Vor allem Berliner kommen - Erste Probebewohner beziehen in Guben ihre neue Heimat auf Zeit
Not macht erfinderisch: Guben hat eingeladen, beinahe kostenlos ein paar Sommerwochen in der Stadt zu verbringen. Probewohnen, um das Kleinstadtleben zu testen und im Idealfall zu bleiben. Nun sind die ersten Bewohner da. Von Aspasia Opitz und Daniel Mastow
Den größten Koffer, den sie besitzt, zieht Anika Franze durch die Tür ihrer neuen Wohnung. "Ich wollte eben auch ein paar Sachen von meinem Zuhause mitnehmen, weil es sonst so ein Urlaubsgefühl ist, wenn man nur Klamotten und Kosmetik hat."
Die 37-jährige Anika Franze ist eine der ersten Probebewohner, die sich ins Abenteuer Guben (Spree-Neiße) wagt. Zweieinhalb Stunden Autofahrt hat die Berlinerin hinter sich gebracht, um das Leben in der 16.000-Einwohner-Stadt an der Neiße zu testen.
Alles so schön fußläufig
Auf den Aufruf für ein kostenloses Probewohnen auf Zeit hatten sich 35 Bewerber gemeldet, wobei die Stadt von "Parteien" spricht, weil es sich nicht nur um Einzelpersonen, sondern auch um Paare und Familien handelt. Mehr als die Hälfte von ihnen kamen aus Berlin, hieß es Mitte Mai von der Stadt. Es waren auch Bewerbungen aus dem Raum Hamburg und der Nähe von München dabei.
Am Ende hat die Stadt 18 Parteien ausgewählt, 17 nehmen sich nun tatsächlich die Zeit, ins Kleinstadtleben einzutauchen. Sie können für zwei bis vier Wochen eine voll ausgestattete Wohnung in der Stadt nutzen. Insgesamt stehen fünf Zwei- oder Dreiraumwohnungen zur Verfügung. Die ersten wurden von einem russischen Journalisten, einer Familie und Anika Franze am ersten Julitag bezogen.
Begrüßt wird Franze von Linda Geilich von der Rückkehrerinitiative "Guben tut Gut". Zum Start bekommt die Berlinerin ein Infopaket samt Stadtplan in die Hand, "da ist ihre Wohnung eingezeichnet." Das sorgt für den ersten Aha-Moment. "Das ist alles gut fußläufig zu erreichen", sagt Anika Franze. "In Berlin wären das wahrscheinlich schon wieder vier S-Bahn-Stationen."
Jeder einzelne Zuzug ein Gewinn
Großansiedlingen in Guben, wie der Lithiumhersteller Rock Tech und der Wurstsnackhersteller Jack Links, haben großen Arbeitskräftehunger. Der muss gestillt werden. Bei Rock Tech sollen rund 170 Arbeitsplätze entstehen, bei Jack Links sind es zunächst 80.
Außerdem will sich die Stadt verjüngen. Im Jahr 2023 kamen auf 65 Geburten 331 Sterbefälle. Laut einer Bertelsmann-Studie aus dem April wird sich der Spree-Neiße-Kreis bis zum Jahr 2040 zum ältesten Landkreis Brandenburgs entwickeln, mit einem Durchschnittsalter von 56,7 Jahren (aktuell: 54,5 Jahre) [bertelsmann-stiftung.de/PDF]. Zum Vergleich: Das Durchschnittalter für ganz Deutschland wird auf 47,1 Jahre prognostiziert.
Die Einwohnerzahl von Guben ist seit 2016 Jahr für Jahr gesunken. Rund 16.500 Menschen haben Ende 2023 in der Stadt gelebt [guben.de]. Zu Höchstzeiten waren es 1981 etwa 36.700 Einwohner.
Jeder einzelne, der sich nach dem Probewohnen für Guben entscheidet, wäre ein Gewinn. Genau das ist das Ziel des Projekts, sagt Linda Geilich. Die Stadt soll als Wohnstandort bekannter werden. Damit folgt Guben dem Modell anderer Städte, wie Eberswalde (Barnim), Frankfurt (Oder) und dem sächsischen Görlitz.
"Wenn von den 17 Parteien, die herkommen, vielleicht zwei, drei nach Guben kommen und eventuell eine Familie mit zwei Kindern dabei ist, dann sind es schon mindestens sechs Personen mehr, die in Guben wohnen", sagt Geilich, "und die erzählen es dann vielleicht weiter."
"Nur eine Probe"
Laut Stadt ist bei vielen Bewerbern die Großstadtflucht das Motiv für ihren Wunsch, in Guben auf Probe zu wohnen. Einige würden die Zeit nutzen wollen, um im Homeoffice zu arbeiten. Anika Franze will sich eine berufliche Auszeit nehmen. Die Pädagogin denkt darüber nach, in Guben Influencerin zu werden.
Für ihre Zweiraumwohnung bezahlt sie lediglich 50 Euro pro Woche für die Nebenkosten. Das Riskio scheint überschaubar. "Das gute am Probewohnen ist, dass es ja nur eine Probe ist", sagt die 37-Jährige. Hätte sie sich sofort für einen Umzug nach Guben entscheiden müssen, hätte sie Sorgen gehabt. "Aber weil es nur auf Probe ist, freue ich mich eigentlich."
Mehrwert für die Stadt
Um in Guben zur Probe wohnen zu können, ist es Voraussetzung, sich vor Ort in Form von Vereinsarbeit oder eines Praktikums zu engagieren. "Es soll für die Stadt einen Mehrwert geben", so eine Sprecherin. Einige hätten bereits angekündigt, dass sie sich vor Ort in Vereinen engagieren möchten. Andere würden ein Praktikum bei einer Partnerfirma machen.
Zu ihnen gehört auch Anika Franze. Sie will bei einem städtischen Unternehmen reinschnuppern - bei welchem, hatte sie am Tag ihres Einzugs noch nicht entschieden. In den nächsten Wochen will sie auf jeden Fall das Brandenburger Kleinstadtleben kennenlernen. Ob sie dann, nach drei Wochen Probewohnen, bleiben möchte, wird sich zeigen.
Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 01.07.2024, 19:30 Uhr