Ernährungsstrategie - In Brandenburg geht's um die Currywurst
Weniger Fleisch, mehr Gemüse: Das von den Grünen geführte Ressort für Verbraucherschutz will für öffentliche Kantinen neue Speisepläne entwickeln - und eckt damit auch innerhalb der Koalition an. Am Donnerstag wurden die Pläne konkretisiert.Von Christoph Hölscher
- Verbraucherschutzministerin Nonnemacher will Kantinen zum Umdenken bewegen
- Politik will Angebote für gesündere Ernährung schaffen, aber keine Vorschriften machen
- Koalition streitet bereits seit Längerem über den "Kraftriegel" Currywurst
- Vor allem Menschen im Handwerk sehen Kantinenpläne skeptisch
In der Mensa der Uni Potsdam am Neuen Palais scheinen Welten aufeinanderzuprallen: Im ersten Stock präsentiert Verbraucherschutzministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) ihre neue "Ernährungsstrategie": Gesünderes Essen, mehr Gemüse, weniger Fleisch. Im Erdgeschoss genießen Besucherinnen und Besucher der Mensa zur gleichen Zeit: Currywurst. Keine ganz normale Currywurst zwar, dazu später mehr. Doch gerade die Currywurst steht wie kein anderes Gericht für den wochenlangen Streit in der Landeregierung um gesunde Ernährung und die angeblich drohende Bevormundung der Bevölkerung.
Hatte doch Finanzministerin Katrin Lange (SPD) vor wenigen Wochen gegen die Ernährungsstrategie ihrer grünen Kabinettskollegin mit einem demonstrativen Lob der "gesunden Currywurst" gestichelt: Sie gehe davon aus, dass dieser angebliche "Kraftriegel für die Verwaltungsmitarbeiter" auch in Zukunft noch zur Verfügung stehen werde. Die Finanzministerin versagte der Ernährungsstrategie im Kabinett ihre Zustimmung. In der Presse war daraufhin vom "Currywurststreit" die Rede.
"Anreize" für gesunde Ernährung
Nun stellte die Verbraucherschutzministerin ihr über Jahre ausgearbeitetes Ernährungskonzept notgedrungen nicht mehr als Strategie der gesamten Landesregierung, sondern nur noch als "Ressortstrategie" ihres eigenen Ministeriums vor. Unterschiede in der Umsetzung oder gar Wirksamkeit der Strategie gebe es dadurch kaum, so die Ministerin.
Ziel der Strategie: Anreize für eine gesunde, nachhaltige Ernährung setzen - mehr Gemüse und Vollkornprodukte, weniger Fleisch und Zucker. Ungesunde Ernährung sei "eine der Hauptursachen für schwere Erkrankungen und frühzeitigen Tod", argumentierte Ministerin Nonnemacher bei der Vorstellung des Konzeptes. Der Staat habe deshalb die Pflicht, "Rahmenbedingungen für gesundheitsförderndes Essen" zu schaffen. Dabei werde niemand gezwungen, man mache nur "Angebote", betonte die Ministerin: "Jede Brandenburgerin und jeder Brandenburger entscheidet weiterhin selbst, was er isst."
Gemeinschaftsverpflegung im Fokus
Weil man den Brandenburgern nicht in die Töpfe und auf die Teller gucken wolle und könne, soll die Gemeinschaftsverpflegung eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung der Ernährungsstrategie spielen. Großküchen für Schulen, Kindertagesstätten oder Seniorenheimen will man zunächst im Rahmen eines Pilotprojektes "Kantine Zukunft" unterstützen und beraten, damit sie künftig gesünderes Essen anbieten können. Dafür stehen zunächst 600.000 Euro im Jahr zur Verfügung.
15 Kantinen-Träger nehmen bereits an dem Pilotprojekt teil - darunter auch das Studentenwerk Potsdam. Es betreibt neben Kantinen in Potsdam, Brandenburg an der Havel und Wildau auch die Mensa, in der die Ministerin ihre Ernährungsstrategie vorstellt.
"Halb und halb"-Currywurst in der Uni-Mensa
Zurück zur Currywurst: In der Uni-Mensa gibt es sie an diesem Tag in der Variante "halb und halb". Das heißt: Sie besteht zur Hälfte aus Fleisch, zur Hälfte aus veganem Fleischersatz. Eine Art Kompromiss also aus gesundheitsorientierter, nachhaltiger Ernährungsstrategie und dem Festhalten am traditionellen "Kraftriegel".
So vielfältig sehe übrigens das gesamte Speisenangebot in ihren Unimensen aus, erklärt Michèle Paschke, Leiterin "Hochschulgastronomie" des Studentenwerks Potsdam. Unter den drei Gerichten, die jeden Tag zur Auswahl stünden, sei immer auch ein veganes und eins mit Fleisch. Ausnahme: Der fleischfreie Mittwoch - "Veggi-Wednesday" genannt.
Mit seinen Kantinen-Angeboten ist das Studentenwerk vermutlich schon recht nah an dem, was die Ernährungsstrategie auch für andere Gemeinschaftsküchen in Brandenburg anstrebt. Allerdings seien die Gäste der Hochschulmensen auch vergleichsweise offen für Neues, wie Michèle Paschke bestätigt. Die Studierenden hätten "große Erwartungen an eine zukunftsgewandte Ernährung", so Paschke.
Handwerker sehen Strategie kritisch
Entsprechend gut kommt die "Halb-und halb"-Currywurst bei den studentischen Kantinengästen an. Kritisiert wird hier allenfalls, dass die Wurst nicht komplett vegan ist. Doch wie findet das nicht-akademisch Publikum solche Experimente?
Die Mensa neben dem Park Sanssouci wird auch gerne von Handwerkern der Schlösserstiftung besucht. Die Elektriker Frank Hinsch und Holger Lessel sind von der halb-veganen Currywurst nicht wirklich begeistert: "Geht so", ist der Tenor.
Ohne Soße habe die Wurst nach nichts geschmeckt. "Wenn sie im Handwerk tätig sind, brauchen sie denn schon auch mal was Richtiges", findet Hinsch. Also Fleisch, meint er damit. Sein Kollege Lessel ist der Meinung, beim Essen sei doch jeder für sich selbst zuständig: "Da lasse ich mir nichts aufzwingen", so Lessel. Eine staatliche "Ernährungsstrategie" sieht er daher grundsätzlich kritisch. Die Mensa meidet er am vegetarischen Mittwoch, weil er sich kein fleischloses Essen vorschreiben lassen will.
Ministerium: Angebote statt Vorschriften
Michèle Paschke vom Studentenwerk beruhigt: Es werde auch weiterhin Fleisch in den Unimensen geben. Die "Halb und halb"-Currywurst sei übrigens zum ersten Mal im Angebot und habe nichts mit der Pressekonferenz der Ministerin zu tun, erklärt sie. Der Speiseplan sei längst fertig gewesen, als man vom Besuch der Ministerin erfahren habe.
Nach der Vorstellung der Ernährungsstrategie geht es nun an die Umsetzung. Das bedeutet vor allem: informieren und beraten. Neben dem Projekt "Kantine Zukunft", für das weitere Partner gefunden werden sollten, sind Veranstaltungen und Symposien geplant, die sich an Beschäftigte der Gastronomie, des Bildungs- und Gesundheitssystems sowie die kommunalen Verwaltungen richten, etwa im November in Prenzlau. Der Tenor bei allen Aktivitäten soll jedoch sein: Nur Angebote, keine Vorschriften machen.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 12.10.2023, 19:30 Uhr
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