Konzertkritik | The Streets in Columbiahalle - Er forderte einen Zoo und bekam etwas viel Unzivilisierteres

Fr 07.06.24 | 11:00 Uhr | Von Corinne Orlowski
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Archivbild: Mike Skinner&The Streets treten am 05.11.2023 in West Yorkshire auf. (Quelle: IMAGO/Ant Longstaff)
Audio: rbb24 Inforadio | 07.06.2024 | Corinne Orlowski | Bild: IMAGO/Ant Longstaff

Nach einer längeren Pause hat der Brite Mike Skinner aka "The Streets" wieder ein neues Album veröffentlicht. Für sein einziges Deutschland-Konzert machte er Stop in der Berliner Columbiahalle und schenkte den Fans einen unvergesslichen Abend. Von Corinne Orlowski

Ok, dieser Mann weiß, wie man eine Halle zum Kochen bringt. Er ist noch nicht zu sehen, da hört man ihn schon sing-rappen im unverkennbaren britischen Arbeiterklassen-Dialekt Cockney. In schwarzer kurzer Hose und schwarzem Schlabbert-Shirt, Bier in der Hand, schlurft der leicht untersetzte Mike Skinner aka "The Streets" auf die Bühne. Er bleibt aber nicht vorne an der Kante stehen. Er geht weiter, überspringt die Absperrung und direkt rein ins Publikum. Das dreht von Sekunde eins an völlig auf. Sie fassen ihn an, machen Selfies - und er nur ganz lässig: "It's nice to meet you, Berlin. Heute lernen wir uns alle kennen."

Als "The Streets" vor 22 Jahren auf der Pop-Bildfläche erschienen, schrieben sie Musikgeschichte. Sie brachten einen ganz neuen Sound, eine Mischung aus Hip Hop, 2Step und sperrigen Garage-Beats, dazu beinahe hochliterarische Texte, cool-nölig vorgetragen, die von der alltäglichen Lebenswelt unterpriviligierter junger Männer erzählen. Musik von der Straße - eben von "The Streets".

2011 hängt Skinner sein legendär gewordenes Musikprojekt an den Nagel, keine Ideen mehr, sagt er. Doch er blieb nicht untätig, schrieb ein Buch und legte als DJ in Clubs auf. Seit dem letzten Jahr ist Skinner aber wieder zurück, mit neuem Album und dazugehörigen Film: "The Darker the Shadow the Brighter the Light" - je dunkler der Schatten, desto heller das Licht.

Achterbahn der Gefühle

Wollten "The Streets" auf ihrem einzigen, restlos ausverkauften Deutschland-Konzert nicht dieses neue Album vorstellen?

Nein, "The Streets" haben mehr vor, als schnöde ein Album runterzurappen. Sie wollen Ekstase und spielen vor allem die alten Songs. Die Fans rasten völlig aus, während die Band Schockwellen aus Bass und fiebrigen Synthesizer-Sounds schickt, dazwischen immer wieder harte Beatwechsel, langsame Gitarren- und Klavierakzente. Eine Achterbahn der Gefühle, erst hüpfen, dann schunkeln, dann wieder kreischen - Stop and Go. Aber das ist so gewollt.

Skinner redet mindestens 1,5 Stunden ununterbrochen: Ist das jetzt Text oder spricht er einen direkt an? Man muss schon genau hinhören, denn er fordert das Publikum ununterbrochen auf, dirigiert es, ordnet es neu. Wieder geht er rein in die Menge, setzt sich auf die Schultern von - ja, wie heißt du? - von Andreas. Der trägt ihn zur Bar, crowdsurfend, auf Händen getragen, geht es zurück auf die Bühne. Skinner möchte einen Zoo sehen. Doch er kriegt etwas viel Unzivilisierteres: Einen springenden, schwitzenden Moshpit. In den steigt Skinner am Ende selbst. Das habe er noch nie gemacht, sagt er, aber in Berlin würde er es sich trauen.

Kater und blaue Flecken warten schon

Und so stellt Mike Skinner im übertragenen Sinne dann doch sein neues Album vor: das ist zwar ein Noir-Krimi im Londoner Nachtleben, in dem ein alternder DJ auf eine Clubbesitzerin trifft, die mit dem drogenbedingten Tod eines Besuchers fertig werden muss, es ist aber auch eine Liebeserklärung an die Clubkultur - Rausch, Kater und Repeat. "Es hätte nicht besser laufen können", sagt Skinner mit einem Lächeln, das sei eines seiner besten Konzerte gewesen und entlässt hochrote Köpfe in den Berliner Sprühregen. Der Kater und einige blaue Flecken warten schon, doch dieses "The Streets"-Konzert wird wohl für alle Beteiligten unvergesslich bleiben.

Sendung: rbb24 Inforadio, 07.06.2024, 09:50 Uhr

Beitrag von Corinne Orlowski

2 Kommentare

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  1. 2.

    Es war der Hammer! Er war sooo krass genial. Er ist bodenständig und wirkte auf mich sehr authentisch. Keine mega Show um zu gefallen, kein Feuer oder zerschlagen des Equipments um der Masse zu gefallen. Dennoch beeinflusste und beeinflusst er noch heute einzelne Personen oder Musikentwicklungen.

  2. 1.

    Verdammt-Verpasst! Mir bleibt nur die Vinylscheibe…

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