BerlinTrend | Analyse - Grüne wieder im grünen Bereich

Mi 23.03.22 | 18:02 Uhr | Von Thorsten Gabriel
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Franziska Giffey (l) (SPD) und Bettina Jarasch (Bündnis 90/Die Grünen) (Quelle: dpa/Carsten Koall)
Audio: Inforadio | 23.03.2022 | Thorsten Gabriel | Bild: dpa/Carsten Koall

Die Grünen sind zurück an der Spitze. Der BerlinTrend sieht die Partei bei der Sonntagsfrage knapp vor der Wahlgewinnerin SPD und der CDU. Mit der aktuellen landespolitischen Lage dürfte das allerdings wenig zu tun haben. Von Thorsten Gabriel

Noch keine 100 Tage ist der rot-grün-rote Senat im Amt, da haben sich die Kräfteverhältnisse zwischen den Regierungsparteien schon wieder umgekehrt - zumindest laut Meinungsumfrage. Zog die SPD am Wahlabend noch an den Grünen vorbei auf Platz eins, haben sich eben diese Grünen den Platz nun zurückergattert.

Im BerlinTrend von Infratest dimap im Auftrag der rbb-Abendschau und der "Berliner Morgenpost" kommen sie jetzt auf 21 Prozent, wobei ihnen sowohl die SPD als auch die CDU mit 20 Prozent im Nacken sitzen.

Krieg in der Ukraine verschiebt Prioritäten

Eine naheliegende Erklärung dafür gibt es nicht. Zwar besetzen die Grünen das coronabedingt stark geforderte Gesundheitsressort, doch Senatorin Ulrike Gote hatte in den zurückliegenden Wochen kaum Gelegenheit, als Krisenmanagerin öffentlich zu punkten. Der Krieg in der Ukraine hatte die politischen Prioritäten schlagartig verschoben.

Zuletzt zeigte deshalb neben der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) vor allem Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) Präsenz. Ausgerechnet deren Parteien büßten allerdings in der jüngsten Umfrage Prozentpunkte ein. Die Linke liegt jetzt bei zwölf Prozent.

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Der Zeitverlauf gibt Aufschluss

Auch das leichte Plus bei der CDU gegenüber dem Wahlergebnis lässt sich kaum aus dem Auftreten der Partei in den vergangenen Monaten deuten. Öffentlich trat sie - auch bedingt durch Corona- und Ukraine-Krise - kaum in ihrer Oppositionsrolle in Erscheinung. Der neue Fraktionschef Kai Wegner hielt zwar bereits einige Reden im Abgeordnetenhaus, stieß zuletzt aber auf Unverständnis bei den übrigen Fraktionen.

Nach einem bewegenden Auftritt des ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk im Parlament hatte Wegner seine Redezeit dafür genutzt, eher oberflächliche parteipolitische Attacken gegen den Senat zu fahren. Das kam nicht nur im Regierungslager schlecht an, sondern auch bei der ebenfalls oppositionellen FDP, die sich an dieser Stelle für einen staatstragenden Auftritt entschied.

Erklären lässt sich dieser BerlinTrend schon eher, wenn man ihn neben die Umfragen vorangegangener Jahre legt. Dann zeigt sich nämlich deutlich, dass der Zuspruch für die Grünen, eher mit den berühmten "längerfristigen Überzeugungen" der Wähler:innen in Berlin zu tun haben dürfte: In den 13 BerlinTrend-Umfragen der vergangenen Wahlperiode (seit Ende 2016) hatten die Grünen am häufigsten die Nase vorn, nämlich sieben Mal. In drei Umfragen war die Union an der Spitze und nur zwei Mal (im November 2016 und im August 2021) die regierungsführende SPD. Dass übrigens auch die Linke in dieser Zeit einmal stärkste (Umfrage-)Kraft war, im Mai 2018, kann man wohl eher als Demoskopie-Ausrutscher deuten.

