Urteil gegen Senat vor Kammergericht - Vattenfall erringt Etappensieg im Streit um Berliner Stromversorgung
Seit Jahren will der Senat das lukrative Berliner Stromnetz wieder selbst übernehmen, scheiterte jetzt aber erneut vor Gericht. Vattenfall behält die Oberhand. Ein Ende des Streits ist allerdings noch nicht ausgemacht. Von Christoph Reinhardt
Stundenlang hatte sich das Kammergericht geduldig die Argumente des Senats einerseits und des Energiekonzerns Vattenfall andererseits angehört. Und am späten Donnerstagnachmittag kurz und knapp seine Entscheidung mitgeteilt: Die Berufung des Senats werde zurückgewiesen. Bis auf Weiteres darf er die Konzession nicht an seinen landeseigenen Betrieb Berlin Energie vergeben.
Das Urteil des Landgerichts vom November bestätigte das Kammergericht insofern zwar - aber aus ganz anderen Gründen, wie die Richter schon während der Verhandlung deutlich machten. Einerseits habe der Senat nach der Vergabeentscheidung Vattenfall eine umfassende Akteneinsicht verweigert. Das Land Berlin sei "bei der Vergabeentscheidung zum einen verpflichtet gewesen [...], der Verfügungsklägerin als der unterlegenen Bieterin im gesetzlich vorgeschriebenen Umfang Akteneinsicht in das Angebot von BerlinEnergie als der obsiegenden Bieterin zu gewähren". Dies sei aber nicht erfolgt, der Senat hatte nur einen kleinen Teil der Akten zur Verfügung gestellt.
Während dieses Problem auch im Nachhinein verhältnismäßig leicht zu lösen wäre, birgt der zweite Punkt deutlich mehr Probleme: Das Gericht hatte sich selbst die Auswertung der beiden konkurrierenden Angebote vorgenommen und dabei "massive Auswertungsfehler" gefunden. Durchweg zugunsten des eigenen Landesunternehmens BerlinEnergie.
Senat hofft, Vergabeverfahren neu auswerten zu können
Diese Fehler hätten ein so hohes Gewicht bei der Gesamtentscheidung, so der Vorsitzende Richter Norbert Vossler, "dass man nicht mehr sagen kann, das hätte keinen Einfluss auf die Kausalität". Das Gericht billige dem Senat zwar insgesamt einen hohen Spielraum zu – gehe es aber um falsche Sachverhalte, offene Widersprüche oder die ungleiche Bewertung gleicher Sachverhalte, sei die Grenze erreicht.
Das Gericht hatte Dutzende Einzelbewertungen selbst überprüft und in Summe so viele Fehler gefunden, um eine Abwertung von BerlinEnergie rechtfertigen zu könnten. "Wenn dort bestimmte Fehler festgestellt werden, hat das Einfluss auf das Diskriminierungsverbot", so Gerichtssprecher Thomas Heymann. "Das ist einer der Gründe, warum auch die Berufung des Landes Berlin keinen Erfolg hatte und die Entscheidung der ersten Instanz im Ergebnis bestätigt wurde."
Das Urteil im Eilverfahren ist nicht mehr angreifbar, bezieht sich allerdings ausdrücklich nur auf die konkrete Entscheidung bei der Vergabe von 2019. Der Senat will jetzt die schriftliche Begründung abwarten und dann prüfen, ob das Vergabeverfahren doch noch zu kitten ist. Das Problem: Der Punktevorsprung von BerlinEnergie könnte bei einer Neubewertung dahinschmelzen. Vattenfall erwartet nun erst recht, dass der Senat zugunsten seiner Netztochter entscheidet und erneuerte ein Kooperationsangebot.
Finales Urteil, dass kein Ende des Rechtsstreits bedeutet
Die Berliner Grünen sprachen von einem schweren Schlag für die Energiewende. "Am Ziel, das Stromnetz zurück in Berliner Hand zu holen, halten wir Grüne aber dennoch fest", teilte ihr Sprecher für Energie, Stefan Taschner mit, "da es ein wichtiger Schlüssel zur Erreichung unserer Klimaschutzziele ist."
Senat: Bewerber und Entscheider zu gleich
Christoph Rinke von der Genossenschaft Bürgerenergie ist optimistischer. Die Genossenschaft hatte selbst ein Angebot abgegeben und hofft, nach einer Vergabe an BerlinEnergie auf eine Beteiligung. Im Vergleich zum drastischen Urteil des Landgerichts seien die Bedenken des Kammergerichts deutlich leichter zu beheben. "Natürlich wäre es schöner gewesen, wenn der Berufung stattgegeben worden wäre. Aber im Lichte des erstinstanzlichen Urteils ist es schon eine deutliche Verbesserung."
Das Landgericht hatte nämlich die Neutralität des Vergabeverfahrens in der vom Senat gewählten Konstruktion grundsätzlich bezweifelt. Weil der Senat als Bewerber und zugleich als Entscheider beteiligt war, hätte es von vornherein eine besonders strikte Trennung der beiden Stellen geben müssen – diese sei auf mehreren Ebenen verletzt worden. Das Kammergericht sieht darin allerdings kein Problem.
Auch sei der zuletzt siebenköpfige Landesbetrieb nicht von vornherein ungeeignet, das Netz und das Personal von Vattenfall zu übernehmen. Nähere Ausführungen wollte das Gericht heute nicht machen und verwies auf die schriftliche Urteilbegründung. Man müsse sich etwas bedeckt halten, da man ja wahrscheinlich in Zukunft wieder mit der Sache befasst sei. Nach dem nunmehr abgeschlossenen Eilverfahren ist bereits das Hauptsacheverfahren wieder beim Landgericht anhängig. Sollte der Senat seine Vergabeentscheidung neu treffen, wären aber auch neue Eilverfahren denkbar.
Sendung: Abendschau, 24.09.2020, 19:30 Uhr