Gedenken an friedliche Revolution '89 - Scholz räumt "westdeutsche Ignoranz" nach der Wende ein

Mi 09.10.24 | 17:21 Uhr
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Mahnwache vor der Ost-Berliner Gethsemanekirche am 09.10.1989, die aus Protest gegen die Inhaftierung von Teilnehmern der wöchentlichen Friedensandacht in der Leipziger Nikolaikirche sowie weitere Verhaftungen in Ost-Berlin und Potsdam stattfand. (Quelle: Picture Alliance/epd/Bernd Bohm)
Audio: rbb24 Inforadio | 09.10.2024 | Sabine Dahl | Bild: Picture Alliance/epd/Bernd Bohm

Bei den Feierlichkeiten zum 35. Jahrestag der friedlichen Revolution in der DDR hat Bundeskanzler Olaf Scholz eingeräumt, dass nach der Wende viele Fehler gemacht worden sind. "Ich möchte das hier ganz klar sagen - zu den Enttäuschungen und Narben der Umbruchjahre hat auch die Selbstgewissheit der westdeutschen Republik beigetragen", sagte der SPD-Politiker bei einem Festakt im Leipziger Gewandhaus.

Ostdeutsche Bürgerinnen und Bürger hätten in den Jahren nach der Wiedervereinigung westdeutsche Ignoranz zu spüren bekommen. "Der Mangel an Respekt hinterlässt Narben, auch das gehört hierher, 35 Jahre danach", sagte Scholz. Doch diese Erkenntnis nütze nichts, wenn sie nicht Ansporn sei, es künftig besser zu machen. "Wir sind ein Volk - trotz aller Schwierigkeiten, trotz aller Fehler, trotz aller Widerstände", sagte der Bundeskanzler.

"Wunder von Leipzig" vor 35 Jahren

Leipzig erinnert jedes Jahr an den 9. Oktober 1989, als eine große Montagsdemonstration zu einem Meilenstein im Wendeherbst wurde. Rund 70.000 Menschen stellten sich mit den Rufen "Keine Gewalt" und "Wir sind das Volk" den Sicherheitskräften entgegen. Vier Wochen später fiel die Mauer, nachdem es auch in anderen Städten der DDR Massenproteste gegeben hatte.

Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung nannte es das "Wunder von Leipzig", dass der 9. Oktober 1989 gewaltfrei geblieben ist. Zugleich betonte er, der Blick müsse auch nach vorn gerichtet werden. "Es muss gelingen, Erinnerung nicht nur festzuhalten, sondern mit ihr in neue Zeiten zu gehen", sagte der SPD-Politiker.

Auch Leipzigs Stadtchef wies darauf hin, dass der Umbruch 1989 unerwünschte Folgen gehabt hat. "Die Veränderungen nach der friedlichen Revolution schufen Möglichkeiten und Verwerfungen, Chancen und Risiken, Erfolge und Misserfolge", sagte Jung. Aber es bleibe der Auftrag von 1989, die Freiheit und Menschenwürde, die Selbstbestimmung und die Demokratie zu verteidigen.

Gedenken in Berlin am Abend

Auch in Berlin wird an die Proteste erinnert - mit einer Andacht in der Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg um 18 Uhr, dem Schlüsselmoment der Friedlichen Revolution und anschließendem Glockengeläut.

Die Gethsemanekirche war eines der Informationszentren der Revolution. Im Gemeindebüro gab es ein ständig besetztes Telefon, das den Kontakt zu anderen oppositionellen Gruppen herstellte und Nachrichten über Proteste sammelte und weiterleitete. Die Kirche wurde bekannt durch das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen friedliche Demonstranten am 7. Oktober 1989.

Sendung: rbb24 Inforadio, 9.10.2024, 8:30 Uhr

 

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51 Kommentare

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  1. 50.

    Na ja, 600 000 Alkis auf 16 Millionen im Osten waren auch kein Pappenstiel.

  2. 49.

    Und wie sähe die DDR heute aus? Selbst die roten Politbürobonzen räumten 1989 intern ein, dass der Wohlstand drastisch sinken sinken wird. Für die 2m Mauer mehr Sie hätte es aber sicher gerade noch gelangt.

  3. 48.

    ... oder der Beitritt von West-Berlin zu einer demokratisch gewordenen DDR. Dafür aber fehlte die Phantasie, das Vertrauen und auch der Mut.

  4. 47.

    Ok. Sie hatten Meinungsfreiheit, Reisefreiheit, Pressefreiheit? In welchem Osten lebten Sie?

  5. 46.

    Das was Sie hier schreiben , da hat so wie es aussieht die DDR überlebt ,denn wenn man ganz genau hinschaut sieht man das heute auch zum Teil wieder.
    Also hat sich nicht viel geändert.

  6. 45.

    Die DDR war Suff-Weltmeister. 23 Liter Schnaps pro Kopf pro Jahr.

