Facebook-Gruppe "Ossis in der Schweiz" - Wie Ostdeutsche in der Schweiz ihre Herkunft pflegen

So 01.09.24 | 09:20 Uhr | Von Ilja Behnisch
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Ein gelber Trabant Kombi ist am Abend bei Regen in der Altstadt unterwegs (Quelle: dpa-Zentralbild/Jens Büttner).
Bild: dpa-Zentralbild/Jens Büttner

Seit der Wiedervereinigung ist die Einwohnerzahl auf dem Gebiet der ehemaligen DDR um mehr als drei Millionen Menschen gesunken. Viele von ihnen sind in die Schweiz gegangen. Und vermissen dort ihre Heimat. Warum eigentlich, fragt sich Ilja Behnisch.

Würde man alle deutschen Staatsbürger, die ihren Wohnsitz in der Schweiz haben, in eine Stadt sperren, käme Mannheim heraus. 315.960 Deutsche hatten Anfang 2023 ihren Wohnsitz in der Eidgenossenschaft gemeldet, teilte unlängst das Statistische Bundesamt [destatis.de] mit. In keinem Land der Welt sind es mehr. Österreich (225.000 Deutsche) und Spanien (126.000 Deutsche) auf den weiteren Plätzen fallen deutlich ab.

Wieviele Ostdeutsche es unter den Deutschen in der Schweiz sind, ist leider nicht bekannt. Dass es nicht gerade wenige sein werden, zeigt ein Blick in die sozialen Netzwerke. So hat allein die Facebook-Gruppe "Ossis in der Schweiz" [facebook.com] 6.252 Mitglieder. Für manche mag der Gruppenname nach Ostalgie und DDR-Verklärung klingen. Deshalb stellt sich die Frage: Warum diese Distinktion? Warum diese explizite Betonung des Ostdeutschen?

Wer sich integrieren will, hat es schwer

Für Chris Wik, 44, gebürtig aus Strausberg (Märkisch-Oderland), ist die Sache recht schnell erklärt. Es gehe "um das Regionale: den Bautzner Senf, die Thüringer Wurst, das ostdeutsche Bier." Wik ist 2005 in die Schweiz gekommen. Der ausgebildete Maler und Immobilienmakler war in Deutschland zuletzt selbstständig gewesen. Es lief nicht sonderlich gut, wie er berichtet. Dann kam ein Angebot aus der Schweiz. Dort hat er seither seine Frau kennengelernt. 2019 haben sie ein Haus gekauft. In der Gruppe "Ossis in der Schweiz" ist er seit rund vier Jahren. Auch, weil es "gar nicht so einfach ist, Anschluss zu finden".

Unterhält man sich mit Mitgliedern der Gruppe, hört man das immer wieder. Schweizer, so der Tenor, blieben lieber unter sich. Ihre Freundschaften bestünden seit dem Kindesalter und hielten auch deshalb, weil die Wege in der Schweiz kurz seien. Deutschen gegenüber herrsche häufig Skepsis.

Die Ostdeutschen sind den Schweizern sehr ähnlich: sehr höflich und sehr zurückhaltend.

Kathrin Jachmann, gebürtig aus Elsterwerda

Es beginne schon bei der Sprache, sagt Kathrin Jachmann. Die 49-Jährige kommt ursprünglich aus Elsterwerda (Elbe-Elster). Sie zog im Alter von 20 Jahren nach Berlin und lernte dort ihren Mann kennen - einen Schweizer. Nach einer Zwischenstation in Lörrach, nahe der Schweizer Grenze, leben sie seit sechs Jahren in Bern.

Jachmann leitet das Ticketing am dortigen Theater. Sie sagt: "Die Ostdeutschen sind den Schweizern sehr ähnlich: sehr höflich und sehr zurückhaltend." Wenn nur die Sache mit der Sprache nicht wäre. "Man fällt sofort auf", so die gebürtige Brandenburgerin. "Ich habe ganz oft erlebt, wenn ich angefangen habe zu reden, dass die Leute Hemmungen bekommen. Weil sie dann denken: 'Oh nein, jetzt muss ich hochdeutsch reden.' Sie haben das Gefühl, sie können das nicht gut. Dabei stimmt das gar nicht."

