Zu spät im Lehrplan, wenig Aufklärung - Berliner Schülervertretung fordert Runden Tisch zu Suchtprävention
An Berliner Schulen werde zu wenig und zu spät über die Wirkung und Folgen von Drogen aufgeklärt. Das beklagt der Landesschüler*innen-Ausschuss und fordert den Senat zum Handeln auf. Der stellt Gespräche in Aussicht. Von Oliver Noffke
Der Landesschüler*innen-ausschuss Berlin (LSA) fordert den Senat dazu auf, einen Gipfel zum Thema Drogen an Schulen zu organisieren. Das geht aus einem Positionspapier des LSA hervor [lsaberlin.de/PDF]. Zuerst hatte der "Tagesspiegel" [Bezahlinhalt] berichtet.
Laut dem Papier besteht ein Problem an Berliner Schulen "vor allem mit Cannabis, aber immer häufiger auch mit härteren Drogen". Der Senat, beziehungsweise die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie, wird aufgefordert, einen Runden Tisch einzuberufen. Die schulischen Landesgremien, Expert:innen aus der Wissenschaft, mit Erfahrung im Schulalltag sowie Vertreter:innen der Verwaltung sollten so zusammengeführt werden, heißt es. Damit Fachwissen aus verschiedenen Bereichen zusammengeführt werden könne, so der LSA.
Zu spät Thema im Lehrplan
Paul Seidel, Pressesprecher des LSA, sagte rbb|24 am Freitag, aktuell seien sich die Schulen beim Thema Drogenprävention sich selbst überlassen. "Das große Problem ist nicht, dass sich keine Lehrkräfte damit beschäftigten. Das läuft sehr gut", sagte er. "Das große Problem ist aus unserer Sicht, dass die Lehrkräfte damit allein gelassen werden."
Der Berliner Lehrplan bespreche das Thema zu spät und sei nicht auf der Höhe der Zeit. "Ich habe erst in der zwölften Klasse, also mit 18 Jahren, überhaupt im Unterricht das Thema Drogen aus wissenschaftlicher Sicht behandelt. Also wie funktioniert eine Droge und wie wirkt sich das überhaupt auf den Körper aus, wie schädigt sie das Nervensystem." Viele Schülerinnen und Schüler kämen aber schon in weitaus jüngeren Jahren mit dem Thema Drogen in Berührung. "Eigentlich bräuchte es da viel früher eine Aufklärung und auch eine Prävention."
Seidel verwies auf Todesfälle, die sich kürzlich in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern ereignet hatten. Ein 15 und ein 13 Jahre altes Mädchen waren vor Kurzem unabhängig voneinander an Amphetamin-Überdosen gestorben.
Immer wieder werde unterschätzt, dass die Schulen die sozialen Mittelpunkte im Leben vieler Jugendlichen seien, sagte Seidel. "Die Berührungspunkte haben viele nicht in den Jugendclubs oder in Jugendfreizeiteinrichtungen, sondern einfach, weil man das bei Schulkameraden sieht."
Verwaltung verweist auf bestehende Angebote
Martin Klesmann, Pressesprecher der Senatsverwaltung Bildung, Jugend und Familie teilte auf rbb-Anfrage mit, dass aktuell gemeinsam mit der Landessuchtbeauftragten geprüft werde, mit welchen Beteiligten und in welchem Format ein Treffen stattfinden könne. Ein Runder Tisch sei möglich. "In die Vorbereitungen wird der Landesschülerausschuss selbstverständlich einbezogen", hieß es.
"Wir würden uns sehr freuen, wenn dieser Teil unserer Forderung umgesetzt würde", sagte Paul Seidel vom Landesschüler*innen-Ausschuss. "Allerdings müssen sich dann auch reelle Veränderungen einstellen und es muss mit Jugendlichen gesprochen werden. Beim Gipfel zur Jugendgewalt ist das leider nicht passiert."
Die Verwaltung nehme das Thema sehr ernst, so Klesmann. "Dafür gibt es eine ressortübergreifende Kooperation und entsprechende Leitlinien auf Landesebene. Zudem ist das Thema fest in den Rahmenlehrplänen für die Berliner Schulen verankert." Zudem verwies er auf Sibuz, die schulpsychologischen und inklusionspädagogischen Beratungs- und Unterstützungsstellen. Dort könnten sich Schulen themenbezogen zu Programmen und Projekten beraten lassen. Die Senatsverwaltung fördere zudem diverse Präventionsprojekte [berlin.de/sen/bildung/]. Katharina Günther-Wünsch (CDU) ist in Berlin für die Themen Bildung, Jugend und Familie als Senatorin zuständig.
"Bis Jugendliche eine Problemeinsicht haben, sind sie lange leidensfähig"
Die Berliner Landessuchtbeauftrage Heide Mutter sagte dem rbb am Freitag, Information und Aufklärung seien weiterhin notwendig. "Viele Menschen, gerade junge, aber nicht nur junge, wissen wirklich nicht Bescheid, über das, was sie tun." Sie seien oftmals nicht in der Lage einzuschätzen, welche Auswirkungen Suchtmittel auf den Körper oder die Psyche haben könnten, sagte sie.
Thomas Haustein ist Sozialarbeiter und arbeitet für die Caritas Berlin in der Suchtberatung. Er beobachtet, dass aktuell "eine Art Nachholbedarf" nach der Pandemie herrsche. Viele Jugendliche würden nun öfter feiern gehen, sagte er rbb|24. "Bis Jugendliche eine Problemeinsicht haben, sind sie lange leidensfähig", so Haustein. "Jugendliche kommen selten zu uns und sagen: 'Ich hab da vielleicht ein Problem und möchte mal darüber reden'." Spezielle Angebote für Schüler:innen und Eltern seien deshalb besonders wichtig. Haustein nehme war, dass derzeit die Nachfrage nach Präventionsangeboten und Therapieplätzen in Berlin stark sei.
Im vergangenen Jahr wurden in Berlin 230 Drogentote registriert. Nur in den Bundesländern Bayern (277) und Nordrhein-Westfalen (703) waren es mehr [tagesschau.de].
Spüren Sie Suchtdruck? Hadern Sie damit, nüchtern zu bleiben? Folgende Stellen in der Region bietet Ihnen Informationen und klären über Hilfsangebote auf:
AH e.V. in Brandenburg an der Havel [ah-brandenburg.de],
Brandenburgische Landesstelle für Suchtfragen [blsev.de],
Caritas Berlin [caritas-berlin.de],
Landessuchtbauftragte Berlin [berlin.de],
Schwulenberatung Berlin [schwulenberatungberlin.de]
Sendung: rbb24 Abendschau, 07.07.2023, 19.30 Uhr