Vorstellung vor Parteimitgliedern - So wollen drei Bewerber-Duos die Berliner SPD aus der Krise führen
Am Dienstagabend stellten sich die drei Teams, die in Zukunft die Berliner SPD führen wollen, zum ersten Mal gemeinsam der Partei vor. Ein Paar musste sich heftige Angriffe von Rivalen gefallen lassen - ein anderes bekam Gegenwind aus dem Publikum. Von Sabine Müller
- Drei Bewerber-Duos präsentieren sich im Willy-Brandt-Haus vor 250 Zuschauern
- Böcker-Giannini und Hikel wollen weg von der "Umsonst-Stadt für alle"
- Niroomand und Bertels stellen Neustart in den Vordergrund
- Lehmann und Saleh betonen bisher Erreichtes
Von Beginn an ist klar, dass an diesem Abend mit harten Bandagen gekämpft wird. Zwar plädieren im Laufe der Veranstaltung alle drei Duos dafür, die innerparteilichen Kämpfe zu beenden und zusammenzuarbeiten - aber erstmal ist Attacke angesagt. Beim ersten von drei Mitgliederforen auf der Suche nach einem neuen Landesvorsitz werden die bestehenden inhaltlichen und persönlichen Differenzen genüsslich ausgebreitet.
Gut 250 Parteimitglieder sind am Dienstag ins Willy-Brandt-Haus, die Zentrale der Bundespartei in Kreuzberg, gekommen und sie erleben einen schwungvollen Start in den Abend. Das Los hat bestimmt, dass das Team Nicola Böcker-Giannini und Martin Hikel sich als erstes vorstellen darf. Die beiden steigen gleich ein mit scharfen Angriffen auf die amtierende SPD-Führung und den Partei- und Fraktionschef Raed Saleh persönlich.
Kritik an der "Umsonst-Stadt für alle"
Hikel, Bezirksbürgermeister von Neukölln, beklagt den "desaströsen" Zustand der Partei. "Wir geben der Stadt keine Orientierung, weil wir selbst keine haben", kritisiert er. "Das muss Konsequenzen haben, auch personell." Seine Partnerin, die Ex-Sportstaatssekretärin Nicola Böcker-Giannini, wird inhaltlich. Berlin müsse "weg von der Umsonst-Stadt für alle", fordert sie und nennt konkret das subventionierte 29-Euro-Ticket und die Gratis-Kita auch für Top-Verdiener. Ein klarer Seitenhieb gegen Saleh, den Böcker-Giannini dann auch direkt anspricht. Das "Geschenk der Kostenfreiheit für alle" sei seine "alte Geschichte". Gebraucht werde aber eine neue Geschichte, hin zur "gerechten Stadt" mit einer "echten Umverteilung von oben nach unten". Sprich: Wer mehr verdient, soll mehr bezahlen.
Ihre Kritik weitet Böcker-Giannini, die wie Hikel dem rechten Parteiflügel zugerechnet wird, auch gleich auf das Bewerber-Duo Kian Niroomand und Jana Bertels aus. Die beiden wollten Salehs alte Geschichte weitererzählen, dafür werde die SPD aber nicht mehr gewählt, sagt die frühere Staatssekretärin.
"Die Partei wird einfach nicht mehr gut geführt"
Von wegen "alte Geschichte": Niroomand ist Kreischef von Charlottenburg-Wilmersdorf und Landesvize, Bertels Vorsitzende der SPD-Frauen - beide präsentieren sich als "Chance für einen Neustart", den die SPD dringend benötige. Die Partei werde "nicht mehr gut geführt", kritisiert Bertels und beklagt eine "Kultur der fehlenden Verantwortungsübernahme". "Berlin braucht die SPD", glaubt Niroomand seinen Worten zufolge, "aber wir sind nicht da. Uns fehlt eine Idee davon, wo wir mit dieser Stadt hinwollen."
Die beiden werden dem linken Flügel zugerechnet, inhaltlich zeigen sie einen klaren Kontrast zu Hikel und Böcker-Giannini. Sie erklären, den Berlinerinnen und Berlinern den "Metropolenstress" nehmen zu wollen, wenn es um Mieten, Verkehr, zu bürokratische Verwaltung oder die Suche nach einem Kita- oder Heimplatz geht. Für Niroomands Forderung, die Stadt müsse dem Wohle aller, nicht Einzelinteressen dienen, gibt es den bis dahin größten Applaus des Abends.
Saleh lässt Lehmann den Vortritt
Der angegriffene Partei- und Fraktionschef Raed Saleh hält sich zu Beginn der Veranstaltung demonstrativ zurück, gibt seiner Partnerin, der jungen Bezirkspolitikerin Luise Lehmann aus Marzahn-Hellersdorf, viel Raum. Lehmann übernimmt die Verteidigung, lobt Salehs Anteil an der gebührenfreien Bildung von Kita bis Hochschule, dem kostenlosen Schulessen und Schüler-Ticket. "Das ist alles gratis, aber nicht umsonst", betont Lehmann. "Eine Abkehr von diesem Weg wird es mit uns nicht geben."
