Strukturwandel - Woher bekommt die Lausitz 55.000 Fachkräfte bis 2038?

Di 30.07.24 | 15:05 Uhr
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Archivbild: Die Baustelle für das neue Bahnwerk (Halle 1) am Bahnstandort Cottbus. (Quelle: dpa/Pleul)
Video: rbb24 Brandenburg Aktuell | 29.07.2024 | Phillip Manske / Marc Langebeck / Stefan Zundel | Bild: dpa/Pleul

Lange war die Debatte über den Lausitzer Strukturwandel von der Angst vor Massenarbeitslosigkeit geprägt. Mittlerweile steht fest, der Lausitz fehlen bis 2038 zehntausende Fachkräfte. Wie können die in den Süden Brandenburgs gelockt werden? Von F. Ludwig und P. Manske

Der Strukturwandel in der Lausitz wird mehr und mehr sichtbar: eine neue Unimedizin ist gegründet worden, das neue ICE-Bahnwerk in Cottbus ist in Betrieb, eine zweite Halle wird gebaut.

Mit Beginn des Strukturwandels war die größte Sorge in der Lausitz, dass es nach dem Ende der Braunkohle zu Massenarbeitslosigkeit kommen könnte. Rund 7.000 Menschen sind in den Kohlegruben und Kraftwerken der Leag beschäftigt - bei Subunternehmen und Zulieferern sind es noch einmal so viele. Diese Beschäftigten in Arbeit zu halten war eines der erklärten Ziele im Strukturwandel. Mittlerweile steht längst fest: nicht Arbeitslosigkeit sondern ein massiver Fachkräftemangel ist das größte Problem in der Lausitz.

Jobs in Industrie, Verwaltung, Wissenschaft

Tausende Jobs entstehen in der Lausitz durch Neuansiedlungen oder Erweiterungen. 4.750 Jobs sind in der Industrie angekündigt, 553 in Behörden. Mehr als 1.000 Arbeitsplätze sollen im Wissenschaftsbereich entstehen, die Medizinuni in Cottbus braucht rund 1.300 Fachkräfte.

Schwerpunkte der Arbeitskräftesuche sind die Stadt Cottbus, der Industriepark Schwarze Pumpe (Spree-Neiße), die Stadt Guben und die BASF in Schwarzheide (Oberspreewald-Lausitz).

Eine Studie der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU) hatte zu Jahresbeginn vorgerechnet, dass bis 2038 - dem angestrebten Kohleausstiegsdatum - rund 55.000 Arbeitskräfte in der Lausitz fehlen werden.

Bevölkerung schrumpft während Region attraktiver wird

Einer der Verfasser der Studie ist der Strukturwandelexperte Stefan Zundel. Im rbb bekräftigte er die Prognose, auch, wenn beispielsweise die geplante Ansiedlung des Batteriezellenherstellers SVolt in Lauchhammer (Oberspreewald-Lausitz) zuletzt gescheitert war. Weiterhin sei das größte Problem, alle verfügbaren Arbeitsplätze zu besetzen.

Grundlage für die Prognose ist auch die demographische Entwicklung in der Lausitz und damit die niedrige Geburtenrate in der Region. "Wir haben etwa 300.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in der Lausitz und wenn die Prognose einigermaßen zutreffend ist, sind es eben 50.000 weniger bis 2038. Diese Menschen werden uns fehlen", so Zundel.

Der Bedarf an Fachkräften ergebe sich aber nicht nur aus einem Mangel an Menschen in der Region, auch die Attraktivität der Lausitz spiele eine Rolle, erklärte Zundel. Im Süden Brandenburgs gebe es noch große zusammenhängende Gewerbeflächen. Außerdem verfüge die Region über ausreichende Mengen erneuerbarer Energien. Zusätzlich seien die Milliarden an Strukturhilfe bislang gut eingesetzt worden - beispielsweise um bestehende Industriegebiete noch besser zu erschließen, so der BTU-Wissenschaftler.

Wer nicht genug zahlt, hat Pech

Für kleinere Betriebe sind die großen Neuansiedlungen allerdings häufig Konkurenz. Immer häufiger beschweren sich mittelständische Unternehmen in der Lausitz darüber, dass sie mit großen Industriearbeitgebern wie der Bahn nicht mithalten können. "Das ist ein echtes Problem, das darf man auch nicht kleinreden. [...] Aber wenn man erfolgreich Strukturwandel betreibt, holt man auch mehr Wirtschaftskraft in die Region, dadurch wird der Wettbewerb um die Arbeitskräfte intensiver", so Zundel. "Geschäftsmodelle, die darauf gründen, dass man die Beschäftigten nicht so sonderlich gut bezahlt, die haben ein echtes Problem", sagt der Strukturwandelexperte.