Jachmann ist "seit Corona" in der Facebook-Gruppe, die die ostdeutsche Herkunft so sehr betont. "Wahrscheinlich, weil ich Heimweh hatte, weil ich dachte, vielleicht findet man da Leute, die auch aus der Gegend kommen." Dabei sei sie wenig aktiv, poste oder kommentiere kaum, lese eher mit.

Mitglieder der Facebook-Gruppe "Ossis in der Schweiz" treffen sich regelmäßig auf einem Fußballplatz zum Turnier (Quelle: privat).Beim Fußballturnier der Facebook-Gruppe treten dann die Teams Brandenburg gegen Sachsen an (Bild: privat).

Ostalgie zwischen Arbeitskampf und Inhaltsleere

Spricht man mit den "Ossis in der Schweiz", bekommt der sonst so viel gescholtene Ostalgie-Begriff eine versöhnliche Note. Dieses Kofferwort aus Ostdeutschland und Nostalgie soll eine Sehnsucht nach der DDR beschreiben. Gerade auch in Abgrenzung zu allem Westdeutschen. Manche verstehen es auch als Sehnsucht nach der DDR als solche. Doch was, wenn die Erinnerung überhaupt nicht politisch gemeint ist? Was, wenn Ostalgie nichts weiter ist als eine wohlige Verbindung zur eigenen Biographie, zur eigenen Kindheit? Die immer verklärt wird, da nehmen sich die Menschen nichts. Ganz egal, in welchem (deutschen) Staat sie geboren wurden.

Nun gibt es sie tatsächlich, die Stimmen, die Ostdeutschland als eine Art Kampfbegriff verstehen. Die Stolz aus ihrer bloßen, örtlichen Herkunft ziehen. Chris Wik, der gebürtige Strausberger, kann damit nichts anfangen. "Die ältere Generation kann vielleicht stolz sein auf die friedliche Revolution", sagt er. Alles andere empfinde er als "ein bisschen zu plump. Das wird doch ein bisschen sehr nach vorn gebracht, mit T-Shirts zum Beispiel. Das ist ein bisschen inhaltsleer."

Die Schweiz ist mein Zuhause, aber Potsdam bleibt meine Heimat.

Michael Kayser, gebürtig aus Potsdam

Glorifizierung kann befremdlich sein

Auch Michael Kayser nennt diese, allerdings wenigen Postings in der Gruppe "etwas befremdlich". Der 45-Jährige sagt: "Teilweise lese ich Sachen, wo ich dann sage: So jung wie du bist, hast du die DDR gar nicht mehr mitbekommen. Aber du glorifizierst die DDR als das Nonplusultra."

Kayser ist in Potsdam aufgewachsen, lebte dort seit seinem fünften Lebensjahr. Als seine erste Ehe 2008 in die Brüche ging, packte ihn das Fernweh. Zunächst nahm er einen Gastronomiejob in Basel an. Heute arbeitet er für eine Firma, die Dienstleistungen im Bereich Digitalisierung anbietet.

In der Gruppe "Ossis in der Schweiz" ist er seit ungefähr vierzehn Jahren. Durch sie habe er viele Menschen kennengelernt. Die beiden Administratoren der Gruppe zählt er zu seinem erweiterten Freundeskreis. Er sagt: "Die Schweiz ist mein Zuhause, aber Potsdam bleibt meine Heimat." Die Gruppe helfe ihm, den Bezug zu ihr zu bewahren.

Ein Fußballpokal der Facebook-Gruppe "Ossis in der Schweiz" steht auf einem Tisch (Quelle: privat).Wer Fußball spielt, will auch Pokale gewinnen - etwa den Wanderpokal der "Ossis in der Schweiz" (Bild: privat).

