"Regelungsmonster", "nicht umsetzbar" - Kritiker laufen Sturm gegen Lauterbachs Cannabis-Legalisierung

Mi 16.08.23 | 17:51 Uhr
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Archivbild: Ein Teilnehmer hält ein Transparent mit der Aufschrift "Ich kiffe gern" bei der 23. Hanfparade 2019 für eine Legalisierung von Cannabis. (Quelle: dpa/Jörg Carstensen)
Audio: rbb24 Inforadio | 16.08.2023 | Manuel Biallas | Bild: dpa/Jörg Carstensen

Das Bundeskabinett hat den Gesetzentwurf zur Cannabis-Legalisierung auf den Weg gebracht. Karl Lauterbach sieht ein "Gesetz mit Augenmaß". Doch nicht nur Zoll, Kriminalbeamte und Richter laufen Sturm gegen das "Bürokratiemonster".

  • Bundeskabinett hat die teilweise Freigabe von Cannabis zum privaten Gebrauch gebilligt
  • Gesetz soll bis zum Jahresende in Kraft treten - Bundestag muss noch zustimmen
  • Kritiker fürchten eine "Normalisierung" der Droge und sinkende Hemmschwellen

Die Bundesregierung hat den ersten Schritt zur Legalisierung von Cannabis in Deutschland gemacht: Das Kabinett beschloss am Mittwoch in Berlin einen Gesetzentwurf von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), wonach Erwachsenen der Besitz und Anbau von Cannabis in begrenztem Umfang erlaubt werden soll.

Lauterbach sieht "Gesetz mit Augenmaß"

Lauterbach sprach von einem wichtigen Gesetz, das eine Wende in der deutschen Drogenpolitik herbeiführen werde. Der Konsum wachse, ohne dass die Politik darauf bisher eine Antwort gefunden habe. Die Drogenkriminalität nehme zu, und die Produkte auf dem Schwarzmarkt würden durch Beimischungen gefährlicher. Diesen Problemen wolle man mit einer "kontrollierten Legalisierung" begegnen, sagte der Minister und sprach von einem "Gesetz mit Augenmaß".

Dem Entwurf zufolge ist der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis künftig für über 18-Jährige legal. Zu Hause dürfen bis zu drei Pflanzen angebaut werden. In Anbau-Vereinen können sich Menschen zusammentun, um unter kontrollierten Bedingungen Cannabis zu produzieren. An Mitglieder dürfen bis zu 50 Gramm pro Monat abgegeben werden.

Für Jugendliche bleiben Besitz und Konsum verboten. Man werde den Kinder- und Jugendschutz ausdehnen und für mehr Aufklärung sorgen, sagte Lauterbach. Das Gehirn von unter 25-jährigen Menschen werde durch Cannabis-Konsum geschädigt. Er wolle dafür sorgen, dass sich dieses Wissen überall verbreite, versicherte der Minister.

Wie wirkt Cannabis?

Cannabis ist der lateinische Name für Hanf. Das Harz an den Blüten der weiblichen Pflanze enthält laut Deutschem Hanfverband hohe Konzentrationen von Tetrahydrocannabinol (THC). Das ist der Stoff mit der Rauschwirkung. Werden die getrockneten knollenartigen Blüten geraucht oder Produkte mit THC konsumiert, werden Nutzer "high". Sie geraten je nach Menge und Konzentration in einen heiteren, oft albernen Zustand. Bei manchen Menschen ruft die Droge aber auch Angstzustände und Panik hervor. Der Rausch-Höhepunkt dauert ungefähr eine halbe Stunde an und ebbt dann langsam ab. Ein typisches Anzeichen dafür, dass jemand "bekifft" ist, sind stark gerötete Augen.

Cannabis-Gesetz könnte Ende des Jahres in Kraft treten

Das Bundesgesundheitsministerium hofft, dass das Cannabis-Gesetz Ende des Jahres in Kraft treten kann. Bis dahin bleibt die Droge verboten, auch wenn der Besitz kleiner Mengen schon lange vielerorts gar nicht mehr strafrechtlich verfolgt wird. Cannabis gehört auch für viele Jugendliche und junge Erwachsene in Berlin laut einer Studie bereits zum Alltag.

Der genaue Zeitpunkt des Inkrafttretens hängt davon ab, wie schnell das Vorhaben nach der Sommerpause im Bundestag beraten und beschlossen wird. Auch der Bundesrat muss sich wie bei jedem Gesetz formal damit befassen, kann es aber nach Angaben von Lauterbach nicht stoppen, da es in der Länderkammer nicht zustimmungspflichtig sei.