Senat zeigt sich geschlossen - Umfragewerte trotzdem im Keller

Der Zeitverlauf belegt, wie wenig die politische Stimmung während einer Wahlperiode mit den Kreuzen zu tun hat, die die Wählerinnen und Wähler am Ende auf den Stimmzetteln setzen. Blickt man anschließend noch auf die Zufriedenheitswerte, die die neue Regierungskoalition und ihre Regierungschefin im jüngsten BerlinTrend einfahren, sieht man auch dort, dass es gefestigte Umfragetraditionen gibt: Mit lediglich 39 Prozent der Befragten, die mit der Arbeit des Senats zufrieden oder gar sehr zufrieden sind, ist die Berliner Landesregierung wieder mal Schlusslicht unter den Regierungen der Bundesländer.

Geringe Zustimmung für Senat und Giffey

Auch Franziska Giffey selbst kann ihre mediale Dauerpräsenz nicht in Zustimmung für sich umwandeln: 40 Prozent sind mit ihrer Arbeit zufrieden oder sehr zufrieden. Das sind zwar drei Prozentpunkte mehr als noch im August vergangenen Jahres, liegt aber deutlich unter dem "Abschiedswert" des vorherigen Regierenden Bürgermeisters Michael Müller, der auf 45 Prozent kam. Zum Vergleich: Klaus Wowereit kam als Regierungschef seines rot-roten Bündnisses zwischen 2001 und 2011 zuweilen auf persönliche Zustimmungswerte von fast 70 Prozent.

Die geringen Zustimmungswerte zur neuen Regierung und ihrer Chefin sind allerdings insofern bemerkenswert, als dass sich der neue Senat, anders als die Vorgängerregierung bislang weitgehend als geschlossenes Team präsentiert. Meinungsverschiedenheit werden nicht auf offener Bühne ausgetragen.

Auch die Regierungsfraktionen im Abgeordnetenhaus gehen halbwegs pfleglich miteinander um und stechen nur wenige Spitzen gegen die Koalitionspartnerinnen nach draußen durch. Da müssten eigentlich bessere Zufriedenheitswerte drin sein, sollte man meinen. Aber so viel Freundlichkeit liegt offenbar einfach nicht im Naturell der Wahlberechtigten. Berlin bleibt eben doch Berlin, auch demoskopisch.

Sendung: Abendschau, 23.03.2022, 19:30 Uhr

Beitrag von Thorsten Gabriel

28 Kommentare

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  1. 28.

    Auch in den anderen 'Aussenbezirken' haben Die Grünen bei den BVV-Wahlen '21 im ø um knapp 3,8% zugelegt. Das ist mit Abstand der größte Zuwachs aller Parteien. Es ist also nicht so, dass wie hier behauptet wurde, dort wo angbl. die "normalen Berliner" leben kaum Interesse an dieser Partei besteht.

    https://www.rbb24.de/politik/wahl/abgeordnetenhaus/agh-2021/ergebnisse-bvv/berlin-wahlen-bvv-buergermeister-gruene-spd-linke-cdu.html

  2. 27.

    Ich finde GRÜN in Berlin ist die Katastrophe. Zum einen wurden die Wahlen in 2 Bezirken geschätzt, sodass man kaum davon ausgehen kann, das die GRÜNEN bei regulärer Wahl solch ein Ergebnis erzielt hätten. Frau Jarasch tut aber so als hätte sie die Wahl gewonnen . Jeder realistisch denke Mensch kann doch nicht wollen, das Berlin ein Dorf werden soll.

  3. 26.

    Gebildete, progressive, städtische Milieus wählen die Grünen, während der ländliche Raum zunehmend von rechten Parteien übernommen wird. Das hat nichts mit Zuzug zu tun, sondern ist ein deutschlandweiter Trend, der in ähnlicher Form übrigens auch im Ausland zu beobachten ist.

  4. 25.

