Interview | Ermittlungen gegen Beamte - "Wenn Polizei beschuldigt wird, sollte nicht nur die Polizei ermitteln"

So 11.06.23 | 12:02 Uhr
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Symbolbild:Ein Polizist trägt eine Bodycam auf seiner Uniform.(Quelle:dpa/M.Skolimowska)
Bild: dpa/M.Skolimowska

Wenn Polizisten unter Verdacht geraten, ermittelt gegen sie die Polizei - also die eigene Behörde. Die Öffentlichkeit erfährt in solchen Fällen meist wenig. Polizeiforscher Rafael Behr schildert im Interview Ideen, wie mehr Transparenz erreicht werden könnte.

In Niederlehme (Dahme-Spreewald) und in Senftenberg (Oberspreewald-Lausitz) sind Einsätze der Brandenburger Polizei zuletzt tödlich verlaufen. Im Fall Niederlehme starb ein 45-Jähriger. Gegen die Beamten gibt es Vorwürfe, den Tod verursacht zu haben. Angehörige erstatteten Strafanzeige. In Senftenberg erschossen Polizisten einen 35-Jährigen. In beiden Fällen ist wenig bekannt, was genau abgelaufen ist - und noch weniger über die Ermittlungen innerhalb der Polizei. Der Kriminologe Rafael Behr von der Akademie der Polizei Hamburg erklärt, wo die Fallstricke liegen, wenn die Polizei gegen Polizisten ermitteln muss.

rbb|24: Herr Behr, wie bewerten Sie das Verhalten der Polizei und Staatsanwaltschaft, wenn gegen die Polizei selbst ermittelt wird?

Rafael Behr: Nach meiner Erfahrung halten sich Staatsanwaltschaft und Polizei in Ermittlungen gegen das eigene Personal noch extremer mit Informationen zurück als in anderen Fällen, in denen Polizeibeamte nicht involviert sind. Das ist durch die Bank in fast allen Bundesländern so. Es gibt einige wenige Ausnahmen. Ansonsten halten sich die Staatsanwaltschaften aber doch sehr deutlich zurück mit Informationen, die der Zivilgesellschaft und der Bevölkerung helfen würden, die Dinge besser zu verstehen.

Zur Person

Rafael Behr, Kriminologe und Soziologieprofessor (Quelle: dpa/Ulrich Perrey)
dpa

Rafael Behr ist Professor für Polizeiwissenschaften am Fachhochschulbereich der Akademie der Polizei Hamburg. Er leitet die Forschungsstelle Kultur und Sicherheit (FoKuS).

Warum?

Zum einen steht der Schutz der Betroffenen im Vordergrund. Es geht aber auch darum, nicht vorschnell Urteile zu fällen, die den Ruf und das Vertrauen in die Polizei beschädigen könnten. Man versucht extrem neutral zu bleiben oder wenig zu informieren, um sich Ermittlungsergebnisse nicht von vornherein kaputtzumachen. Es ist eine große Sorge um das Wohl der Betroffenen. Und eine große Diskretion hinsichtlich der Handlungszusammenhänge, in die Polizeibeamte verstrickt sind.

In Senftenberg, wo vor drei Monaten ein Mann bei einem Polizeieinsatz ums Leben gekommen ist, kursieren viele Gerüchte über den Einsatz. Ist da die Zurückhaltung von Informationen seitens der Polizei die richtige Herangehensweise? Oder sorgt das nicht sogar für viel mehr Vertrauensverlust?

Von der Informationspolitik ist es schlimm, dass hier überhaupt keine Anstrengung unternommen wird, Verschwörungstheorien vorzubeugen. Verfahrensmäßig ist das allerdings nachvollziehbar, weil man wenig Ermittlungsergebnisse schon von vornerein kolportieren will. Sie können nicht verhindern, dass sich in der Bevölkerung Fantasien entwickeln.

Was wäre aus ihrer Sicht sinnvoll, wenn es um Ermittlungen gegen eigenes Personal geht?

Wenn Polizei involviert ist - nicht nur als Zeuge, sondern tatsächlich möglicherweise auch in der Vermutung als Beschuldigte - sollte nicht nur die Polizei ermitteln. Das ist der normale Instanzenweg und die traditionelle Form, dass die Polizei eigenes Personal einsetzt, um gegen Kollegen zu ermitteln. Natürlich im Auftrag der Staatsanwaltschaft. Aber die Staatsanwaltschaft ist in der Regel nicht vor Ort, sondern delegiert diese Ermittlungsarbeit an die Polizei. Das halten viele Fachleute heute für obsolet.