CSU findet Gesetz "absolut verantwortungslos"

Gegner der Legalisierung befürchten eine "Normalisierung" der Droge und sinkende Hemmschwellen auch bei Jugendlichen. Das CSU-regierte Bayern etwa ist strikt gegen eine Legalisierung. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt bezeichnete den Gesetzentwurf als "absolut verantwortungslos" und sprach am Mittwoch von einem "Anschlag auf den Jugend- und Gesundheitsschutz in Deutschland". Er warf der Ampel-Koalition vor: "Wohl nie zuvor hat sich eine Bundesregierung in so einer sensiblen Frage so dreist über die Warnungen nahezu aller Experten aus Medizin, Polizei und Justiz hinweggesetzt."

GdP, Zoll und Richterbund fordern Überarbeitung des Gesetzes

Über den Gesetzentwurf wurde bereits im Vorfeld heftig diskutiert. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Brandenburg hatte die Bundesregierung aufgefordert, das Gesetz zu überarbeiten. Alexander Poitz vom GdP-Landesverband sagte dem rbb, die Regelungen seien nicht umsetzbar. Zuständigkeiten seien nicht klar geregelt. Der Gesetzentwurf des Bundesgesundheitsministers sorge nicht - wie vorgesehen - für eine Entlastung der Polizei.

Poitz kritisierte außerdem, dass der Schwarzmarkt nicht eingedämmt werde. Die kriminellen Strukturen würden sich auf die neuen Regelungen einstellen und versuchen, daraus Profit zu schlagen. Darauf sei die Polizei weder personell noch strukturell vorbereitet. In einer früheren Stellungnahme hatte die GdP auch Befürchtungen geäußert, dass die Verkehrssicherheit leiden würde. Es sei bislang völlig offen, wie mit Kraftfahrern im Straßenverkehr umgegangen werden soll, die unter Cannabis-Einfluss stehen, hieß es.

Die Deutsche Zollgewerkschaft sprach von einem "Bürokratiemonster mit vielen ungeklärten Fragen". Ähnlich äußerte sich auch der Deutsche Richterbund, der eine Flut von neuen Streitfragen und langwierigen Gerichtsverfahren befürchtet.

Czyborra warnt vor Gefahren

Berlins Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD) hingegen sprach von einem sinnvollen und notwendigen Vorgehen, warnte aber zugleich vor den Gefahren. "Der Konsum von Cannabis ist gesundheitsschädlich und birgt ein Suchtgefährdungspotenzial", so die SPD-Politikerin. Das Verbot von Haschisch und Marihuana habe den Konsum nicht verhindert. Trotz Verbots hätten sich die Drogen in den letzten Jahren immer weiter verbreitet - besonders in Berlin.

"Eine kontrollierte Abgabe an Erwachsene hingegen sichert die Qualität und dient sowohl Gesundheitsschutz als auch Verbraucherschutz", so Czyborra. Ein starker legaler Markt könne den illegalen Markt verdrängen.

Wir können alles erwarten, aber nicht, dass der Schwarzmarkt plötzlich dazu übergeht, Schafe zu züchten und andere Business-Cases aufmacht.

Dirk Peglow - Bund deutscher Kriminalbeamter

Kriminalbeamte sehen "Regelungsmonster"

Dirk Peglow vom Bund Deutscher Kriminalbeamter ist ebenfalls grundsätzlich für eine Entkriminalisierung, sieht in dem Gesetzentwurf aber ein "Regelungsmonster", das den Schwarzmarkt nicht zurückdrängen wird. Er rechnet damit, dass weiter illegales Cannabis in großen Mengen auf dem Schwarzmarkt verkauft werden wird, "und zwar zu besseren Preisen, möglicherweise in einer höheren Konzentrationsgehaltsstufe des THCs", sagte Peglow dem rbb. "Wir können alles erwarten, aber nicht, dass der Schwarzmarkt plötzlich dazu übergeht, Schafe zu züchten und andere Business-Cases aufmacht."

Darüber hinaus sieht Peglow ein weiteres Problem: Der Gesetzentwurf umfasse 163 Seiten, keine Behörde in Deutschland könne die vielen Regeln auch nur annähernd überwachen und kontrollieren.

