Verbot oder Kompromiss? - Berliner Schulen ringen um den richtigen Umgang mit Handys

Do 26.09.24 | 06:16 Uhr | Von Anna Corves
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9. Klasse des John-Lennon-Gymnasiums - Schüler:innen halten ihre Smartphones in die Luft. (Quelle: rbb/Corves)
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Audio: rbb24 Inforadio | 26.09.2024 | Anna Corves | Bild: rbb/Corves

Während in manch anderen Ländern bereits ein Handyverbot an Schulen gilt, gibt es in Deutschland dazu keine einheitliche Regelung. Auch in Berlin muss jede Schule eigene Richtlinien beschließen - ein schwieriger Prozess. Von Anna Corves

In ruhiger Stadtrandlage in Lichtenrade im Süden Berlins liegt die Theodor-Haubach-Schule, eine Integrierte Sekundarschule. Die Jugendlichen fit fürs Berufsleben zu machen, ist das Hauptziel von Schulleiter Manfred Gehrke und seinem Kollegium. Dazu dienen auch Werkstätten für Holz, Metall, Elektronik und Textilien. Mit den eigenen Händen etwas zum Anfassen zu erschaffen, sei für viele seiner Schüler:innen eine tolle und neue Erfahrung, erzählt der Direktor.

Sonst sind die Hände der Jugendlichen überwiegend mit dem Handy beschäftigt. Doch zumindest auf dem Schulgelände ist damit seit dem 1. Januar 2024 Schluss. Von Unterrichtsbeginn bis -ende, auch in Pausen und auf dem Schulhof müssen die Smartphones im Rucksack bleiben. Ein harter Einschnitt war das, erinnert sich der 14-jährige Maik: "Ich hab vorher immer mit meinen Freunden in einer Ecke gezockt. Als wir das nicht mehr durften, haben wir uns erstmal geärgert."

Manfred Gehrke, Schulleiter Theodor-Haubach-Schule. (Quelle: rbb/Corves)
Manfred Gehrke, Schulleiter Theodor-Haubach-Schule, musste durchgreifen. | Bild: rbb/Corves

Inzwischen kann er dem Verbot auch etwas abgewinnen. Mit seinen Freunden schnappt sich Maik in der Pause jetzt einen Fußball oder Tischtenniskeulen. "Wir wünschen uns zwar nach wie vor das Handy zurück. Aber so zu spielen macht auch Spaß." Man sei nicht mehr so abgelenkt, ergänzt die 13-jährige Latifah. Früher habe sie selbst im Unterricht immer wieder aufs Handy geschaut. Ihre Englischlehrerin Marta Valdenebro nickt energisch: "Die Schüler können sich besser konzentrieren."

Symbolbild: Eine Schülerin einer fünften Klasse eines Gymnasiums benutzt die Suchfunktion ihres Smartphones. (Quelle: dpa/Reinhardt)
Durch Handys im Unterricht leidet die Konzentration | Bild: dpa/Reinhardt

Studien zeigen Effekte eines Verbots auf das soziale Wohlbefinden

Die Wirkung von Handyverboten an Schulen wird auch wissenschaftlich untersucht. Forscher:innen vom Lehrstuhl für Schulpädagogik der Universität Augsburg haben jüngst Studien dazu aus Ländern, in denen ein Handyverbot gilt – Norwegen, Spanien, Tschechien, England und Schweden – verglichen und analysiert. "Die Daten zeigen bedeutende Effekte eines Verbots auf das soziale Wohlbefinden", sagt Studienautor Tobias Böttger. Das soziale Miteinander habe sich verbessert, es habe weniger Konflikte, etwa durch Cyber-Mobbing, gegeben. Nicht belegen ließ sich durch die Daten aus dem Ausland hingegen, dass sich ein Handyverbot auf die Lernleistung der Schüler auswirke. Schulpädagoge Tobias Böttger verweist aber auf eine andere Studie, an der er 2023 mitgewirkt hat. Darin wurde der sogenannte Brain-Drain-Effekt untersucht. Sein Fazit: "Allein die Anwesenheit eines Smartphones am Arbeits- oder Lernplatz reicht schon aus, um abzulenken." Allerdings: Auch die Abwesenheit ihres Handys macht manche Jugendliche an der Theodor-Haubach-Schule nervös. "Da ist schon dieser Drang, am Handy zu sein", sagt die 14-jährige Celina. Es hätten zum Schulschluss schonmal 40 Nachrichten auf sie gewartet.

