Prignitz - Nähmaschinenwerk in Wittenberge als "Historisches Wahrzeichen" ausgezeichnet

Fr 18.10.24 | 07:52 Uhr
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Der imposante Uhrenturm des Wittenberger Nähmaschinenwerks ist weit über die Stadtgrenzen hinaus sichtbar. (Foto: rbb/Haase-Wendt)
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Audio: Antenne Brandenburg | 18.10.2024 | Björn Haase-Wendt | Bild: rbb/Haase-Wendt

In dem über 100 Jahre alten imposanten Wittenberger Werksgebäude wurden erst Singer-, später Veritas-Nähmaschinen hergestellt. Nun wird der industriearchitektonische Bau besonders gewürdigt.

Das historische Nähmaschinenwerk in Wittenberge (Prignitz) ist jetzt ein "Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland". Mit der Auszeichnung würdigen die Bundes- und die Brandenburgische Ingenieurkammer das Gebäudeareal im heutigen Veritas-Park.

Besonders das Hauptgebäude von 1907 war mit seinem einzigartigen Eisenbeton-Skelettbau prägend und ein Symbol für die Industrialisierung. Das 200 Meter lange Fabrikgebäude wurde innerhalb von nur fünf Monaten errichtet und hat eine außergewöhnliche Tragfähigkeit von 1,6 Tonnen je Quadratmeter. Geplant worden war es seinerzeit von der renommierten Wayss & Freytag AG unter Leitung des Bauingenieurs Paul Thiele.

Historische Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst

Maßgebend für die Würdigung als Wahrzeichen waren den Kammern zufolge sowohl der frühe, große und sehr leistungsfähige Bau sowie andererseits das weit entwickelte Konzept der Fabrik.

"Das ist eine große Wertschätzung der Stadtentwicklung und Bausubstanz", sagte Wittenberges Bürgermeister Oliver Hermann dem rbb. Die denkmalgeschützten Gebäude der Industriearchitektur verwiesen die auf die Industrietradition der Stadt Wittenberge mit den Singer-Werken und Veritas als größtem Arbeitgeber zu DDR-Zeiten, so Hermann. Es sei eine kleine Welt in sich gewesen, an die tausende Wittenberger Erinnerungen hätten und auf die sie stolz seien. Zudem sei der Uhrenturm eines der Wahrzeichen der Stadt und auch eine touristische Attraktion, sagte Hermann.

"Stadt der Nähmaschinen": Erst Singer, dann Veritas

Wittenberge an der Elbe war als "Stadt der Nähmaschinen" einst Sitz der amerikanischen Singer Manufacturing Company, die vor über 100 Jahren entscheidend war für den Aufschwung der Region. Das amerikanische Unternehmen hatte für sein zweites Nähmaschinenwerk in Europa einen verkehrsgünstigen Standort mit viel Platz gesucht und ihn gefunden im Osten von Wittenberge mit zugehörigem Eisenbahnknoten zwischen Berlin, Hamburg und Magdeburg sowie eigenem Hafen allein für Singer direkt an der Elbe.

1904 hatte die Herstellung von Nähmaschinen in Wittenberge begonnen. Bis zu 3.200 Beschäftigte arbeiteten zu Hochzeiten in dem Werk. Nach dem 2. Weltkrieg wurde das Singer-Werk demontiert, dann aber für die Produktion von Veritas-Nähmaschinen wieder aufgebaut. Zu DDR-Zeiten wurde daraus das VEB Nähmaschinenwerk Wittenberge, das bis zur Abwicklung, Anfang der 1990er Jahre, Millionen Veritas-Nähmaschinen produzierte.

Noch heute steht das riesige Gebäude als stilles Mahnmal am Rande der Stadt. Der private Eigentümer des Geländes habe nach seiner Kenntnis Pläne, das Areal als Ort für Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur zu entwickelt, sagte Wittenberges Bürgermeister Oliver Hermann dem rbb. Die Dimension sei allerdings eine besondere Herausforderung.

