Kommentar | Radwege-Stopp in Berlin - Wegner auf Crashkurs

Fr 23.06.23 | 15:57 Uhr | Von Jan Menzel
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Audio: rbb24 Inforadio | 21.06.2023 | Jan Menzel | Bild: picture alliance/dpa

Berlin hat mühsam Fortschritte bei der Verkehrssicherheit und Radwegen gemacht. Kaum im Amt stellen der Regierende Bürgermeister und seine Verkehrssenatorin fast alles in Frage. Sie zetteln einen unnötigen und gefährlichen Straßenkampf an, findet Jan Menzel.

Auf, zu, auf, zu und wieder auf ... Solch ein Verkehrs-Chaos kannten wir bislang nur von der Friedrichstraße und von den Grünen. Nun zeigt aber die selbst ernannte "Wir-machen-es besser"-Partei CDU: Schlimmer geht immer. Die schwächsten Verkehrsteilnehmer stößt man vor den Kopf, die Bezirke bleiben links liegen und das Mobilitätsgesetz wird ignoriert. Nicht einmal finanzielle Folgen scheinen den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner und seine Verkehrs- und Klimaschutzsenatorin Manja Schreiner sonderlich zu interessieren. So viel Verwirrung, Wut und Ärger war lange nicht auf Berlins Straßen.

Doch wieder alles auf null gestellt

Den offenkundigen Dilettantismus auf die Spitze treibt das Bezirksamt Reinickendorf. Ein längst fertiger Radstreifen, der nur noch darauf wartet, dass das Bändchen feierlich durchschnitten wird und alle dort radeln können, wird kurzerhand von der örtlichen CDU-Stadträtin gesperrt. Ob aus vorauseilendem Gehorsam, Unkenntnis oder mit freudiger Zustimmung der Verkehrssenatorin bleibt unklar.

Auch ein Projekt wie der Radweg an der Schönhauser Allee steht plötzlich wieder im Entscheidungsstau - was leider so typisch Berlin ist: Erst wird endlos diskutiert, dann ist endlich alles fertig geplant und sogar der Termin für den Baubeginn steht - aber in letzter Minute wird doch wieder alles auf null gestellt. So sieht wahrlich kein Neustart aus.

Wegner in bester Basta-Manier

Das einzige Gute an dieser - für Freunde der gesunden und klimaneutralen Mobilität rabenschwarzen - Woche: Nach Wahlkampf-Floskeln und gefühlsduseliger "Alle-Miteinander"-Verkehrs-Rhetorik liegen die Karten jetzt auf dem Tisch. Ich will keine Radwege, die Autos ausbremsen, verkündet der Regierende Bürgermeister Kai Wegner in bester Basta-Manier. Dafür sei er schließlich gewählt worden, was durchaus in Teilen seiner Wählerschaft so gewesen sein mag.

Verkehrspolitisch ist die Aussage von den ausgebremsten PKW allerdings schlicht Unsinn und blanker Auto-Populismus noch dazu. Berlin ist immer noch eine verdammt autogerechte Stadt, in der jeder Quadratmeter Straße nur einmal vergeben werden kann. Bessere Radwege wird es nur dort geben, wo bislang Autos fahren und parken. Es sei denn, man möchte Grünanlagen asphaltieren, Fahrräder und Fußgänger gegeneinander antreten lassen oder eben nur eine Alibi-Radpolitik machen.

Steigt jetzt die Gesundheitsgefahr für Radfahrende?

Der alte rot-grüne-rote Senat hatte sich die Vision Zero auf die Fahnen geschrieben, also das Ziel, die Zahl der Verkehrstoten auf null zu reduzieren. Deswegen wurden geschützte Radstreifen so energisch vorangetrieben, gerade an viel befahren Straßen, mit Rechtsabbiegern, Lieferverkehr und unübersichtlichen Kreuzungen. Die Kantstraße in Charlottenburg wurde für Radfahrer durch den Pop-up-Streifen überhaupt erst befahrbar, ohne die eigene Gesundheit zu riskieren. Wer Radwege nicht will, verzögert oder hintertreibt, sollte nicht vergessen, dass die Schwächsten – Kinder und Ältere – besonders gefährdet sind.

In einer gefährlichen Situation weiter auf die Tube drücken

Zu einer ehrlichen und – zugegeben - unbequemen Debatte gehört auch: Radfahrer, wie auch Fußgänger, sind die mit Abstand klimafreundlichsten Verkehrsteilnehmer. Die seriöse Wissenschaft ist sich einig, dass der Klimawandel derzeit die zentrale Menschheitsaufgabe ist. In Berlin und Brandenburg erleben wir gerade wieder einen Dürre-Sommer mit Hitzewellen – kurzfristig unterbrochen von einer Unwetterphase – was nurmehr zeigt, wie viel schon aus dem Ruder gelaufen ist.

