Bürgerrat zur Ernährung - Was schmeckt uns?
Der erste vom Bundestag eingesetzte Bürgerrat hat am Freitag seine Arbeit aufgenommen. Er soll Empfehlungen für den Umgang mit dem Thema Ernährung geben. Was ist von diesem Rat zu erwarten? Von Thomas Bittner
- 160 Menschen im Bürgerrat
- Bürgergutachten wird bis Februar 2024 erwartet
- Drei Wochenenden und sechs Abendveranstaltungen
Was ist denn nun der Kraftriegel in den Brandenburger Kantinen? Etwa die "gesunde Currywurst", wie SPD-Finanzministerin Katrin Lange behauptete, um die vom grün geführten Verbraucherschutzministerium vorbereitete Ernährungsstrategie des Landes zu torpedieren? In der Potsdamer Koalition wurde die Strategie zum Projekt eines einzelnen Ministeriums runtergestuft, weil sich SPD, CDU und Grüne nicht einig wurden.
Ernährung ist ein heikles Thema. Jeder hat eine eigene Sicht darauf. Politiker können sich die Finger verbrennen. So vieles schwingt mit. Die einen sorgen sich um Gesundheit, Tierleid oder Ressourcen. Die anderen wollen Verbote oder Bevormundung nicht akzeptieren. Die Currywurst kann zum Zankapfel werden.
Potsdamerin im Rat
Die Ampelkoalition im Bund will sich dem Thema anders als die Potsdamer Koalition nähern. Auch im Bund wird eine Ernährungsstrategie erarbeitet. Aber man holt sich auch den Rat aus der breiten Mitte. Zum ersten Mal kommt an diesem Wochenende ein Bürgerrat zusammen. Thema: "Ernährung im Wandel: Zwischen Privatangelegenheit und staatlichen Aufgaben". 160 Menschen, die per Zufall ausgewählt wurden, bilden den Rat.
Eine von ihnen ist Jennifer Hartje. Die Potsdamerin arbeitet in Berlin an einer Schule mit Menschen mit geistigen und körperlichen Behinderungen. Das Thema ist ihr als Mutter eines achtjährigen Sohnes und einer 16-jährigen Tochter durchaus vertraut. In der Familie seien alle ein bisschen sportlich, erzählt sie. Auf Ernährung werde geachtet. Sie selbst habe auch schon mehrere Diäten durchgemacht. Und in Berlin habe sie auch mit Mensa-Essen und Schulkantinen zu tun. Das Thema Ernährung sei da nicht sehr weit hergeholt.
Auch Vegetarier und Veganer im Lostopf
Hartje war eine von 20.000 Angeschriebenen. Sie fand die Idee gut und meldete sich zurück. Wenn man sich schon die Mühe gemacht habe, einen Querschnitt der Gesellschaft einzuladen, sollte das nicht umsonst sein, dachte sie. So kam sie in den Lostopf mit mehr als 2.200 Interessierten.
Ein Algorithmus ermittelte 1.000 mögliche Zusammensetzungen eines Bürgerrates, jeweils so repräsentativ, dass alle Himmelrichtungen, Geschlechter, Altersgruppen, aber eben auch der durchschnittliche Anteil von Veganern und Vegetariern vertreten sind. Aus diesen 1.000 möglichen Bürgerratsvarianten hatte die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas durch das Ziehen von drei Ziffern einen ausgelost.
Jennifer Hartje geht ganz offen an die Arbeit. "Es kann jeder essen, was er möchte, was ihm guttut", sagt sie.
Der Rat hat nun bis Ende Februar Zeit, sich an drei Wochenende und bei sechs digitalen Abendveranstaltungen ein Bild zu machen. Am Ende soll sich das Gremium zum Beispiel zu Lebensmittelkennzeichnungen äußern. Welche Informationen zu sozialen Bedingungen, zu Umwelt- und Klimaverträglichkeit oder zu Tierwohlstandards gehören auf Lebensmittel? Soll der Staat mit Steuern für die "Preisbildung von Lebensmitteln" einen Rahmen setzen? Und welchen? Und welche Konzepte gegen Lebensmittelverschwendung könnte es geben?
Es geht um die Frage: Was schmeckt uns? Im wahrsten und im übertragenen Sinne.
Was danach passiert, ist eine Black Box
Was dann aus dem Bürgergutachten im Bundestag gemacht wird, das ist noch völlig offen. Von einer "Black Box" spricht der Potsdamer Politikwissenschaftler Fabian Schuppert, der zu Bürgerräten forscht. "Ist das nur ein nettes Experiment oder eine wichtige Information für das Policy Making, den späteren Politikprozess", fragt er sich.
Dass Bürgerräte so in Mode kommen, habe damit zu tun, dass die repräsentative Demokratie, die Parteiendemokratie, derzeit in der Krise sei. "Da ist es keine schlechte Idee, Politik so zu betreiben, dass sich Bürgerinnen und Bürger aktiv beteiligen können. Und das, ohne Mitglied einer Partei zu sein."
Jennifer Hartje sagt jedenfalls, sie freue sich darauf, Menschen mit den unterschiedlichsten Backgrounds kennenzulernen. Normalerweise suche man sich ja seine Freunde nach eigenen Prämissen aus, jetzt komme man aber mit völlig unerwarteten Menschen zusammen, von der 16-jährigen Schülerin bis zur 80-jährigen Rentnerin.
Bürgerrat – das stecke ja schon im Namen, sagt sie. "Es ist ein Rat: wir beraten, wir beraten uns. Und dann geben wir unseren Ratschlag an die Abgeordneten weiter." Was damit dann passiert, weiß sie aber auch nicht.
Wie breit wird das diskutiert?
Auch Politiker stellen sich Fragen: Manche in der CDU befürchten, dass das Vorhaben die Bedeutung von Parlamenten unterminieren könnte, oder dass das Konzept der repräsentativen Demokratie bröckelt.
Die AfD hält Bürgerräte sogar für unnötig und fordert eher die Einführung von bundesweiten Volksentscheiden. Die Linksfraktion dagegen will, dass die Empfehlungen des Bürgerrats "verbindlicher" für das Parlament sind.
Für den Politikwissenschaftler Schuppert liegt das Spannende an diesem Experiment in der Frage: "Wie kommt das in der Öffentlichkeit an? Wie breit wird das diskutiert?"
Bei anderen Beteiligungserfahrungen sei es so gewesen: "Anfangs gibt es eine gewisse mediale Aufmerksamkeit. Aber zwischendrin scheint sich nicht furchtbar viel zu tun. Und am Ende versanden die Ergebnisse." Schuppert prophezeit: "Wenn sich das dann verläuft, dann wird auch das Interesse an solchen Formaten wieder abnehmen."
Jennifer Hartje zeigt sich ganz optimistisch. Auch für andere Politikbereiche wären Bürgerräte wünschenswert, sagt sie. Klima zum Beispiel sei doch ein großes Thema.
Jetzt aber freue sie sich auf das erste Wochenende mit den anderen Bürgerräten. Ob es Currywurst gibt?
Sendung: Fritz, 29.09.2023, 18:30 Uhr