Kommentar | Radwege-Stopp in Berlin - Wegner auf Crashkurs
Berlin hat mühsam Fortschritte bei der Verkehrssicherheit und Radwegen gemacht. Kaum im Amt stellen der Regierende Bürgermeister und seine Verkehrssenatorin fast alles in Frage. Sie zetteln einen unnötigen und gefährlichen Straßenkampf an, findet Jan Menzel.
Auf, zu, auf, zu und wieder auf ... Solch ein Verkehrs-Chaos kannten wir bislang nur von der Friedrichstraße und von den Grünen. Nun zeigt aber die selbst ernannte "Wir-machen-es besser"-Partei CDU: Schlimmer geht immer. Die schwächsten Verkehrsteilnehmer stößt man vor den Kopf, die Bezirke bleiben links liegen und das Mobilitätsgesetz wird ignoriert. Nicht einmal finanzielle Folgen scheinen den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner und seine Verkehrs- und Klimaschutzsenatorin Manja Schreiner sonderlich zu interessieren. So viel Verwirrung, Wut und Ärger war lange nicht auf Berlins Straßen.
Doch wieder alles auf null gestellt
Den offenkundigen Dilettantismus auf die Spitze treibt das Bezirksamt Reinickendorf. Ein längst fertiger Radstreifen, der nur noch darauf wartet, dass das Bändchen feierlich durchschnitten wird und alle dort radeln können, wird kurzerhand von der örtlichen CDU-Stadträtin gesperrt. Ob aus vorauseilendem Gehorsam, Unkenntnis oder mit freudiger Zustimmung der Verkehrssenatorin bleibt unklar.
Auch ein Projekt wie der Radweg an der Schönhauser Allee steht plötzlich wieder im Entscheidungsstau - was leider so typisch Berlin ist: Erst wird endlos diskutiert, dann ist endlich alles fertig geplant und sogar der Termin für den Baubeginn steht - aber in letzter Minute wird doch wieder alles auf null gestellt. So sieht wahrlich kein Neustart aus.
Wegner in bester Basta-Manier
Das einzige Gute an dieser - für Freunde der gesunden und klimaneutralen Mobilität rabenschwarzen - Woche: Nach Wahlkampf-Floskeln und gefühlsduseliger "Alle-Miteinander"-Verkehrs-Rhetorik liegen die Karten jetzt auf dem Tisch. Ich will keine Radwege, die Autos ausbremsen, verkündet der Regierende Bürgermeister Kai Wegner in bester Basta-Manier. Dafür sei er schließlich gewählt worden, was durchaus in Teilen seiner Wählerschaft so gewesen sein mag.
Verkehrspolitisch ist die Aussage von den ausgebremsten PKW allerdings schlicht Unsinn und blanker Auto-Populismus noch dazu. Berlin ist immer noch eine verdammt autogerechte Stadt, in der jeder Quadratmeter Straße nur einmal vergeben werden kann. Bessere Radwege wird es nur dort geben, wo bislang Autos fahren und parken. Es sei denn, man möchte Grünanlagen asphaltieren, Fahrräder und Fußgänger gegeneinander antreten lassen oder eben nur eine Alibi-Radpolitik machen.
Steigt jetzt die Gesundheitsgefahr für Radfahrende?
Der alte rot-grüne-rote Senat hatte sich die Vision Zero auf die Fahnen geschrieben, also das Ziel, die Zahl der Verkehrstoten auf null zu reduzieren. Deswegen wurden geschützte Radstreifen so energisch vorangetrieben, gerade an viel befahren Straßen, mit Rechtsabbiegern, Lieferverkehr und unübersichtlichen Kreuzungen. Die Kantstraße in Charlottenburg wurde für Radfahrer durch den Pop-up-Streifen überhaupt erst befahrbar, ohne die eigene Gesundheit zu riskieren. Wer Radwege nicht will, verzögert oder hintertreibt, sollte nicht vergessen, dass die Schwächsten – Kinder und Ältere – besonders gefährdet sind.
In einer gefährlichen Situation weiter auf die Tube drücken
Zu einer ehrlichen und – zugegeben - unbequemen Debatte gehört auch: Radfahrer, wie auch Fußgänger, sind die mit Abstand klimafreundlichsten Verkehrsteilnehmer. Die seriöse Wissenschaft ist sich einig, dass der Klimawandel derzeit die zentrale Menschheitsaufgabe ist. In Berlin und Brandenburg erleben wir gerade wieder einen Dürre-Sommer mit Hitzewellen – kurzfristig unterbrochen von einer Unwetterphase – was nurmehr zeigt, wie viel schon aus dem Ruder gelaufen ist.
Von einer Mobilitäts- und Klimaschutzsenatorin können die Bürgerinnen und Bürger durchaus erwarten, dass sie beides zusammendenkt und die Empfehlungen der Experten ernst nimmt. Ein Regierender Bürgermeister darf gerne helfend eingreifend, wo dies nötig ist, um dem klimafreundlichen Radverkehr einen Schub verpassen. Wer aber in einer gefährlichen Situation weiter auf die Tube drückt, riskiert, das am Ende mehr als nur ein Radstreifen unter die Räder kommt.
Sendung: rbb24, 21.06.2023, 18:20 Uhr