Zur feierlichen Preisverleihung wurde eine Ehrentafel am Nähmaschinenwerk Wittenberge enthüllt. (Foto: rbb/Haase-Wendt)

"Das Gebäude wurde besonders vorgehoben, weil es gigantische Eckdaten hat. Es ist 200 Meter lang, 30 Meter breit, hat fünf Etagen und somit eine Nutzfläche von etwa 25.000 Quadratmetern", sagte Christian von Hagen vom Eigenbetrieb Kultur, Sport und Tourismus der Stadt Wittenberge, der den Veritas-Park touristisch betreut. Alle Etagen seien so konzipiert gewesen, dass riesige Maschinen aufgestellt werden konnten. Ein Tragwerk aus Eisenbeton mit Wänden, die nur als Fassaden und Raumteiler dienten, sei damals modern und neu gewesen, so von Hagen.

Zwei frühere Preisträger stehen auch in Brandenburg

Seit 2007 zeichnet die Bundesingenieurkammer Werke der Ingenieurbaukunst in ganz Deutschland als historische Wahrzeichen aus. Dreißig sind es bislang. Dazu gehören das als erstes ausgezeichnete alte Schiffshebewerk in Niederfinow von 1934 sowie das Pumpwerk für die Wasserspiele des Parks Sanssouci mit seiner Dampfmaschine von 1895 in Potsdam.

Technische und historische Hintergründe über das Nähmaschinenwerk Wittenberge sind in einer neuen 60-seitigen Publikation zusammengefasst, die wie alle anderen bislang ausgezeichneten "Historischen Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland" in einer Schriftenreihe porträtiert werden.

Sendung: Antenne Brandenburg, 18.10.2024, 8:30 Uhr

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7 Kommentare

  1. 7.

    Sehr gut, so mancher Industriebau in historisch schwierigen Zeiten erfolgte sehr solide.
    Deshalb hoffe ich, dass nach Freigabe für eine neue Nutzung sich sehr schnell ein Campus/Sitz diverser Kleinbetriebe oder auch soagar noch einmal eine wirkliche Produktionsstätte entwickelt.
    Eine Initiative, die z.B. einen Ersatzteilladen für Veritas-Maschinen anbietet oder sogar noch repariert, das wäre wirklich zu überdenken. - Jedenfalls habe ich dort eine exzellente Führung "im Gewande" durchden Uhrenturm mit musealer Nutzung erlebt. Leider waren das am an diesem echt heißen Sommertag nur wenige, die sich darauf einließen, aber es war eine wirklich sehr informative Sache und mit viel Herz. So dass man sich schon vorstellen kann, wieviel Entsetzen die Schließung des Werkes eines echt gefragten Artikels in der Wendezeit hervorrief.
    Hoffentlich findet die Stadt Personen, die gewillt sind, dieses Gebäudeensemble wieder dauerhaft zu beleben.

  2. 6.

    Nicht zu vergessen: Herzlichen Glückwunsch. Was mit dem großen Bahnhofsgebäude vollzogen worden ist und sich hoffentlich mit Leben füllt, das sollte doch auch mit dem Singer-/Veritas-Nähmaschinenwerk gelingen.

  3. 5.

    Architektonische Inspiration ist ja nie wahllos - wie es heute den Anschein hat - sondern eindeutig, unverwechselbar und zeugnisgebend. Alles trifft auf das Singer-Nähmaschinenwerk in Wittenberge zu, incl. seines bemerkenswerten Uhrturmes.

    Woanders und zu etwas früherer Zeit sahen Fabrikgebäude aus wie Kathedralen - bspw. bei MAN in Lippstadt oder beim industriellen Hauptgebäude in Köthen / Sachsen-Anhalt; wieder woanders verbirgt sich in ihnen eine Machtdemonstration oder sogar Einschüchterung. VW in Wolfsburg ist vom Letzteren nicht frei, auch wenn die "Krone der Einschüchterung" beim Bau des eh. Reichsluftfahrtministeriums, zw. zeitl. Haus der Ministerien der DDR, heutigem Finanzministerium liegt.

  4. 4.

    " Vorbild für ThyssenKrupp in Duisburg "

    VW ist klar aber welches Krupp Werk in Duisburg ist gemeint ?? Gab es dort nicht mehrere ??

  5. 2.

    Habe die Veritas meiner Mutter noch. Funktioniert tadellos. Seit 35 Jahren.

  6. 1.

    Vorbild für ThyssenKrupp in Duisburg, VW in Wolfsburg etc.
    Oh, war das wieder Hetze?

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