    Und noch heute stammen viele der Alkoholtoten tatsächlich noch aus der ehemaligen DDR.

  7. 44.

    Die Suizidrate der DDR sollten sich all jene anschauen, die den Osten so wunderbar fanden. Eingesperrte junge Menschen nahmen sich zuhauf das Leben, weil sie selbstbestimmt leben wollten und frei. Das konnte niemand in der DDR, niemand.
    31 Suizide pro 100.000 Einwohnern, wir lagen an Europas Spitze. Warum wohl, weil es eben nicht so toll war, wie sich es manch einer zusammenreimt.

  8. 43.

    So ein Schmarren, als wenn im Osten einer für den anderen da war, ich lache mich schlapp. Da wurde denunziert was das Zeug hergibt. Jeder hat jeden bespitzelt. Da wartete man darauf, dass die alten Leute wegstarben, damit man auf der Wohnraumverteilungsliste höher rutschte oder man bestach mit Geld oder Naturalien.

    Und die Pflegeheime erstmal, unerträglich, die Kakerlaken überall, der Umgang mit Behinderten, furchtbar.


    Diese DDR, die Sie beschreiben, gab es so nicht.

  9. 42.

    In der DDR gab es auch Abgehängte und jene, die nicht arbeiteten, kamen ins Gefängnis, Arbeitslager. Abgehängte suizidierten sich, flohen oder rebellierten und wurden weggesperrt. Alle waren arm. Es sei denn, man war korrupt. Nichts gab es, wirklich nichts. Wir haben damals Stullenbretter zusammengesammelt und daraus eine Deckentäfelung gezaubert. Furchtbare Zeit. Ich liebe die Selbstbestimmung und meine Freiheit.



    Kennen Sie die Alkoholiker des Ostens? Das Thema ist brisant.

  10. 41.

    Es ist immernoch bemerkenswert, welchen Einfluß die damalige Bundespolitik damals hatte.
    Und auch bei der gegenwärtigen Zusammensetzung in der Bundesregierung darf sich der Osten ausreichend vertreten fühlen.
    Darf sich der Osten sowas noch mal erlauben (im Sinne - wir sind ein Volk)?

  11. 40.

    Ehrlich, bei diesen Aussagen krempeln sich alle Fußnägel hoch. Nicht böse sein, aber das ist so eine Verklärung einer Diktatur, das könnte schon für ein Märchenbuch reichen. Ich mag Realisten und die blenden die Wahrheit nie aus. Natürlich haben wir gelebt, aber wir hatten eine einzige Meinung zu haben, wenn Ihnen das ausreichte, toll, aber Kriminalität gab es so wie überall, oder glauben Sie, nur weil Sie es nicht hörten, waren die Menschen Engel und schossen nur auf andere, wenn die über die Grenze wollten? Korruption und Mangel, Suizidrate, Wohnungsnot. Wir waren unfrei und wurden eingesperrt, ein furchtbares Gefühl, wenn der Staat so wenig Vertrauen in Menschen setzt, dass er sie einsperrt und bespitzelt. Fragen Sie mal die politischen Gefangenen, die Zwangsadoptierten oder die Menschen mit einer eigenen Meinung, wie es tatsächlich war.

  12. 39.

    "...nicht den für mich vorgesehenen Weg habe gehen müssen..."

    Ich erlaube mir die Frage: welchen Weg hätten Sie denn gehen sollen/müssen und wer hat das festgelegt?
    Also ich habe mir zu DDR-Zeiten meinen Beruf selbst ausgewählt, hab mich weiterqualifiziert, inkl. Studium, und bin bis in die Rentenzeit dabei geblieben.

  13. 38.

    >"Viele ziehen sich zurück, betrachten bestehende Ungerechtigkeiten als Gottgegeben"
    Sicher ist das bedauerlich, aber menschlich auch verständlich. Wenn die Welt drumherum immer undurchschaubarer wird, dann ziehen viele Menschen sich gerne in die eigene Hütte zurück und schalten das Drumherum ab.
    An solchen aktuellen Erscheinungen wie Entfemdung des Miteinanders ist das Gesellschaftssystem per se nicht Schuld, sondern die Menschen. Es liegt an jedem selber, sich in Gemeinschaften miteinander zu beschäftigen und für die Gesellschaft tätig zu sein, sei es in Vereinen, in den freiwilligen Hilfsorganisationen, in Parteien und der Möglichkeit von Mitsprache und Mitwirkung in kommunalen Gremien und Parlamenten. Wer das wirklich will und sein Leben so gestalten möchte, schafft das auch mang den sonstigen Alltagssorgen und dem Alltagsstress. Die Möglichkeiten gibts in diesem Gesellschaftssystem überall.

  14. 37.