Von einer Mobilitäts- und Klimaschutzsenatorin können die Bürgerinnen und Bürger durchaus erwarten, dass sie beides zusammendenkt und die Empfehlungen der Experten ernst nimmt. Ein Regierender Bürgermeister darf gerne helfend eingreifend, wo dies nötig ist, um dem klimafreundlichen Radverkehr einen Schub verpassen. Wer aber in einer gefährlichen Situation weiter auf die Tube drückt, riskiert, das am Ende mehr als nur ein Radstreifen unter die Räder kommt.

Sendung: rbb24, 21.06.2023, 18:20 Uhr

Beitrag von Jan Menzel

203 Kommentare

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  1. 203.

    Warum den kommenden Winter abwarten? Die Jahresganglinien haben bereits Eingang in den Nahverkehrsplan von Frau Günther gefunden. Sie schrieb von kommunizierenden Röhren mit dem ÖPNV auf der einen und dem Radverkehr auf der anderen Seite, während beim MIV nur minimale Unterschiede zu beobachten sind. Aus derer Verkehrsbefragung geht zudem hervor, dass Innenstädter beim Verlassen ihres angestammten Habitates ähnlich häufig zum PKW greifen wie die Einwohner von Groß-Berlin.

  2. 202.

    Vielleicht war es der richtige Dozent, nur Sie haben ihn vielleicht falsch verstanden ? Die Zukunft und der Wohlstand dieses Landes steht und fällt mit dem Fahrrad. Wenn dann noch der Wasserstoff dazu kommt, nimmt die Sache nochmal ordentlich Fahrt auf. Besonders die Grünen freuen sich schon riesig auf den Umbau und können es gar nicht erwarten, dass endlich neue wirkungsvolle und effektive Technologien entwickelt werden. Fahr-und Windräder sind nur ein erster kleiner Schritt.

  3. 201.

    Ich frage mich oft, auch beim Lesen der hiesigen Kommentarspalte, ob es nur Radfahrer ODER Autofahrer, ODER Fußgänger gibt. Ich für meinen Teil nutze, so notwendig, das Auto, wenn nicht notwendig das Fahrrad und bisweilen bin ich sogar Fußgänger. Da kann ich doch nicht der Einzige sein. Wenn jeder, der sich in Berlin von a nach b bewegt, gleich ob Rad-, Auto-, oder Fußuser etwas Rücksicht auf seine Mitmenschen nähme, wären viele dieser Diskussionen obsolet.

  4. 200.

    Was wo bestimmt wird, scheint heutzutage nicht ganz klar zu sein. Ein Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, der „die Bevölkerung wachrütteln“, „Politiker wachrütteln“ und die Umfragewerte einer Partei senken will, stellt seine Objektivität und Neutralität in Frage. Eine Vorverurteilung eines Verdachtsfalls darf es nicht geben. Doch genau das hat Haldenwang mit seinen Aussagen getan.

  5. 199.

    Wenn sie Angst haben, so nehmen sie den ÖPNV. Radfahrer haben keine Sonderrechte. Auch Motorradfahrer haben keine Knautschzone, aber kein Motorradfahrer beklagt sich.

  6. 198.

    Der erste und wichtigste Schritt zur Verkehrssicherheit wäre doch, dass sich alle an die Regeln und Vorschriften halten. Das müsste eigentlich eine grundsätzliche Selbstverständlichkeit sein. Warum das nicht so ist, ist mir, gerade in einer sog. wertegeleiteten Demokratie, weiterhin ein großes Rätsel, welches ich nicht zu lösen vermag. Die Gesetze sind in der StVO doch gut und klar formuliert.

  7. 197.

    Ganz genau. Jeder weiß, dass die Industrie, auf deren Schultern unser Wohlstand als Exportweltmeister steht, ihre Güter mit dem Fahrrad in die Welt bringt. Ähhh.... Stop.... In BWL habe ich etwas anderes gelernt. Muss wohl der falsche Dozent gewesen sein.

  8. 196.

    Fahrräder haben auch eine Knautschzone. Ich weiß das deshalb, weil ich letztens einem Auto hintendrauf gefahren bin. Das Vorderrad hat viel Energie absorbiert und war zwar ordentlich verbogen, aber ich bin nicht über den Lenker abgestiegen.

  9. 195.

