Ausstellung zu Sexarbeit im Schwulen Museum - Das Haupt erhoben, die Beine gespreizt

In der Ausstellung "With Legs wide Open" im Schwulen Museum in Berlin erzählen Sexarbeitende ihre Geschichten und eigenen sie sich an. Sie nennen es "einen Hurenritt". Von Corinne Orlowski
Schon der Titel der Ausstellung "With Legs wide Open - Mit weit geöffneten Beinen" bringt die Fantasie in Gang. Bilder von Fetischen, von Lack und Leder ziehen vor einem auf. Und was sieht man tatsächlich? Vier alte Gewänder auf Schneiderpuppen zum Beispiel, drapiert von Sexarbeiterin Ernestine.
Sie ist fasziniert davon, wie der Anblick historischer Kleidung einen nachempfinden lässt, wie es sich damals angefühlt haben mag. "Ich wollte veranschaulichen, wie die Stoffe waren und was Sexarbeiterinnen getragen haben könnten", erzählt sie. "Im 18. Jahrhundert, so haben wir gelesen, hatten sie rote Blumen auf den Schultern."
Eine weitere Puppe trägt ein schlichtes bodenlanges Kleid mit blauer Schürze. So mögen sich Sexarbeiterinnen im historischen "Rotlichtviertel" Bülowkiez vor 1900 gekleidet haben. Da hat sich bis heute viel verändert. Ernestine führt in fest geschnürter Corsage durch die Ausstellung, gemeinsam mit Isaak Ron, im schwarzen Netzhemd und Käppi. Kleidung, sagen sie, sei ein wichtiges Element der Verwandlung, die Sexarbeitende erkennbar mache, sie aber auch schütze.
Geurteilt wird schnell, auch ohne etwas über sie zu wissen. Eben zum Beispiel, wie lange es sie schon in dieser Nachbarschaft in Schöneberg gibt. Wie haben sie vom Mittelalter bis heute ausgesehen? Welches Gesundheitswissen haben sie über die Jahrzehnte weitergegeben? Wie haben sie den Holocaust und die Kolonialgeschichte erlebt? Sie fragen sich aber auch, wie ein Bordell in einer besseren Zukunft aussehen könnte.
Horizontale Arbeit und Bürokratiefetisch
Diese Ausstellung ist eine "Hurengeschichte" erzählt von "Huren". Es folgt dem Mantra "Nichts über uns ohne uns", weil – so erklärt Isaak – "es ist leider ständig unsere Realität, besonders auch in der Entwicklung von Gesetzen. Diese Hurengeschichte ist für uns nicht einfach verfügbar." Also sind sie in Archive gegangen, wo sie aber vor allem Gesetzestexte und Polizeiakten fanden. "Das ist nicht die Geschichte der Sexarbeit allein, das ist die Geschichte der Verfolgung der Sexarbeit. Deswegen entspricht die Ausstellung hier, in all ihrer Schönheit und die lustvolle Gestaltung auch einem Raum, den wir als Huren für uns selbst kreieren wollen und in den wir euch einladen."
Es geht um eine queere und dekoloniale Geschichtsschreibung, nicht um eine der Strafverfolgung. Sie wollen die Opferperspektive "verkomplizieren". Denn es habe immer wieder selbstorganisierten Widerstand gegeben. Jeder Raum hätte das Zeug dazu, eine eigene Ausstellung zu werden. Besonders eindringlich ist der Raum "Vernichtungsdezernat" über Prostituierte im Nationalsozialismus. Dort erzählen sie persönliche Geschichten vom Konzentrationslager bis zu Wehrmachtsbordellen – und prangern an, dass es bis heute kein Denkmal für "asozial Verfolgte" gibt, darunter Personen, die durch "unsittlichen Lebenswandel" auffielen.
Mit Stolz und viel Humor
Das Kollektiv der Sexarbeitenden erobert sich nicht nur das Wort Hure zurück, es eignet sich auch deren Geschichte an, nennt seine Ausstellung ein "fiktives Museum der Sexarbeit". Im Aufbau gleicht es einer bunten Behörde. Es gibt ein "Amt für Statistik", eine "Stabstelle für die Rückeroberung des öffentlichen Raums", eine "Gesundheitsabteilung" und eine "Beschwerdestelle". Isaak findet das Museum auch ein bisschen kafkaesk. "Es hat etwas sehr Amtiges, weil das nämlich zur Lebenserfahrung von sehr vielen Sexarbeitenden gehört über die Jahrhunderte hinweg."
Man spürt in der Ausstellung den Stolz, die Liebe zum Detail und die emotionale Überwältigung, die die Auseinandersetzung mit der Geschichte ihres Berufes auslöst. Es gibt Exponate zum Anfassen, im "Arzneimittelkabinett" kann man an Beifuß riechen – was abtreibend wirken soll - oder sich auf einem riesigen herzförmigen Bett räkeln. Mit Kunst und viel Humor will das Kollektiv die Kultur der Sexarbeit den Besuchenden näherbringen: zehn unterschiedliche Räume, die zeigen, wie vielschichtig Sexarbeit gewesen ist und sein kann.
Sendung: rbb24 Inforadio, 27.03.2024, 10:00 Uhr
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