Den derzeitigen Boom auf dem Lausitzer Arbeitsmarkt sieht Zundel als erste Welle im Strukturwandel. Eine zweite werde es geben, wenn die Investitionen in die Infrastruktur Früchte tragen und wenn sich die Investitionen in die Wissenschaft auch auf die Wirtschaft auswirken.

Laut Zundel wird der Fachkräftemangel schon jetzt angegangen: mit Weiterbildungsmaßnahmen, mit der Werbekampagne "Krasse Lausitz" und mit Fachkräften aus dem Ausland soll die Lücke geschlossen werden. Es gibt aber auch andere Ansätze, wie Menschen in die Lausitz gelockt werden sollen, wie ein Beispiel aus Guben zeigt.

Probewohnen gegen Bevölkerungsrückgang

Guben erlebt derzeit einen Strukturwandel-Boom: der Bifi-Hersteller Jack Link's baut hier eine Produktion auf. Der Lithiumhersteller Rocktech plant, den ersten Lithiumhydroxidkonverter Europas in Guben zu bauen. Auch wenn diese Ansiedlung wegen des Wegfallens von Bundesfödermitteln ins Wanken geraten ist, braucht Guben dringend mehr Einwohner. Anfang der 1980er Jahre lebten etwa 36.000 Menschen in Guben, dann brach die Textilindustrie zusammen. Im Jahr 2000 gab es hier noch mehr als 25.000 Menschen, 2022 waren es noch 16.600.

Bis Ende April nahm die Stadt an der deutsch-polnischen Grenze deshalb Bewerbungen entgegen. Wer wollte, konnte hier zur Probe wohnen - kostenlos.

18 Bewerber hatte die Stadt ausgewählt. Zwei bis vier Wochen konnten und können sie eine voll ausgestattete Wohnung in Guben nutzen. Nur die Nebenkosten müssen sie zahlen. Die ersten kamen Anfang Juli, die letzten werden die Neißestadt im September wieder verlassen. Hauptbedingung: die Probewohnenden müssen sich in ihrer Zeit in Guben in Vereinen engagieren oder ein Praktikum absolvieren.

Wie viele von ihnen letztendlich in der Neißestadt bleiben ist noch nicht klar. Doch Guben bemüht sich nach Kräften um Einwohner. Auch andere Kommunen werden sich künftig mit diesem Problem beschäftigen müssen. Sonst gehen dem Strukturwandel die Fachkräfte aus, bevor er richtig Fahrt aufgenommen hat.

Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 29.07.2024, 19:30 Uhr

42 Kommentare

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  1. 42.

    Ihre Erfahrungen kann ich nicht bestätigen, weder bei mir noch in meiner zahlreichen Bekanntschaft. Aber bekanntlich soll man Reisende nicht aufhalten und wünsche Ihnen viel Glück in der neuen Stadt.

  2. 41.

    Selten so viele dumme Vorurteile gelesen, waren Sie mal in anderen Regionen auf der Straße?
    Ich gehe abends zehnmal lieber durch Cottbus als durch Berlin.

  3. 40.

    Wo gibt es eine genaue Aufstellung, welche Fachkräfte mit welcher Qualifikation und in jeweils welcher Anzahl momentan und in Zukunft dort gesucht werden? Das wäre dann ein Kritirium für die Einwanderungen nach Deutschland und in die Lausitz.

  4. 39.

    "Flüchtlinge und willige Ausländer rein" Ganz Deutschland sucht Fachkräfte - wobei nicht immer ganz klar ist, was genau damit gemeint ist - und hat diese bei inzwischen Millionen Flüchtlingen und anderen Ausländern als Einwanderer nicht gefunden, wo wollen Sie die also hernehmen durch Umsiedlung von Flüchlingen und Ausländen in die Lausitz, durch die Umsiedlung in die Lausitz werden das doch nicht schon die gesuchten Fachkräfte?

  5. 38.

    Nazis raus, aus Cottbus/Lausitz ???
    Dort, sind 30 Prozent ++ Anhänger/Sympathisanten von AfD und Co.
    Dann ist die Region dort vollkommen leer und der Bundesdeutsche Steuerzahler, muss nochmal 50 Milliarden an Strukturhilfen, obendrauf packen, damit dort, überhaupt Jemand bleibt(außer Rentner/innen und Bürgergeld-Empfänger/innen).

  6. 37.

    Ich bin schon gegangen, vor vielen Jahren - war, die richtige Entscheidung !!!
    Überwachung, Überalterung, Schrumpfung und ein riesengrosser Rassismus.

  7. 36.

    Woher bekommt die Lausitz 55.000 Fachkräfte bis 2038? Ganz einfach: Nazis raus, Flüchtlinge und willige Ausländer rein.