    Es macht einen Unterschied, ob man Waffen an einen Verbündeten liefert, der von Russland überfallen wird oder ob man wie die letzte Bundesregierung Waffen an Saudi-Arabien liefert, das einen völkerrechtswidrigen Krieg im Yemen führt. Bei Öl und Gas sollte sich langsam die Erkenntnis durchsetzen, dass die Grüne Forderung nach einem möglichst schnellen Ende des fossilen Zeitalters richtig ist, nur mit 100 % erneuerbar werden wir unabhängig von Diktatoren in Russland, am Golf oder anderswo.

  5. 24.

    Die Grünen sind auch in Schöneberg, Charlottenburg-WIlmersdorf und Steglitz-Zehlendorf besonders stark, also auch in Stadtteilen mit geringem Zuzug - das ist auch Fakt ;-)

  6. 23.

    Kann man die Grünen noch Ernst nehmen, nachdem der Journalisten Jamal Khashoggi im Auftrag vom saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman ermordet wurde, nachdem der Grüne Wirtschaftsminister Harbeck den dort Herrschenden wegen Eröl und Gas in den Arsch kroch? Baerbock, mittlerweile Aussenministerin, forderte noch im vergangenen Jahr einen Boykott der Fussball-Weltmeisterschaft, die Ende 2022 in Katar stattfinden soll. Waffenexporte in Kriegsgebiete, stand da etwa zu lesen, «verbieten sich». Nun unterstützt Deutschland den Abwehrkampf der von Russland überfallenen Ukraine auch militärisch. Selbst Claudia Roth tönte: "Katar sei „Exporteur der wahhabitischen Ideologie, die den Nährboden für islamistischen Terror weltweit bietet“. Jetzt werden Verträge mit diesen Verbrechern geschlossen.
    Wer die Grünen wählt, hat seinen eigenen moralischen Kompass verraten.

  7. 22.

    Na, dann guck dir mal an, wo die Grünen besonders stark sind. Nämlich dort, wo der stärkste Zuzug stattfindet. Mitte, Kreuzberg, Friedrichshain, PrBerg. Ist Fakt.

  8. 21.

    Ich finde es beachtlich, dass Berliner freiwillig mehr zahlen wollen. Allerdings ist nicht sichtbar, dass etwas grüner wird.
    So, am BER, ÖPNV, 40000 Kfz mehr, Kraftwerke usw.

    Dafür lächelt Frau Senatorin weiterhin hübsch rum. Auch das kostet.

  9. 20.

    "lebenswerte Zukunft" mit Grünen? Durch Verzicht und Zu- u. Umverteilung nach komischer Moral, entgegen jedem Leistungsprinzip und durch Vorschriften, wie der "Nachbar" zu leben hat?

    P.S. Und wer meint, dass Kinder zwischen 1 u. 3 Jahren noch Windeln tragen dürfen.... warten wir es ab.

  10. 19.

    Im Grünen Bereich hieß früher "in Ordnung".
    Heute ist in Berlin vieles NICHT MEHR IN ORDNUNG.
    Angesichts der Tatsache, dass sowohl Grüne Themen, deren Personal und Politikkonzepte in den meisten Medien derart HOCHGEJUBELT werden, müssten die Grünen eigentlich 50% haben.
    Man sieht also: Der Berliner denkt mit und macht sich seine eigenen Gedanken. 79% wählen nicht Grün in Berlin - und das ist eine gute Nachricht.
    Und sollten die Nichtwähler an die Wahlurnen strömen, werden es wohl noch mehr.

