Mitgliederforum zum Landesvorsitz - Wer rettet die Berliner SPD?
Drei Paare bewerben sich um den Vorsitz der Berliner SPD. Die Kandidierenden-Duos könnten unterschiedlicher kaum sein. Am Dienstag stellen sie sich erstmals gemeinsam den Mitgliedern vor. Die entscheiden im April darüber, wer die Partei künftig führt. Von Jan Menzel
Zwei Wahlkämpfe vergeigt. Eine Spitzenkandidatin, die mit ihren engsten Vertrauten wie ein Ufo in der Parteizentrale unterwegs ist, ohne rechten Kontakt zu den Mitarbeitenden und Funktionären. Eine Partei, die mehr mit sich selbst als mit der Stadt beschäftigt ist, zerrissen von Macht- und Grabenkämpfen. Zu diesen verheerenden Befunden kommen zwei Wissenschaftler, die von der Berliner SPD damit beauftragt wurden, die Lage der Partei nach den Wahlen von 2021 und 2023 zu analysieren.
Ihr knapp 50-seitiger Bericht wirft pünktlich zum Start des innerparteilichen Wettstreits um die neue Landesspitze ein Schlaglicht und liefert den konkurrierenden Bewerber-Duos einiges an Munition. Auch wenn man nicht so weit gehen muss, wie es von den Wissenschaftlern Befragte tun, die der SPD bescheinigen, sie sei "kaputt". Fest steht doch: Der Schock sitzt tief in der Partei, die fast ein Vierteljahrhundert die Regierenden Bürgermeister stellte und sich nun als Juniorpartner in einer Koalition mit der CDU wiederfindet.
Giffey tritt nicht an
Diesen Weg hatten die beiden amtierenden Landesvorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh nach dem miserablen Abschneiden bei der Wiederholungswahl eingeschlagen und dafür hatte ihnen eine knappe Mehrheit der Mitglieder in einem Basis-Votum das "Go" gegeben. Diese Partei-Basis soll nun auch entscheiden, mit welchen Landesvorsitzenden die SPD in eine bessere Zukunft startet.
Franziska Giffey wird zumindest in dieser Funktion nicht mehr dabei sein. Die Wirtschaftssenatorin hatte zu Jahresanfang viele überrumpelt, als sie erklärte, dass sie für eine erneute Kandidatur nicht zur Verfügung steht. Wobei es weniger die Tatsache als vielmehr der Zeitpunkt war, der überraschte. Dass Giffey an der Parteispitze keine Zukunft haben dürfte, hatte sich abgezeichnet, seit die SPD im Sommer 2023 auf einem Parteitag beschlossen hatte, die Häufung von Regierungs- und Parteiämtern in einer Hand zu begrenzen: In einer neuen Doppelspitze der Partei darf künftig nur noch einer oder eine gleichzeitig eine herausgehobene Funktion im Senat oder in der Fraktion haben.
Saleh und Lehmann
Dass dieser Beschluss eher Giffey als den Co-Vorsitzenden Raed Saleh treffen würde, war dabei zu erwarten. Saleh hat anders als die Neuköllner "Quereinsteigerin" Giffey, die nicht auf eine jahrelange Parteikarriere zurückblickt, ein umfassendes Netzwerk in der Berliner SPD geknüpft. Als Vorsitzender der Abgeordnetenhausfraktion sitzt er zusätzlich an den Hebeln der Macht. Und auch wenn er sich von allen Bewerbern am längsten Zeit gelassen hat, seine erneute Kandidatur zu erklären, gab es kaum Zweifel, dass es der Spandauer noch einmal wissen will.
Dafür hat sich Saleh mit der bis jetzt kaum bekannten Bezirkspolitikerin Luise Lehmann eine neue Partnerin an die Seite geholt. Die 27-jährige Neurochirurgin gilt einigen in der SPD als Nachwuchstalent. Zu ihren Schwerpunkten zählt sie die Gesundheitspolitik. Das Duo Saleh/Lehmann wird wohl versuchen, mit dieser Mischung aus langjähriger politischer Erfahrung auf der einen Seite und einem neuen Gesicht auf der anderen Seite bei den Mitgliedern zu überzeugen. Als inhaltliche Punkte geben beide auf ihrer Website an, dass sie die Demokratie stärken, den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern und die SPD wieder zum "starken Rückgrat" Berlins machen wollen.
Hikel und Böcker-Giannini
Einen inhaltlichen, kulturellen und personellen Neuanfang wollen dagegen Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel und die ehemalige Sport-Staatssekretärin Nicola Böcker-Giannini mit ihrer Bewerbung machen. Beide sehen – ähnlich wie die Wissenschaftler in ihrem Bericht – die Berliner SPD in einer tiefen Krise. Die Partei habe das Diskutieren verlernt, es mangele am fairen Umgang miteinander und zu viele Entscheidungen würden in Hinterzimmern getroffen, kritisieren sie.
Hikel und Böcker-Giannini werden ähnlich wie die scheidende Landesvorsitzende Franziska Giffey dem pragmatisch-konservativen Parteiflügel zugerechnet. Beide sagen, dass sie die SPD wieder stärker an den Interessen "unserer Kernwählerschaft, der arbeitenden Bevölkerung" ausrichten wollen.
Niroomand und Bertels
Auch die beiden Partei-Linken Kian Niroomand und Jana Bertels wollen mit ihrer Kandidatur der SPD einen Neustart verpassen und sie als "Großstadtpartei neu erfinden". Noch schärfer als Hikel und Böcker-Giannini gehen der SPD-Kreischef von Charlottenburg-Wilmersdorf und die Vorsitzende der SPD-Frauen mit der bisherigen Parteiführung ins Gericht. Die SPD müsse weg von einer "Kultur des unbedingten Machterhalts" und brauche Genossinnen und Genossen an der Spitze, die sich "demütig, leidenschaftlich und uneigennützig" in den Dienst der Partei stellen.
Mit Skepsis blicken beide auf die Koalition mit der CDU. Für die SPD sei es in dieser Koalition besonders wichtig, als Partei erkennbar zu bleiben und eine eigene Stimme jenseits von Fraktion und Senat zu haben.
Mitglieder stimmen im April ab
Am Dienstagabend werden sich die drei Kandidierenden-Duos erstmals gemeinsam den Mitgliedern vorstellen und diskutieren. Die Landes-SPD hat dafür das große Atrium im Willy-Brandt-Haus, der Zentrale der Bundespartei, reserviert. Im April wird es ein zweites Aufeinandertreffen am selben Ort geben. Weitere Mitgliederforen sind online und organisiert durch die Kreisverbände geplant.
Von Anfang bis Mitte April können alle Mitglieder der SPD online oder per Brief darüber abstimmen, wer die Berliner SPD künftig führen soll. Erhält kein Duo die erforderliche absolute Mehrheit, kommt es Mitte Mai zur Stichwahl der beiden Bestplatzierten.
Sendung: rbb24 Inforadio, 08.03.2024, 13:00 Uhr