Was fordern Sie stattdessen?

Meine Forderung, und die vieler anderer, wäre die Einführung von Polizeibeauftragten. Also neutrale Stellen zu installieren, die auch Ermittlungsbefugnisse haben, die strafprozessuale Maßnahmen durchführen können, wenn sie es für wichtig halten, die auch darüber hinaus noch weitere Befugnisse haben.

Die Ermittlungsbehörden ermitteln rein strafprozessual und ermitteln Tatbestände. Das heißt: Nur das, was im Strafgesetzbuch steht, wird hier ermittelt. Darüber hinaus gibt es aber oftmals noch andere Konflikte, zum Beispiel das, was heute Racial Profiling genannt wird. Also Vorwürfe an die Polizei, diskriminierend zu handeln. Das kriegt man nicht mit Strafrecht weg. Da braucht man Aufklärung, da braucht man Auseinandersetzung. Das alles kann ein Polizeibeauftragter initiieren.

Was könnte für mehr Transparenz bei der Polizeiarbeit sorgen?

Es gibt Mittel, die auch schon eingesetzt werden, aber sehr einseitig nur zum Schutz der Polizeibeamten. Ich spreche hier von Bodycams oder anderen Möglichkeiten, das Handeln transparent zu machen. Und es stünde jetzt dringend an, die Einführung der Bodycams zu forcieren, sodass sie tatsächlich jede und jeder mitnehmen kann.

Heute werden die Bodycams nur eingeschaltet, wenn Handlungen der Beschuldigten sichergestellt werden sollen. Also wenn Beschuldigte der Polizei gegenüberstehen und etwas tun - dann wird die Bodycam eingeschaltet. Und ich fordere mit vielen anderen Kollegen, dass regelmäßig Polizeibeamte die Bodycams dann einschalten, wenn sie in Situationen kommen, in denen es zum Beispiel Gewalt, Eskalationen gibt, damit sie ihr eigenes Handeln transparent und überprüfbar machen.

Denn wir wissen: Wenn es ausschließlich polizeiliche Aussagen gibt, ist die Möglichkeit der Aufklärung geringer, als wenn es objektive Beweismittel gibt, die einen anderen Informationsgrad haben, als die Rekonstruktion der Polizisten vor Ort. Hier würden diese Bodycams ganz einfach eine Objektivität sicherstellen.

Bei den beiden angesprochenen Einsätzen in Brandenburg kam es zu tödlichen Schüssen durch Polizeibeamte. Könnten Polizisten in solchen Situationen mit Tasern besser agieren?

Ich verspreche mir von der Bodycam als defensiven Schutz der Polizeibeamten mehr als durch das Mitführen zusätzlicher Instrumente, die Schmerzen verursachen, wie zum Beispiel die Elektroschocker. Ich halte solche Geräte für hochgradig gefährlich, weil sie Situationen stärker eskalieren, weil man noch mehr Mittel zur Verfügung hat, um Menschen wehzutun. Ich halte es für besser, wenn Bodycams tatsächlich großflächig eingesetzt würden. Das ist ein Medium, das defensiv ist und das niemandem wehtut, das aber Klarheit schafft im Ablauf einer Szene.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 08.06.2023, 19:30 Uhr

23 Kommentare

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  1. 23.

    Das ist absolut zu kotzen. Tut mir leid für sie.

    Bin in den 90ern in Berlin großgeworden. Da keine ich ad hoc auch niemanden aus meiner Generation, der/die nicht eine Geschichte auf lager hat, wo er/sie von einem Beamten Unrecht widerfahren ist.

    Klar es sind nicht alle Beamten, aber wir durften damals erfahren, dass es hier ein systematisches Problem gibt und als Resultat natürlich nicht die Polizei für das sehen, was sie eigentlich sein sollte.

  2. 22.

    Sie finden es gut und richtig, dass gegen Beamte, die sich im Dienst nicht regelkonform verhalten oder sogar Straftaten begehen, nicht ordentlich ermittelt wird und diese daher dann auch nicht für ihr Fehlverhalten zur Rechenschaft gezogen werden, sondern dadurch – ganz im Gegenteil – auch noch dazu ermuntert, einfach so damit weiterzumachen? Sagen Sie mal, spinnen Sie eigentlich komplett?

