Bürgerrat zur Ernährung - Was schmeckt uns?

Fr 29.09.23 | 18:09 Uhr | Von Thomas Bittner
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ILLUSTRATION - Ein mit Lebensmittel gefüllter Einkaufswagen wird durch einen Supermarkt geschoben. (Foto: dpa)
Audio: Fritz | 29.09.2023 | O-Ton: Jennifer Hartje | Bild: dpa

Der erste vom Bundestag eingesetzte Bürgerrat hat am Freitag seine Arbeit aufgenommen. Er soll Empfehlungen für den Umgang mit dem Thema Ernährung geben. Was ist von diesem Rat zu erwarten? Von Thomas Bittner

  • 160 Menschen im Bürgerrat
  • Bürgergutachten wird bis Februar 2024 erwartet
  • Drei Wochenenden und sechs Abendveranstaltungen

Was ist denn nun der Kraftriegel in den Brandenburger Kantinen? Etwa die "gesunde Currywurst", wie SPD-Finanzministerin Katrin Lange behauptete, um die vom grün geführten Verbraucherschutzministerium vorbereitete Ernährungsstrategie des Landes zu torpedieren? In der Potsdamer Koalition wurde die Strategie zum Projekt eines einzelnen Ministeriums runtergestuft, weil sich SPD, CDU und Grüne nicht einig wurden.

Ernährung ist ein heikles Thema. Jeder hat eine eigene Sicht darauf. Politiker können sich die Finger verbrennen. So vieles schwingt mit. Die einen sorgen sich um Gesundheit, Tierleid oder Ressourcen. Die anderen wollen Verbote oder Bevormundung nicht akzeptieren. Die Currywurst kann zum Zankapfel werden.

Potsdamerin im Rat

Die Ampelkoalition im Bund will sich dem Thema anders als die Potsdamer Koalition nähern. Auch im Bund wird eine Ernährungsstrategie erarbeitet. Aber man holt sich auch den Rat aus der breiten Mitte. Zum ersten Mal kommt an diesem Wochenende ein Bürgerrat zusammen. Thema: "Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben". 160 Menschen, die per Zufall ausgewählt wurden, bilden den Rat.

Eine von ihnen ist Jennifer Hartje. Die Potsdamerin arbeitet in Berlin an einer Schule mit Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen. Das Thema ist ihr als Mutter eines achtjährigen Sohnes und einer 16-jährigen Tochter durchaus vertraut. In der Familie seien alle ein bisschen sportlich, erzählt sie. Auf Ernährung werde geachtet. Sie selbst habe auch schon mehrere Diäten durchgemacht. Und in Berlin habe sie auch mit Mensa-Essen und Schulkantinen zu tun. Das Thema Ernährung sei da nicht sehr weit hergeholt.

Auch Vegetarier und Veganer im Lostopf

Hartje war eine von 20.000 Angeschriebenen. Sie fand die Idee gut und meldete sich zurück. Wenn man sich schon die Mühe gemacht habe, einen Querschnitt der Gesellschaft einzuladen, sollte das nicht umsonst sein, dachte sie. So kam sie in den Lostopf mit mehr als 2.200 Interessierten.

Ein Algorithmus ermittelte 1.000 mögliche Zusammensetzungen eines Bürgerrates, jeweils so repräsentativ, dass alle Himmelrichtungen, Geschlechter, Altersgruppen, aber eben auch der durchschnittliche Anteil von Veganern und Vegetariern vertreten sind. Aus diesen 1.000 möglichen Bürgerratsvarianten hatte die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas durch das Ziehen von drei Ziffern einen ausgelost.

Jennifer Hartje geht ganz offen an die Arbeit. "Es kann jeder essen, was er möchte, was ihm guttut", sagt sie.

Der Rat hat nun bis Ende Februar Zeit, sich an drei Wochenende und bei sechs digitalen Abendveranstaltungen ein Bild zu machen. Am Ende soll sich das Gremium zum Beispiel zu Lebensmittelkennzeichnungen äußern. Welche Informationen zu sozialen Bedingungen, zu Umwelt- und Klimaverträglichkeit oder zu Tierwohlstandards gehören auf Lebensmittel? Soll der Staat mit Steuern für die "Preisbildung von Lebensmitteln" einen Rahmen setzen? Und welchen? Und welche Konzepte gegen Lebensmittelverschwendung könnte es geben?

