rbb exklusiv - Das plant der Berliner Senat am Molkenmarkt
Er gilt als der älteste Platz Berlins – und dennoch vielen als "Nicht-Ort": Was der Senat nun mit der Dauerbaustelle Molkenmarkt plant, geht aus einem Rahmenplan hervor, der am Dienstag beschlossen wurde. Er lag dem rbb vorab vor. Von T. Gabriel und F. Hoppen
- Hälfte aller Wohnungen am Molkenmarkt soll "mietpreisgedämpft" sein
- weitgehend autofreies Quartier mit begrünten Dächern geplant
- Bauarbeiten sollen 2026 starten
Der Molkenmarkt in Mitte ist die Keimzelle Berlins. Hier wurde die Stadt vor 800 Jahren als Siedlung von Kaufleuten gegründet und wuchs über die Jahrhunderte zur Industrie- und Handelsmetropole. Der Molkenmarkt blieb zentraler Verkehrsknotenpunkt – und immer im Wandel: Nach dem Zweiten Weltkrieg war der historische Stadtkern von Brachland umgeben. In den 1960ern baute die DDR hier eine sechsspurige Magistrale hindurch, die Grunerstraße. Das historische Zentrum wurde dabei immer weiter durchbrochen und zurückgedrängt. Doch seit dem Fall der Berliner Mauer wird wieder intensiv darüber diskutiert, wie es mit dem Molkenmarkt weitergehen soll.
Seit 2016 gibt es für das Gebiet rund um den Molkenmarkt zwar einen Bebauungsplan – doch die Zeiten haben sich seitdem geändert, wie es auch die Senatsvorlage feststellt, die dem rbb vorliegt. Es ist ein Rahmenplan, der Leitplanken für alle künftigen Bauaktivitäten auf dem Areal setzt – also festlegt, was gebaut werden soll, jedoch nicht, wie es hinterher konkret aussehen soll. Vorausgegangen waren diesem Rahmenplan mehrere Beteiligungsformate und Wettbewerbsverfahren.
Hälfte der Wohnungen soll "mietpreisgedämpft" sein
Entstehen soll am Molkenmarkt nun ein "lebenswertes und zukunftsweisendes Quartier mit flexibel nutzbaren Gebäuden, klimaresilienten Freiräumen sowie einem innovativem Mobilitätskonzept, vielfältigen Kulturangeboten und einem hohen Anspruch an die architektonische und gestalterische Qualität", wie es im Rahmenplan heißt, eine Mischung aus Wohnen, Gewerbe, Kultur und Freiraum.
Vorgesehen sind rund 450 Wohnungen. In den Erläuterungen zum Rahmenplan ist nun von einem breit gefächerten Wohnungsangebot "für die unterschiedlichsten Lebensmodelle aller Alters- und Sozialstrukturen" zu lesen.
Alle Wohnungen, die die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften am Molkenmarkt errichten würden, seien deren Kooperationsvereinbarung mit dem Land Berlin verpflichtet. Konkret bedeutet dies, dass die Hälfte der Wohnungen, die dort neu gebaut werden, "mietpreisgedämpft" angeboten werden. So solle eine soziale Mischung am Molkenmarkt ermöglicht werden.
Ein autofreies Quartier mit grünen Dächern
Ausdrücklich wird im Rahmenplan mehrfach auf Klimaschutzaspekte verwiesen. Grünflächen sollten "auch auf ihre Funktionalität zur Regenwasserbewirtschaftung hin" geprüft werden. Mindestens 60 Prozent der Dachflächen von Gebäuden sowie Fassaden "an ausgewählten Stellen" sollen begrünt werden. Mindestens 30 Prozent der Dachfläche eines Hauses sollen laut der Senatsvorlage für Solaranlagen genutzt werden.
Am Molkenmarkt wird ein weitgehend autofreies Quartier angestrebt. Durchgangsverkehr ist nicht geplant. Das Parkhaus in den Rathauspassagen soll als zentrale Quartiergarage dienen.
Rückzugsort und "Stadtplatz"
Block A, direkt vor dem alten Stadthaus, soll laut Vorlage vor allem kulturell genutzt werden. Hier ist teilweise eine kleinteilige Bebauung geplant, mit fünf- und auch sechsgeschossigen Häusern. Zentrales Element soll ein öffentlich zugänglicher Innenbereich sein, ein repräsentativer Stadtplatz mit Grünfläche.
Der nördlich angrenzende Block B hingegen soll den Anwohnerinnen und Anwohnern als Rückzugsort dienen. Es ist eine geschlossene Bebauung geplant, ebenfalls fünf- und sechsstöckig, die die historischen Dachformen des Nikolaiviertels aufgreift. Zum Roten Rathaus hin, wo derzeit noch archäologische Grabungen stattfinden, ist laut Vorlage jedoch auch ein "Archäologisches Fenster" denkbar. Solche Fenster in tieferen Erdschichten gibt es zum Beispiel bereits in den Altstädten Spandau und Köpenick.
Block C, das Areal zwischen Jüdenstraße und Klosterstraße, ist bereits teilweise bebaut und soll erweitert werden. Geplant sind ein öffentlicher Durchgang vom Großen Jüdenhof bis zur Ruine der Klosterkirche, aber auch ein privater Innenbereich für die Eigentümer. Die Bebauung am Jüdenhof soll sich dabei an der Bebauung der Vorkriegszeit orientieren.
