Bürgergeld-Sanktionen - Wer nicht arbeiten will, wird seltener belangt
Ein Brandenburger Fleischermeister sucht verzweifelt neue Mitarbeiter. Das Jobcenter bietet ihm 47 geeignete Arbeitssuchende an - doch von denen will kaum einer angestellt werden. Sanktionen haben sie seit Einführung des Bürgergelds kaum zu befürchten. Von Gabi Probst
Seit Anfang 2023 heißt Hartz IV Bürgergeld. Ab Januar 2024 beträgt es monatlich 563 Euro. Noch dazu kommen Miete und Heizkosten. Mindestlohn-Empfänger haben zwar mehr Geld im Monat, doch ein wirklicher Anreiz zu arbeiten sei der Einkommensunterschied nicht mehr, kritisierte die Union schon seit der Einführung, etwa CSU-Chef Markus Söder [twitter.com].
Mit dem Bürgergeld wird auf Vertrauen und Kooperation gesetzt, Sanktionierungen sollen nur das letzte Mittel sein. Und das wird offenbar von einigen Bürgergeld-Beziehern ausgenutzt.
Arbeitssuchende "gehen überhaupt nicht ran"
Volkmar Woite aus Michendorf (Potsdam-Mittelmark) machte genau diese Erfahrung. Er leitet in hundertjähriger Familientradition eine Fleischerei. Zusätzlich betreibt er Stände auf Wochenmärkten und einen Partyservice. Doch er kann kaum noch Aufträge annehmen, wie er sagt. Seit geraumer Zeit sucht Woite zwei Verkäufer:innen. Fast jede Woche kontaktiert er die zuständige Arbeitsagentur. Von September bis Anfang November kündigte diese ihm 47 Arbeitssuchende an; gut Dreiviertel seien vom Fach gewesen, sagt Woite.
Doch obwohl Woite über Tarif zahlt, melden sich bei ihm nur zwei Frauen. Dabei erfährt er, dass die eine dauerkrank ist und die andere nicht voll einsatzfähig. Woite versucht daher, weitere Arbeitssuchende zu erreichen: "Ich habe bei mehreren Leuten, die mir auch interessant erschienen, angerufen, die zum Beispiel auch aus Potsdam sind - also nicht so weit weg. Der Arbeitsweg muss ja auch zumutbar sein. Aber die gehen überhaupt nicht ran", schildert Woite.
Angebote für Schwarzarbeit
rbb24 Recherche begleitet Woites Suche seit dem Sommer, ist bei einigen Telefonaten dabei - auch bei einem Gespräch mit einem Mitarbeiter der Arbeitsagentur. Woite macht sich bei diesem Luft und berichtet, was er erlebt hat. So hätten ihm vier Arbeitssuchende sogar gesagt, sie bekämen Bürgergeld. Und dass sie gern zu ihm arbeiten kommen würden, sogar für 40 Stunden in der Woche - aber nicht als Angestellte, sondern höchstens schwarz.
Auch der Zaunbauer Uwe Maschke aus Caputh kennt das Problem, dass Menschen, die offiziell arbeitssuchend sind, nicht aufkreuzen. Er wollte eine Bürokraft einstellen. Im Interview mit rbb24 Recherche erzählt er, dass sich niemand meldete, obwohl ihm von der Arbeitsagentur mehrere Bewerber angekündigt worden waren. Maschke ist der Ansicht: "Man kann Leute nur aktivieren, indem man ihnen sagt: 'Wenn du nicht arbeiten gehst, kriegst du auch kein Geld - oder weniger'."
"Ohne Gespräch keine Integrationsstrategie"
Elena Zavlaris, Geschäftsführerin des Jobcenters Tempelhof-Schöneberg in Berlin, bestätigt die Beobachtungen von Fleischer Woite und Zaunbauer Maschke: "Es gibt bestimmte Kunden, die kommen einfach nicht zum Termin", sagt sie. "Ich habe die erste Einladung ausgesprochen, die zweite, ich habe mich vorbereitet auf das Gespräch - und es findet nicht statt. Und ohne Gespräch können wir keine Integrationsstrategie erarbeiten." Trotzdem - so Zavlaris - sei der Ansatz gut, mit der Einführung des Bürgergeldes das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitssuchenden und Jobcenter zu stärken: weniger Sanktionen - mehr Kooperation.
