Erste Bilanz in Berlin - 100 Tage Verkehrssenatorin Ute Bonde: "Man nimmt sie kaum wahr"
Am 23. Mai trat Ute Bonde die Nachfolge von Manja Schreiner als Verkehrs-, Umwelt- und Klimaschutzsenatorin in Berlin an. Seitdem allerdings ist die Nahverkehrsexpertin mit CDU-Parteibuch eigentlich nur einmal wirklich aufgefallen. Von Thorsten Gabriel
Vielleicht ist der 10. Juni 2024 für Ute Bonde der bislang wichtigste Tag ihrer noch jungen Amtszeit als Berliner Verkehrssenatorin. Zumindest war es ein Tag, der für die 57-Jährige eine steile Lernkurve nach sich zog – quasi einen Crashkurs zur Frage, was man als CDU-Politikerin in Berlin laut sagen oder denken darf und worüber man tunlichst schweigen sollte.
Gerade mal zweieinhalb Wochen nachdem Bonde ihren Amtseid im Abgeordnetenhaus gesprochen hatte, saß sie an jenem Dienstag auf einem Kongresspodium bei der Berliner Industrie- und Handelskammer. Offenherzig skizzierte sie dort, über welche Wege der öffentliche Nahverkehr künftig mitfinanziert werden könnte. Man müsse in eine Diskussion über eine "dritte Finanzierungssäule" kommen, mahnte Bonde und bewegte sich damit in der Terminologie von Grünen, Linken und Umweltverbänden, die diese Debatte bereits vor Jahren angestoßen hatten.
Bonde hatte auch zugkräftige Beispiele parat: In Wien etwa zahlten Unternehmen für ihre Beschäftigten eine Abgabe, mit der der U-Bahn-Bau mitfinanziert werde. Auch höhere Parkgebühren könnten eine Möglichkeit sein oder – bekanntlich ein ganz heißes Eisen – eine City-Maut, wie es sie anderswo auf der Welt, etwa in London, Mailand oder Oslo, schon seit Jahren gibt.
Unternehmensabgabe, höhere Parkgebühren, City-Maut
Weil allein schon der erste Punkt geradezu revolutionär klang, hakten Medien bei der frischgebackenen Senatorin hinterher nochmal nach: Eine Unternehmensabgabe wäre eine Option? "Wir müssen die Arbeitgeber da mehr in die Verantwortung nehmen", bekräftigte Bonde daraufhin etwa im "Tagesspiegel" [Bezahlinhalt]. Da meint es eine aber ernst, konnte man den Eindruck gewinnen.
Keine 24 Stunden später waren die Gedankenspiele allerdings schon wieder weitgehend abgeräumt. Eine Arbeitgeber-Abgabe passe nicht zu Berlin, weil Unternehmen nicht abgeschreckt werden sollten, und eine City-Maut komme aus sozialen Gründen nicht infrage, sagte Bonde dem rbb.
CDU-Fraktion zeigt Bonde, wer die Macht hat
Zwischen dem Kongress und dem Zurückrudern lag unter anderem ein Gespräch mit dem verkehrspolitischen Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Johannes Kraft. Der machte nicht mal ein Geheimnis daraus, die Senatorin zurückgepfiffen zu haben, auch wenn er es so nicht verstanden wissen wollte. "Ich habe ihr gesagt, dass das Thema dritte Finanzierungssäule negativ konnotiert ist in der Fraktion und dass es bei Parkgebühren noch nicht an der Zeit ist, über höhere Gebühren zu sprechen", sagte Kraft seinerzeit dem "Tagesspiegel" [Bezahlinhalt]. Volkstümlich ausgedrückt: Aus dem operativen Machtzentrum der CDU heraus wurde der politisch unerfahrenen Bonde auf kurzem Dienstwege gezeigt, wo der Hammer hängt.
Seitdem ist es auffällig still geworden um die neue Senatorin. "Ich möchte gestalten und zur Entwicklung Berlins beitragen", hatte die Juristin noch am Tag ihrer Ernennung und Vereidigung der rbb24 Abendschau gesagt. Doch 100 Tage später vermissen Verkehrs- und Umweltverbände genau das bei ihr.
