Bundesweiter Warntag - Berlin ist weiterhin nicht ausreichend auf den Katastrophenfall vorbereitet

Do 12.09.24 | 06:14 Uhr | Von Sabine Müller
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Symbolbild:Katstrophenschutz im Einsatz, Übung der Berliner Feuerwehr mit dem Katastrophenschutz Berlin Charlottenburg Berlin.(Quelle:imago images/A.Friedrichs)
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Audio: rbb|24 Abendschau | 12.09.2024 | Agnes Sundermeyer / Christian Hochgrebe / Sascha Hingst | Bild: imago images/A.Friedrichs

Vor einem halben Jahr wurde im Abgeordnetenhaus deutlich, dass Berlin beim Bevölkerungsschutz große Defizite hat. Die zuständigen Behörden versprachen Besserung. Doch nicht nur an Sirenen mangelt es weiterhin. Von Sabine Müller

Am 18. März 2024 trat ein erstaunlich selbstkritischer Innen-Staatssekretär Christian Hochgrebe (SPD) im zuständigen Ausschuss auf. Seit 1990 seien Zivil- und Katastrophenschutz in der Hauptstadt "etwas aus dem Blick geraten", räumte er ein und kam letztlich zu dem eher beängstigenden Fazit, Berlin befinde sich "nicht mehr ganz am Nullpunkt".

Knapp sechs Monate später stand Hochgrebe zu Beginn dieser Woche erneut Rede und Antwort im Ausschuss und klang deutlich positiver. Es sei gut, sagte er, dass man das Thema jetzt intensiv in den Blick nehme und damit "signifikant das Ruder rumgerissen" habe.

Statt eines Landesamts gibt es erstmal nur ein Referat

Als Positiv-Beispiel nannte Hochgrebe das neue "Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz und Krisenmanagement" (KBK), das die Zuständigkeiten der insgesamt 36 unterschiedlichen Katastrophenschutz-Behörden im Land Berlin koordinieren soll. Seit dem 1. September 2024 gibt es das KBK als Referat in der Innenverwaltung, noch sind aber erst fünf der geplanten 24 Stellen fest besetzt.

Zum Januar 2025 solle das Zentrum dann "in den operativen Betrieb gehen", schreibt die Innenverwaltung von Iris Spranger (SPD) dem rbb, was übersetzt heißt: richtig die Arbeit aufnehmen.

Versprechen also gehalten? Nicht ganz, denn eigentlich war immer die Rede davon, ein Landesamt für Katastrophenschutz einzurichten, also eine eigenständige Behörde. Das bleibe perspektivisch auch das Ziel, verspricht der Innenstaatssekretär, aber um schneller aus dem Planungsstadium hin zum "doing" zu kommen, wurde als Vorstufe das KBK gegründet.

"Wir sind leider nicht da, wo wir sein wollten"

In einem anderen Punkt muss Hochgrebe einräumen, dass es nicht so läuft wie geplant. "Darauf bin ich nicht stolz." Es geht um die Warnsirenen, die neben Apps, "Cell Broadcast" sowie Radio und Fernsehen die Bevölkerung im Katastrophenfall akustisch warnen sollen.

Seit 2022 kündigt die Innenverwaltung regelmäßig an, zum Jahresende sollten alle versprochenen Sirenen aufgebaut sein. Unter anderem Lieferschwierigkeiten während der Corona-Pandemie und statische Probleme führten dazu, dass dieses Ziel bisher immer gerissen wurde. Auch in diesem Jahr scheint eine Umsetzung praktisch ausgeschlossen, wenn man die Zahlen betrachtet.

Im Vergleich zum März stehen zwar mehr Warnsirenen auf den Berliner Dächern (plus 72), allerdings sind es bisher nur 290 von 450 geplanten. Als "einsatzbereit" stuft die Innenverwaltung 238 Sirenen ein. Aber auch diese werden am bundesweiten Warntag nicht zu hören sein, weil das "vom Bund für die Ansteuerung der Sirenen bereit zu stellende bundesweite Modulare Warnsystem noch nicht verfügbar" sei, so die Innenverwaltung. Sie geht davon aus, dass die erforderliche Schnittstelle zum Digitalfunk im Warnsystem "nicht vor Ende 2025" bereitgestellt wird.

Selbst aus der schwarz-roten Koalition kommt scharfe Kritik. "Außerordentlich unbefriedigend" nennt CDU-Innenexperte Burkard Dregger die Lage gegenüber dem rbb. "Ich erwarte einfach, dass deutsche Ingenieure in der Lage sind, diese Dinge scharf zu schalten." Der Linken-Abgeordnete Niklas Schrader spricht von einem "Armutszeugnis", die Sirenensituation zeige beispielhaft, dass es beim Katastrophenschutz in Berlin "viel zu langsam" laufe.