"Früher haben wir wirkliche Eingliederungsvereinbarungen mit den Menschen erarbeitet", erklärt der zuständige Sozialstadtrat im Bezirk, Matthias Steuckardt (CDU). "Die wurden dann gemeinsam unterschrieben und hatten auch eine Rechtsverbindlichkeit. Heute nennt sich das ganze Kooperationsplan. Der wird nicht mehr unterschrieben." Viele Arbeitssuchende würden sich deutlich freier fühlen, Angebote abzulehnen oder gar nicht zu reagieren. "Aus meiner Sicht sind das die ganzen Änderungen rund ums Bürgergeld, die hier ursächlich sind", bilanziert Steuckart. Aus seiner Sicht braucht es aber mehr Verbindlichkeit. Er glaube aber, dass die Anzahl der Sanktionen in nächster Zukunft nicht signifikant steigen werde.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) betonte vor Einführung des neuen Gesetzes: "Das Bürgergeld ist kein bedingungsloses Grundeinkommen." Bei Verweigerern sollte trotzdem hart durchgegriffen werden. "Es gibt ganz hartnäckige Fälle, bei denen braucht es Mitwirkungspflichten und dann auch Leistungsminderung", so Heil.
Doch Sanktionen bei Pflichtverletzungen, wie das Nichterscheinen zum Termin, sind seit Einführung des Bürgergeldes wesentlich geringer als zu Hartz-IV-Zeiten. Nachdem es während der Corona-Pandemie keine Sanktionen gab, stiegen die Zahlen mit Einführung des Bürgergeldes zwar wieder, doch sie liegen bislang weit unter dem Niveau im Vor-Corona-Jahr 2019. Zum Vergleich: Während im Juli 2019 laut Bundesagentur für Arbeit noch insgesamt knapp 65.000 Sanktionen ausgesprochen wurden, waren es im Juli dieses Jahres nur gut 30.000.
Dabei schreiben Experten Sanktionen eine wichtige Rolle zu. Laut Bundesrechnungshof gibt es "klare Hinweise, dass Sanktionen bei Pflichtverletzungen und Meldeversäumnissen eine wichtige Rolle für einen erfolgreichen Integrationsprozess der Arbeitsuchenden und eine wirksame Arbeit der Jobcenter spielen".
Ulrich Walwei vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg beobachtet, dass die Sanktionen aktuell tatsächlich geringer ausfallen würden als bei Hartz IV. Seiner Ansicht nach ist es aber noch zu früh, um wirklich einschätzen zu können, welche Auswirkungen die Neuregelungen rund um das Bürgergeld haben, betont er im rbb-Interview. "Das ganze System ist noch dabei, sich quasi zu erfinden, auch zu lernen und da auch Schritte weiterzugehen. Es wird am Ende darauf ankommen, ob wir die Menschen fit machen für den Arbeitsmarkt", sagt Walwei.
Hausbesuch vom Jobcenter
Im Jobcenter Tempelhof-Schöneberg hat man nun vor Kurzem ein neues Projekt gestartet - laut Stadtrat aus "Verzweiflung", die Geschäftsführerin des Jobcenters sieht es als Chance. Zwei Mitarbeiter suchen seit Wochen säumige Kunden zuhause auf. Elena Zavlaris sagt: "Wir schreiben die Kunden vorher an und kündigen an, wann wir kommen. Manche treffen wir zu Hause an - mit denen kommen wir dann auch gut ins Gespräch. Manche treffen wir nicht an, da hinterlassen wir dann eine Nachricht und gehen dem nach." Bei einigen habe das eine erzieherische Wirkung, bilanziert Zavlaris. Schon durch die Ankündigung des Hausbesuches kämen sie von allein, 20 Prozent der säumigen Kunden habe man so inzwischen erreicht.
Sendung: rbb24, 29.11.2023, 21:45 Uhr