Interview | Erdbeben in Herzberg - "In Brandenburg sind keine zerstörerischen Erdbeben zu erwarten"

Mo 21.10.24 | 19:33 Uhr
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Symbolbild: Auf einem Monitor im Erdbebenzentrum ist die Aufzeichnung eines Erdbebens zu sehen. (Quelle: dpa/Schutt)
dpa/Schutt
Bild: dpa/Schutt

Ein ganz normaler Tag, Mitte Oktober 2024, Südbrandenburg. Plötzlich wackelt die Erde. Nicht zu stark, aber spürbar. Von dem Erdbeben in Herzberg waren die meisten überrascht - ein bisschen auch der Experte Ulrich Wegler.

rbb24: Herr Wegler, ich meine mich zu erinnern, dass wir in der Region Berlin und Brandenburg in einem Teil der Welt leben, der so weit weg von den tektonischen Platten liegt, dass wir von Erdbeben verschont bleiben sollten. Doch am Freitag hat in Herzberg in Südbrandenburg die Erde gebebt. Hat Sie das überrascht?

Ulrich Wegler: Ein bisschen überraschend ist es schon, aber letztendlich kann man davon ausgehen, dass große Teile der Erdkruste unter Spannung stehen. Deswegen kann es immer mal wieder auftreten, dass auch in Regionen, die weiter weg von Plattengrenzen sind, die Festigkeit des Gesteins überschritten wird und es dann zu Erdbeben kommen kann.

ZUR PERSON

Portraitfoto: Prof. Dr. Ulrich Wegler, Professor für Angewandte Geophysik am Institut für Geowissenschaften der Universität Jena. (Quelle: Jan-Peter Kasper/FSU)
Jan-Peter Kasper/FSU

Univ.-Prof. Dr. rer. nat. Ulrich Wegler ist seit 2016 Professor für Angewandte Geophysik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena.

Zuvor war der Diplom-Physiker unter anderem am GeoForschungsZentrum Potsdam und der Tohoku-Universität in Sendai (Japan) tätig sowie wissenschaftlicher Mitarbeiter der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe.

Gab es das je zuvor in der Gegend rund um Herzberg?

Es gibt Aufzeichnungen von sehr kleinen Mikro-Erdbeben, die von Menschen nicht verspürt werden, aber von Seismometern noch registriert werden können. Tatsächlich gibt es auch eine historische Aufzeichnung von 1483. In der Herzberger Stadtchronik wird erwähnt, dass dort ein Erdbeben stattgefunden hat, das sich auch durch starke Erschütterungen bemerkbar gemacht hat. Das hatte eine ähnliche Stärke wie das kürzlich aufgetretene Erdbeben.

Kann es denn in Südbrandenburg auch Nachbeben geben?

Es gibt meistens Nachbeben. Allerdings ist es in diesem Fall so, dass wir bisher kein einziges registriert haben. Nachbeben sind von der Stärke auch normalerweise etwas schwächer als das Hauptbeben. Selbst wenn jetzt noch welche auftreten sollten, würde ich nicht von einer Beunruhigung ausgehen.

Um das mal einzuordnen: Viele Menschen haben das Erdbeben in einem Umkreis von circa 15 Kilometern verspürt. Aber es ist eine Stärke, bei der wir noch nicht mit Schäden rechnen, wenn die Gebäude in einem normalen Zustand gewesen sind.

Wie lange könnte es zu Nachbeben kommen?

Bei großen Erdbeben können Nachbeben Monate andauern.

Wie stark können Erdbeben in der Region Berlin-Brandenburg maximal ausfallen und welche Schäden sind dann möglich?

Das ist eine ganz schwer zu beantwortende Frage. Es ist so, dass wir das anhand der vergangenen Seismizität einschätzen. Wir haben in Deutschland den Vorteil, dass wir auch historische Erdbebenkataloge haben, circa ab dem Jahr 1.000 nach Christus. Es gab keine Seismometer, aber es gab Stadtchroniken, Kirchenbücher und so weiter, wo sehr starke Erdbeben mit großen Schäden vollständig dokumentiert wurden. Seit circa 100 Jahren haben wir auch Seismometer.

Und da ist es so, dass in Brandenburg keine zerstörerischen Erdbeben zu erwarten sind.