  3. 21.

    Vielen Dank für den Beitrag als Interview. Zeigt es doch deutlich, das Bewegung in dieser Frage kommt! Grundsätzlich brauch jeder Staat, mit dem Gewaltmonopol, die Polizei,die das Recht durchsetzt. Meine Erfahrungen mit der Polizei sind, dass der überwiegend Teil sich korrekt verhält. Dass man zügig Missverständnisse als solche erkennt und benennt.
    Die Frage lt. Wir gehe ich intern mit Personen um, die sich nicht korrekt verhalten, nicht nur einmal, weil es ein schlechter Tag ist, sondern Grundsätzlich. Und hier greifen die Selbstheilungskräfte nicht mehr. Von daher bedarf es einer externen Stelle, die die Fehlgriffe aufklärt.
    Die Fehl-griffe der Exekution und die der Judikativen! Den das Neutralität - Gebot der Gerichte sehe ich nicht als stets gegeben.
    Wie sind wir zu dieser Situation gekommen, könnte als Frage an den Senat oder an den Landtag gehen. Ist das Gut Rechtssicherheit und Rechtsfrieden ausreichend finanziert?

  4. 20.

    Mir ist ebenfalls einiges bei Polizeikontrollen widerfahren, die einfach nicht mehr feierlich sind. Von Beleidigungen bis hin zu Körperverletzungen, die natürlich alle heruntergespielt wurden. Und da stellt man sich die Frage, ob die Polizei ihrer eigentlichen Arbeit noch nachkommt. Die sollte man mal von Grund auf renovieren.

  5. 19.

    Viele Raser fühlen sich ebenfalls Polizeigewalt ausgesetzt wenn gegen sie maßnahmen ergriffen werden.

  6. 18.

    Immer wenn man denkt, es kann nicht schlimmer werden mit den Kommentatoren hier, kommt einer angelatscht und setzt einen drauf. Rallen Sie eigentlich, was Sie da schreiben? Sie waren ja noch nie mit guten Kommentaren unterwegs aber jetzt zeichnet sich da ein ganz deutliches Bild ab. Danke!

  7. 17.

    "Nach meiner Erfahrung halten sich Staatsanwaltschaft und Polizei in Ermittlungen gegen das eigene Personal noch extremer mit Informationen zurück als in anderen Fällen, in denen Polizeibeamte nicht involviert sind. "

    Und das ist gut so und sollte auch für alle andereb Fälle gelten . Strafrecht ist keine Unterhaltung, sillte also nur bei Ermittlungsbegin, beginnender Gerichtsverhandlung und nach dem Urteil erfolgen

    Auch vermeintliche oder tatsächliche Täter haben ein Recht auf Privatsphäre.

    Ermittlungen sollen nüssen imner Aufgabe der Polizei und Staatsanwaltschaft sein, nicht privatwirtschaftlicher / politischer Hobbyermittler.

    Akles andere wäre staatszersetzend

  8. 16.

    Ich war selbst vor Jahrzehnten einmal von Straftaten zweier Polizisten betroffen (Freiheitsberaubung, Körperverletzung, Falsche Verdächtigung, Meineid) und kann leider bestätigen dass man da praktisch keine Chance hat. Weder Gerichte noch Staatsanwaltschaften verhalten sich neutral - und das macht ja auf eine Art auch Sinn, denn warum sollte der Staat seinen eigenen Beamten nicht glauben. Nein das war nicht in der DDR. Und deswegen braucht es mindestens eine neutrale Instanz, wie zum Beispiel einen Ombudsmann, der in solchen Fällen zwingend in die Ermittlungen und den Prozess involviert wird, um die Rechtsstellung des Bürgers gegenüber dem Staat wenigstens etwas zu stärken.

  9. 14.

    Mir ist von einem Beamten die Kniescheibe raus getreten worden, aber vier Beamte haben "gesehen", dass es nicht so war. Verständlich, das ich das anders sehe, oder?

  10. 13.

    Tja, jetzt haben Sie einen Sack aufgemacht, und eine ganze Berufsgruppe als Verdächtige hinein gesteckt.
    Das ist ein Unding, so geht es nicht, ob Berufsgruppe. Bevölkerungsgruppe oder Nationalität!

  11. 12.