Es geht um die Frage: Was schmeckt uns? Im wahrsten und im übertragenen Sinne.

Was danach passiert, ist eine Black Box

Was dann aus dem Bürgergutachten im Bundestag gemacht wird, das ist noch völlig offen. Von einer "Black Box" spricht der Potsdamer Politikwissenschaftler Fabian Schuppert, der zu Bürgerräten forscht. "Ist das nur ein nettes Experiment oder eine wichtige Information für das Policy Making, den späteren Politikprozess", fragt er sich.

Dass Bürgerräte so in Mode kommen, habe damit zu tun, dass die repräsentative Demokratie, die Parteiendemokratie, derzeit in der Krise sei. "Da ist es keine schlechte Idee, Politik so zu betreiben, dass sich Bürgerinnen und Bürger aktiv beteiligen können. Und das, ohne Mitglied einer Partei zu sein."

Jennifer Hartje sagt jedenfalls, sie freue sich darauf, Menschen mit den unterschiedlichsten Backgrounds kennenzulernen. Normalerweise suche man sich ja seine Freunde nach eigenen Prämissen aus, jetzt komme man aber mit völlig unerwarteten Menschen zusammen, von der 16-jährigen Schülerin bis zur 80-jährigen Rentnerin.

Bürgerrat – das stecke ja schon im Namen, sagt sie. "Es ist ein Rat: wir beraten, wir beraten uns. Und dann geben wir unseren Ratschlag an die Abgeordneten weiter." Was damit dann passiert, weiß sie aber auch nicht.

Wie breit wird das diskutiert?

Auch Politiker stellen sich Fragen: Manche in der CDU befürchten, dass das Vorhaben die Bedeutung von Parlamenten unterminieren könnte, oder dass das Konzept der repräsentativen Demokratie bröckelt.

Die AfD hält Bürgerräte sogar für unnötig und fordert eher die Einführung von bundesweiten Volksentscheiden. Die Linksfraktion dagegen will, dass die Empfehlungen des Bürgerrats "verbindlicher" für das Parlament sind.

Für den Politikwissenschaftler Schuppert liegt das Spannende an diesem Experiment in der Frage: "Wie kommt das in der Öffentlichkeit an? Wie breit wird das diskutiert?"

Bei anderen Beteiligungserfahrungen sei es so gewesen: "Anfangs gibt es eine gewisse mediale Aufmerksamkeit. Aber zwischendrin scheint sich nicht furchtbar viel zu tun. Und am Ende versanden die Ergebnisse." Schuppert prophezeit: "Wenn sich das dann verläuft, dann wird auch das Interesse an solchen Formaten wieder abnehmen."

Jennifer Hartje zeigt sich ganz optimistisch. Auch für andere Politikbereiche wären Bürgerräte wünschenswert, sagt sie. Klima zum Beispiel sei doch ein großes Thema.

Jetzt aber freue sie sich auf das erste Wochenende mit den anderen Bürgerräten. Ob es Currywurst gibt?

Sendung: Fritz, 29.09.2023, 18:30 Uhr

Beitrag von Thomas Bittner

38 Kommentare

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  1. 38.

    Gut, dass ein "Bürgerrat" jetzt darüber befindet, was wir Bürger zu essen haben, wie wir zu leben gedenken.
    "Der Weg der Freiwlligkeit ist die Idealform der Demokratie." schrieb ein User - dem kann ich mich vorbehaltlos, in einer Zeit der Bevormundung, der Verbote und Gengelung, vorbehaltlos anschließen.

  2. 37.

    Was Sie beschreiben ist aber nicht die Aufgabe eines Bürgerrates sondern ein Fall für parlamentarische Kommissionen.
    Bürgerräte sind in unserer Demokratie nicht vorgesehen, da wir eine repräsentative Demokratie haben und keine Räterepublik sind, in der Ideologen vorschreiben, was Parlamentarier zu beschließen haben. Das gab es in der DDR. Brauchen wir nicht. Bürgerräte sind der Versuch, Gremien zu etablieren, die genau in diese Richtung agieren. Wenn sich jemand in meine Ernährung einmischen darf, dann sind das meine Ehefrau und mein Arzt.

  3. 36.