    Ich möchte Ihnen gerne die Hand reichen. Es erschreckt mich immer wieder, wie wenig manche Menschen mit ihrer Freiheit anzufangen wissen. Freiheit ist ein hohes Gut, mancher war und ist bereit, dafür sein Leben zu riskieren.

    Ich habe zur Wendezeit meinen Schulabschluss gemacht und bin froh, dass ich nicht den für mich vorgesehenen Weg habe gehen müssen. Ich konnte mich frei entfalten und dafür bin ich immer noch dankbar.

  15. 36.

    Meine Oma auch. Und sie ist damit bestens hingekommen bei billiger Miete und günstigen Lebensmittelpreisen und Unterstützung durch die Volkssolidarität. Aber mit Privatem Glück meinte ich etwas anderes. Viele ziehen sich zurück, betrachten bestehende Ungerechtigkeiten als Gottgegeben, während wir im Osten füreinander da waren, untereinander menschlicher, fernab von irgendwelchen Staatsbonzen. Es gab keine Hetze Alt gegen Jung, Arm gegen Reich etc.

  16. 35.

    >"Aufgrund der damaligen Entwicklung (wir gehen zur D-Mark)und im Hinblick auf den Berlinstatus blieb wohl nur die Wiedervereinigung."
    Natürlich blieb aus heutiger Sicht mit den Forderungen der Mehrheit der DDR Bürger und dem seinerzeit durch die bröckelnde SU mögliche Zeitfenster nur dieser Weg. Ein Jahr später, als Russland in sich wieder gefestigter hatte, wäre das so mit den anderen Allinierten Mächten dann nicht mehr möglich gewesen.
    Sei es wie es sein, es ist so gekommen. Dass erstmal ein Zusammenbruch kommt, war für viele halbwegs gebildete Menschen absehbar. Aber nun haben wir uns doch alle eingerichtet. Wer in der DDR beruflich und auch privat was erreichen wollte, ohne sich zu verbiegen, musste aktiv sein und die sich bietenden Lücken und Chancen nutzen. So funktionierts auch jetzt. Für mich wechselte nur die Gesellschaftsordnung und die Währung. Die Lebensart hingegen nicht.

  17. 34.

    "Demo 1989 für bessere DDR". Wie wäre der Status von Berlin (West) gewesen wenn die DDR ein eigener Staat mit den angestrebten Verbesserungen geblieben wäre. Aufgrund der damaligen Entwicklung (wir gehen zur D-Mark)und im Hinblick auf den Berlinstatus blieb wohl nur die Wiedervereinigung.

  18. 33.

    >"Viele sehen darüber hinweg, suchen nur noch ihr privates Glück. Diese System macht krank."
    Es gibt sicher problematische gesellschaftliche Erscheinungen und prikäre Schicksale derzeit. Das gabs zu DDR Zeiten auch schon, nur anders. Die Umwelt leidete, die Gesundheit der Menschen in solchen umweltbelasteten Gegenden leidete, die Wohnsituationen in den vielen fast baufälligen Altbauten war eher prikär, wer politisch mit dem Kopf durch die Wand wollte, hatte es auch nicht so verständnisvoll gut, wer nur Mindestverdienst oder Mindestrente hatte (meine Oma hatte 280 DDR Mark Rente!) musste auch knappsen. Viele suchten und fanden auch ihr privates Glück in kleinen Bereichen. Wer sich allerdings um alle negativen Gegenbenheiten und politischen Enschränkungen immer einen Kopf machte, wurde auch krank. Wem sollte man es vorwerfen, wenn er/sie/es sich im kleinen privaten Glück so einrichtet, dass das Leben für sich erträglich ist? Das ist damals wie heute so, in jedem Gesellschaftssystem.

  19. 32.

    Für die alten Stadtkerne stand es im buchstäblichen Sinne 5 vor 12, in Görlitz, so wurde es mir von einem dortigen Stadtführer / Stadtbilderklärer gesagt, "1 vor 12". Dort 1 vor 12 vor dem Flächenabriss der Altstadt, anderswo 5 vor 12 vor dem unwiderbringlichen Zerfall.

    Allerdings sollte sich das vorherige Bundesdeutschland mit einem Fingerzeig zurückhalten: Im Zuge des so bez. Wirtschaftswunders wurde mehr stadtbildprägende Altbausubstanz abgerissen als durch den 2. Weltkrieg zerstört wurde.
    Das soll ein Argument gegen die Hochnäsigkeit des vormaligen Bundesdeutschland sein und ein Appell, sich über die gewaltige Aufbauleistung nach 1990 zu freuen, im Sinne eines gesamtdeutschen Kulturerbes, nachdem deren Wert rundum erkannt wurde.

    Dass es wirtschaftlich erst noch weiter bergab ging, hing mit der mehrheitlich getroffenen Entscheidung Ostdeutscher zusammen, sich entlang des favorisierten Beitritts als bloße Erweiterung des Nachbarn herzugeben.

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