  8. 35.

    ich bin zunächst positiv gestimmt in die Lausitz gekommen, wollte den Vorurteilen nicht glauben und dachte die Region befinde sich in einem dynamischen, progressiven Veränderungsprozess.

    was ich tatsächlich fand: Rentnertown statt Boomtown; Jugendliche (!) die den Hitlergruß öffentlich zeigen ohne Konsequenzen oder gezeigter Zivilcourage von Bystandern; rassistische Beleidigungen in Supermärkten, Bäckern, bei der Bahn; Lehrpersonal das Schüler mit Migrationshintergrund schlägt
    Auch ich bin körperlich angegangen und beleidigt worden, weil ich wohl nicht der Norm eines Lausitzer Mannes entspreche.
    die Menschen hier wollen keine Veränderung, eine so verschlossene Region hab ich zuvor noch nie erlebt.

    anekdotische Evidenz, klar, aber es reiht sich ein in die endlosen negativen Geschichten über die Region.
    tut mir leid für diejenigen, die nicht so sind. Denen wird die Heimat von ‚Heimattreuen‘ zerstört.

    ich jedenfalls werde wieder gehen.

  9. 34.

    Ja, mit FFO geben ich Ihnen recht. Wäre deutlich sinnvoller gewesen. Nun wurde das Werk aber in Cottbus gebaut und etliche ICE fahren nun immer leer zu einem weit abgelegenen Werk. Wer hat sich dabei eigentlich was gedacht?

  10. 33.

    "Es wäre schön, wenn Chosebuz noch eine ICE-Anbindung bekäme." Wozu, es liegt doch nicht einmal an einer Hauptstrecke. Da wäre eine ICE-Anbindung von Ffo viel nötiger, da es an einer hochfrequentierten Haupstecke liegt. Da ICE-Ausbesserungswerk wäre auch in Ffo besser aufgebhoben gewesen (Platz wäre genug dafür da gewesen), als im bahntechnischen Abseits in Cottbus.

  11. 32.

    Die Lausitz - Geldvernichtungsmaschine der Bundesrepublik.
    Wenige Hunderttausend Menschen, verbrauchen immer und immer wieder, Milliarden und Milliarden.

  12. 31.

    "durch und durch rechtsradikal". Falsch. In meiner ehemaligen Heimatstadt (Kleinstadt) im südlichen Brandenburg wird regelmäßig das Büro der AfD attackiert. Ich garantiere Ihnen: Fahren Sie dorthin, in den Spreewald oder sonstwohin nach Brandenburg: Sie werden nicht merken daß dort viele Leute AfD wählen. Kommen Sie bitte nach Brandenburg, legen Sie die gerne behaupteten Vorurteile ab, kein Rechtsradikaler wird Sie angreifen. Türken,Italiener betreiben dort Cafés -ohne Probleme.

  13. 30.

    Die Investitionen in den Strukturwandel in der Lausitz sind gigantisch. Es wäre schön, wenn Chosebuz noch eine ICE-Anbindung bekäme. Wer über die bisherigen Investitionen meckert, dem oder der geht es einfach zu gut.

  14. 29.

    In meinen Augen wird auch nicht ausreichend beachtet, dass diese Fachkräfte, wenn sie dann gefunden sind und hier arbeiten wollen, auch irgendwo WOHNEN müssen, und sicher auch Kinder in KITAS und SCHULEN geben möchten...heißt: An die erforderliche Infrastruktur wird nicht in ausreichendem Maße gedacht. Abgesehen von der Zunahme im Straßenverkehr, schon ist zur Feierabend-rush-hour nur Stopp and go in der Stadt möglich....

  15. 28.

    Das frage ich mich auch.

    Es ist doch klar, dass es hier keinen grossen Zuzug geben wird, weil die Gegend ja durch und durch rechtsradikal ist.
    Wer will denn in so einer Gegend wohnen, wo man sich ständig bedroht fühlt?

  16. 27.

    Es stellt sich die Frage, weshalb sich derart viele Betriebe in einer Region mit erwartbarem Fachkräftemangel ansiedeln?

  17. 26.

    Diese Frage darf dann die AfD beantworten, haha!

  18. 25.

    Das wird gern behauptet. Einen harten Beweis für diesen Zusammenhang kenne ich nicht. Gucken Sie mal nach Sachsen, da müßte mit dem Argument von Ihnen gar keine Fachkraft hinwollen, ich sehe aber das Gegenteil.

  19. 24.

    Als Erstes wüßte ich gern mal genau, was für Fachkräfte gesucht werden und welche Qualifikation in welcher Anzahl. Der Begriff Fachkräfte wird mir zu inflationär und zunehmend nichtssagend verwendet.

  20. 23.

    Das trifft u.a. auch auf den Wohnungsmarkt und die Preisentwicklung zu, oder täusche ich mich da ? Der Neubau wird beendet, während die Nachfrage steigt.

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