    "Der Verfasser des Kommentars Jan Menzel hat nicht verstanden, dass es eines Gesamtkonzeptes benötigt."

    Die CDU auch nicht. Bisher nur Aktionismus. Stopp Fahrradwege (warum nicht alle Verkehrsmaßen), Fußgängerzone Friedrichstraße, Friedrichstraße Ampel.... Und von einem Gesamtkonzept war noch nichts zu hören.

  10. 194.

    Den Wohlstand in diesem Land, dem unserem, haben wir dem Fahrrad und seinen Fahrern zu verdanken ! Sie geben der Wirtschaft das nötige Rückgrat. Ohne die finanziellen Leistungen dieser Personengruppe wären üppige Sozialleistungen, Rüstung,Infrastruktur. die Schaffung von Sondervermögen usw. gar nicht möglich.

  11. 193.

    Glücklicherweise bestimmen nicht Leute wie Herr Menzel wo es lang geht sondern gewählte Volksvertreter.

  12. 192.

    Warten wir mal Herbst und Winter ab ob die Rechnung „ Neue Radwege -> mehr Radfahrer -> weniger Autos -> weniger Stau“ dann noch stimmt.

  13. 191.

    Und das ist gut so. Wenn zum Beispiel Anwohner von einstigen ruhigen Wohnstraßen mit Erschrecken feststellen, dass sich plötzlich unerwünschter Ausweichverkehr einstellt, weil die eigentliche Hauptstraße durch Profilverkleinerung zur Staustrecke geworden ist.

  14. 190.

    Bei den Menschen hinterm Lenkrad merkt man oft auch nicht, dass sie einen Führerschein besitzen. Und vielleicht mal in der Fahrschule gelernt haben, dass Radfahrer keine Knautschzone haben. Ich würde auch auf der "normalen" Straße fahren, wenn das nicht lebensgefährlich wäre. Also brauchen wir breite Radwege, und die überall. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass sich eine so große und stetig wachsende Gruppe von Verkehrsteilnehmern sicher im Straßenverkehr bewegen können muss. Das ist aber noch lange nicht der Fall.

  15. 189.

    Antwort auf Alfred Neumann
    Die Strecke kenne ich als Exilberliner bin ich ja zur Arbeit von Oberkrämer bis nach Hennigsdorf und weiter nach Spandau

  16. 188.

    Antwort auf AMG
    Führerschein mögen viele haben bedeutet im Umschluss nicht ,das Sie auch ein Auto oder ähnliches besitzen.

  17. 187.

    Die schwächsten Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmer sind Fußgänger. Und die sind am gefährdesten durch radfahrende Verkehrsteilnehmer mit dem Fahrzeug Fahrrad auf Gehwegen. Deren Gefärdung hat durch rasende Eletroroller und Lieferboten mit ihren Fahrzeugen auf Gehwegen noch zugenommen. Sie fahren auch neben guten und neuen Radwegen und Radstreifen trotzdem auf Gehwegen. Auch hier gilt wie für falsch fahrende und falsche parkende Autofahrer: deren rücksichtslos egoitisches Fehlverhalten muss endlich unterbunden werden!

  18. 185.

    Wie viele Autofahrer halten sich denn an Regeln? Nach Tacho 50 wird doch höchstens in der 30er Zone gefahren. Wer hält genug Abstand um zu bremsen wenn der Vordermann voll in die Eisen steigt? Geparkt wird auch überall wo das Auto hinpasst.

  19. 184.

    Gestern wurden 3620 Radler auf der Jannowitzbrücke gezählt, die Woche davor waren 7.030, vor zwei Wochen sogar 11.397. Da zeigt ebenso deutlich die Grenzen des Rades als Baustein der Verkehrswende auf wie auch die Jahresganglinie, bei der zwischen Winter und Sommer ein Faktor von 2 bis 3 liegt.

    Entlarvend auch die Zahlen, die Amsterdam stolz präsentiert. Teilt man die in Summe gefahrenen Kilometer durch die Anzahl der Fahrten, sind das gerade mal 3 km Wegstrecke mit dem Rad.

    Von Hakenfelde bis zum Bahnhof Spandau ist der Weg für viele Groß-Berliner länger. Kein Wunder, dass dort trotz 2min-Takt bei Bussen im Berufsverkehr die besonders oft überlastet sind. Die Wassertaxi-Idee von Ramona Pop ist ebenso gescheitert wie trotz vollmundigen Ankündigung von Günther jahrelang nix für die Tram getan wurde. Dabei gibt es Vorleistungen aus der Zeit von Diepgen, während in den letzten Jahren bei neuen Brücken der NVP geflissentlich ignoriert wurde.

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