Hawa (14), Emily (13), 9. Klasse Theodor-Haubach-Schule. Beide: Anfang war Handyverbot sehr schwer, aber man gewöhnt sich dran. Auch wenn man das Handy vermisst. (Quelle: rbb/Corves)
Hawa (14), Emily (13), 9. Klasse Theodor-Haubach-Schule, haben sich ans Handyverbot gewöhnt | Bild: rbb/Corves

Mehr Toilettenkontrollen nach Handyverbot

Manche geben der Neugier dann doch während der Schulzeit nach. "Seit dem Verbot haben wir die Toilettenaufsicht verstärken müssen", erinnert sich Direktor Manfred Gehrke schmunzelnd. Wer mit dem Handy in der Hand erwischt wird, muss es abgeben. Im Schnitt landen drei bis fünf Geräte am Tag bei ihm im Büro. Gehrke sucht dann das Gespräch mit den Schüler:innen. "Das sind keine mahnenden, sanktionierenden Gespräche. Wir reden darüber, wie schwierig es ist, den Smartphone-Konsum zu kontrollieren." Damit hätten schließlich auch genügend Erwachsene ein Problem. Bei Wiederholungstätern müssen die Eltern das Handy abholen. Manche Eltern, sagt Gehrke, eilten in die Schule, angetrieben von ihren Kids auf Entzug. "Andere bitten mich, das Handy gleich ein paar Wochen wegzusperren", lacht er.

Verbot oder Mittelweg?

Vor dem Verbot war der Handykonsum aus dem Ruder gelaufen. Nicht nur zeitlich. "Wir hatten schwere Konflikte, da ging es um nicht-einvernehmliches gegenseitiges Filmen. Auf dem Schulhof wurden auch Videos abgespielt, die wollten wir nicht sehen, die wollten wir auch niemandem zumuten." Sie hätten handeln müssen. Eltern, Schülervertretung und Kollegium hätten das ausführlich diskutiert. Am Ende stimmten Lehrkräfte und Eltern für ein Verbot und überstimmten damit die Schülerschaft.

Ortswechsel: Das John-Lennon-Gymnasium in Berlin-Mitte versucht einen Mittelweg. Hier sind Handys in den Klassen und Gängen verboten, aber in den großen Pausen im Schulhof erlaubt. Noch. In der Praxis erweist sich diese Regel als zu kompliziert. Beispiel Flure: Sie sind eigentlich eine handyfreie Zone. De facto sind dort immer wieder Schüler:innen mit Handy unterwegs und viele Lehrkräfte drücken ein Auge zu. Denn tatsächlich informieren sich die Schülerinnen und Schüler über eine Schul-App auf ihren privaten Handys auch über Stunden-, Vertretungs- und Raumpläne. Schuleigene Tablets gibt es nicht.

Antoneta Berisha, Schulleiterin John-Lennon-Gymnasium (Quelle: rbb/ A. Corves)Antoneta Berisha, Schulleiterin John-Lennon-Gymnasium, ist für eine einheitliche Regelung

Landesweite einheitliche Regelung für alle Schulen erwünscht?

Für mehr Klarheit soll eine Neuregelung sorgen, die in diesem Herbst noch verabschiedet werden soll. Schulleiterin Antoneta Berisha würde sich ein komplettes Handyverbot wünschen. Aber sie will die Neuregelung möglichst einstimmig von Schülern, Eltern und Lehrern aushandeln lassen, um die Akzeptanz zu erhöhen. Im Juni hat die Schule bereits einen "Detox-Monat" versucht mit einem generellen Verbot. Eine kleine, nicht repräsentative Umfrage in einer 9. Klasse ergibt: Begeistert wären die Schüler von einem kompletten Handyverbot nicht.

Wie an der Theodor-Haubach-Schule laufen die Diskussionen ums Handy auch am John-Lennon-Gymnasium schon sehr lange, in mehrstufigen Aushandlungsprozessen. Das mache viel Arbeit und sorge für Unruhe, sagt Schulleiterin Antoneta Berisha.

"Das beliebige Herumprobieren in jeder Schule ist ein taktischer Fehler"

Würde sie sich eine einheitliche Regelung für alle Schulen wünschen, wie es sie im Ausland verschiedentlich gibt? In Deutschland ist Bildung Ländersache, aber das Land Berlin könnte eine entsprechende Regelung im Schulgesetz verankern. Berisha zögert. An sich findet sie es gut, wenn Schulen selbst entscheiden können, angepasst an ihre jeweilige Schüler- und Lehrerschaft. Aber: "Ich glaube, eine landesweite Regelung würde Ruhe schaffen. Das gilt dann einfach für alle."