Bonde will niemandem ein Verkehrsmittel vorschreiben
"Ute Bonde ist angetreten mit dem Versprechen, den ÖPNV und die Radwege in Berlin auszubauen", erinnert Milena Rauhaus vom Verein Changing Cities an erste Äußerungen Bondes. Dass stattdessen nun der Bau von Radschnellwegen gestoppt wurde und die Berliner Verkehrsbetriebe krisengeschüttelt ihr Angebot nicht ausweiten können, löst aus Rauhaus' Sicht dieses Versprechen vorerst nicht ein.
Mantraartig hatte Bonde außerdem seit Beginn ihrer Amtszeit das Motto des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner (CDU) wiederholt, das Gegeneinander im Verkehr auflösen zu wollen und ein neues Miteinander zwischen allen Fortbewegungsarten zu fördern. Ob dafür nicht Straßenraum, der bislang für Autos da ist, eher dem Rad- und Fußverkehr zugeschlagen werden müsste, auf diese Frage hatte Bonde dabei stets ausweichend reagiert. Sie wolle niemandem vorschreiben, wie man sich fortbewegen solle.
"Bisher ist sie bei uns noch nicht großartig in Erscheinung getreten"
"Es wird gern das Fahrrad gegen das Auto ausgespielt, aber das ist eigentlich Quatsch", hält Milena Rauhaus dagegen. "Denn mit jedem sicheren Radweg, der in Berlin gebaut wird, steigen mehr Menschen aufs Fahrrad um. Das entlastet sogar diejenigen, die täglich mit dem Auto fahren und es entlastet auch den ÖPNV."
Richtig beurteilen, wofür Ute Bonde als Senatorin nun wirklich steht, fällt nicht nur dem Verein Changing Cities schwer. "Wo ist Ute Bonde?", hatte der Verein eine Pressemitteilung zur 100-Tage-Bilanz überschrieben. Ganz ähnlich geht es auch dem Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). "Bisher ist sie bei unseren Themen noch nicht großartig in Erscheinung getreten", stellt BUND-Landesgeschäftsführerin Gabi Jung ernüchtert fest. "Trotz Sommerpause hätten wir uns mehr Engagement für Klima- und Umweltschutz gewünscht. Bisher ist noch völlig unklar, in welche Richtung die Senatorin agiert."
Auch im Abgeordnetenhaus stößt man bei den Fachpolitiker:innen der Oppositions- und in Teilen auch der Regierungsfraktionen auf Ratlosigkeit, wenn man nach Bondes Bilanz fragt. Allzu viele persönliche Kontakte zwischen der Senatorin und den Abgeordneten, aus denen sich Rückschlüsse ziehen lassen könnten, gab es, wie man hört, noch nicht. "Man nimmt sie kaum wahr", formuliert es jemand.
Was bleibt von Klima- und Verkehrsprojekten in Zeiten des Sparens?
Fest steht: Bondes Ressorts gehören zu den wichtigsten im politischen Betrieb. Klimaschutz und Verkehrswende lassen sich kaum getrennt denken. In beiden Bereichen sollten hohe Summen investiert werden – doch mittlerweile stehen alle Signale auf Sparen und das eigentlich angedachte milliardenschwere "Klima-Sondervermögen" ist wegen rechtlicher Bedenken abgeräumt worden. Weshalb sich manche durchaus besorgt fragen, ob die politische Quereinsteigerin Ute Bonde, die in der Berliner CDU ansonsten nicht weiter verwurzelt ist, über ausreichend Macht verfügt, damit Klima- und Verkehrspolitik bei den nächsten Sparrunden nicht hinten runterfallen.
Der Regierende Bürgermeister hatte unlängst schon bekundet, wo seine Prioritäten bei künftigen Ausgaben liegen werden. Bondes Bereiche waren nicht dabei. Stattdessen dachte Wegner laut darüber nach, bei den Verkehrsverträgen mit BVG und S-Bahn zu kürzen. Es dürfe "keine Denkverbote" geben.
Keine Denkverbote. Vielleicht hat Ute Bonde da gelacht und laut "City-Maut" gerufen, als sie Wegner diesen Satz sprechen hörte. Oder aber ihr wurde ein weiteres Mal bewusst, dass der anstrengendste Teil ihrer politischen Arbeit gerade erst begonnen hat.
Sendung: rbb24 Abendschau, 31.08.2024, 19:30 Uhr