Wie es ist, sich selbst zu heiraten - "Es ist verdammt krass, 'ja' zu sich zu sagen"

So 07.05.23 | 10:46 Uhr | Von Carsten Dippel
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Symbolbild: Eine Frau im Brautkleid hält einen Brautstrauß in der Hand (Quelle: dpa / Westend61).
Audio: rbbKultur | 06.05.2023 | Carsten Dippel | Bild: Westend61

Promis zelebrieren Hochzeiten auf Instagram mit allem drum und dran - nur ohne Ehepartner. Eine solche "Selbstheirat" klingt nach Narzissmus. Für manche ist sie aber ein wichtiger Lebensmoment, in dem es um die Frage geht, wie man sich annehmen kann. Von Carsten Dippel

Alles war bereitet für ein würdevolles Fest. Zwölf Frauen kamen an einem schönen Tag im Mai 2019 zusammen. Gemeinsam mit der Braut feierten sie die Hochzeit. Auf den bewegenden Moment folgten Tränen der Freude und Rührung. Am Ende wurde ein Blumenstrauß geschmissen. Ganz so, wie bei einer klassischen Hochzeit.

Was an diesem besonderen Tag fehlte - beziehungsweise, genau genommen gerade nicht fehlte - war ein Gegenüber, ein Partner. Denn Lavinia Lazar heiratete sich selbst. "Ich glaube, das war mein Unterbewusstsein, das wusste, was ich für meine Heilung brauche und dass es lauter Frauen sein sollen. Das hat sich sehr sicher angefühlt."

Die Berlinerin Lavinia Lazar bei ihrer sogenannten Selbstheirat im Mai 2019 in Berlin (Quelle: privat).
Lavinia Lazar bei ihrer Zeremonie im Mai 2019 | Bild: Privat

Märchen und Hollywoodfilme

Wenn man als Frau in der westlichen Welt aufwachse, werde man stark geprägt von Märchen und Hollywoodfilmen, sagt Lavinia Lazar. Dazu gehöre auch die Idee, eines Tages unbedingt heiraten zu müssen. Auch ihr sei das wichtig gewesen. Ein halbes Jahr vor der Selbstheirat sah die Welt von Lazar noch anders aus. Da hatte ihr langjähriger Partner ihr einen Heiratsantrag gemacht.

Das Paar zog in eine größere Wohnung, sie dachten an Kinder, wollten eine Familie sein. Doch es funktionierte nicht. Der Traum vom Eheglück mit Kindern, Haus und Hof zerschellte. "Dann stand ich da mit einem Scherbenhaufen in mir drin und einem weiteren Umzug, der mir bevorstand. Und dachte, ok, scheinbar kann ich mich auf niemand anderen verlassen als auf mich selbst. Ich war einfach erschüttert und habe dann entschieden, dass ich trotzdem heirate. Und zwar mich selbst."

"Das war wesentlich schwerer, als ich dachte"

So saß Lavinia Lazar eines Tages in einem Café, emotional und mit Tränen in den Augen wusste sie: Eine Hochzeit in weißem Kleid, ihr Kindheitstraum, soll trotzdem wahr werden. Ein riesiges "Selbstliebefest" sollte es werden. Mit engen Freundinnen und Wegbegleiterinnen. Sie mietete ein kleines, privates Theater in München an. Es gab ein Buffet, es wurde getanzt und zuvor gab es eine kleine Zeremonie, in der die Braut zu sich "ja" sagte.

"Ich habe 'ja' gesagt und dabei habe ich in die Augen von zwölf Frauen geschaut und das war wesentlich schwerer als ich dachte. Mich hat so richtig die Angst gepackt." Erst in diesem Augenblick habe sie realisiert, worauf sie sich da wirklich einlasse. "Dieses volle Commitment mit mir. Da habe ich gespürt, dass das richtig Arbeit ist. Und nicht nur Glitzer, Glitzer, Champagner."

Wenn die bald 40-Jährige, die in Rumänien aufwuchs und durch einen Studienaufenthalt nach Berlin kam, heute auf ihre Entscheidung vor vier Jahren zurückblickt, ist da weit mehr. Die Entscheidung, sich selbst zu heiraten, bedeutete auch eine radikale Wende in ihrem Leben. Sie gab ihren Job in einer Sachbuchagentur auf und arbeitet heute als Sex-und Beziehungscoach.