Schulleiter Manfred Gehrke von der Theodor-Haubach-Schule zögert keine Sekunde: "Aus meiner persönlichen Auffassung heraus ein klares Ja. Das beliebige Herumprobieren in jeder Schule ist ein taktischer Fehler." Er würde sich ein generelles Handyverbot an Berliner Schulen wünschen.

Doch die Senatsbildungsverwaltung sieht keine Notwendigkeit, den Schulen einen solchen Rahmen zu setzen. Das Berliner Schulgesetz sehe eigenverantwortliche Schulen vor, heißt es auf rbb-Anfrage.

Sendung: rbb24 Inforadio, 27.09.2024, 07:30 Uhr

Beitrag von Anna Corves

Kommentar

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33 Kommentare

  1. 33.

    „ (daher ist auch der Kommentar #6 von @Andreas hinfällig)“
    Es herrscht ein Ungleichgewicht.
    Vor allem entscheiden Leute mit, die es nicht direkt betrifft und das wären die Eltern.
    Ich möchte sie mal erleben wenn dort etwas entschieden wird, was nur die Lehrer betrifft und sich Schüler und Eltern einig sind.
    Z.B. Lehrer haben alle Lerninhalte digital bereit zu stellen mit allen Arbeitsunterlagen (Papier kann ja scannen).
    Für die digital affinen wäre es recht einfach das zu machen… die da nicht so einen Draht zu haben wäre es erheblich schwieriger.
    Ich bin da eben der Meinung man kommt mit erheblich weniger bzw. Deutlich abgeschwächten Verboten klar. Nur leider wird zu oft schwarz/weis gedacht.

  2. 32.

    An unserer Grundschule war das auch so: komplettes Handyverbot für die Kinder auf dem gesamten Schulgelände. Die Eltern waren gebeten, sich auch daran zu halten. Im Unterricht wurde es nicht genutzt. Jetzt in der Oberschule gibt es ein Verbot im Schulgebäude, außer es wird im Unterricht gebraucht, das sagt die Lehrkraft dann aber an.
    Ich würde eine einheitliche Regelung für ganz Berlin gut finden, denn dann warten vermutlich nicht 40 Nachrichten nach Schulschluss, wenn man die nicht heimlich auf dem Klo gelesen hat.

  3. 31.

    Die Theodor-Haubach-Schule bietet doch eigentlich innerhalb des Unterrichts eine Lösung an. Die Schüler bauen sich einen größeren Setzkasten, in dem sie morgens die ausgeschalteten Telefone einschließen und nach Unterrichtsende wieder befreien.

  4. 30.

    Die Lösung des Problems ist ganz einfach: Während der Unterrichtszeit bleiben die Handys aus. Sollte der Lehrer es während seines Unterrichts gestatten zwecks Internetrecherche, ist es ein guter Mittelweg. Sofern Schulschluss ist, können die Schüler und Schülerinnen ihr Handy ja wieder uneingeschränkt nutzen.

  5. 29.

    Nur wenn einer flüssig schreiben und lesen kann macht ein Handy sinn. Deshalb werden nicht sehr viele ein Handy benutzen können und dürfen.

  6. 28.

    "Doch die Senatsbildungsverwaltung sieht keine Notwendigkeit, den Schulen einen solchen Rahmen zu setzen. Das Berliner Schulgesetz sehe eigenverantwortliche Schulen vor, heißt es auf rbb-Anfrage."

    Damit ist doch eigentlich alles gesagt. Nix mit Punkt aus fertig.
    Man kann es auch so sehen: Schulen sollen ein sozialer Lernort sein, wo es auch um demokratische Prozesse geht. Wo sonst sollen die Schülerinnen und Schüler lernen, etwas für sich und andere auszuhandeln? Ist anstrengend, ja, durchaus. Aber am Ende lohnt es sich: Regeln aushandeln, die Einhaltung derselben durchsetzen, Regeln bei Bedarf auch wieder ändern und anpassen.

  7. 25.

    "Was? Taschenrechner waren verboten? Wann und wo genau?"

