Maßnahmen gegen Klima-Aktivisten - Wann Polizisten Gewalt anwenden dürfen - und wann nicht

Mo 24.04.23 | 20:59 Uhr
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Symbolbild: Beamte der Berliner Polizei gehen am 26.06.2014 in Kreuzberg, Lausitzer Str. / Wiener Strasse, bei einem Einsatz gegen einen Mann vor. (Quelle: imago images)
Video: rbb|24 | 26.04.2023 | Material: MDR, rbb24 Abendschau, rbb|24 | Bild: Imago Images (Symbolbild)

Der gewaltsame Umgang eines Polizisten mit einem Aktivisten der "Letzten Generation" in Berlin hat im Netz Debatten ausgelöst. Ob die Maßnahme angemessen war, will die Polizei nun prüfen. Das Gesetz ist da nicht eindeutig.

Ein Griff an den Kiefer, ein verdrehter Arm, Schreie auf der Straße des 17. Juni: Ein Instagram-Video eines Polizeieinsatzes in Berlin hat in sozialen Netzwerken eine neue Debatte über Polizeigewalt entfacht. Im Kern geht es um die Frage, ob die Polizei friedliche Straßenblockaden von Klima-Aktivisten mit Gewalt auflösen darf - und ob sogenannte Schmerzgriffe in solchen Fällen verhältnismäßig sind.

Das Video, das am Samstag auf Instagram geteilt wurde, zeigt, wie ein Polizeibeamter einem auf der Straße sitzenden Demonstranten der "Letzten Generation" ankündigt, er werde ihm Schmerzen zufügen, wenn dieser die Straße nicht verlasse. Der Demonstrant antwortet: "Ich sitze hier friedlich, und Sie wollen mich einfach wegtragen." Daraufhin zählt der Polizist von drei herunter und hebt den Aktivisten gewaltsam von der Straße, ein weiterer Beamter verdreht dabei den Arm des Aktivisten, der laut aufschreit.

Die Berliner Polizei hatte sich am Sonntag zurückhaltend in der Sache geäußert. Beamte müssten bei ihren Einsätzen grundsätzlich die Verhältnismäßigkeit beachten, hieß es von Polizeisprecher Martin Dams auf rbb-Anfrage. Grundsätzlich gelte, "dass bei der Polizei keine Techniken zur Anwendung kommen, die per se als Maßnahmenziel das Erzeugen von Schmerzen haben". Der Widerstand gegen eine polizeiliche Maßnahme solle "für alle Beteiligten" möglichst wenig verletzungsträchtig und ungefährlich überwunden werden, so Dams.

"Grundsatz der Verhältnismäßigkeit" bei Polizeieinsätzen

Offen ist nur, was diese Aussage für den konkreten Fall bedeutet, denn ein entsprechendes Gesetz (UZwG Bln) [gesetze.berlin.de] regelt zwar die Anwendung von Gewalt durch die Polizei, von Schmerzgriffen oder Nervendrucktechniken ist darin aber keine Rede.

Festgelegt ist, dass die Polizei zur Ausübung ihres Dienstes "unmittelbaren Zwang anwenden" darf, der auch "körperliche Gewalt" bedeuten kann. Eine nähere Eingrenzung liefert das Berliner Gesetz nicht. Polizeisprecher Dams sagte dem rbb, letztlich würden die Einsatzkräfte selbst entscheiden, welches Mittel geeignet sei. Die Intensität orientiere sich immer am Grad des Widerstands beziehungsweise der Gesamtdynamik der Situation.

Ob das am Samstag auf der Straße des 17. Juni der Fall war, werde bei der Polizei derzeit intern geprüft, hieß es. Der Kriminologe und Polizeiwissenschaftler Tobias Singelnstein betonte gegenüber "MDR investigativ", die Polizei müsse immer prüfen, was das mildeste Mittel ist, um ihr Ziel zu erreichen. "Solchen friedlichen Sitzblockaden werde das Wegtragen in aller Regel das mildere Mittel sein. Schmerzgriffe sind daher aus rechtlicher Sicht kein probates Mittel."

Tatsächlich findet sich im entsprechenden Berliner Gesetz unter Paragraf 4 der "Grundsatz der Verhältnismäßigkeit": "Bei der Anwendung unmittelbaren Zwanges sind von den möglichen und geeigneten Maßnahmen diejenigen zu treffen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigen."

"Es gibt nur Trainingsunterlagen aus dem Handbuch Einsatztraining"

Das Portal "Frag den Staat" hatte im vergangenen Jahr versucht herauszufinden, ob und inwieweit interne Regeln bei der Berliner Polizei für die Anwendung von Schmerzgriffen gelten. Anfragen des Portals nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) soll die Behörde allerdings abgelehnt haben [fragdenstaat.de].