Sich die Frage zu stellen, ob man sich selbst heiraten möchte, sei ein sehr emotionaler Moment gewesen. "Ich habe mich gefragt, wie fühlt sich das an und habe dann gespürt: Wow, das ist eine krasse Sache, voll und ganz 'ja' zu mir zu sagen. Also zu allen Teilen zu mir, auch zu denen, die ich gar nicht so cool finde." Erst da habe sie verstanden, was es bedeute, sich selbst mit allem, was einen ausmache, inklusive aller Schattenseiten, anzunehmen.

Die Berlinerin Lavinia Lazar bei ihrer sogenannten Selbstheirat im Mai 2019 in Berlin (Quelle: privat).
| Bild: Privat

Überkommene Vorstellungen von Partnerschaft

Inszenierte Selbstheiraten scheinen seit einigen Jahren ein Trend zu sein, gerade in sozialen Medien wie Instagram. Ein Trend, der sich, etwa in Japan, auch gegen überkommene Vorstellungen von Partnerschaften richtet. Die US-Schauspielerin Selena Gomez ("Springbreakers", "The Big Short") bekannte sich dazu. Sängerin Lizzo stand schon 2017 im Video zu ihrem Nummer-eins-Hit "Truth Hurts" allein vor dem Altar. Im vergangenen Jahr griff die 35-Jährige das Thema erneut auf. Im Video zu "2 be loved" rettet sich Lizzo selbst, bevor ein Mann sie heiratet.

So ich-bezogen das bei manchem Promi wirken mag, für Lavinia Lazar steht dahinter eine wichtige Frage, die, wie man sich selbst annehmen kann, wie sie sagt. "Ich glaube, eine gesunde Selbstfürsorge und -erkenntnis ist die Basis, damit man in einer guten Gemeinschaft sein und letztlich auch eine gute Beziehung führen kann", erzählt sie.

Reise zu sich selbst - klassische Hochzeit nicht ausgeschlossen

Doch wie ist das mit den klassischen Tugenden oder Erwartungen, die an eine Partnerschaft mit einem anderen Menschen gemeinhin gestellt werden? Mit der Treue, die vielen so wichtig ist? Die Frage zum Umgang mit Treue, Untreue, mit all den kleinen Sprengfallen einer Beziehung, könne man auch an sich selbst richten, sagt Lazar. Und sie eröffne neue Perspektiven. "Dass ich mir treu bin, bedeutet für mich, dass ich keinen Teil von mir abschneide oder unterdrücke, nur um in einer Beziehung zu sein." Früher sei sie in Beziehungen oft Kompromisse eingegangen. "Wenn mein Beziehungspartner damit nicht umgehen kann, dass ich so bin, wie ich bin und das ist aber ein wirklich wichtiger Teil von mir, dann werde ich diese Beziehung nicht eingehen. Und das ist neu."

Sollten wir uns nun alle um der besseren Selbsterkenntnis willen selbst ehelichen? Das sicher nicht. Ihre Selbstheirat sei ein innerer Akt gewesen, betont Lavinia Lazar. Sie lebe nicht in einer um sich selbst kreisenden Blase, sondern habe viele Freunde und sei offen für Beziehungen. Und irgendwann darf es gern auch eine ganz klassische Hochzeit geben. "Mit dieser Selbstheirat ging es für mich auch darum zu entdecken, wer ich eigentlich bin. Heute kann ich sagen: Ich bin ein ganz anderer Mensch. Ich traue mich mehr, ich bin wesentlich mutiger und wesentlich beziehungsfähiger."

Sendung: rbbKultur, 06.05.2023, 19:45 Uhr

Beitrag von Carsten Dippel

28 Kommentare

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  1. 28.

    Perfekt analysiert. Vielleicht kommt ein wenig davon auch bei denen an, die sich darüber lustig machen.

  2. 27.

    Die Welt wird immer bekloppter und Nabelschau wohl immer wichtiger.

  3. 26.

    Viel besser und cooler wäre es gewesen, ganz auf dieses staatliche, kirchliche Konstrukt der Heirat zu verzichten, aber scheinbar ist sie dann doch einem gewissen framing verfallen.
    Auch mit dem Hochzeitskleid ist so eine typisch in die weibliche Welt injizierte Denkweise.
    Vor allem dass man am Ende nur sich selbst am meisten vertrauen oder verlassen kann sollte eigentlich die grunderkenntnis eines jeden von Anfang an sein.

  4. 25.

