Interview | Pop-Historiker über Stones-Sänger - "Sein Manager gab Jagger als Sohn des Proletariats aus"

Mi 26.07.23 | 15:13 Uhr
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Mick Jagger im Juni 1982 in München © dpa/Istvan Bajzat
Video: rbb24 Abendschau | 26.07.2023 | Bild: dpa/Istvan Bajzat

Mick Jagger hat das Image als ewiger Rebell. Was haben er und die Stones an gesellschaftlichen Veränderungen bewirkt? Zum 80. Geburtstag der Rock-Ikone haben wir mit dem Pop-Historiker Bodo Mrozek gesprochen.

rbb: Herr Mrozek, heute wird Mick Jagger 80 Jahre alt, 60 Jahre steht er schon auf der Bühne. Was ist an ihm so besonders?

Bodo Mrozek: Ja, wenn wir zurückblicken, erst mal gar nicht so viel, denn der kleine Mick war gar keine Ausnahme. Der Sohn einer Avon-Beraterin und eines Lehrers ist damals Fan der zeitgenössischen Musik. Von Buddy Holly und vor allem von Chuck Berry, also einem schwarzen Musiker. Die Bluesmusik hat es ihm angetan. Seine erste Band "Little Boy Blue and the Blue Boys" ist eine ganz typische Bluesband. Später hat er dann die Stones mit Keith Richards gegründet, da tritt er als Sänger heraus und entwickelt auch eigene Marotten, etwa so das Schleudern des Mikrofons und so weiter.

Aber man muss sich auch klarmachen, das folgt auch einer Inszenierung eines sehr professionellen Managements. Die Stones werden früh als besonders ungewöhnliche und harte Band inszeniert.

zur person

Der Historiker Bodo Mrozek im Oktober 2019. (Quelle: © Sarah Eick)
© Sarah Eick

Bodo Mrozek, geboren 1968 in West-Berlin, legte während seines Geschichtsstudiums in Berlin und Amsterdam als DJ in Clubs auf. Daneben war er Autor für Popkultur u.a. für Die Zeit, Radioeins, Deutschlandradio Kultur und er schrieb Club- und Schallplatten-Kolumnen für den "Tagesspiegel" und die Berliner Seiten der FAZ. Er ist Herausgeber zweier Bände zur Popgeschichte.

Da passt ja das Konzert 1965 in der Waldbühne dazu, bei dem kein Stein auf dem anderen blieb. Was ist damals passiert und was sollte das Ganze?

Man hat mit internationalen Tourneen keine große Erfahrung. Weltstars wie Elvis Presley haben eigentlich Zeit ihres Lebens niemals außerhalb Amerikas gespielt. 1965 sind die Stones noch eine junge Band mit einem sehr kurzen Repertoire. Die spielen nur 20 Minuten. Das erzürnt die Fans. Man weiß es nicht genau, vielleicht auch aus Begeisterung springen die auf den Holzbänken der Waldbühne herum. Da merken manche, dass diese Holzbänke nachgeben und brechen.

Und als sich dann das Management überlegt, die Fans mit gleißendem Licht anzustrahlen, um sie zu beruhigen, stehen die plötzlich im Rampenlicht und beginnen also, auf diesen Bänken herumzutrampeln. Das ganze gerät also völlig außer Kontrolle.

Die Waldbühne ist längere Zeit nicht mehr bespielbar, es finden sich auch keine Versicherer mehr. Und eigentlich scheitert damit erst auch mal das Konzept der internationalen Rock-Tournee.

Schauen wir uns mal das gesellschaftliche Klima der 60er-Jahre an. Was hat Sex mit dem ganzen Erfolg der Stones zu tun?

Es gibt damals die Trias: Sex, Drugs and Rock'n'Roll, die in den späten Sechzigern aufkommt. Die Sechziger gelten als dynamisches Jahrzehnt. Es verändert sich viel - das Verhältnis von Männern und Frauen, die Jugend wird mit mehr Geld ausgestattet, kann mehr konsumieren.