Mehr Beratung nötig,

Die Suchtberatung Notdienst Berlin merkt eigenen Angaben zufolge schon jetzt, dass es im Laufe der Legalisierungsdebatte mehr Bedarf für Beratungen gibt. Die Zahlen seien in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen - weil zum Beispiel die Unsicherheiten groß seien, wie ein guter, ein gesunder Umgang mit Cannabis überhaupt aussehen kann. Durch die Legalisierung rechnet Rüdiger Schmolke vom Notdienst Berlin damit, "dass es verstärkte Nachfrage nach Beratung gibt. Auch von Familien. Von Jugendlichen. Weil es niedrigschwelliger wird, weil es enttabuisiert wird in die Beratungsstelle zu kommen."

Die Brandenburger Landesärztekammer verweist auf einen anderen Aspekt. In Ländern wie den USA, Kanada und Portugal, in denen Cannabis bereits straffrei ist, sei der Cannabiskonsum nach der Legalisierung um circa 30 Prozent gestiegen und habe 25 Prozent mehr psychische Störungen hervorgerufen, so die Kammer.

Weiterer Gesetzentwurf für Handel mit Cannabis

Cannabisgeschäfte oder sogenannte Coffee Shops wie in den Niederlanden sind vorerst in Deutschland nicht vorgesehen. Anders als zunächst geplant, wird es vorläufig keine Geschäfte geben, in denen Cannabis verkauft wird. Für den kommerziellen Handel will Gesundheitsminister Lauterbach einen zweiten Gesetzentwurf vorlegen.

Den Eckpunkten zufolge, die er bereits vorgestellt hat, soll der Verkauf von Cannabis in Apotheken oder staatlich lizenzierten Geschäften an Erwachsene zunächst in Modellregionen erprobt werden - und zwar für fünf Jahre. Hintergrund sind EU-rechtliche Vorschriften. Der noch folgende Gesetzentwurf soll der EU-Kommission zur Prüfung vorgelegt werden. Ursprünglich wollte die Ampel-Koalition den kontrollierten Verkauf von Cannabis bundesweit freigeben.

Sendung: rbb24 Inforadio, 16.08.2023, 18:00 Uhr

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115 Kommentare

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  1. 115.

    Es muss jeder selbst wissen ob er das Gift wie andere Gifte auch für sich braucht oder lieber die Finger davon lässt.
    Wenn jemand raucht, trinkt o. andere Dinge zu sich nimmt ist mir das total egal.
    Die Person die das macht sollte nur nicht andere mit in den Sumpf reinziehen und das Gift veräußern, das gehört mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln bestraft.
    Sollte es medizinisch notwendig sein betäubende Mittel zu sich zu nehmen ist die Sache, in meinen Augen, wiederum in Ordnung.

  2. 113.

    Was für ein Widerspruch ist ihr Glaube, dass Sie "ganz normal ticken" - wenn Sie seit 20 Jahren ein Rauschmittel brauchen.

  3. 112.

    Wenn Sie ihren Auszubildenden etwas gutes tun wollen, unterstützen Sie sie bei der Suche an einem neuen Ausbildungsbetrieb. Bei Ihnen scheint die fachliche Eignung leider nicht vorhanden zu sein.

    (Die Wirkung von THC dauert nur ein paar Stunden, und was ein Azubi in seiner Freizeit macht, hat sie nichts anzugehen. Dass man den Konsum in Blut und Haaren noch Wochen später feststellen kann, hat genau gar nichts mit der Nüchternheit zu tun.)

  4. 111.

    Allen, die gegen die Legalisierung sind, scheint es lieber zu sein, dass sich die Jugendlichen weiterhin mit synthetischen Drogen wie Crystal Meth, Ecstasy, LSD, Speed etc. die Rübe wegknallen.
    Oder ist denen hardcore Komasaufen mit Alkohol lieber?

  5. 110.

    "Das Gesetz zur Sterbehilfe bei Schwerstkranken lehnt man aus moralischen Gründen ab, aber Beihilfe zum Drogenkonsum scheint moralisch ok zu sein. "

    Nein. Bei den Regierungsparteien gab es mehr Ja als Nein Stimmen zum Gesetz zur Sterbehilfe. Mehrheitlich abgelehnt wurde es von CDU/CSU und AfD. Also die selben Parteien, die auch das Gesetz zur Legalisierung ablehnen.

  6. 109.

    "Wer diese Grüne/SPD-Politik wählt wird sich noch wundern."

    Da fehlt noch die Regierungspartei FDP in der Aufzählung. Und warum sollte man sich wundern?! Is ja nun nicht so, dass andere Parteien sich für Therapieeinrichtungen und Krankenhäuser sowie Suchtprävention und Betreuung von Abhängige einsetzen.