    Schade, dass manche es missverstehen. Das ist kein Narzissmus und keine Zeitverschwendung, sondern ich interpretiere es als einen Akt der bedingungslosen(!) (Selbst)Liebe. Wirkliche, das heißt bedingungslose Liebe geht immer bei sich selber los. Nur wer sich selber bedingungslos annimmt, kann das auch bei anderen, selbst wenn es die eigenen Kinder sind. Dazu muss man nicht sich vielleicht noch zwangsläufig heiraten, aber wenn einem dieser symbolische Akt auf dem Weg zu Selbstakzeptanz und -Liebe hilft, why not?

  5. 24.

    Ich will so bleiben wie ich bin - und wer ist eigentlich Paul.
    Schon manchmal komisch mit älterer Werbung.

  6. 23.

    Wenn das einem Menschen gut tut und andere Personen nicht einschränkt, sehe ich keinen Grund, so etwas nicht zu machen oder in Ordnung zu finden.
    Andere falten beispielsweise ihre Hände, sprechen dann innerlich zu einem Wesen, welches noch nie ein Mensch gesehen hat und fühlen sich im Anschluss besser oder finden dadurch zu sich selbst. Auch das ist für mich vollkommen OK, so lange die beiden Regeln aus meinem ersten Satz eingehalten werden.
    Dass sowohl das eine wie auch das andere für mich persönlich nicht in Frage kommt bzw. mir keine Erkenntnis bringt, macht ja nix. Jedem Tierchen sein Pläsierchen! :-)

  7. 22.

    Das Splitting lohnt sich kaum.
    Theoretisch verdienen ja beide nicht nur das Gleiche, sondern sogar das Selbe.....

  8. 21.

    Wie sieht es denn da steuerlich aus? Gibt es da auch Ehegattensplitting? Und wenn Kinder existieren? Gibt es da auch ein gemeinsames Sorgerecht? Fragen über Fragen.

  9. 20.

    Das Wort "Heirat" (vom altgermanischen "Hîwa") bedeutete etwa eine Hausgemeinschaft gründen.
    Mir sich selbst eine Gemeinschaft gründen.
    Na dann.

  10. 19.

    Geht es um Heirat als Sakrament oder um einen Vertrag vor dem Staat?
    Ich nehme an, um Drittes, was das wohl ist?

  11. 18.

    Ich bin mir ziemlich sicher dass der Ex von ihr seine Entscheidung definitiv NICHT bereut denn diese Dame zeigt doch ein deutliches Manko an gesundem Ego. Kompliment, Glück gehabt, alles richtig gemacht :-)

  12. 17.

    Liebe an und für sich …

  13. 16.

    Bin zwar auch an Spiritualität etwas interessiert, aber eine Selbsthochzeit wär mir viel zu teuer.
    Ich will nicht heiraten, weil ich auch keinen Kerl an der Backe haben will.
    Ich möchte auch mir selbst nicht verpflichtet sein.
    Daher auch keine Selbsthochzeit.
    Aber ich sag immer: Leben und Leben lassen.

  14. 15.

    "Ich sehne mich immer nach dem Alleinsein, aber bin ich allein, bin ich der unglücklichste Mensch."

    Thomas Bernhard. Danke.

  15. 14.

    Ich sage öfter „JA tue es“ zu mir. Deshalb muss ich mich nicht gleich heiraten …

  16. 13.

    Sehr lustig geschrieben. Sowas in der Art habe ich auch gedacht.

  17. 12.

    Na, ja, finanzielle Probleme scheint die junge Dame ja nicht zu haben.
    Ich glaube, wir lassen uns viel zu sehr von irgendwelchen Promis beeindrucken, die nicht selten etwas durchgeknallt durchs Leben gehen.
    Am besten man besinnt sich auf sich selbst und verkauft sich nicht als Person bzw. sein Leben, zumal wir ja im modernen Leben sehr auf den Datenschutz achten. Aber es scheint ja ein einträgliches Geschäft zu sein, mehr als man weniger glitternden Berufen erarbeiten kann. Traurig.

  18. 11.

    Oje, die Menschheit wird wahnsinnig...

  19. 10.

    Wertfreies Gerede.

  20. 9.

    In Zeiten von Selbstzweifeln höre ich in mich hinein und reflektiere. Das reichts aus, auch Dank zurückliegender professioneller Hilfe, die durch einen Schicksalsschllag notwendig wurde. Ich brauche keine Heirat mit mir selbst, Reflektion reicht aus, wenns mal knirscht. Keine Ahnung, welche Zeitgeister einer mit sich selbst, durch äußere Einflüsse und zuvieler Medien überforderte Gesellschaft noch aufkommen.

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