Wie Block D genutzt werden soll, ist noch unklar. Langfristig könnte laut Vorlage ein Schulstandort entwickelt werden. Bis dahin soll das Areal als Grünfläche genutzt werden.
Block E soll als landeseigener kulturgeprägter Bereich ebenfalls weiterentwickelt werden. Dort befinden sich die Klosterruine und der Veranstaltungsort Palais Podewil.
Der Streit um den Molkenmarkt
Die Frage, wie die einstige Wiege Berlins künftig gestaltet werden könnte, war von Anfang von Streit begleitet. Zuletzt wurde dies bei einem "Werkstattverfahren" deutlich, bei dem Architekturbüros bis September vergangenen Jahres ihre Ideen präsentiert hatten. Immer wieder ging es dabei um die Frage: Soll es ein nachhaltig gestaltetes Quartier mit viel Grün und einem Fokus auf Klimaschutz werden oder geht es eher um eine Rekonstruktion der Historie? Neues Denken versus Altstadtflair, so schwarz-weiß kam die Debatte in den zurückliegenden Monaten zuweilen daher.
Vor allem Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt wird von Kritikern immer wieder vorgehalten, dass sie eine Altstadt-Rekonstruktion favorisiere und deshalb auch im Werkstattverfahren interveniert habe, um die Kür eines eindeutigen Siegerentwurfs zu verhindern, der nicht ihren Vorstellungen entsprochen habe. Sie selbst hat solche Einflussnahmen immer wieder bestritten.
Ein weiterer Kritikpunkt, den insbesondere Grüne und Linke im Abgeordnetenhaus mehrfach vorgebracht haben, zielt darauf, dass das Parlament im gesamten Prozess quasi nur Zuschauer ist. Die "Charta Molkenmarkt" wird dem Abgeordnetenhaus lediglich zur Kenntnisnahme zugeleitet werden. Änderungswünsche aus dem parlamentarischen Raum oder Zustimmung der Abgeordneten ist nicht vorgesehen.
Julian Schwarze, Sprecher für Stadtentwicklung bei den Grünen, fürchtet zudem, dass die "kleinteilige Bebauung" für die landeseigenen Wohnungsunternehmen zur Kostenfalle werden könnte. Sollten sie die Aufträge nicht übernehmen können und private, gemeinwohlorientierte Bauherren einspringen, könnte das für die Mieter und Mieterinnen womöglich teuer werden. So müssen zum Beispiel die Landeseigenen, anders als etwa Genossenschaften, die Hälfte ihrer Mietwohnungen zu sozialen Mieten anbieten.
"Am Molkenmarkt droht ein weiteres Luxusquartier ohne bezahlbare Wohnungen", so Schwarze. "Statt auf die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften zu setzen, soll es Konzeptverfahren für die Grundstücksvergabe an private Akteure geben. Das lehnen wir ab." Ähnlich kritisch sieht Katalin Gennburg, Sprecherin für Stadtentwicklung von den Linken, den Rahmenplan, vor allem die ästhetischen Gestaltungsvorschriften für die landeseigenen Baugesellschaften. "Der Senat verachtet die Armen dieser Stadt, die dringend Sozialwohnungen brauchen. Auf diesem landeseigenen Grundstück brauchen wir dringend Sozialwohnungen, am besten zu 100 Prozent", so Gennburg.
Wie geht's weiter?
Der Rahmenplan ist einer von zwei Teilen, aus denen die "Charta Molkenmarkt" besteht. Teil zwei ist ein "Gestaltungshandbuch", das noch erarbeitet wird. In diesen Teil sollen laut der Senatsvorlage dann auch die Ergebnisse mehrerer Machbarkeitsstudien einfließen, die die Jury des vorangegangenen Werkstattverfahrens empfohlen hatte. Sie betreffen die Bereiche "Mobilität, Regenwassermanagement und Freiraum", Archäologie und Energieversorgung.
Daniel Sprenger vom Vorstand der Architektenkammer Berlin freut sich auf die neue Spielwiese, vor allem auf die Durchmischung des Ortes. Große Chancen sieht er in dem kulturellen Angebot, das geplant ist. So sollen etwa 3.000 Quadratmeter für Ateliers bereitgestellt werden, 5.500 Quadratmeter für Kunstvereine, Ausstellungen und Museen, um den Molkenmarkt in die diverse Kunstlandschaft von Berlin-Mitte einzugliedern. "Sich auch den kulturellen Aspekten unserer Stadtkultur zu widmen, von der bildenden bis zur darstellenden Kunst, das lebendig werden zu lassen durch geeignete Baustruktur, Freiräume und Umwelt, wäre für Berlin sicherlich ein Gewinn", so Sprenger.
Doch das alles ist noch Zukunftsmusik. Der Rahmenplan ist einer von zwei Teilen, aus denen die Charta sich zusammensetzt.
Der ursprüngliche Zeitplan sah vor, dass Ende dieses, Anfang nächsten Jahres die ersten Architektur-Wettbewerbe für konkrete Gebäude gestartet werden könnten. Nachdem die Charta allerdings nun wohl erst mit gut einem Jahr Verspätung komplett fertiggestellt wird, dürften sich auch die Wettbewerbe verzögern. Bis 2026 gibt es noch archäologische Grabungen auf dem Areal. Dann soll laut Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) mit den Bauarbeiten begonnen werden. Eine Fertigstellung bis 2028 wäre ihm zufolge "schön".
Sendung: rbb24 Abendschau, 22.08.2023, 19:30 Uhr