In ihrer Antwort habe die Polizei nur erklärt, es existierten keine Vorgaben, ob, wann und wie Schmerzgriffe durch die Polizei eingesetzt werden dürften: "Es gibt nur Trainingsunterlagen aus dem Handbuch Einsatztraining (HB ET) für Lehrkräfte und Schulungsvideos", habe es geheißen. Diese Unterlagen seien als "Verschlusssache - Nur für den Dienstgebrauch" eingestuft und dürften nicht herausgegeben werden - auch weil sich Demonstrierende auf Schmerzgriffe vorbereiten könnten, würden die Techniken publik.

Unklar bleibt daher auch, ob in der explizit geäußerten Ankündigung, der Beamte werde dem Aktivisten Schmerzen zufügen, eine Vorschrift befolgt wird, die vor der Anwendung von Schmerzgriffen gilt. Zumindest für Polizisten in Niedersachsen hatte das Oberverwaltungsgericht (OVG) in Lüneburg im Jahr 2016 entschieden, dass Schmerzgriffe nicht ohne Ankündigung angewendet werden dürfen. Über die grundsätzliche Frage, ob Schmerzgriffe verhältnismäßig sind, entschied das Gericht damals nicht.

Jendro verweist auf Einsatzleitung und Umstände des Einsatzes

Der Landespressesprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP) Berlin, Benjamin Jendro, verwies gegenüber dem rbb mit Blick auf die gefilmte Einsatzsequenz darauf, dass vor dem Eingriff die Entscheidung eines Vorgesetzen des gefilmten Beamten gestanden habe: "Hier entscheidet ein Polizeiführer: Was machen wir mit der Blockade? Und der hat hier auch die Verantwortung." Bei der gefilment Sequenz nun sei es sehr schwer zu beurteilen, weshalb der Einsatz so verlaufen sei. "Wir wissen nicht, was vorher passiert ist. Grundsätzlich hat der Polizist sehr kommunikativ transparent gemacht, was jetzt die Mittel sind."

Jendro verwies für die Aufklärung des hier gefilmten Einsatzes im Zuge der nun ergehenden Ermittlungen nach der "von Amtswegen geschriebenen Anzeige wegen Körperverletzung". Das Handeln des Polizisten habe die Justiz nun zu bewerten und nicht die GdP. Allerdings: "Im Regelfall machen unsere Kolleginnen und Kollegen alles mit reiner Kommunikation wett, aber wenn das Gegenüber nicht reagiert, dann müssen sie Maßnahmen ergreifen. Und das sowas nie schön aussieht, ist auch jedem klar."

Sendung: rbb24 Abendschau, 24.04.2023, 19:30 Uhr

53 Kommentare

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  1. 53.

    Klaro, wenn man ohne Differenzierung oder das Bemühen um Einordnung auf "WaWe-Einsatz gegen Demo" weichzeichnet, dann kann man es wohl nicht anders sehen. Aber das bildet dann nur Ihre Wahrnehmung der Realität ab.

  2. 52.

    Nein da liegen sie total falsch. Ich kann mich nicht an einen Wasserwerfer erinnern der gegen die Straftäter LG eingesetzt wurden. Bei der Demonstration im November 21 am Brandenburger hat man keine Probleme damit gehabt. Bitte keine Lügen. Ich habes selbst gesehen. Genau wie August 20 . Die angebliche Erstürmung

  3. 51.

    Wenn Sie schon zitieren, sollten Sie das Zitierte wenigstens inhaltlich erfassen. Ihr Zitat ist nämlich kein Beleg gegen die Anwendung des dokumentierten Polizeigriffs und damit auch nicht gegen eine Unverhältnismäßigkeit. Da sind ein paar kleine Füllwörter im Zitat nämlich entscheidend.

  4. 50.

    Deshalb kommen ja auch bei 100 000 Menschen möglicherweise Wasserwerfer zum Einsatz. Die Einsatzleitungen der Polizei sind wissen Ihr Beispiel von diesem konkreten Fall zu unterscheiden.
    Und jetzt wird dieser konkrete Vorfall geprüft und das ist richtig so.

  5. 49.

    Man merkt auf welchen geistigen Niveau sich Klimawandelleugner befinden...

  6. 48.

    ich sehe keine Polizeigewalt, der Klimakleber ist doch selber schuld, das er so Berührungsempfindlich ist. wie gesagt 48 Stunden hinter schwedischen Gardinen, hätten den Leuten gut getan

  7. 46.

    Am besten stinkenden schwedischen Fisch hinwerfen...

  8. 45.

    sie sollten mal das aktuelle Berliner Polizeigesetz lesen,besonders den Abschnitt zur 48-Stunden-Regel und dann erst kommentieren.

  9. 44.

    Auf, auf ihr Klimaaktivisten auf nach Rügen und dort die Zufahrten für das LNG Terminal blockieren. Dort könnt ihr richtig Klimaaktivisten spielen so richtig grün, und etwas gegen den zu erwartenden Umweltfrevel und etwas für den Naturschutz tun.
    Und ihr hättet ein Haufen Sympathien von der dortigen Bevölkerung und vor allem Glaubwürdigkeit zurückgewonnen. Aber euer Geldgeber hat wohl andere Interessen, denke ich mal.

