Niedergörsdorf (Teltow-Fläming) - Kinder an die Macht

Di 02.07.24 | 12:23 Uhr | Von Alexander Goligowski
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Niclas (16) Leonie (13) und Luana (16) sind der neue Junior-Ortsbeirat von Blönsdorf.(Quelle:rbb/A.Goligowski)
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Audio: rbb24 Inforadio | 26.06.2024 | Alexander Goligowski | Bild: rbb/A.Goligowski

Brandenburgs Kommunalverfassung schreibt vor: Kinder müssen an Entscheidungen beteiligt werden, die auch ihr Leben betreffen. Strukturen dafür gibt es aber kaum. In Niedergörsdorf durften Kinder nun aber eigene Vertreter wählen. Von Alexander Goligowski

Den großen Spielplatz von Blönsdorf (Teltow-Fläming), einem Ortsteil von Niedergörsdorf, muss ich als Außenstehender erstmal finden. Er liegt nicht an der Hauptstraße, wie der Dorfladen. Dort kann mir aber die Verkäuferin helfen und sie weiß auch schon, dass ich erwartet werde. Blönsdorf ist klein, hat nur 150 Einwohner, 30 davon sind Kinder.

Toll ausgestattet ist der Spielplatz - allerlei Klettergerät gibt es, einen Bolzplatz, ein Volleyballnetz, Sitzgelegenheiten für die Eltern. Ich blicke in 20 strahlende Gesichter, darunter drei Jugendliche. Leonie (13), Luana (16) und Niclas (16) sind der neue Junior-Ortsbeirat von Blönsdorf. Sie setzen sich ab sofort für die Kinder ihres Ortes ein. Die Erwachsenen am Tisch sind unheimlich stolz auf das Trio.

Kinder haben nun Ansprechpartner

Luana Dümiche ist die Junior-Ortsvorsteherin. Ich spreche sie an und bemerke sofort die Begeisterung und Einsatzbereitschaft. Die Themen sprudeln nur so heraus. Es geht um Zebrastreifen vor der Schule, neue Spielgeräte für den Spielplatz und einen Jugendraum wirft Niclas Strobach ein: "Der wurde uns damals abgerissen mit dem Versprechen, wir kriegen einen neuen", erklärt der Stellvertreter von Luana. Er will jetzt mit seinen beiden Mitstreiterinnen in neuer Verantwortung mehr Druck machen.

Selbstbewusst gehen sie die Aufgabe mit dem Rückhalt der 30 Blönsdorfer Kinder an. Sie berichten von der Freude der Kinder, jetzt Ansprechpartner zu haben. "Der ein oder andere hat halt mehr Vertrauen zu uns als zu den Eltern", zumindest wenn es um Kinderthemen geht, glaubt Leonie Tampe. Ihre Mutter ist die Ortsvorsteherin von Blönsdorf, von ihr will sich die 13-Jährige auf politischer Ebene ein paar Sachen abgucken. Wie die Junioren mit der eigentlichen Ortsvorsteherin zusammenarbeiten werden, dass muss sich noch finden. Eine Blaupause gibt es nicht. Hier wird Pionierarbeit in der Kinderbeteiligung geleistet.

5.000 Euro Budget für Junior-Ortsbeirat

Ich muss mich nicht lange mit dem Dreier-Team unterhalten, um zu begreifen, was ihr Antrieb ist. Es hat mit Corona zu tun und dem, was durch die Zeit der Pandemie für Kinder verloren gegangen ist. Viele haben sich vereinzelt. Die gemeinsame Zeit auf dem Spielplatz ist weniger geworden. "Das macht keinen Spaß zu sehen, wie die Kinder zu Hause vor dem Handy sitzen. Wir wollen, dass die Kinder endlich wieder glücklich werden", sagt Luana und Niclas ergänzt: "Wir alle haben kleinere Geschwister und die sollen auch mit so einer schönen Kindheit aufwachsen, wie wir sie vor Corona hatten, Freunde finden, Spaß haben. Dafür setzen wir uns ein, dass das Dorf langfristig zusammenhält."

Es geht ihnen nicht um sich selbst. Luana wird demnächst ihre Ausbildung in der Landwirtschaft anfangen, Niclas macht Abitur und Leonie geht weiter aufs Gymnasium. Ihre Kindheit ist bald vorbei. Zwei Jahre werden sie ihren ehrenamtlichen Job als Junior-Ortsbeirat machen. 5.000 Euro Budget haben sie dafür. Das ein oder andere Fest ist von dem Geld schon in Planung. Was sie dabei so alles lernen, frage ich. "Argumentieren, mit Erwachsenen streiten, politische Arbeit", antwortet das Trio.