Nicht genug Wasser für alle

Ausbaubedürftig ist aktuell auch die Wasserversorgung im Katastrophenfall. In Berlin gibt es laut Umweltverwaltung insgesamt 2.091 Notwasserbrunnen, gut 1.600 davon funktionstüchtig. Anzahl und Funktionsfähigkeit seien "aktuell nicht ganz ausreichend, um den Trinkwasserbedarf der gesamten Berliner Bevölkerung abzudecken", schreibt die Verwaltung dem rbb. Sie betont aber, es würden "ergänzende Maßnahmen geplant, um im Katastrophenfall alle Berlinerinnen und Berliner mit Trinkwasser versorgen zu können".

Aus den Bezirken, die auf eine rbb-Anfrage antworteten, ist kein Alarmismus zu hören. Pankow nennt einen vollständigen Ausfall der leitungsgebundenen Trinkwasserversorgung "sehr unwahrscheinlich", Friedrichhain-Kreuzberg zeigt sich sicher, dass die Brunnen "ausreichend Wasser" fördern und Tempelhof-Schöneberg schreibt, die Bevölkerung sei "gut versorgt".

Nicht alarmiert, aber durchaus sorgenvoll klingt Treptow-Köpenick. 94 funktionierende Brunnen gibt es dort, der Bedarf wird aber mit 147 angegeben. Der Bezirk geht davon aus, dass für den Bau neuer Brunnen und die Sanierung der älteren 7,1 Millionen Euro benötigt würden.

Nur knapp 40 Prozent der Anlaufstellen sind einsatzbereit

Auf der Berliner Katastrophenschutz-Website [berlin.de] findet sich in einem der ersten Artikel dieser Satz: "Aktuell planen die Bezirke 37 behördlich betriebene Katastrophenschutz-Leuchttürme und 147 ehrenamtlich besetzte Katastrophenschutz- Informationspunkte." Diese Leuchttürme, etwa in Rathäusern oder Schulen angesiedelt, werden nur in Gefahrenlagen geöffnet und sind Anlaufstellen für Bürgerinnen und Bürger, die Informationen brauchen oder Strom zum Handyladen und funktionierendes Internet.

Laut Innenverwaltung sind zurzeit 14 der geplanten 37 behördlichen Katastrophenschutz-Leuchttürme in vier Bezirken einsatzbereit. "Weitere Bezirke folgen", heißt es. Wann dies passieren soll, schreibt die Veraltung dem rbb nicht.

Die Hauptstadt hat Nachholbedarf

Unabhängig davon, um welche Katastrophen es geht, - ob Großbrände, Stromausfälle, ein schwerer Chemieunfall oder anderes - hat Berlin noch Nachholbedarf beim Bevölkerungsschutz. Die Liste der noch zu erledigen Aufgaben bleibt lang und die Situation schwierig, vor allem vor dem Hintergrund der klammen Haushaltslage.

Sendung: rbb|24 Abendschau, 12.09.2024, 19:30Uhr

Beitrag von Sabine Müller

65 Kommentare

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  1. 65.

    Hallo Heiko,

    endlich mal jemand der sagt was Sache ist und Ahnung hat!
    <Ironie Ende>
    Natürlich konnten die Köpenicker in der Zeitung lesen, dass der Strom weg war, davon kam er aber auch nicht wieder. Im Ahrtal hat der DWD acht Stunden vorher gewarnt, es hat im Radio und TV nur niemand weiter gegeben.
    Haben Sie eine Haftpflicht- oder Hausratversicherung? Wozu, man braucht doch bloß niemanden zu schaden oder immer zuhause bleiben, damit keiner was klaut, dann sind sie doch entbehrlich. Wirklich?

  2. 64.

    Nach meiner Meinung werden hier mal wieder Steuergelder verschwendet. Wir brauchen solch einen Katastrophenschutz nicht. Die Sicherheit kann anders gewährleistet werden. Zum Beispiel durch regelmäßige Kontrollen von Orten, die eine Gefahr für die Bevölkerung sein könnten (vor allem Chemiebetriebe). Die Bürger hören oder lesen in der Regel Nachrichten. Dort kann man ausreichend über alle möglichen Gefahren informieren (Unwetter, Waldbrände etc.). Ansonsten merkt der Bürger ja, ob die Luft nach Rauch riecht oder der Strom ausgefallen ist. Mir erscheint dieser kostspielige Katastrophenschutz unnütz, verspielt und durch private Interessen inszeniert.

  3. 63.

    Wer regierte vor dem jetzigen Senat? Rot/Rot/Grün.....so schnell, kann man deren Versäumnisse nicht "reparieren".