Kulturlos am Herd

Ostalgie erscheint auch deshalb häufig als Kampfbegriff, weil sie mit den vermeintlich Abgehängten in Verbindung gebracht wird. Mit den sogenannten Wendeverlierern, die sich nach einem "Früher" sehnen, allein weil es ihnen da vermeintlich besser ging. Den Exil-Ossis in der Schweiz jedoch geht es zumeist gut - zumindest wirtschaftlich. Nur wenige gehen zurück. Wenn, dann nach dem Arbeitsleben. Mit Schweizer Renten lässt es sich schließlich gut leben im vergleichsweise günstigen Ostdeutschland.

"Die Probleme hier sind wahrscheinlich schon kleiner als dort", sagt Chris Wik, der immer noch Kontakt "zu seinen Jungs" in Strausberg habe und sie regelmäßig wiedersehe. In der "Ossis in der Schweiz"-Gruppe habe er eine Mitarbeiterin gefunden und einen Schreiner, der seine Terrasse gemacht habe. Er fahre gern zu den regelmäßigen Treffen, die aus der Gruppe heraus organisiert werden. Freundschaften seien dabei keine entstanden. Dann rede "ich ein bisschen mit den Leuten, schau mir eine Simson an, esse mein Brötchen und dann ist es auch ok".

Wik hänge an seiner Heimat, die nun einmal Ostdeutschland ist, nicht aber an der DDR. Er ist zufrieden in der Schweiz, wie er sagt. Nur eines finde er schwierig: "Die haben überhaupt keine Kochkultur." Aber vielleicht gibt es dafür ja auch eine Facebook-Gruppe.

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Beitrag von Ilja Behnisch

132 Kommentare

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  1. 132.

    Tja, auch die Schweiz hat halt Probleme mit Ausländern, die sich nicht integrieren wollen...

  2. 131.

    Mancher Ossi schwelgt in Nostalgie, mancher Wessi in Westalgie. Nennen wir es Folklore.
    Auch egal ob "Ossi" oder "Wessi". Wer noch in diesen Rastern denkt, hat eines auf jeden Fall: Die Wende verpennt, aber richtig.
    Auch wer was ist kommt doch nur auf den eigenen STANDpunkt und die Blickrichtung an - ehrlich - immer.
    Sonst sind alles nur Menschen und die sind nunmal unterschiedlich. Egal in welcher Kompassrichtung die Wurzeln liegen.

  3. 129.

    Für mich als geb. West-Berlinerin gibt's Wessis und Ossis. Und dann gibt's da eben noch die Berliner, Ost und West.
    Das nehmen die Nachwendegeborenen sicher nicht mehr so wahr, ist auch gut so.
    Für mich sind die Bezeichnungen wertfrei, einfach 'ne Abkürzung.
    Auch ich bin immer amüsiert, wenn mir "Ossis", die bestenfalls noch paar Kinderjahre oder gar nicht mehr DDR kennengelernt haben, in Ostalgie schwelgen. Denke aber, das ist das Bild, was sie von ihrem Umfeld vermittelt und verinniglicht haben.
    Schweizer Ossis (und Wessis) kenne ich auch. Alle schimpfen über das Gleiche, da (örtlich und wörtlich) sind se sich immerhin mal einig.
    Was bin ich eigentlich? Eltern beide Ossis, aber vor DDR.

  4. 128.

    „Einige Kommentare von Ostdeutschen …“ und „Aber Leipziger sind erheblich lustiger, …, als die …“.

    Was bitte, wirkt bei Ihnen nach, um einen solchen Kommentar abzugeben?
    Einerseits bewerten Sie einige Kommentare von „Ostdeutschen“ als feindselig. Andererseits schlagen Sie, mit der Aussage in Ihrem 3. Satz, genau die Richtung ein, die Sie zuvor bemängelten.

    Grüße, von einem zugezogenen und keinesfalls „humorbefreiten Brandenburger“.

  5. 126.

    Ja, es ist total lustig, wenn man Ossis abwerten kann. Unlustig ist es wenn die klug sind und Fakten kennen, dann wird es kompliziert und unlustig. Was haben Sie für ein Werteverständnis?