18 Kinder stellten sich zur Wahl

Und sie lernen, "dass man mit öffentlichen Geldern haushalten muss", erklärt Niedergörsdorfs Bürgermeisterin Doreen Boßdorf (parteilos), die mit in der Spielplatzrunde sitzt: "Man muss mit den Kindern reden, dann verstehen sie auch, dass nicht alle Wünsch erfüllbar sind." Aber zu oft wird die Verwaltungschefin die Kinder Stand jetzt ohnehin nicht enttäuschen müssen. "Die haben nicht solche Riesenwünsche, die völlig utopisch sind", sagt die Bürgermeisterin: "Dann lernen sie, wenn sie dranbleiben und sich engagieren, dass sie etwas für ihren Ort erreichen können."

Das ist wohl die wichtigste Botschaft, die von dem einzigartigen Projekt ausgeht, das mit den Wahlen im April startete. Rosalie Richter, die Sozialarbeiterin der Gemeinde, hat sich das System überlegt, hat geschaut, wo es in Deutschland Vorbilder gibt, aber in ländlichen Gemeinden mit vielen Ortsteilen hat es noch niemand probiert. Über die Schulen hat die Gemeinde die Junior-Ortsvorsteherwahl bekannt gemacht. Der Rücklauf überraschte alle. 18 Kindern stellten sich zur Wahl und die Wahlbeteiligung "kann sich sehen lassen", berichtet Rosalie Richter.

Wahlrecht ab 6 Jahren

Knapp zwei Monate sind die Kinder und Jugendlichen jetzt im Amt, aber eine Sache wurde bereits umgesetzt: Auf Anregung der Kinder gibt es jetzt einen Ortsplan, der den Kindern zeigt, in welchem Ortsteil welche Spielmöglichkeiten bestehen und welche Vereine es gibt. "Es ist zwar nur eine Kleinigkeit", sagt Rosalie Richter. Aber sie finde es schön, "dass wir den Kindern nach so kurzer Zeit schon zeigen konnten, dass sie gehört werden."

In 8 von 22 Ortsteilen hat Niedergörsdorf jetzt Junior-Ortsbeiräte. Die Hoffnung ist, dass in zwei Jahren alle Ortsteile offizielle Kindervertreter haben. Wählen dürfen alle Kinder und Jugendlichen im Alter von 6 bis 17 Jahren. Gewählt werden dürfen alle zwischen 9 und 17 Jahren. "Es könnten die Ortsvorsteher von morgen werden", meint Bürgermeisterin Doreen Boßdorf. Nachwuchs bei den Kümmerern in den Dörfern wird auf jeden Fall gebraucht. Erstmals nach einer Kommunalwahl konnten in der Gemeinde nicht alle Ortsbeiräte besetzt werden.

Junior-Ortsbeirat von Blönsdorf sitzt an einem Tisch.(Quelle:rbb/A.Goligowski)Blönsdorfer Junior-Ortsbeirat im Gespräch

Niedergörsdorf als Vorbild?

Und was lernen die Erwachsenen in dem Projekt? "Vorher haben wir natürlich auch schon Beschlüsse gefasst, die auch Kinder angehen", sagt die Bürgermeisterin. Wenn es um Radwege oder sogar Schule ging, wäre man vorher aber kaum auf die Idee gekommen, in die Ortsteile zu den Kindern zu gehen, blickt Doreen Boßdorf zurück. "Jetzt werden wir auch dahin geschubst, zu erkennen, dass die Kinder auch interessante Meinungen haben und es sich lohnt, sie bei vielen Dingen mit einzubeziehen."

Ich verlasse den Spielplatz, blicke noch einmal zurück und sehe, dass noch angeregt weiterdiskutiert wird zwischen Erwachsenen und Jugendlichen über Jugendthemen. Vielleicht kann die ländliche Flächengemeinde Niedergörsdorf ein Vorbild in Sachen Kinderbeteiligung werden, denke ich, als das Ortsschild von Blönsdorf im Rückspiegel verschwindet.

 

Sendung: rbb24 Inforadio, 26.06.2024, 17:50 Uhr

Beitrag von Alexander Goligowski

3 Kommentare

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  1. 3.

    Hatte Grönemeyer etwa 'ne Vorahnung? ;-)

  2. 2.

    Kinder wollen nicht wirklich an die Macht. Kinder benötigen Unterstützung von der Politik- Macht.
    Kinder wollen, dass man ihnen zuhört, dass ihre Interessen ernst genommen werden.
    Kinder wollen nicht, dass Erwachsene ihnen alles ungefragt in den Mund, auf den Tisch legt. Sie wollen und (sollen) mitbestimmen können auf ihre Art je nach Alter. Jedes Alter das sprechen kann hat seine Berechtigung Meinungen abzugeben. Gute Erziehung gehört selbstverständlich weiterhin dazu. Mir fällt auf bei diesen Projekt in den kleinen Dorf, dass "Vertreterinnen" mit hoher Mehrzahl sich befinden. Das *in ist bei allen die mithelfen wollen im Artikel auffällig. Vergesst vor lauter Freude nicht über das Projekt die männlichen Vertreter.

  3. 1.

    Holt Euch Eure Zukunft, unterschreibt bei der Zukunftsklage online bei greenpeace. Und hört nie wieder auf, die Jugend einzubeziehen, auch wenn ihr dann mal älter seid!

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