Gestiegene Zinsen bei KfW-Studienkrediten - "Ich wollte einkaufen gehen und es war kein Geld mehr auf dem Konto"
Der Studienkredit der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) war jahrelang ein wichtiger Baustein in der deutschen Studienfinanzierung. Seit die Zinsen in die Höhe schnellen, fühlen sich aber immer mehr Studenten gefangen in einer Schuldenfalle. Von Simon Wenzel
Die letzten Monate waren hart für Manuel. Der Psychologiestudent aus Berlin musste sich einen zweiten Job suchen und radikal sparen, um über die Runden zu kommen. "Das ging so weit, dass meine Schuhe kaputt waren und die Füße nass wurden, aber ich mir einfach keine neuen leisten konnte", sagt Manuel. Er hat, wie rund 90.000 andere Studierende derzeit in Deutschland, einen Studienkredit bei der KfW aufgenommen. Und der bringt ihm jetzt deutlich weniger ein als gedacht.
Das Prinzip des KfW-Kredits ist simpel: Manuel* bekommt während seines Studiums monatlich einen verabredeten Betrag von der Förderbank ausgezahlt. Das gesamte Geld kann er später zu relativ flexiblen Konditionen zurückzahlen. Abgesehen von den Zinsen, die werden nämlich schon während der Auszahlung abgezogen. Der Betrag, den Studenten wie Manuel monatlich bekommen, sinkt also mit der Zeit. Und dieses Modell führt im Moment zu Manuels Finanzproblemen: Während seine Kosten in nahezu allen Bereichen immer weiter steigen, sinkt der Betrag, den er aus seinem Kredit erhält, deutlich. Denn die Förderbank hat ihre Zinsen massiv erhöht. Seit Oktober liegen sie bei rund neun Prozent pro Jahr.
Verliert einer der wichtigsten Studienkredite seinen guten Ruf?
Manuel bekommt inzwischen 150 Euro weniger pro Monat als zu Beginn seines Masterstudiums. "Ich habe es letztendlich gemerkt, als ich am Monatsende einkaufen wollte und kein Geld mehr auf dem Konto war", sagt er. Aufgenommen hat der Berliner den Kredit während der Coronazeit - damals waren die Zinsen kurzzeitig auf null Prozent gesetzt. Ein sehr attraktives Angebot, mit inzwischen weit reichenden Folgen. Denn die KfW kann die Zinsen im Sechs-Monats-Rhythmus anpassen und hat das zuletzt vor allem in eine Richtung getan: nach oben.
Ulrich Müller testet am Centrum für Hochschulentwicklung regelmäßig Studienkredite und sagt inzwischen: "Im Moment kann ich diesen Kredit nicht mehr empfehlen." Es geht hier wohlgemerkt um das bislang dominierende Angebot für Studienkredite in Deutschland, vielfach empfohlen - auch Müller fand ihn zu früheren Konditionen noch "sehr okay". Die flexiblen Rückzahlungsmöglichkeiten der KfW und die Tatsache, dass der Kredit ohne Sicherheitsverfahren erhältlich ist, machten ihn jahrelang attraktiv für Studenten, die keinen Anspruch auf Bafög haben. Kritik gab es schon öfter, vor allem dafür, dass die Zinsen peu a peu die ausgezahlte Kreditsumme reduzieren, Müller fand das schon immer etwas unsinnig. "Wenn es aber bei Zinsen von neun Prozent bleibt, ist der KfW-Kredit in ein oder zwei Jahren tot", sagt er jetzt.
Die Zahl der KfW-Studienkredite ist bereits deutlich rückläufig. Im Jahr 2021 schlossen nach Angaben der KfW noch rund 23.200 Studierende den Kredit ab, vergangenes Jahr waren es 15.500, in diesem bislang nur rund 7.800, teilt die Förderbank mit.
KfW verweist auf Ausfallrisiko
Die Frage ist nur: Wer kann etwas daran ändern?
Eine Sprecherin der KfW schreibt dem rbb, der Studienkredit sei kein klassisches Förderprodukt, sondern eigenfinanziert. Ein vergleichbares Angebot hätten andere Banken gar nicht erst im Portfolio. Die KfW verdiene an den Studienkrediten nichts, müsse aber kostendeckend arbeiten. Dazu zähle unter anderem auch das Ausfallrisiko, falls Menschen ihren Kredit nicht zurückzahlen können.
Für das Kreditinstitut kann ein Studienkredit durchaus ein höheres Risiko als beispielsweise ein Kredit zum Hausbau darstellen. Wird letzterer nicht bedient, steht im Normalfall immer noch ein Haus als Gegenwert. Ein derartiger materieller Wert ist beim Investment in die Bildung von Menschen nicht per se vorhanden.
Die zuletzt stark gestiegenen Zinsen begründet die KfW mit der wirtschaftlichen Gesamtlage. Ihr Zinssatz werde auf Basis des Referenzzinssatzes "EURIBOR" berechnet. Dieser seit unter anderem durch die Inflation und die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank seit Beginn des Krieges in der Ukraine um mehr als 4,5 Prozentpunkte gestiegen.
Ulrich Müller will der KfW "keinen Vorwurf" machen. Es sei klar, dass die Bank keinen Verlust machen wolle, sagt er. Er frage sich allerdings, wieso das Bundesbildungsministerium nicht eingreife, um Einfluss auf den Zinssatz zu nehmen. Als Instrument sei der KfW-Kredit ein elementarer Baustein der Studienfinanzierung in Deutschland.