    Ernährung ist eben kein rein privates Thema. Hier muss man auch solche Punkte wie Anbau, Zucht, Haltung etc beachten und genau darauf hat der Verbraucher bekanntlich keinen Einfluss (außer alle bösen Produkte werden boykottiert).
    Ernährung hat gesetzliche (Rahmen)Vorgaben und erst am Ende kommt der Konsument.
    Was du in dich reinschaufelst ist selbstverständlich dein Bier, der Staat trägt jedoch Sorge, dass du hierbei nicht tot umfällst, dich vergiftest o.ä. Der Staat regelt ebenso Kennzeichnungspflichten (zb Allergene), woran du am Ende erkennen kannst, will ich das oder nicht.

  4. 35.

    Es wird sich zeigen, ob der Bürgerrat eine sinnvolle nutzbringende Sache ist. Meine Fragen sind: Industriezucker überall drin, Tierwohl in Haltung und bei Schlachtung, Insekten in Lebensmitteln ohne Kennzeichen, schlechte Fette, Hormonbelastung im Fleisch von Geflügel, Rind und Schwein, dito Antibiotika. Geschrei um Verbot Currywurst ist nicht prio eins. Es gibt vieles zu erklären wenn es um das billige Sättigen von Millionen geht. Und zum Schluss: Das Zauberwort BIO. Hier wünschen viele Verbraucher ehrliche Antworten. Da hat der Bürgerrat einiges zu tun. Bleibt abzuwarten, was daraus wird. Jedenfalls hundertmal interessanter, als von einer unübersehbaren grünen Dame gesunde Lebensweise erklärt zu bekommen! Gebt dem Rat eine Chance.

  5. 34.

    ...gerade der Industriezucker, aus den USA massiv importiert, dort übrigens geächtet bei Verarbeitung in Lebensmitteln, bei uns dankbar weil billig von der Lebensmittelindustrie eingesetzt. Der damalige Gesundheitsminister stellte kein Risiko für Ernährung fest. Seitdem ist der fett machende Dreck überall drin. Keine Polemik, bitte informieren dazu. Verena sprach es richtig an.

  6. 33.

    Oder kurz:
    Die Freiheit wird auch mit der Currywurst verteidigt.

  7. 32.

    "Dabei soll es ja um Ernährung gehen."

    Eben. Ergo um gesunde Ernährung.
    Was essen Sie denn so - nur Gesundes?

  8. 31.

    Lieber Helmut,
    dieses "Gremium" ist weder mit "Sorgfalt" zustande gekommen, noch ist es repräsentativ. Algorithmen werden von Menschen geschrieben und schon allein deshalb ist die Auslosung nicht mehr "zufällig". Außerdem: Wer hat denn entschieden, welche 20.000 Bürger angeschrieben wurden? Warum haben denn nur 11% ihre Bereitschaft zur Mitarbeit erklärt? Vielleicht weil die anderen 89% allein die Idee, dass der Staat den Menschen Vorschriften zur Ernährung machen möchte - in welcher Form auch immer - für überhriffig halten. Und lesen Sie bitte noch einmal genau den Auftrag an diesen "Bürgerrat" nach: Es geht nicht um Empfehlungen zur Ernährung sondern um den Umgang mit diesem Thema.

  9. 30.

    Dümmlicher Kommentar. Der Artikel reizt mit der Überschrift „ Was schmeckt uns?“ eben dazu, über Geschmack zu reden. Dabei soll es ja um Ernährung gehen.

  10. 29.

    "Ich lasse mich nicht verrückt machen! Gesund ist, was mir schmeckt."

    Jawoll! Ick esse wat mir schmeckt!

    Und zwar solange, bis Ihr Arzt sagt: 'Mensch, zappa, so jeht dit nich weiter, Sie sind krank! Essen Se ma lieber dit und dit!'
    Wenns dann mal nich schon zu spät is!

  11. 28.

    Darf ich es vorwegnehmen? Eine frische ausgewogene Ernährung statt Einseitigkeit kann Vorteile haben. Ein freiwilliger Verzicht, auf biologische Vorteile, der Zersetzungsfähigkeit vielfältiger Stoffe, kann Nachteile haben.

    Die ausgewogene Ernährung hat doch einen Nachteil: Sie erfordert etwas Anstrengungen...

  12. 27.

