-Mitglieder mit auf diese Konzertreise genommen. Zu siebt stehen sie also auf der Bühne und gucken kaum hoch. Keyboarder Christoph Beck nicht, Gitarrist und Sänger Markus Acher nicht, auch Schlagzeuger Andi Haberl nicht. Nein, sie schauen auf ihre Instrumente, sie konzentrieren sich.
Sie sind hier, wenn auch voller Freude und Lust, so doch: bei der Arbeit. Und nicht bei irgendeiner Show. Das ist gut, das ist sympathisch bescheiden, demütig und auf die Sache, nämlich die Musik, konzentriert.
Alle zusammen auf Klangreise
Und das ist vor allem wahrscheinlich auch nötig so, denn The Notwist spielen ihre Songs in immer abgewandelten Versionen. Das kann man nicht einfach so runterspielen, da muss man aufmerksam sein. Da mäandern sie manchmal minutenlang in wilden Synthesizer-Gitarren-Sessions durch Takte und Harmonien, Bassist Micha Acher schnallt sich eine Tuba um, das Schlagzeug ist elektronisch getriggert und verfremdet und dann gehen sie miteinander auf Klangreise, so sieht es aus. Und wenn sie dann doch mal kurz lächelnd hochschauen, weil irgendwas besonders gut oder gar nicht geklappt hat, was man so als Durchschnittszuhörer gar nicht mitbekommen hat, dann merkt man: alles ok, alles muss genau so.
Weilheim forever
Es ist ja schon bemerkenswert, dass The Notwist, lässt man den Gesang mal außen vor, so international klingen wie kaum eine andere deutsche Band. Seit der Gründung 1989 schaffen sie es, sich immer weiterzuentwickeln, ohne alte Fans zu verlieren, auch international ein bisschen erfolgreich zu sein und, siehe oben, bei alldem wie gute und interessante Typen rüberzukommen. Auch jetzt noch, wo die Haare grauer werden. Und immer noch leben sie in Weilheim in Oberbayern und nehmen da auch ihre Platten auf. Nicht in Hamburg, München oder Berlin. Also, wenn das nicht Indie ist, was dann?
Von Nerds für Nerds
Apropros: Im Publikum dieser Vorzeige-Indie-Band sind übrigens wahnsinnig viele Vorzeige-Indie-Männer, die wahrscheinlich schon mit ausgebeulten T-Shirts, ungebügelten Hemden und Kapuzenpullis geboren wurden und auch jetzt, so 35 bis 55 Jahre später nicht daran denken, den Style jemals wieder abzulegen.
Männer, die noch Vinyl hören, nicht wieder; die lange darüber philosophieren können, warum Neon Golden aus dem Jahr 2002 das beste Notwist- und überhaupt beste Indie-Album ist. Die sich früh einem Nerdtum verschrieben haben, was nur versteht, wer es wirklich versteht. Und die, und das macht den Abend so schön, zu schätzen wissen, was The Notwist da vorne für ein geiles Konzert abliefern und die echt zuhören und die Handys in der Tasche lassen und auch in den ruhigen Passagen einfach mal den Mund halten. Weil man sich so auf den Abend gefreut hatte, dass man den jetzt nicht verlabert, sondern sich mit allen Sinnen diese spannende Band anschaut. Sehr gut.
Sendung: rbb24 Inforadio, 11.10.2023, 6:55 Uhr