  4. 61.

    Die Probewarnung hat erst mal funktioniert u man konnte auch schnell den erlösenden Ausschaltbutton finden.
    Wenn derart broad-castíng soweit geht, wünsche ich mir im Falle des Falles, -- von dem ich natürlich gar nicht hoffen möchte, dass er uns ereilt --- wo man die nächste Anlauf-/Schutzstelle finden kann. Die Sirenen sind (teures) Beiwerk, wenn die Handys nicht funktionieren (sollten). Schon wichtig, aber aus Sicht der Bürger andere Fr., v.a. nach Altersklassen bezogen; Wo man Schutz/Informationen findet, usw. Vielleicht geben die sehr oft nach Kiew reisenden Politiker Hinweise derart. Denn das die U-Bahn-Schächte, falls überhaupt eine Station in der Nähe ist, Schutz bieten, da wäre ich eher skeptisch: Keine gute Idee! Und auch angesichts unserer bekannten Probleme mit Instandsetzung u.Projektförderung im www-Ausland, sollten wir auch in den Blick auf unsere Möglichkeiten richten dürfen. Erzählt wird viel von der reichen BRD, aber nach >43 Arb. jahren - eher nicht!

  5. 60.

    sehr gu formuliert,,,aber, was erwartet man nach der Zeit>>> rot/rot/grün.

  6. 58.

    Bei all der berechtigten Kritik am Katschutz in Berlin: Das ist nichts Neues. Wir wissen das seit Jahren. Deshalb ist doch die entscheidende Frage: Was ist die Konsequenz für den Einzelnen? Sich selbst vorbereiten, Vorräte, insbesondere Wasser, anlegen? Mich wundert das der Berliner Senat nicht jedesmal bei so einer Meldung explizit darauf hinweist.

  7. 57.

    ja du meine Güte, wie soll Berlin denn auf den Notfall (egal, welchen) vorbereitet sein? Berlin ist ja seit Jahrzehnten noch nicht einmal auf die Erledigung schlichtester Alltagsangelegenheiten vorbereitet. Die Stadt selbst und ihre Verwaltung sind ihr eigener und größter Notfall. Eigentlich müssten hier von morgens bis abends die Sirenen heulen.

  8. 56.

    "...zählt eigentlich Köpenick noch zu Berlin?..."
    Ja. Im Gegensatz zu Spandau.

  9. 55.

    Haben Sie wirklich nicht verstanden, was ich eigentlich meinte? Natürlich können Sie sich dazu äußern, das finde ich sogar richtig und wichtig. Es wäre nur schön, wenn es dann auch umgekehrt funktionieren würde. Ich finde übrigens die meisten Ihrer Kommentare richtig gut, das nur mal so nebenbei ;-). Deswegen hatte ich mich ja auch über Ihren Kommentar, den ich nochmal zitiert habe, so gewundert. Und was dieses hier Thema anbelangt, sind Sie wahrscheinlich in Brandenburg wirklich noch besser ausgerüstet, gar keine Frage.

  10. 53.

    Ist die Katastrophe schon da?
    Ich geh mal jetzt zum Briefkasten, ach ne, Post kommt ja heute nicht.

  11. 51.

    .....und jeder wusste Bescheid und ist nicht vor Schreck aus den Pantoffeln gesprungen,gehörte einfach zum Alltag.

  12. 50.

    Warum sollte sich Berlin auf einen Katastrophenfall vorbereiten? Berlin ist der Katastrophenfall.

  13. 49.

    ...Berlin kriegt NIX hin...und trotzdem stehen alle Schlange ...warum wohl ? weil die da vorne, ganz gleich welcher Senat regiert, NIX hinbekommen... wer hätte es denn auch anders erwartet

  14. 48.

    "Das ist der Sinn von Katastrophenmeldungen, dass sie auch jeder 'Jens' bei lautlosem Telefon hört!"
    Ich finde das belästigend. Zudem es so laut ist, dass es beim letzten Mal Stunden gedauert hat, bis mein Herzschlag wieder auf normalem Niveau war.
    Wie konnte ich überhaupt das biblische Alter von 62 Jahren erreichen ohne Alarmkram?
    Zum Glück kann man das Gedöns auf meinem Smartphone abschalten. Plus Flugmodus. Sicher ist sicher.

  15. 47.

    Straßen woke umbenennen, aber die Basics nicht hinbekommen.
    Dit is Berlin.

  16. 46.

    Sicher ist Katastrophenschutz immer eine kommunale Angelegenheit. Aber warum sollten wir in Brandenburg nicht auch mal schildern oder aus Erfahrungen erzählen, wie es besser geht?

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