Mitteilung der Familie - Früherer Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ist tot

Mi 27.12.23 | 19:00 Uhr
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Der ehemalige Bundestagspräsident Schäuble
Video: rbb|24 | 27.12.2023 | Material: rbb-Archiv | Bild: picture alliance/ Robert Michael

Mit Wolfgang Schäuble ist einer der einflussreichsten Politiker der vergangenen Jahrzehnte gestorben. Er sprach sich 1991 klar für Berlin als Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands aus - und hielt eine legendäre Rede im Bundestag.

Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ist tot. Der CDU-Politiker sei im Kreise seiner Familie zu Hause am Dienstagabend gegen 20 Uhr friedlich eingeschlafen, teilte die Familie am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur (DPA) mit. Er wurde 81 Jahre alt.

Schäuble war in seiner langen politischen Laufbahn Minister, Fraktionsvorsitzender, CDU-Chef und Präsident des Deutschen Bundestages. Niemand gehörte dem Parlament länger an als er. Im Jahr 2016 war Schäuble die Ehrenbürgerwürde Berlins verliehen worden.

Denkwürdige Rede für Berlin als Hauptstadt

"Wir Berliner werden ihm nie vergessen, dass seine fulminante Berlin-Rede am 20. Juni 1991 im Deutschen Bundestag entscheidend dazu beitrug, dass die Abstimmung - wenn auch knapp - zugunsten von Berlin als künftigem Parlaments- und Regierungssitz ausfiel. Wir haben deshalb Wolfgang Schäuble viel zu verdanken", sagte der damalige Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses Ralf Wieland (SPD) bei der Verleihung.

Schäuble, damals Bundesinnenminister, hatte sich in der Debatte vor der Abstimmung klar für Berlin ausgesprochen. Mit einer fast zehnminütigen Rede und dem Hauptargument, es gehe bei dieser Abstimmung nicht um die Frage, ob Bonn oder Berlin oder um Umzüge und Arbeitsplätze, sondern um die Zukunft des vereinten Deutschlands. Wenn Deutschland seine Teilung überwinden wolle, so Schäuble damals, brauche es Vertrauen. Deshalb sei es für ihn wichtig, "dass in 40 Jahren niemand Zweifel hatte, dass Parlament und Regierung nach der Herstellung der Einheit Deutschlands ihren Sitz wieder in Berlin haben werden", sagte er.

Ob wir wirklich ohne Berlin heute wiedervereinigt wären? Ich glaube es nicht

Wolfgang Schäuble in seiner Rede vor der Abstimmung über die Deutsche Hauptstadt, 1991

Berlin habe wie keine andere Stadt als "Symbol für Einheit und Freiheit, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit für das ganze Deutschland" gestanden und nirgendwo sonst habe sich die Solidarität der freien Welt mit der Einheit der Deutschen stärker ausgedrückt. "Ob wir wirklich ohne Berlin heute wiedervereinigt wären? Ich glaube es nicht", sagte Schäuble in seiner Rede. Deutschland habe seine Einheit gewonnen, weil Europa seine Teilung überwinden wollte, die Entscheidung für Berlin sei deshalb "auch eine Entscheidung für die Überwindung der Teilung Europas."

Archivbild: Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (l) und Bundeskanzler Helmut Kohl (r) am 23.05.1990 während einer Bundestagsdebatte in Bonn. (Quelle: dpa/Oliver Berg)
Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (l) und Bundeskanzler Helmut Kohl (r) am 23.05.1990 während einer Bundestagsdebatte in Bonn. | Bild: dpa/Oliver Berg

Die Rede wurde immer wieder unterbrochen von Applaus und zustimmenden Zwischenrufen aus fast allen Fraktionen. Die Abstimmung ging knapp, mit 338 zu 320 Stimmen, für Berlin als Hauptstadt des wiedervereinigten Deutschlands aus – vielleicht auch aufgrund von Schäubles Rede.