  10. 43.

    Sie haben noch viel Nachholbedarf was eine unabhängige Rechtssprechung angeht und eine "Schutzhaft" gibt es guten Grund nicht mehr seit 1945!

  11. 42.

    Jendro (Landespressesprecher der Gewerkschaft der Polizei (GdP)): "Im Regelfall machen unsere Kolleginnen und Kollegen alles mit reiner Kommunikation wett, aber wenn das Gegenüber nicht reagiert, dann müssen sie Maßnahmen ergreifen. Und das sowas nie schön aussieht, ist auch jedem klar." -> Ja, Jendro, einfaches Wegtragen ohne Schmerzgriff und Nervendruckpunkte ergeben wirklich immer ganz grausame Bilder (Augenroll).

  12. 41.

    Und das rechtfertigt in ihren Augen das Androhen und Ausüben völlig überzogener Polizeigewalt? Manche haben hier ein merkwürdiges Verhältnis zu demokratischen und somit rechtstaatlichen Verhältnissen.

    Wir leben weder in einer Diktatur, noch in einem Polizeistaat, den sich hier einige offenbar wünschen.

    Haben sie das Video überhaupt gesehen? Die Gewaltandrohung "... werden Sie die nächsten Tage, nicht nur heute, Tage Schmerzen beim Kauen und Schlucken haben" und der Griff an den Hals und Kiefer beim Hochziehen bleibt völlig unangemessene Polizeigewalt!

    Wenn einem/dem Polizisten so schnell die Sicherungen durchknallen, dann hat er seinen Job verfehlt.

  13. 40.

    stell dir vor du lebst in einer Welt voller steigender Lebenshaltungskosten und Rekordgewinnen, voller Kinderarmut und Privatjets, voller Wohnungsnot und Luxussanierungen und denkst trotzdem, dass Leute die sich fürs Klima auf die Straße kleben der gefährlichste Feind sind.

    Und nein, lieber Rückengesundheitsbeauftragter hier in dieser Kommentarsektion, ein Wegtragen unter Anwendung des Schmerzgriffes ist für Polizeibeamten nicht rückenschonender als ein Wegtragen ohne Schmerzgriff. Wegtragen bleibt Wegtragen. Da können Sie noch so sehr darauf abheben, dass Demonstrierende "kein Anrecht auf Wegtragen" hätten, denn es wird ja so oder so weggetragen.

  14. 39.

    "Beamte müssten bei ihren Einsätzen grundsätzlich die Verhältnismäßigkeit beachten, hieß es von Polizeisprecher Martin Dams auf rbb-Anfrage. Grundsätzlich gelte, "dass bei der Polizei keine Techniken zur Anwendung kommen, die per se als Maßnahmenziel das Erzeugen von Schmerzen haben". Der Widerstand gegen eine polizeiliche Maßnahme solle "für alle Beteiligten" möglichst wenig verletzungsträchtig und ungefährlich überwunden werden, so Dams."

  15. 38.

    Das wäre in der Tat wünschenswert. Letzlich gibt es gerade im Bereich der sog. Zwangsmaßnahmen noch einige Bereiche, die zu Lasten meiner Kollegen unzureichend geklärt sind. Hier ist der Gesetzgeber gefordert. Das er dies schon seit 40 Jahren ist, ist allerdings ein anderes Thema.

  16. 37.

    "dass es noch Richter gibt die unabhängig Recht sprechen" was hat das mit unabhängig Recht zu tun, wenn die nächsten Tag wieder auf der Straße kleben. Ich denke eher das Gegenteil ist der Fall.

  17. 36.

    Für diese Fälle gibt es durchaus andere milde Mittel wie sie bereits zum Einsatz kamen ("Beregnung"). Die sich auch der Diskussion stellen durften. Oder was schwebt Ihnen neben Wegtragen und dem o.g. so vor?

  18. 35.

    Diese Diskussion und die rechtliche Prüfung ist elementarer Bestandteil unseres offen angelegten Gesellschaftssystems und durch die rechtlich unbestimmte Vorgabe des "mildest anzuwendenden Mittels" quasi schon vorprogrammiert.

  19. 34.

    Die ganze Welt schaut nach Berlin und sieht damit auch unsachgemäß brutale Arm- und Fussverdrehungen, die kostenträchtige und bleibende Folgeschäden für die Demonstranten bedeuten können.

    Ist das Wegtragen von Demonstranten überhaupt noch zeitgemäß? Wäre es nicht korrekter, gewaltlose Protestierende einfach, kurz und sachte auf eine Art grössere Sackkarre oder Plattform anzuheben um sie z.B. elektrobetrieben und FREUNDLICH vom unerwünschten Blockierpunkt nach B zu eskortieren. Gedanken machen schadet nicht.

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