    Für mich hat die Polizei aufgrund div.Vorkommnisse von Falschaussagen untereinander längst in Gänze, da Ermittlungen nur selbst und unzureichend erfolgen, ihre Glaubwürdigkeit verloren. Solange sich nicht grundlegend bei den Ermittlungen gegen die Polizei etwas ändert sind für mich alle Polizisten von vornherein verdächtig.

  12. 11.

    Gerade Sendung auf Inforadio zum Thema Berliner Polizei gehört. Teils recht erschreckend! Empfehle Podcast der rbb-Mediathek.

    https://www.rbb-online.de/rbbkultur/podcasts/deep-doku/episoden/deep-doku-ep031.html

  13. 10.

    Eben, wenn Bodycamp vorhanden,und diese auszuschaltet werden, dann ist es eine Manipulation.
    Darauf hat der Beitrag #6 hingewiesen.

  14. 9.

    Ja,Sie haben Recht, wenn die Bodycams ausgeschaltet sind, dann ist es eine Manipulation.

    Ich würde eine verpflichtende Bodycams - Dokumentation jedes Polizeieinsatzes zur Beweisführung für unabdingbar halten, dafür spricht meine einmalige Erfahrung mit der Polizei, die mit einem Stafbefehl endete, unberechtigterweise.
    War vor ca. 15 jahren in Bayern, wobei die Polzei im Winter bei uns klingelte wegen unseres Autos, das bei Gleiteis im Feld gelandet ist, und nicht mehr weiterfahren konnte..
    Die Konversation an der Haustür, die wurde von der Polizei als Widerstand und Beleidigung aufgefasst, und wir landeten vor Gericht, der Staatsanwalt wollte uns nicht zuhören, und so wurden wir in nu, zu so un so viel Tagesätzen verurteilt,

  15. 8.

    @ Max, Sheela sprach von Manipulation.
    Bitte dann vollständig lesen.

  16. 7.

    Als junger Erwachsener bin ich mal aufgrund der Falschaussagen zweier Polizisten zu Unrecht wegen angeblichen Landfriedensbruchs auf einer Demonstration verurteilt worden. Ganz rein „zufälligerweise“ war der Teil der von der Polizei angefertigten Videoaufzeichnung, die dann in der Verhandlung als Beweismittel gezeigt wurde und den Aussagen der beiden Polizisten ganz klar widersprochen, mich also zweifelsfrei entlastet hätte, mit ca. einer halben Minute eines Fußballländerspiels überspielt worden … Und Sie sprechen von „Vorurteilen“ gegenüber der Polizei, die abgebaut werden müssten?? Ich würde es eher als massiv erschüttertes Vertrauen in die Institution Polizei und die Rechtsstaatlichkeit bezeichnen, das Polizeibeamte durch ganz bewusstes vorsätzliches Lügen vor Gericht selbst zu verantworten haben. Zum Glück habe ich im Laufe meines Lebens dann auch noch gegenteilige Erfahrungen mit anderen, rechtschaffeneren Polizisten machen dürfen.

  17. 6.

    "Wie kommen Sie darauf, dass Bodycams manipuliert werden können?" Oder ausgeschaltet.

    https://rp-online.de/nrw/panorama/dortmund-polizei-bodycams-waren-bei-schuessen-auf-16-jaehrigen-ausgeschaltet_aid-75187117

  18. 5.

    @ Sheela, wenn Ihr Verfahren fallen gelassen wurde, dann wird es vielleicht auch nicht gerechtfertigt gewesen sein, auch wenn Sie das verständlicherweise anders sehen.
    Wie kommen Sie darauf, dass Bodycams manipuliert werden können? Ich denke, Sie haben (zu Recht oder Unrecht) ziemliche Vorurteile gegenüber der Polizei. Da frage ich mich, ob für Sie überhaupt eine Maßnahme geeignet wäre, Ihre Vorurteile abzubauen.

  19. 4.

    Die Bodycam dauerhaft,überall und ohne Ansage aufzeichnen zu lassen ist per Gesetz garnicht erlaubt.
    Wenn sie allerdings aufzeichnen, sind sie ein gutes Hilfsmittel.
    Das mit der Krähe und dem Auge ist ein gern rausgekramtes Vorurteil gegenüber Polizeiarbeit. Bei internen Ermittlungen geht die Angelegenheit an eine andere Dienststelle und das LKA. Da dürfte schon die nötige Distanz zu den Beamten gegeben sein.
    Eine unabhängige Untersuchungskommission müsste allerdings auch eine Polizeiausbildung haben, um überhaupt zu verstehen, was untersucht wird.

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