Innenminister der Deutschen Wiedervereinigung

Fast ein Jahr zuvor hatte der Bundesinnenminister bereits mit dem DDR-Staatssekretär Günther Krause den deutsch-deutschen Einigungsvertrag unterzeichnet. Ein rund 1.000 Seiten dickes Schriftstück, erarbeitet in wochenlangen Verhandlungen, das den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes regelt. In dessen Rahmen wurden auch die fünf "neuen" Bundesländer offiziell gegründet, darunter Brandenburg. Die Unterschriften erfolgten in Ost-Berlin, im Kronprinzenpalais, Unter den Linden.

Nach Attentat im Rollstuhl

Schäuble wurde am 18. September 1942 in Freiburg geboren. Er studierte Jura, es zog ihn aber früh in die Politik. Er trat 1965 in die CDU ein. 1972 errang er erstmals ein Mandat für den Bundestag, dem er ohne Unterbrechung bis zu seinem Tod angehörte. Mit dem Namen Schäuble sind Jahrzehnte deutscher Politik verbunden.

Unter Kanzler Helmut Kohl (CDU) war er zunächst Chef des Bundeskanzleramtes und Bundesminister für besondere Aufgaben, von 1989 bis 1991 Bundesinnenminister.

Seit dem Attentat eines geistig verwirrten Mannes auf ihn im Oktober 1990 saß Schäuble im Rollstuhl, seine politische Karriere ging aber weiter. Von 1991 bis 2000 führte er die CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Nach dem Machtverlust der Union 1998 wurde Schäuble im Zuge der Neuaufstellung der CDU Parteichef. Angela Merkel wurde Generalsekretärin.

Erneut Innenminister unter Merkel, zuletzt Bundestagspräsident

In den Turbulenzen der CDU-Spendenaffäre und nach Aussagen zu einer 100.000-Mark-Barspende trat Schäuble im Februar 2000 als CDU-Chef zurück. Merkel wurde Parteichefin, 2005 machte sie als Kanzlerin Schäuble zum Innenminister, vier Jahre darauf zum Finanzminister. Das Amt hatte Schäuble zwei Wahlperioden inne, er schafft die "schwarze Null", also einen Bundeshaushalt ohne neue Schulden.

Nach der Bundestagswahl 2017 wurde Schäuble als Nachfolger von Norbert Lammert (CDU) zum Bundestagspräsidenten gewählt, das zweithöchste Amt im Staat. Das höchste Amt im Staat, das des Bundespräsidenten, blieb Schäuble verwehrt.

Nach der von der Union verlorenen Bundestagswahl 2021 zog sich Schäuble aus den Führungsgremien zurück. Im Bundestag wurde die SPD-Politikerin Bärbel Bas Präsidentin, Schäuble war nun einfacher Abgeordneter. In seiner Rede als Alterspräsident - jener Abgeordnete mit den meisten Dienstjahren - warb er für offenen Diskurs und selbstbewusste Abgeordnete.

information

Berlinerinnen und Berliner können sich im Roten Rathaus in das Kondolenzbuch für den CDU-Politiker und Ehrenbürger der Stadt, Wolfgang Schäuble, eintragen. Das teilte die Senatskanzlei am Mittwoch mit. Es liegt ab Donnerstag, 28. Dezember, bis Freitag, 5. Januar, während der gewohnten Öffnungszeiten, Montag bis Freitag von 9 Uhr bis 18 Uhr, im Säulensaal des Rathauses aus.

Schäuble zählte zu den konservativen Politikern

In seiner Partei zählte Schäuble eher zu den konservativen Politikern, hinter den Kulissen hatte sein Wort stets Gewicht. Auf der anderen Seite hatte er früher als andere die CDU zur Offenheit für Bündnisse mit den Grünen aufgerufen. Schon 2007 sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung": "Schwarz-Grün ist nicht unser Wunsch, aber eine Option für die Union." Im Ringen um die Kanzlerkandidatur 2021 schlug sich Schäuble auf die Seite des damaligen CDU-Chefs Armin Laschet und stellte sich gegen CSU-Chef Markus Söder.