  11. 18.
    Antwort auf [Markus] vom 24.03.2022 um 08:50

    Ihr ironischer Tonfall ist ja ganz nett, aber ist ist wirklich so wie ich schrieb.

    https://twitter.com/wahlatlas/status/1442371416830132224/photo/1
    Das ist der Zweitststimmen-Anteil der Grünen bei der Bundestagswahl 2021. Man sieht die alte DDR-BRD-Grenze direkt in der Karte. Besondere Hochburgen sind Bayern, Baden-Württemberg, Niedersachen, Schleswig-Holstein ... ImnOstdeutschland praktisch gar nichts außer in den Universitätsstädten.

    https://www.rbb24.de/politik/wahl/abgeordnetenhaus/agh-2021/beitraege/wahl-berlin-hochburgen-mehrheit-abgeordnetenhauswahl-spd-cdu-linke-gruene-afd-fdp.html
    Das sind die Zweitstimmen der Abgeordnetenhauswahl 2021. Grüne dominieren im Altbauring, der bei den "Alternativen" aus Westdeutschland beliebt ist, wo aber die alteingesessenen Berliner immer weniger werden. Auch sticht die Umgebung der FU grün heraus.

  12. 16.

    Was'n das für'n bescheuertes Argument? Haste Angst um Deine "Männlichkeit" oder Dein testosterongesteuertes Ego? Dann biste aber arm dran
    Gruß von einem Kerl, der solchen Blödsinn nicht unkommentiert lassen kann, trotzdem nicht unterm Scheffel steht, sondern mit einer tollen starken Frau an seiner Seite durchs Leben geht.

  13. 15.

    Quatsch. Grünen Wähler:innen gibt es überall und es sind nicht nur zugezogene die sie wählen sondern viele Menschen, die sich sorgen, dass unsere Kinder keine lebenswerte Zukunft mehr haben werden.

  14. 14.

    Tja - die Grünen, die Berlin immer weiter zubetonieren werden und dem Raubbau an Freiflächen den Startschuß geben, werden immer stärker. Die Grünen, die im Bund wieder Waffen verkaufen und Despotenöl- und Gas kaufen.
    Wofür steht Grün überhaupt noch? Klimagerechter Umbau einer Stadt bedeutet nicht nur Auto zu verbieten und Chemie auf die Straßen als "Pop Up Radwege" schmieren zu lassen. Dies bedeutet zu allererst, der Versiegelung von Flächen Einhalt zu gebieten, kein grenzenloses Wachstum zuzulassen, Freiflächen zu kultivieren, das Regenwassermanagement umgehend zu ändern anstatt nur blöde herumzuschwafeln und dem CO2-Treiber Beton zu goutieren.

  15. 13.

    Es ist furchtbar !!!!
    Die ganze Koalition ist schlimm.

  16. 12.

    Ja auch meine Bauchschmerzen bleiben, wenn ich an den RRG Senat denke. Nee wir werden keene Freunde. Selbt ich als Arbeiterkind liebäugelte schon mit der FDP. Meine These, die Gentrifizierer in unserer Stadt sind die Grün Wähler und dabei bleibe ich auch denn sonst wären nur einige Bezirke "grün" . Was die Probleme im ganzen der Stadt angeht die bleiben auch in 5, 10, 15 Jahren RRG.

  17. 11.

    Für welches Klientel denn? Ich bin unzufrieden mit dem Senat, weil zu wenig von dem umgesetzt wird, was versprochen wird. Natürlich weiß ich aber auch, dass in vielen Fällen die Bezirke und die Verwaltungen bockig sind und deswegen nichts funktioniert.

  18. 10.

    Und das hat gar nichts mit dem Dilemma der letzten Wahl zum Abgeordnetenhaus zu tun? Da lagen die Grünen doch ebenfalls vorn und dann plötzlich nicht mehr!

  19. 9.

    Das Poblem sind die vielen Westdeutschen. Die Grünen haben ja nur in den gentrifizierten Gebieten des wilhelminischen Altbaurings und in der Nähe der Unis Mehrheiten, und da wohnen überwiegend Zugezogene. In den Außenbezirken, wo die normalen Berliner wohnen, werden andere Parteien gewählt. Es ist also eigentlich ne Kolonisierung aus der Provinz mit provinzieller Politik, die wir hier erleben.

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