Strukturwandel - Woher bekommt die Lausitz 55.000 Fachkräfte bis 2038?
Lange war die Debatte über den Lausitzer Strukturwandel von der Angst vor Massenarbeitslosigkeit geprägt. Mittlerweile steht fest, der Lausitz fehlen bis 2038 zehntausende Fachkräfte. Wie können die in den Süden Brandenburgs gelockt werden? Von F. Ludwig und P. Manske
Der Strukturwandel in der Lausitz wird mehr und mehr sichtbar: eine neue Unimedizin ist gegründet worden, das neue ICE-Bahnwerk in Cottbus ist in Betrieb, eine zweite Halle wird gebaut.
Mit Beginn des Strukturwandels war die größte Sorge in der Lausitz, dass es nach dem Ende der Braunkohle zu Massenarbeitslosigkeit kommen könnte. Rund 7.000 Menschen sind in den Kohlegruben und Kraftwerken der Leag beschäftigt - bei Subunternehmen und Zulieferern sind es noch einmal so viele. Diese Beschäftigten in Arbeit zu halten war eines der erklärten Ziele im Strukturwandel. Mittlerweile steht längst fest: nicht Arbeitslosigkeit sondern ein massiver Fachkräftemangel ist das größte Problem in der Lausitz.
Jobs in Industrie, Verwaltung, Wissenschaft
Tausende Jobs entstehen in der Lausitz durch Neuansiedlungen oder Erweiterungen. 4.750 Jobs sind in der Industrie angekündigt, 553 in Behörden. Mehr als 1.000 Arbeitsplätze sollen im Wissenschaftsbereich entstehen, die Medizinuni in Cottbus braucht rund 1.300 Fachkräfte.
Schwerpunkte der Arbeitskräftesuche sind die Stadt Cottbus, der Industriepark Schwarze Pumpe (Spree-Neiße), die Stadt Guben und die BASF in Schwarzheide (Oberspreewald-Lausitz).
Eine Studie der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU) hatte zu Jahresbeginn vorgerechnet, dass bis 2038 - dem angestrebten Kohleausstiegsdatum - rund 55.000 Arbeitskräfte in der Lausitz fehlen werden.
Bevölkerung schrumpft während Region attraktiver wird
Einer der Verfasser der Studie ist der Strukturwandelexperte Stefan Zundel. Im rbb bekräftigte er die Prognose, auch, wenn beispielsweise die geplante Ansiedlung des Batteriezellenherstellers SVolt in Lauchhammer (Oberspreewald-Lausitz) zuletzt gescheitert war. Weiterhin sei das größte Problem, alle verfügbaren Arbeitsplätze zu besetzen.
Grundlage für die Prognose ist auch die demographische Entwicklung in der Lausitz und damit die niedrige Geburtenrate in der Region. "Wir haben etwa 300.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in der Lausitz und wenn die Prognose einigermaßen zutreffend ist, sind es eben 50.000 weniger bis 2038. Diese Menschen werden uns fehlen", so Zundel.
Der Bedarf an Fachkräften ergebe sich aber nicht nur aus einem Mangel an Menschen in der Region, auch die Attraktivität der Lausitz spiele eine Rolle, erklärte Zundel. Im Süden Brandenburgs gebe es noch große zusammenhängende Gewerbeflächen. Außerdem verfüge die Region über ausreichende Mengen erneuerbarer Energien. Zusätzlich seien die Milliarden an Strukturhilfe bislang gut eingesetzt worden - beispielsweise um bestehende Industriegebiete noch besser zu erschließen, so der BTU-Wissenschaftler.
Wer nicht genug zahlt, hat Pech
Für kleinere Betriebe sind die großen Neuansiedlungen allerdings häufig Konkurenz. Immer häufiger beschweren sich mittelständische Unternehmen in der Lausitz darüber, dass sie mit großen Industriearbeitgebern wie der Bahn nicht mithalten können. "Das ist ein echtes Problem, das darf man auch nicht kleinreden. [...] Aber wenn man erfolgreich Strukturwandel betreibt, holt man auch mehr Wirtschaftskraft in die Region, dadurch wird der Wettbewerb um die Arbeitskräfte intensiver", so Zundel. "Geschäftsmodelle, die darauf gründen, dass man die Beschäftigten nicht so sonderlich gut bezahlt, die haben ein echtes Problem", sagt der Strukturwandelexperte.
Den derzeitigen Boom auf dem Lausitzer Arbeitsmarkt sieht Zundel als erste Welle im Strukturwandel. Eine zweite werde es geben, wenn die Investitionen in die Infrastruktur Früchte tragen und wenn sich die Investitionen in die Wissenschaft auch auf die Wirtschaft auswirken.
Laut Zundel wird der Fachkräftemangel schon jetzt angegangen: mit Weiterbildungsmaßnahmen, mit der Werbekampagne "Krasse Lausitz" und mit Fachkräften aus dem Ausland soll die Lücke geschlossen werden. Es gibt aber auch andere Ansätze, wie Menschen in die Lausitz gelockt werden sollen, wie ein Beispiel aus Guben zeigt.
Probewohnen gegen Bevölkerungsrückgang
Guben erlebt derzeit einen Strukturwandel-Boom: der Bifi-Hersteller Jack Link's baut hier eine Produktion auf. Der Lithiumhersteller Rocktech plant, den ersten Lithiumhydroxidkonverter Europas in Guben zu bauen. Auch wenn diese Ansiedlung wegen des Wegfallens von Bundesfödermitteln ins Wanken geraten ist, braucht Guben dringend mehr Einwohner. Anfang der 1980er Jahre lebten etwa 36.000 Menschen in Guben, dann brach die Textilindustrie zusammen. Im Jahr 2000 gab es hier noch mehr als 25.000 Menschen, 2022 waren es noch 16.600.
Bis Ende April nahm die Stadt an der deutsch-polnischen Grenze deshalb Bewerbungen entgegen. Wer wollte, konnte hier zur Probe wohnen - kostenlos.
18 Bewerber hatte die Stadt ausgewählt. Zwei bis vier Wochen konnten und können sie eine voll ausgestattete Wohnung in Guben nutzen. Nur die Nebenkosten müssen sie zahlen. Die ersten kamen Anfang Juli, die letzten werden die Neißestadt im September wieder verlassen. Hauptbedingung: die Probewohnenden müssen sich in ihrer Zeit in Guben in Vereinen engagieren oder ein Praktikum absolvieren.
Wie viele von ihnen letztendlich in der Neißestadt bleiben ist noch nicht klar. Doch Guben bemüht sich nach Kräften um Einwohner. Auch andere Kommunen werden sich künftig mit diesem Problem beschäftigen müssen. Sonst gehen dem Strukturwandel die Fachkräfte aus, bevor er richtig Fahrt aufgenommen hat.
Sendung: rbb24 Brandenburg Aktuell, 29.07.2024, 19:30 Uhr