Auch im Privaten spielte bei Schäuble oft die Politik eine Rolle. Schon Vater Karl Schäuble war CDU-Politiker und gehörte dem Badischen Landtag an. Schäubles jüngerer Bruder Thomas war ebenfalls Politiker, 13 Jahre lang war er Landesminister in Baden-Württemberg. 2013 starb er an den Folgen eines Herzinfarkts. Der CDU-Spitzenpolitiker Thomas Strobl war Schwiegersohn von Wolfgang Schäuble, Tochter Christine, die ARD-Programmdirektorin, Strobls Ehefrau. Schäuble hinterlässt insgesamt vier Kinder und Ehefrau Ingeborg, mit der er seit 1969 verheiratet war.

Reaktionen zum Tod Schäubles

Sendung: rbb24, 27.12.2023, 09:40 Uhr

55 Kommentare

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  1. 55.

    Sie sprechen mir aus der Seele! Es hat keiner ! gewusst, wie die Wiedervereinigung geschehen kann. ALLE wollten und JEDER war etwas überfordert. Und nach so vielen Jahren hat man den Eindruck, dass die Mauer besser stehengeblieben wäre…bei so vielen! Ich bin froh, dass dem nicht so ist. Bin erschüttert über die Stimmen, die das anders sehen.

  2. 54.

    Treffender hätte man es nicht formulieren können. Dafür herzlichen Dank. Ich muss mal wieder feststellen, daß es kein Begriff der Güte ist, ostgeboren zu sein. Dafür muss ich mich fast täglich für sehr viele meiner "Landsleute" fremdschämen. Und ja, die möglichen Ergebnisse Landtagswahlen im nächsten Jahr machen mir Angst. Die blau-braunen Rattenfänger und die "Wagenknecht(e)" werden dieses Land definitiv zerstören, wenn sie es nicht vorher an Putin verscherbeln.

  3. 53.

    Wow @Matze, das hat auch noch keiner geschafft, mich als Wessi zu verorten. Danke, ich empfinde es als Ritterschlag. Bin schließlich geboren in LUK, aufgewachsen im Altbezirk Potsdam und in Ost-Berlin (Schule), Lehre in Sachsen und heute wohnhaft in WB. Alles Ortslagen in??? Raten Sie mal... Sorry, wenn ich jetzt nicht die beleidigte Leberwurst gebe, dazu war Ihre Antwort einfach zu lustig. Ach übrigens, Arbeitslos war ich auch.

  4. 52.

    Es fehlte einfach an Souveränität in Ostdeutschland. Die Allerersten, die auf die Straße gingen, haben Kopf und Kragen riskiert, wollten eine demokratisch gewordene DDR, die ggf. irgendwann später sich mit Bundesdeutschland hätte vereinigen können. Die nach dem Mauerfall und faktisch ohne Risiko auf die Straße Gehenden wollten etwas anderes - den schnellen Beitritt und das An-die-Brust-Werfen ggü. dem "großen Bruder".

    Heute will von den einschlägig Agierenden niemand mehr was davon wissen - Diejenigen, die die Überraschten und die Übertölpelten spielen - und heute die AfD wählen.

    Souveränität zu verkörpern angesichts von tatsächlichen Lebensleistungen und von Lebensbiografien, unabhängig davon, dass die DDR immer wieder von Pleite zu Pleite agierte, ist etwas anderes, als sich bloß als 17. Millionster Teil eines Staatswesens zu wissen, was aufzugeben war.

  5. 51.