    Hat was mit dem Selbstwert zu tun.

  6. 125.

    Kennen Sie ein Brandenburger Gericht? Sie mögen keinen Spargel, keine guten Gerichte mit Kartoffeln, natürlich Bio? Keine sauren Gurken, kein Sauerkraut, keinen Karpfen, keinen Rehrücken, kein Leinöl mit Quark, das gesündeste Essen?

    Wissen Sie, wo Brandenburg liegt und wofür es bekannt ist?

  7. 124.

    Der Begriff "Westdeutschland" stammt eigentlich aus West-Berlin vor '89. Als Hamburger habe ich mich nie als Westdeutschen, sondern immer nur als Norddeutschen gesehen.

  8. 123.

    Kochen Sie oder lassen Sie kochen? So ostdeutschen Essen? Westdeutsches Essen lasse ich auch immer kochen, von meinem westdeutschen Koch. Der ist natürlich komplett unterbezahlt, aber wo findet man einen guten Koch, der westdeutsche Küche kennt.


    Spaß beiseite, im Osten kocht man saubere Gerichte aus frischen Zutaten aus dem Garten. Täglich frisch. Klare Gerichte, einfach, wenig Fleisch, Bio. Viel selbst angebautes Gemüse. Eier von glücklichen Hühnern. Mehr muss nicht.

  9. 122.

    Einige Kommentare von Ostdeutschen hier sind ausgesprochen feindselig. Da wirkt wohl noch die staatsbürgerkundliche Erziehung nach dem Freund-Feind-Schema nach. Aber Leipziger sind erheblich lustiger, offener und freiheitsliebender als die verknöcherten, humorbefreiten Brandenburger : P

  10. 121.

    Fand ich auch lustig dass die Schweiz keine Kochkultur hätte. Brandenburg ist ja nicht unbedingt als Herzland der deutschen Kochkultur bekannt.

  11. 120.
    Antwort auf [Blüte] vom 01.09.2024 um 16:38

    Ach kommense, ich ess auch schonmal ostdeutsch!

  12. 119.

    Sieh mich an..
    Ich bin ein Mensch..
    Mein Sein..
    Ist auch Dein Sein…
    Ich werde Dir nicht weh tun..
    ohne mich zu verletzen ..
    Deshalb verletze ich Dich auch nicht..

    Mindestanforderung an mich und meinen intelligenten Leitfaden

  13. 118.
    Antwort auf [SecretGarden] vom 01.09.2024 um 16:32

    Nun, die Armut eines Menschen erkennt man am Umgang mit Mitmenschen.

  14. 116.

    bloß gut, dass es im Westen keine Ewiggestrigen gibt, wie die Vertriebenenverbände (-:

  15. 115.

    Ich gönne den Auswanderern das gute Leben und ja, wer wagt gewinnt. Ich bin ein Mensch, hier kann ich sein. Mir stellt sich gerade die Frage, wer hier wirklich anderen Menschen interessiert begegnen wollte und es fröstelt mich etwas, denn, man könnte all die Arbeitskräfte im Land halten, wenn man wollte. Stattdessen kommen die wenigsten gedanklich dort an, wo es um das Arbeitsrecht geht. Nur wer in eine Richtung schaut, kann etwas verändern und wer seinen Blick mit Brettern vernagelt verharrt im Neid und ändert nichts.

    Wogegen kämpft der Wessi eigentlich. Gegen Windmühlen? Ich verstehe dieses kleingeistige Verhalten nicht.

  16. 114.

    Sie sagen es, nur wer wenig Selbstwert hat, muss sich mit billigen Klischees aufwerten. Ganz Ihrer Meinung.

  17. 113.

    "Ostalgie finde ich tatsächlich befremdlich. Wie kann man alles Negative der DDR so gründlich ausblenden? "

    Das Schwärmen für seine Kindheit, Jugend kann ich ja noch verstehen aber wie man die Wirklichkeit dermaßen ausblenden kann wird mir immer ein Rätsel sein, da bin ich ganz bei Ihnen.

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