    Ich weiß ja nicht, wie alt Sie sind - zumindest während meiner Grundschulzeit 1968-72 im damaligen West-Berlin waren Taschenrechner verboten. Selbst später noch, auf der Oberschule. Das hat unsere Gehirne trainiert und würde so einigen Kindern heutzutage auch gut tun - wo schon Lesen und Schreiben schwer fällt.

  8. 22.

    Vorbildlich, finde ich auch. Sinnvoll dazu. Es gibt bereits einige Schulbuchverlage, die wirklich gute digitale Bücher für wenig Geld verkaufen. Das ist die Zukunft u d die halten wir Alten nicht durch Verbote auf.
    Wenn Eltern ihrem Kind ein Smartphone kaufen können, können sie auch bei backmarket und Co. ein sinnvolles Endgerät mit ausreichendem Display für ihre Kinder anschaffen. Der Staat muss nicht alles finanzieren, was mit Bildung zusammenhängt.

  9. 21.

    "Zu meiner Schulzeit war gar ein Taschenrechner verboten, im ganzen Land, welches damals DDR hieß."
    Bei mir war er irgendwann erlaubt, solange auf jedem Tisch einer war. Ich hatte den Eindruck, das entschied die Schule, wenn nicht sogar der jeweilige Lehrer. Die Volkskammer war es jedenfalls nicht... :-)
    Irgendwann gab es ja offiziell den Schulrechner...

  10. 20.

    „Sehr vorbildlich aber ein Tablet muss halt durch die Eltern angeschafft werden“
    Es gab während der Coronazeit in Summe 600€/Kind genau dafür... vergessen?

  11. 19.

    Es reicht ein Blick auf die durchschnittliche Konsumzeit der lieben kleinen um die Frage zu beantworten, ob sie die Dinger unbedingt auch in der Schule benutzen müssen...

  12. 18.

    In der Heinz-Brandt-Schule in Pankow sind seit Jahren Handys komplett verboten. Die Schüler haben aber eigene Tablets, die per Schulsoftware verwaltet werden. Dort läuft nur unterrichtsrelevante Software drauf und es gibt auch kein Bücherschleppen mehr. Es gab auch kaum Unterrichtsausfall beim Home-schooling während Corona.
    Sehr vorbildlich aber ein Tablet muss halt durch die Eltern angeschafft werden.

  13. 17.

    „Einerseits wollen wir Digitalisierung an Schulen , Andererseits aber auch unterbinden !“
    Das haben Sie falsch verstanden. Auch gehören digitale Unterrichtsmaterialien auf das Smartphone. Hier geht es um etwas ganz anderes: Das die Geräte in den Schulen NUR 8 Stunden/Tag ausgeschaltet und nicht zugänglich bleiben. Die digitale Kompetenz erlernen, erfordert das Gerät am Tisch in der Schule nun rein gar nicht.

  14. 16.

    Hallo, was hat das mit einander zutun? Die Digitalisierung soll für den Schulunterricht sein, ein Handy hat nichts mit dem lernen in der Schule zutun.
    Es gibt in Europa genug Bildungsstätten, wo das Handy regelrecht verboten wurde, Beispiele gibt es genug in Europa, aber wir in Deutschland müssen immer alles erst neu erfinden.

  15. 15.

    Da kommt mir wieder folgende Frage in den Sinn: "Ist die Atombombe ein Fortschritt?"
    Übertragen würde ich sagen, dass Handys im Unterricht keinen Mehrwert an Lernleistungen bringen. Sie lenken eher ab. An Grundschulen würde ich auf eine Digitalisierung generell verzichten. Hier gilt es endlich mal wieder die Basiskompetenzen zu stärken. Das geht ohne Handydeutlich besser. An weiterführenden Schulen frage ich mich halt, wo der Mehrwert liegt und was die Schulen am Handy vermitteln, was die Schüler nicht längst selbst beherrschen.
    Und was für Kompetenzen sollen mit der Technik entwickelt werden? Als ob die Teckies der Vergangenheit und Gegenwart auch schon Erfahrungen mit der heutigen Technik machen konnten...

  16. 14.

    Blos Nichts vereinheitlichen bzgl. Schulwesen, weder in den Bezirken, in Berlin, den Ländern, in Deutschland, wird dann sicher zu teuer, brauch wohl Unmengen an Personal (siehe Toilettenaufsicht, schlimm genug das es sowas überhaupt geben muss) und KI.
    Zu meiner Schulzeit war gar ein Taschenrechner verboten, im ganzen Land, welches damals DDR hieß.

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