    Sie haben die typische Ansicht eines Wessis. Viele Punkte im Einigungsvertrag wurde zu Gunsten des Westens ausgelegt. Was der Osten hatte wurde rundweg abgelehnt, auch wenn es wesentlich besser war. Ostdeutsch bekamen keine Kredite um eine Firma zu übernehmen, der insolvente Westler bekam den Kredit, kaufte die Firma, hat die Menschen entlassen und die Maschinen verhökert, also erzählen sie mir nichts vom Pferd. Für die Anerkennung meines Studienabschlusses musste ich einen Antrag stellen, raten sie mal bei wem???

  6. 50.

    Er hat glatte Fehlentscheidungen getroffen, da war Schäuble nicht alleine in dieser Zeit. Auf die gestrige Vergangenheit und jetzt auf die jetzige Gegenwart schauen was da an Fehlentscheidungen noch getroffen werden, in Bezug unserer Zukunft. Die Einheit war erwünscht und gelingt nach so vielen Jahrzehnten nicht wie gewünscht? Da muss nicht nur der Westen, sondern die Menschen im Osten ebenfalls mehr Zusammengehörigkeit bringen. Ich sehe keine DDR mehr, leider steckt sie immer noch in manchen Köpfen.

  7. 49.

    Wußten Sie es damals besser? Warum saßen Sie dann nicht mit am Verhandlungstisch? Es gab nunmal keine Blaupause für das, was uns mit der Deutschen Einheit geschenkt wurde. Leider haben sehr viele "Zonenkinder" vergessen oder wollen es bis heute nicht wahr haben, wie kaputt die "DDR" wirklich war.

  8. 48.

    Mein Beileid an die Familie.

    Er war ein toller Mensch und ein überragender Politiker.

  9. 47.

    Mein Beileid an die Familie.

  10. 46.

    Einer der noch Kenntnis hatte.

    Ruhe in Frieden!

  11. 45.

    Woher wissen Sie das, Sie können doch den Inhalt dieses Vertrages dann auch nicht kennen!

  12. 44.

    Mein Beileid der Familie!
    Ich ziehe in Erinnerung vor Ihm meinen Hut. Was der Mann politisch erfahren mußte und gesundheitlich durchgemacht hat, kaum zu glauben! Und trotzdem hat er sich für Deutschland eingesetzt, auch wenn sein Stil und damit seine Arbeit einigen nicht gefiel. Aber so ist es nun einmal, wer Arbeitet macht auch Fehler! Nur wer nix macht, kann „kluge“ Kommentare absondern.

  13. 43.

    R.I.P.
    Den Angehörigen mein herzliches Beileid! In aller erster Linie war Herr Schäuble ein starker, herzenswarmer Mensch!

  14. 42.

    R.I.P.
    Den Angehörigen mein herzliches Beileid! In aller erster Linie war Herr Schäuble ein starker, herzenswarmer Mensch!

  15. 41.

    Mein Beileid an die Familie. Aber in den großen Nachrufg kann ich nicht einstimmen, dafür hat Schäuble seit der wende zu wenig für das Zusammenwachsen getan. Er hat zu viel Politik für den Westen gemacht.

  16. 40.

    Also wenn die Absicht war, ihn höher zu stellen, indem man auf die guckt, die sich da jetzt ihren Hintern dick und fett auf unser aller Kosten sitzen, dann ging das nach hinten los.

  17. 39.

    Unvergesslich sein klügster Satz:
    "Abschottung würde uns in Inzucht degenerieren lassen"

  18. 38.

    Leider ist der letzte Politiker verstorben, der den Inhalt des Vertrages zur Wiedervereinigung kennt, die nachrückende Politiker Generationen verstoßen ja täglich gegen Diesen, was sind schon internale Verträge in Deutschland Wert!?

  19. 37.

    Sie sollten den Leuten schon selbst überlassen, was seine Verdienste waren oder eben nicht. Das dürfte wohl erheblich schwanken, vor allem zwischen Ost- und Westdeutschen. Am Ende war er ein klassischer Politiker.

  20. 36.

    Man soll ja nicht schlecht über Tote reden. Lobhudelei ist aber auch hier sicher nicht angebracht. Er war Politiker.

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