20 Jahre EU-Osterweiterung - "Die polnischen Schüler sichern unsere Klassen"
Kurz nach dem EU-Beitritt Polens wurde vor 20 Jahren im grenznahen Gartz eine Grundschule neu eröffnet, die von polnischen Kindern gut besucht wird. Brandenburger Schüler profitieren auch davon: Viele lernen nun Polnisch. Von Riccardo Wittig
"Wir schauen uns verschiedene Formen an", sagt die Lehrerin Marta Bures auf Polnisch, während ihre Schüler aufmerksam zuhören. Zehn Kinder sitzen im Kreis rund um die Lehrerin. In der Grundschule in Gartz (Uckermark) lernen die Schülerinnen und Schüler der ersten Klasse gerade Begriffe rund um das Wetter. Ihre Grundschule gehört zu den wenigen Schulen in Brandenburg, an denen Polnisch als Wahlfach auf dem Lehrplan steht.
"Wir versuchen in allen Jahrgangsstufen Polnisch anzubieten", sagt die Polnischlehrerin Bures. "Wir fangen spielerisch an, aber danach werden wir auch Grammatik beibringen, auch Lieder lernen, Geschichten und Gedichte."
Grundschule eröffnete 2005
Kurz nach der EU-Osterweiterung vor 20 Jahren – am 1. Mai 2004 – zog Bures mit ihrer Familie aus Polen nach Gartz. Den Schritt bereue sie nicht, sagt die Lehrerin. "Ich lebe hier, ich arbeite hier, meine Kinder sind hier zur Schule gegangen, die studieren hier auch in Deutschland."
Bereits 1994 gab es deutsch-polnische Klassen, Schülerinnen und Schüler, die in Garz ihr Abitur in der damals noch erweiterten Oberschule ablegten. Die Polen pendelten durch ein Nachbarschafts- Abkommen täglich über die noch geschlossene deutsch-polnische Grenze. Die Stadt an der Oder liegt 30 Kilometer südlich der polnischen Großstadt Stettin.
Mit der Osterweiterung zogen viele junge polnische Familien auf die deutsche Seite. Aktuell leben rund 1.000 polnische Bürger im Amtsbereich Gartz. Davon profitieren Kindertagesstätten und Schulen: So konnte 2005 nach der Schließung der Oberschule in Gartz eine Grundschule neu eröffnen. Die Grundschüler mussten zuvor die Schule in Tantow besuchen.
Ein Viertel der Schüler ist polnisch
Aktuell lernen an der Gartzer Grundschule nach Angaben der Schulleitung etwa 200 Schülerinnen und Schüler. Seit der Neugründung seien die Schülerzahlen bergauf gegangen, sagt Schulleiterin Birgit Venzke. Jedes vierte Kind an der Schule habe polnische Wurzeln. Nach der Neugründung seien zeitweise die Hälfte der Schüler polnisch gewesen. "Man merkt es im täglichen Leben bei uns überhaupt nicht, dass es verschiedene Nationalitäten bei uns an der Schule gibt."
Von der sprachlichen Vielfalt profitieren nicht nur die polnischen Kinder, die – so schildert es die Schulleiterin – mit hoher Motivation Deutsch lernen, um dem Unterricht folgen zu können. Seit etwa acht Jahren können auch deutsche Kinder Polnisch als Fach wählen. Das sei ein Wunsch vieler deutschen Eltern gewesen. Das Angebot werde gut angenommen, sagt Venzke.
Ohne die polnischen Kinder wäre die Schule nicht zweizügig, sagt die Schulleiterin. "Die polnischen Schüler sichern unsere Klassen." An der Schule arbeiten außerdem nach Angaben der Schulleiterin drei polnische Lehrkräfte und eine polnische Sozialarbeiterin.
Amtsdirektor: Grenzöffnung war ein "Glücksfall"
"Wir haben viele polnische Lehrkräfte, die hier in Deutschland den Stundenplan absichern" sagt der parteilose Amtsdirektor Frank Gotzmann. In den Wendejahren habe er gesehen, wie es immer weniger Kinder und Einwohner in Gartz gab. Nach der Grenzöffnung habe sich die Lage stabilisiert. Er beschreibt die Grenzöffnung als einen "Glücksfall" für die Schulen im ganzen Amtsbereich.
Doch nicht nur die Schulen hätten vom Zuzug polnischer Bürger profitiert, so der Amtsdirektor: "Wir haben polnische Arbeitnehmer bei den Verkehrsbetrieben, in der Apotheke, im Imbiss, im Einkaufsmarkt", sagt Gotzmann. "Die Deutschen und Polen, die hier leben, gestalten gemeinsam die Grenzregion und das ist eine gute Sache."
Die EU-Osterweiterung vor 20 Jahren hat die Grundschule in Gartz offenbar gutgetan. Das soll auch so weitergehen: Gerade wird die Schule für etwa acht Millionen Euro saniert. Trotz offener Grenzen wird es weiterhin aber eine Barriere geben, sagt die Polnischlehrerin Marta Bures: "Immer noch ist es die Sprache, aber die werden wir noch so gut wie möglich in der Gartzer Schule unterrichten."
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 29.04.2024, 19:30 Uhr