    Übrigens, Teil des Gesetzes soll mehr Suchtprävention sein.

  7. 106.

    An vielen Kommentaren merkt man einfach, dass wir noch lange nicht aus dem Mittelalter raus sind.
    Wobei die Menschen zu dieser Zeit in Bezug auf Drogen fortschrittlicher waren. Niemand wäre auf die absurde Idee gekommen eine Pflanze zu verbieten.

    Ich lege jedem Kritiker nahe sich mal mit der Drogenpolitik des 20. Jahrhunderts auseinanderzusetzen.

    Schlagworte: Prohibition in den USA. Harry Anslinger. DuPont, War on Drugs.

    Jeder, der den Kampf gegen Drogen unterstützt, billigt das Leid von Millionen Toten in Kartell und Bandenkriegen, durch Schwarzmarktware und Stigmatisierung.

    Diese unsägliche Antidrogenpolitiik auch noch mit angeblichrn Jungendschutz zu rechtfertigen ist dabei der größte Hohn

  8. 104.

    Bleiben Sie doch bitte sachlich. Die Mär von Cannabis als Einstiegsdroge ist längst widerlegt.

  9. 103.

    Falls Sie kiffen, dann können Sie es gerne weitermachen, kein Mensch verbietet es Ihnen. Ich habe geschrieben: "In den 5 Jahren wie viele Minderjährige werden das Kiffen ausprobiert haben"? Das ist eine Frage, keine Behauptung. Wenn das Thema " Kiffen" zum Dauerbrenner wird, von der Politik sogar noch geschürt, sind Sie überzeugt, dass Minderjährige immer Abstand davon halten? Wenn Eltern kiffen, bleiben dann alle Kinder davon fern?

  10. 102.

    Deine Aussage ist die der Dealer welche mit solchen verharmlosenden Sprüchen auch Kinder dazu verleitet haben mit Drogen anzufangen. Unsere Einrichtungen kennen diese Sprüche seit Jahrzehnten und wir kennen die Folgen und Opfer. Die kommende Regierung wird hoffentlich das wieder kippen wenn die Grünen raus sind und die SPD max noch für ein Bündnis mit einer Partei genügt die mehr Sachverstand haben

  11. 100.

    Alles wegsparen im Gesundheitswesen und die Kassen erhöhen Beiträge. Das ist die Politik von Lauterbach/Ampelregierung. Und da kommt diese „Freigabe“ als zusätzlicher Ballast für ein immer maroder werdendes System. Unfähigkeit live. Niemand redet von den Folgen oder mit Betroffene.

  12. 99.

    wo bitte is der vergleich mit dem legalem ALK
    in jeder hinsicht und jedem alter 1000fach schädlicher
    bier gibts ab 16

  13. 98.

    Endlich! Ich konsumiere Cannabis seit über 20 Jahren und ticke ganz normal. Mir käme nie in den Sinn, andere Drogen zu nehmen, und Alkohol trinke ich kaum. Wenn Cannabis eine Einstiegsdroge wäre, würde ja halb Holland an der Nadel hängen.....

  14. 97.

    Wann waren sie zum letzten Mal bei einer Selbsthilfegruppe? Die hätten ihnen sicherlich bestätigt dass Cannabis keine Einstiegsdroge ist. Die große Mehrheit der Bevölkerung hat Cannabis zumindest probiert. Millionen Menschen im Land kiffen regelmäßig ohne dramatische Folgen. Sie betreiben reine Panikmache.

  15. 96.

    An vielen Kommentaren merkt man einfach, dass wir noch lange nicht aus dem Mittelalter raus sind.
    Wobei die Menschen zu dieser Zeit in Bezug auf Drogen fortschrittlicher waren. Niemand wäre auf die absurde Idee gekommen eine Pflanze zu verbieten.

    Ich lege jedem Kritiker nahe sich mal mit der Drogenpolitik des 20. Jahrhunderts auseinanderzusetzen.

    Schlagworte: Prohibition in den USA. Harry Anslinger. DuPont, War on Drugs.

    Jeder, der den Kampf gegen Drogen unterstützt, billigt das Leid von Millionen Toten in Kartell und Bandenkriegen, durch Schwarzmarktware und Stigmatisierung.

    Diese unsägliche Antidrogenpolitiik auch noch mit angeblichrn Jungendschutz zu rechtfertigen ist dabei der größte Hohn

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