Zum Zustand der Partei sagen Lehmann und Saleh wenig. Der Parteichef betont lediglich, Berlin brauche eine "starke SPD", denn die nächsten Jahre würden "stürmisch und hart". Saleh preist Luise Lehmann als Stimme der jungen Generation an, die 27-jährige Ärztin mache mit Leidenschaft Politik zu wichtigen Themen wie Klimaschutz und Gesundheit.
Inhaltliche Differenzen werden deutlich
In fünf Runden darf das Publikum dann Fragen an die Bewerber-Duos stellen. Angesprochen wird eine ganze Reihe von Themen - von Wohnungsnot über soziale Fragen bis Haushaltspolitik.
Bei der Frage ob Enteignungen der richtige Weg zu bezahlbarem Wohnraum seien, zeigt sich das Duo Böcker-Giannini/Hikel skeptisch. Eine Randbebauung des Tempelhofer Felds befürworten sie. Reaktion: Murren im Publikum. Wegen der Haushaltspolitik des schwarz-roten Senats muss sich Raed Saleh heftige Angriffe gefallen lassen. Es fehle an "Ehrlichkeit", hält ihm Kian Niroomand vor, Hikel kritisiert die "ungedeckten Schecks", die ausgestellt worden seien.
Saleh weist die Vorwürfe zurück und kontert mit seiner "Erfahrung" - dabei schaut er vor allem Niroomand und Bertels an, die bisher nur ehrenamtlich Politik machen. Außerdem wettert Saleh gegen die "Oberschlauen", die aus seiner Sicht alles besser wüssten - da geht sein Blick vor allem zu Hikel und Böcker-Giannini.
Unterschiedliche Haltungen zur Koalition mit der CDU
Im Visier der Kritik ist an diesem Abend auch der aktuelle Koalitionspartner der Berliner SPD. "Die CDU ist mir nicht sympathisch", sagt Luise Lehmann. Niroomand und Bertels betonen, die "natürlichen Koalitionspartner" der SPD seien Grüne und Linke. Für beide Aussagen gibt es lauten Applaus. Das Duo Hikel/Böcker-Giannini hält dagegen, die SPD müsse mit allen demokratischen Parteien koalitionsbereit sein, "Ausschließeritis" sei falsch.
Kurz vor Schluss wird es dann nochmal richtig hitzig. Auf eine Frage nach "rassistischen Aussagen" der CDU kritisiert Kian Niroomand, der Regierende Bürgermeister Kai Wegner habe sich nie für die Vornamendebatte rund um die Silvesternacht 2022/23 entschuldigt und damit eine Chance vertan. Neuköllns Bürgermeister Hikel warnt daraufhin davor, die CDU auf eine Stufe mit der "völkischen AfD" zu stellen. Er wirft die Frage auf, ob es überhaupt anti-muslimischen Rassismus gebe, schließlich sei "der Islam keine Rasse".
Ende mit Paukenschlag - und Saleh beweist Instinkt
Als Teile des Publikums deutlich ihren Unmut über diese Aussage äußern, mahnt Hikels Partnerin Böcker-Giannini, die SPD müsse unterschiedliche Meinungen aushalten. "Rassismus und Homophobie sind keine Meinung", brüllt daraufhin der sichtlich empörte Berliner Queer-Beauftragte Alfonso Pantisano in Richtung Podium.
Raed Saleh nutzt die Steilvorlage und ruft in den Saal, Rassismus und Ausgrenzung dürften keinen Platz in der SPD haben. Damit setzt er den Schlusspunkt unter die zweieinhalbstündige Debatte und geht mit großem Beifall aus dem Abend.
So geht es jetzt weiter
Hätte es an diesem Abend im Willy-Brandt-Haus ein Applausometer gegeben, so hätte es eher magere Zustimmung für das Duo Hikel/Böcker-Giannini angezeigt und deutlich mehr Begeisterung für die beiden anderen Teams. Das muss allerdings noch nichts heißen, denn das Publikum gilt nicht unbedingt als repräsentativ für die Stimmung an der Basis, die online und per Brief über die neue Parteispitze entscheiden darf.
Die drei Duos werden sich noch auf zwei weiteren Mitgliederforen präsentieren, am 20. April soll dann das Ergebnis des Mitgliedervotums feststehen. Falls keines der Teams eine absolute Mehrheit bekommt, gehen die beiden Bestplatzierten in eine weitere Runde. Ein Landesparteitag muss das Gewinner-Paar Ende Mai dann noch formal bestätigen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 13.03.2024, 7 Uhr