Ein Einwirken der Bundesregierung, wie von Ulrich gefordert, gab es bereits in der Vergangenheit. Während der Finanzkrise 2008 hatte die KfW die Zinsen kurzzeitig auf rund 7 Prozent erhöht, die damalige Bundesbildungsministerin intervenierte und erreichte einen niedrigeren Zinssatz.
Auf Anfrage teilt nun die Pressestelle des Bildungsministeriums mit: Das Ministerium habe sich "eingehend mit der KfW darüber ausgetauscht, ob die stetig steigenden Zinsen trotz der steigenden Leitzinsen stabil gehalten oder sogar gesenkt werden könnten." Das Ergebnis ist enttäuschend für Studenten wie Manuel: "Nach Auskunft der KfW ist dies ihrerseits nicht möglich", heißt es in der schriftlichen Antwort des Ministeriums. Eine Unterstützung mit Bundesmitteln sei ebenfalls "keine Option", da die KfW das Angebot als Eigenmittelprogramm konzeptioniert habe. Bei der Einführung des KfW-Studienkredits 2006 sei es eine Bedingung der Bundesregierung gewesen, dass sich daraus keine Belastung für den Bundeshaushalt ergeben dürfe.
Auch ehemalige Studierende sind von den Zinserhöhungen betroffen
Das Problem mit den hohen Zinsen bleibt also vorerst, und es betrifft nicht nur aktuell Studierende: Rund 170.000 Menschen sind derzeit in der Rückzahlungsphase ihres Kredits - zusammen mit den Studierenden sind also rund 260.000 Kreditempfänger noch direkt an die Zinsen der KfW gebunden.
Wirtschaftsinformatiker Daniel hat sein Studium fertig und ist seit kurzem berufstätig. Ab April soll er mit der Rückzahlung seines Studienkredits beginnen, rund 30.000 Euro sind es insgesamt. Wie lange Daniel für die Rückzahlung braucht, hängt jetzt davon ab, welchen Betrag er monatlich zahlt.
Weil die Zinsen aber auf jeden Fall bedient werden müssen, verlängert die Verdopplung des Zinssatzes seinen Zeitplan erheblich. "Derzeit werden mir alleine schon 200 Euro monatlich nur an Zinsen abgezogen, vor einem Jahr waren es noch knapp über 100 Euro. Wenn ich jetzt - sagen wir mal 300 Euro im Monat zurückzahlen wollen würde, wären das insgesamt schon 500 Euro pro Monat - das ist sehr, sehr viel Geld", sagt Daniel. Eigentlich wollte er den Kredit so schnell wie möglich abbezahlen, um die Schulden los zu werden und sich dann etwas eigenes aufzubauen. Abgeschlossen hat er ihn, weil er nach zwei Jahren im Studium seinen Anspruch auf Bafög verlor. Der KfW-Kredit sei damals die "einfachste Option" gewesen, die Zinsen lagen bei ungefähr 3,5 Prozent. "Damit, dass die mal so hoch werden wie jetzt, hätte damals niemand gerechnet", sagt Daniel.
Mehrere ehemalige Studentinnen und Studenten schilderten rbb|24 solche Fälle. Viele sind Ende 20, kommen gerade aus ihrem Studium, sind kurz vor oder nach dem Berufseinstieg und haben jetzt Sorgen um ihre (finanzielle) Zukunft. Einige überlegen, neue Kredite aufzunehmen, um den der KfW abzubezahlen oder sich eine Wohnung mit geringerer Miete zu suchen. Kurz: Sie haben einen erheblichen Nachteil durch ihre Bildungsfinanzierung - und der wird größer.
Clarissa, eine ehemalige Studentin, die schon mitten in der Rückzahlungsphase ist, sagt: "Es wäre was anderes, wenn ich jetzt einen Kredit aufgenommen hätte, weil ich über meine Verhältnisse leben wollte, aber fürs Studium? Das ist hart." Sie ist ohnehin schon in der Rückzahlungsphase und hat keine andere Wahl mehr. Ihr Zeitplan hat sich durch die sprunghaften Zinserhöhungen bereits jetzt um mindestens zwei Jahre verschoben, bleiben die Zinsen so hoch, könnten es noch mehr werden.
"Die aktuelle Zeit ist schlecht, aber die Zeit danach wird auch schlecht"
Manuel komt mit seinen zwei Nebenjobs und dem Kredit finanziell inzwischen besser über die Runden. "Jetzt hab ich mir immerhin genug Geld zusammen gespart, damit ich mir neue Schuhe kaufen kann oder mal draußen einen Döner essen kann", sagt er. Aber dafür arbeitet er jetzt auch 20 bis 30 Stunden in der Woche - zusätzlich zu seinem Studium. "Das merkt man dann in den Studien. Die Noten sind wirklich schlechter geworden", sagt Manuel.
Im April ist er fertig mit Studieren. Schnell besser wird es dann wohl nicht - das zeigen die Erfahrungsberichte von Menschen, die schon an der Schwelle zum Berufseinstieg sind. "Die aktuelle Zeit ist schlecht", sagt Manuel, "aber die Zeit,, die danach kommt, wird auch wirklich noch mal schlecht". Den Einstieg ins Berufsleben stellt er sich schon jetzt sehr schwierig vor, denn Manuel startet mit einer großen Hypothek - einer deutlich größeren als noch vor ein paar Jahren gedacht.
* Die Betroffenen, deren Fälle hier geschildert werden, wollten ihren vollen Namen nicht nennen, sie werden daher nur bei ihren Vornamen genannt.
Sendung: rbb24 Inforadio, 08.11.2023, 13.30 Uhr