Girls' Day und Boys' Day - "Wenn die Berufswahl entgegen eines Klischees gewählt wird, wirft das im Alltag oft Fragen auf"
Frauen sind im Handwerk selten anzutreffen - und Männer als Erzieher in Kitas. Was kann der Girls' Day und Boys' Day daran ändern? Ein Gespräch über den Sinn solcher Aktionstage und alte Rollenvorstellungen - mit der Gender- und Diversity-Forscherin Petra Lucht.
rbb|24: Frau Lucht, in Internetprofilen sind längst Eigenbezeichnungen wie "she/her", "he/him", binär und nicht-binär zu lesen. Der Girls' Day und Boys' Day wirkt da schon fast wie eine Erfindung aus der alten Welt. Ist so ein Aktionstag noch zeitgemäß?
Petra Lucht: Ja, Girls’D ay und Boys’ Day halte ich für sehr zeitgemäß. Leider, muss ich dazu sagen. Es geht hier um den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, der in Deutschland unter Frauen und Männern nach wie vor sehr ungleich aufgeteilt ist. Diese Aktionstage tragen dazu bei, mehr Chancengleichheit zu erreichen.
Sie halten ihn also durchaus für einen modernen Ansatz?
Der Hintergrund der Aktiontage ist, dass die Berufswahl in Deutschland stark durch Geschlechterklischees geprägt ist. Außerdem wird dieser Aktionstag auch für jene Gruppen junger Menschen angeboten, die sich nicht ausschließlich als männlich oder weiblich identifizieren, sondern als non-binär.
Wie macht sich das bemerkbar?
Einige Betriebe und Institutionen berücksichtigen explizit, dass die sozialen Lebenswelten von Mädchen vielfältig sind und dass junge Menschen sich selbst in vielfältiger Weise mit Bezug auf binäre und auf nicht-binäre Geschlechterkonzepte identifizieren. Manchmal wird das auch sprachlich deutlich, indem beispielsweise das Sternchen (*) oder eine andere Markierung an die Begriffe 'Mädchen' und 'Jungen' angeschlossen wird.
Daten des Statistische Bundesamtes zeigen, dass es weiterhin Branchen gibt, in denen Frauen oder Männer klar unterrepräsentiert sind. Im Handwerk etwa waren 2022 weniger als elf Prozent der Erwerbstätigen weiblich [destatis.de]. In der Industrie, etwa bei der Bedienung von Maschinen, weniger als 16 Prozent. Andererseits lag der Männeranteil am pädagogischen Personal in Kindertageseinrichtungen bei nicht einmal acht Prozent. Was sagt das über unsere Gesellschaft aus?
Das sagt aus, dass die Berufswahl von jungen Menschen nach wie vor von bereits existierenden Vorstellungen von dem, was als typisch weiblich und was als typisch männlich gilt, geprägt wird. Es geht hier also um Geschlechterklischees, die von soziale Normen stark mitgeprägt werden.
Wer prägt diese Normen mit?
Diese Normen werden im sozialen Umfeld vermittelt. Dazu gehören die 'Peer Group', also Mitschüler:innen und Freund:innen und ganz sicher auch das familiäre Umfeld. Weiterhin erlernen junge Menschen diese Normen auch durch die Nutzung von Social Media, Printmedien oder auch Lehrbücher. Wenn die Berufswahl entgegen eines Klischee gewählt wird, wirft das im Alltag oft Fragen auf.
Ich kann das zum Teil aus eigener Erfahrung bestätigen; ich bin Diplom-Physikerin, in den 1980er bis 1990er Jahren und auch heute sorgt die Wahl meines Studienfachs im Alltag häufig für Diskussionen. Wichtig ist, dass die Berufswahl mittlerweile zwar als individuelle Entscheidung erlebt wird, denn prinzipiell stehen alle Berufe und auch alle Studienfächer für alle Geschlechter offen. Aber wir sind doch nicht ganz so frei wie wir uns das vorstellen.
Gibt es weitere Faktoren, die unser Rollenverständnis beeinflussen können?
Ein weiterer Bereich ist beispielsweise unsere Kleidung. Wenn sie in einen großen Discounter gehen, um Kleidung einzukaufen, ist diese sortiert - in der Regel für Frauen, für Männer, für Mädchen und für Jungen. Wenn Sie sich die Kleidung für Mädchen und Jungen anschauen, sehen sie, dass diese farblich kodiert ist. Weiterhin werden zum Beispiel T-Shirts mit bestimmten Schriftzügen bedruckt. Die Berufe, die mit diesen Schriftzügen auf T-Shirts für Jungen und Mädchen dargestellt werden, entsprechen oft Geschlechterklischees. Damit streift man Kindern und Jugendlichen diese Klischees über und signalisiert ihnen damit, welche Berufs- und welche Studienfachwahl für sie vorgesehen ist.
Ist die ungleiche Aufteilung zwischen Frauen und Männern im Ausland ähnlich?
Das lässt sich nicht so einfach vergleichen. Was die enge Verknüpfung der Vorstellung von Weiblichkeit und Männlichkeit mit einem Beruf angeht, gibt es zumindest andere Länder, die Deutschland ähneln. Allerdings ist das eben nicht überall so. Der Anteil von Frauen in Mint (Bezeichnung für Fächer aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, Anmerk. d. Redaktion) ist beispielsweise in einigen südeuropäischen, lateinamerikanischen und auch in skandinavischen Ländern höher als in Deutschland.
Die Geschlechterunterschiede nehmen aber teils ab. In der technischen Forschung und Entwicklung stieg der Frauenanteil 2023 mit 42.000 weiblichen Beschäftigten auf 18 Prozent - zehn Jahre zuvor waren es noch elf Prozent. In der Informatik stieg der Anteil auf knapp 18 Prozent, nach 14 Prozent im Jahr 2013.
Ja, das stimmt. Die Zahlen verändern sich, allerdings recht langsam. Die Studienlage zeigt, dass sich das Spektrum der Berufsfelder von Mädchen sich in den letzten Jahren stärker vervielfältigt hat als das von Jungen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Hasan Gökkaya für rbb|24.
Sendung: rbb24 Inforadio, 25.04.2024, 09:40 Uhr