Das Erdbeben in Herzberg hatte eine Stärke von 3,2. Es war deutlich spürbar. Ab wann wird es gefährlich?

Der Zusammenhang zwischen der Magnitude [die Messstärke für ein Erdbeben, d. Red.] und der Erschütterung an der Erdoberfläche ist nicht ganz trivial, denn es hängt zum Beispiel auch von der Tiefe des Erdbebens ab. Es gibt auch zum Beispiel in Subduktionszonen [die Region, wo eine Erdplatte unter eine andere rutscht, d. Red.] sehr tiefe Erdbeben, bis 600 Kilometer tief. Selbst wenn die von der Magnitude her sehr stark sind, ist dann die Erschütterung aufgrund der zurückgelegten Entfernung bis zur Erdoberfläche gar nicht mehr so stark.

Es hängt auch von der speziellen Geologie ab, wie die Wellen auf dem Ausbreitungsweg vom Erdbebenherd bis zur Erdoberfläche gedämpft werden. Das heißt, der Zusammenhang zwischen Magnitude und Erschütterung an der Erdoberfläche ist nicht ganz trivial. Deswegen kann man keine Grenzmagnitude angeben, ab der es gefährlich wird.

Bei der Gefährlichkeit eines Erdbebens geht es im Wesentlichen um Gebäude. Baut man in Deutschland erdbebensicher?

In Brandenburg gibt es keine speziellen Vorschriften, dass man erdbebensicher bauen muss, weil die Wahrscheinlichkeiten für sehr starke Erdbeben, die auch Gebäudeschäden verursachen können, sehr gering sind. Es gibt nach der DIN 4149 tatsächlich Erdbebenregionen in Deutschland und dort wird es auch entsprechend Vorschriften geben. Das trifft aber eigentlich nur Teile von Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt.

Es gibt die sogenannte Leipzig-Regensburg-Störungszone - auf dieser gibt es tatsächlich auch stärkere Erdbeben.

Ulrich Wegler, Professor für Angewandte Geophysik

In der gerade von Ihnen genannten Region gibt es den "Seismologie-Verbund zur Erdbebenbeobachtung in Mitteldeutschland" [antares.thueringen.de]. Dort arbeiten verschiedene Experten auf dem Gebiet zusammen, weil es in der Region öfter Beben gibt. Sind die dazu führenden Gesteinsbewegungen der Grund, warum in Brandenburg die Erde beben kann?

Das ist ein bisschen schwierig zu beantworten. Es gibt die sogenannte Leipzig-Regensburg-Störungszone. Die beginnt nördlich von Leipzig und zieht sich in Nord-Süd-Richtung bis nach Tschechien. Auf dieser Zone gibt es tatsächlich auch stärkere Erdbeben. Wenn man sich das auf der Karte anguckt, sieht man ein sehr breites Band von Mikroseismizität, was diese ganze Leipzig-Regensburg-Störungszone ausfüllt. Das jetzt aufgetretene Erdbeben in Brandenburg ist deutlich weiter östlich davon, sodass erstmal kein direkter Zusammenhang zu erkennen ist.

Wie wahrscheinlich ist es, dass ein Beben wie letzte Woche in Brandenburg wieder passiert?

Das ist relativ unwahrscheinlich, wenn wir jetzt mal die sehr vereinfachte Statistik nehmen. Es gab 1483 ein Erdbeben [in Herzberg], jetzt gab es das nächste. Das ist natürlich noch keine ausreichende Statistik. Aber man könnte vielleicht vereinfacht sagen, dass sowas nur alle paar hundert Jahre auftritt.

Hat so ein Erdbeben immer rein geologische Ursachen oder gibt es auch menschengemachte Erdbeben, also vielleicht durch Hohlräume?

Es gibt es gibt auch induzierte Erdbeben, die zum Beispiel durch Bergbau hervorgerufen werden. Wir gehen aber in diesem Fall davon aus, dass es ein natürliches Erdbeben ist. Einmal aus dem Grund, dass keine bergbauliche Aktivität dort bekannt ist. Man kann es außerdem auch ein bisschen an der Herdtiefe feststellen. Das heißt, induzierte Erdbeben sind meistens in der Region, wo auch die menschliche Aktivität stattfindet, während tektonische Erdbeben typische Herdtiefen von zehn Kilometern haben und somit deutlich tiefer liegen. In diesem Fall haben wir eine relativ große Tiefe festgestellt, deswegen vermuten wir einen tektonischen Ursprung.