1965 wird der Samstag arbeitsfrei - jetzt kann man am Wochenende schon zwei Tage feiern und in diesem Klima ist es dann auch relativ leicht, Aufsehen zu erregen. Der Manager der Stones, Andrew Loog Oldham, der inszeniert sie also als die besonders haarigen Stones, der korrigiert das Alter von Mick Jagger nach unten und gibt ihn als ein Sohn des Proletariats aus, einen wütenden Arbeiter, der er gar nicht ist, er kommt aus der soliden Mittelschicht.

Bei diesem Waldbühnenkonzert werden sie damals angekündigt als die härteste Band der Welt. Es ist noch relativ leicht, Aufsehen zu erregen, wenngleich sich die Stones der Studentenbewegung, also der sogenannten Revolte von 68, doch eher indifferent gegenüber verhalten.

80 Jahre Mick Jagger

Es gibt Gerüchte, die Stones würden eine neue US-Tour planen. Mit 79 Jahren stand Mick Jagger letztes Jahr auf der Bühne hier in Deutschland. Warum darf er das? Wird das irgendwann peinlich?

In der Frage schwingt ein altes, vielleicht sogar veraltetes Verständnis mit, dass die Popkultur an die wir uns gewöhnt haben, gleichzusetzen ist mit Jugendlichkeit oder Jugendkultur. Mittlerweile ist das ja aber ein intergenerationelles Projekt.

Zu den Stones gehen Eltern mit ihren Kindern hin, die dadurch zu den Stones gekommen sind. Pop, Rock und Punk ist kein Ausdruck einer Jugendlichkeit mehr.

Nimmt man Nina Hagen, die beim Zapfenstreich von Angela Merkel gespielt wird. Der Rock ist vielleicht sogar strukturkonservativ geworden.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Irina Grabowski. Das gesamte Interview ist zu hören, wenn Sie das Audiosymbol auf dem Titelbild klicken.

Sendung: rbb24 Inforadio, 26.07.2023, 08:50 Uhr

7 Kommentare

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  1. 7.

    Jagger ist für mich ein Konservativer, dessen Lebenswerk sicher mehrere hundert unnötige Songs enthält, da andauernd wiederholend. Ein Vergleich mit den Beatles verbietet sich m.E., aber es gibt natürlich auch viel schlechtere Bands als die Stones. Möge er noch ein paar gute Jahre genießen können!

  2. 6.

    Ich fand's ja schon immer irgendwie lustig, dass die Stones als die "Harten" galten, während die Beatles, die eher aus der Arbeiterklasse stammten, als die "Softies" angesehen wurden. Das war wohl damals dem Vernehmen nach nahezu eine "Gewissensfrage" unter den Fans: Biste "Mann" oder "Frauenversteher"?. . . oder so ähnlich.

    Also, ich bin ganz klar on The Beatles side, da die einfach den Pop/Rock revolutioniert und bis in alle Ewigkeit immer Auswirkungen auf populäre Musik haben werden. Die Stones sind aber natürlich auch eine sehr gute und einflußreiche Band, das ist klar. ;)

  3. 5.

    Alles Gute zum Geburtstag - du unmöglicher Supertyp.

  4. 4.

    Ich habe mal eine Karikatur gesehen, auf welcher Jagger als Greis im Rollstuhl auf der Bühne auftritt.
    Wenn es jemand durchzieht um von der Bühne direkt in den Sarg zu steigen , dann sind das die stones.

  5. 3.

    Aber ich denke..so schön wie es war, lass en wir sie in Rente gehen....:-)

  6. 2.

    Habe gerade meine CD Sammlung ausgedünnt u. da hatte ich sie alle wieder in den Händen, insbesondere all die schönen alten Werke der Stones haben mich stark beeinflusst. Noch mit Brain Jones zusammen. Mick wünsche ich alles gute und das er uns noch lange erhalten bleibt.

  7. 1.

    Die Stones haben meine Eltern begleitet und auch mich.....Danke für diese wunderbare Zeit. So etwas wird es in der Musikgeschichte nicht mehr geben.
    Ich war bei den Stones am 17 August 1995 im Olympia Stadion.
    Ziemlich dicht an der Bühne. Ein sexy Auftritt mit der Background Sängerin werde ich nie vergessen:-)

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