    Auch für nur mäßig Interessierte gibt es seit sehr vielen Jahren reichlich Bildung und Aufklärung hinsichtlich gesunder Ernährung. Solange kein Steuergeld für einen Bürgerrat verwendet wird habe ich auch nichts dagegen.

  13. 26.

    Ansichten, Lebensumstände und Meinungen können sich auch ändern, zb. auch durch Aufklärung !

  14. 25.

    Der Ethikrat hat in der vergangenen Zeit hervorragend gearbeitet und auch öffentlichkeitswirksam wichtige Debatten angestoßen, an denen die so bez. Politiker nicht vorbeikamen. Insofern gibt es schon eine sehr gute Parallelität zwischen einem berufenen hochprofessionellen Gremium und einem mit großer Sorgfalt zustandegekommenen repräsentativen bürgerschaftlichem Gremium - beides mit beratender Funktion.

    Ich habe den Eindruck, Sie schwanken doch etwas zwischen dem Vorwurf, dass so ein Gremium nichts sagen darf und zu viel zu sagen hat, also bevormundend tätig sein könnte. Beide Gremien waren und sind abseits dieser aufgemachten "Polarität" angesiedelt. Vielleicht könnten wir alle nur lernen, auch INDIREKTE Wirkungen wahrzunehmen. ;-

  15. 24.

    Warum sollten keine Empfehlungen gegeben werden können, oder wird das dann auch gleich wieder als Verbot angesehen ? Es wird keine staatlichen Eingriffe dazu geben, oder haben sie das auf ihrem Lieblings-YouTube-Kanal gehört?

  16. 23.

    "Grundsätzlich eine gute Idee..."
    Nein Andreas, es ist eben grundsätzlich keine gute Idee, weder die Rechtsform noch das Thema.
    Ernährung ist ein rein privates Thema. Staatliche Eingriffe an dieser Stelle greifen massiv in die Menschenrechte ein.
    Ein "Bürgerrat" ist lt. unserem Grundgesetz kein entscheidungsfähiges Organ. Wozu ist er also gut? Er dient der Politik ausschließlich als Feigenblatt für eigene Entscheidungen, die auf großen Widerstand in der Bevölkerung stoßen würden. Schlägt der "Rat" eine Entscheidung vor, die den Vorstellungen der verantwortlichen Politiker widerspricht, kann man diese problemlos ignorieren. Passt der Vorschlag, hat man eine vorzügliche Legitimation. Der "Ethikrat" hat es doch in der jüngeren Vergangenheit beispielhaft vorgeführt.

  17. 22.

    Guten Morgen Verena, sie haben so wahr gesprochen. Kritisch und wahr.

  18. 21.

    Was soll das? Im Grunde liegen alle Erkenntnisse auf dem Tisch und werden weiterentwickelt. Ein Bürgerrat kommt dann mit dem Stammtischgeschwätz daher. Im Grunde weiß jeder, was eine gesunde ausgewogene Ernährung ist. Mal schafft man es besser, mal weniger. Schade um das Steuergeld, das für diesen Bürgerbeteiligung draufgeht.

  19. 20.

    Hätte Fr. Lange gesagt die Currywurst schmeckt lecker, bekäme sie von mir 100 % Zustimmung. Aber gesund naja da hab ich meine Zweifel.

  20. 19.

    Es mangelt nicht an seriösen Informationsquellen was gesunde Ernährung betrifft. Soeben habe ich die Homepage des von Bundesminister Cem Özdemir geführten BMEL für Ernährung und Landwirtschaft aufgerufen und im ÖR-TV gibt es etliche Sendungen zum Thema z.B. Ernährungs-Docs . Wenn Patienten längere Zeit zu viel vom Falschen gegessen haben, erhalten sie eine Ernährungsberatung. Ich esse was mir schmeckt und das kann sowohl mal Currywurst als auch Tofuwurst sein. Bürgerräte und Volksentscheide sehe ich sehr kritisch. Ich bin absolut für den Erhalt der repräsentativen Demokratie. Außerdem gibt es gute wissenschaftlich vorgehende Meinungsforschungsinstitute. Die Bürgerräte sehe ich als entbehrlich.
    Ich verspreche mir mehr von Initiativen des BMEL was Aufklärung und günstige Preise für gesunde Lebensmittel betrifft.

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