Klima-Proteste in Berlin - Oberstaatsanwalt sieht in "Letzter Generation" keine kriminelle Vereinigung
Die Aktionen der "Letzten Generation" sind durchorganisiert - weitere Straftaten werden angekündigt. Eine kriminelle Vereinigung sieht die Berliner Staatsanwaltschaft aber nicht. Bei aller Wut der Autofahrer fehle noch immer eine gewisse "Erheblichkeit".
Die Berliner Staatsanwaltschaft sieht bei der Gruppierung "Letzte Generation" aktuell keinen Anfangsverdacht auf Bildung einer kriminellen Vereinigung. Dies sagte der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaften, Sebastian Büchner, am Mittwoch im rbb24 Inforadio.
Zwar gebe es kriminelle Taten der Gruppe und auch die Ansage, regelmäßig weitere Straftaten zu begehen, "aber für die Idee einer kriminellen Vereinigung muss das Ganze schon terrorismusähnlich" sein. Die Aktionen der "Letzten Generation" hingegen seien ein "dauerhaftes Lästig-werden".
Die Rechtssprechung fordere eine "wirkliche Erheblichkeit", auch damit man Maßnahmen wie zum Beispiel Telefonüberwachung anwenden könne. Dafür ist aus Büchners Sicht momentan nichts ersichtlich. Der Sachverhalt unterliege jedoch einer "permanenten Neubewertung", so Büchner.
Gerichte in Potsdam bejahte zuvor Anfangsverdacht
Zuvor hatte die Staatsschutzkammer des Landgerichts Potsdam einen Anfangsverdacht bejaht. Anlass war eine Beschwerde der "Letzten Generation" wegen einer Großrazzia. Dies wurde vom Potsdamer Gericht abgewiesen. Der Anfangsverdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung wurde hingegen bestätigt, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Neuruppin am Montag. Es ist das erste Mal, dass ein Gericht in Deutschland diese Einschätzung vornimmt.
Kein Vergleich mit RAF
Vergleiche mit der Roten Armee Fraktion wies Büchner zurück. Diese wurde auch als "terroristische Vereinigung" eingeordnet - dies sei aber nochmal ein anderer Straftatbestand und nicht mit einer "kriminellen Vereinigung" zu vergleichen.
Bei dem Abwägungsprozess würden laut Büchner auch die Ziele der Klima-Aktivisten einbezogen. Diese seien ja auch im Grundgesetz verankert, es gebe auch Bundesgesetze dazu. "Deshalb tun wir uns im Moment auch schwer damit, schon eine 'kriminelle Vereinigung' zu bejahen", so Büchner weiter.
Präventivgewahrsam für 5 oder gar 30 Tage?
Zu Forderungen, die Möglichkeit eines Präventiv-Gewahrsams auf bis zu fünf Tage auszudehnen, wollte sich Büchner nicht äußern. Diese seien lediglich Maßnahmen zur Gefahrenabwehr, somit hätte die Staatsanwaltschaft damit nichts zu tun.
Er verfolge aber die Diskussionen zur bayerischen Regelung, die ein Präventivgewahrsam von bis zu 30 Tagen möglich macht [tagesschau.de], mit Interesse, so Büchner. In der Rechtswissenschaft werde dies intensiv als möglicherweise verfassungswidrig diskutiert.
Zur Zeit mehr als 1.980 Ermittlungsverfahren
Insgesamt verursachen die Klima-Aktivisten den Behörden eine erhebliche Mehrarbeit. So seien mit Stand 10. Mai 1.980 Ermittlungsverfahren durch die Polizei eingeleitet worden. Die Vorfälle von Montag und Dienstag seien dort laut Büchner noch nicht dabei.
Mit den Polizisten vor Ort wolle er nicht tauschen, sagte Bücher weiter. Diese müssten den Verkehr regeln, die Aktivisten von erbosten Autofahrern schützen, die Straße räumen und gleichzeitig die Beweisaufnahme bewerkstelligen. Dies sei eine erhebliche Belastung für die Beamten.
Straftaten beginnen erst nach Räumungsaufruf der Polizei
Im Hinblick auf Übergriffe durch Autofahrer auf die Aktivisten betonte Büchner, dass die eigentliche Straftat erst beginne, wenn ein Räumungsaufruf durch die Polizei erfolgt sei - und die Aktivisten dann nicht weichen, zum Beispiel weil sie festgeklebt seien.
"Die Straftat ergibt sich ersteinmal nicht draus, dass die Klima-Aktivisten sich auf die Straße kleben", so Büchner. Dies sei zunächst eine Demonstration, die von der Versammlungsfreiheit gedeckt sei. "Ganz pauschal gesagt: Wenn irgendwo eine Demonstration stattfindet - dann ist dort der Verkehr auch blockiert." Strafrechtlich relevant würden die Aktionen erst, wenn die Polizei die Versammlung auflöst. Dann sei der Bereich Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte erreicht, sagte Büchner.
Sendung: rbb24 Abendschau, 17.05.23, 19:30 Uhr