Wie tief war diese große Tiefe in Herzberg?

Das kann man nur berechnen, man kann es nicht direkt messen. Anhand der Aufzeichnungen an der Erdoberfläche können wir feststellen, wann bestimmte seismische Wellen ankommen. Und anhand dieser Messdaten können wir zurückrechnen, wo das Erdbeben stattgefunden hat. Damit können wir sehr genau das Epizentrum festlegen.

Das heißt, wir wissen genau Länge und Breite, während die Tiefe im Allgemeinen sehr viel schwerer zu bestimmen ist. Um das genauer zu bestimmen, müssten wir die Ausbreitungsgeschwindigkeit der seismischen Wellen im Untergrund kennen. Da wir das für diese Region nicht so genau kennen, ist es auch die Tiefe nur relativ ungenau bestimmt.

Nach unseren Erkenntnissen war das Erdbeben in Herzberg in circa zwölf Kilometern Tiefe. Aber das ist wie gesagt mit relativ hohen Unsicherheiten belegt.

Können Sie schon genau sagen, warum in Brandenburg die Erde gebebt hat?

Es ist schwierig, die exakte Ursache festzulegen. Aber im Prinzip ist es so: Es bauen sich Spannungen im Untergrund auf. Das Gestein steht unter Spannungen und irgendwann ist diese Scherspannung zu stark und das Gestein versagt. Dann kommt es zu einem Scherbruch. Das heißt, zwei Gesteinsblöcke verschieben sich sehr schnell gegeneinander. Das ist das Erdbeben.

Aber um das richtig berechnen zu können, müsste man genau wissen, wie die Spannungsverteilung im Untergrund ist. Man müsste auch die Materialparameter, insbesondere die Scherfestigkeit im Untergrund, kennen. Diese Informationen haben wir meistens nicht.

Deshalb kann man im Moment auch keine Erdbebenvorhersagen machen. Man kann natürlich viele Sachen simulieren, am Computer irgendwie nachvollziehen. Aber das Hauptproblem ist, dass man den Untergrund nicht genau genug kennt.

Trotzdem kann man natürlich die seismische Gefährdung einer Region festlegen, indem man guckt, wie viele Erdbeben es in der Vergangenheit in einer bestimmten Region gegeben hat. Wir wissen zum Beispiel, dass Kalifornien und Japan gefährdet sind. Deutschland ist weniger gefährdet.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Sabine Prieß. Bei der vorliegenden Version handelt es sich um eine redigierte und gekürzte Fassung.

Sendung: Antenne Brandenburg, 21.10.2024, 14:20 Uhr

Kommentar

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2 Kommentare

  1. 2.

    Welche meistbeschäftigte Frage? Oder andersherum, welche physikalischen Ursachen bestehen denn ihrer Meinung nach für die Erzeugung von Bodenwellen in einer Tiefe von 21 km unter Brandenburg?

  2. 1.

    Na, sehr schön doch, dass sich rbb24.de mit der wohl das Forum am meisten beschäftigten Frage an die Wissenschaft gewandt hat. Ein bisschen weiß man zwar, aber es gibt immer wieder eine neue Facette.
    Das Interview zeigt aber auch zieml. klar, dass in den Gebieten, wo "selten etwas passiert", die Datendecke ziemlich dünn ist. Und es wurde klar, dass definitive Aussagen aufgrund fehlender Daten auch recht vage bleiben müssen. Sicher kann jedoch dagegen sein, dass dieses Vorkommnis als winziger Mosaikstein registriert wurde. Und im Prinzip ist es ja auch richtig, die Forschungskapazitäten dort zu konzentrieren, wo die Aktivitäten am häufigsten sind und dicht besiedelte Gebiete wirklich bedroht sind: Hier würde ich den Vesuv ins Feld führen u Neapel oder den Ätna, der wohl am besten "bestückt sein dürfte"= untersucht/beobachtet sein dürfte. Danke für die Klärung.

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