Rechtsruck bei jungen Menschen - "Es braucht auch Selbstkritik der Erwachsenenwelt"
Die Landtagswahlen in Brandenburg haben gezeigt: Rund ein Drittel der jungen Wählerinnen und wähler stimmte für die AfD. Björn Schreiber vom Verein Landesjugendring Brandenburg analysiert im Interview die Gründe dafür.
rbb|24: Herr Schreiber, mit Blick auf die Wahl: Was macht die Generation junger Menschen in Brandenburg besonders?
Björn Schreiber: Junge Menschen sind demographisch gesehen - gerade in Brandenburg - in der Minderheit. Auch wenn sie ab 16 wählen dürfen, sind sie nicht die größte Wahlgruppe und nicht die größte Zielgruppe demokratischer Parteien. Wir sehen das auch in Umfragen. Die Jugendwahlstudie 2024 hat ergeben, dass 41 Prozent der Befragten der Aussage "Ich bin mir sicher, der Regierung sind wir einfachen Menschen egal" zustimmen oder voll zustimmen. Dieser Anstieg in der Frage sollte auch Politikerinnen und Politikern zu denken geben, inwieweit ihr Handeln an die Wünsche und Ziele der Jugendgenerationen zugeschnitten ist.
Sie betonen in Ihrer Wahlanalyse [ljr-brandenburg.de], dass alle zu sehr auf das Drittel schauen, das für die AfD gewählt hat und dabei die anderen zwei Drittel vergessen.
Zum einen ist die gesellschaftliche Sorge berechtigt, dass junge Menschen konservativer bis populistischer werden. Zum anderen vergessen wir dabei zu oft, dass eine Mehrheit junger Menschen hinter dieser Demokratie steht und demokratische Parteien gewählt hat. Sie will die Demokratie unterstützen und mitgestalten. Die steigenden Zahlen im Ehrenamt, die wir in unseren Jugendverbänden sehen, belegen das. Wir müssen im Politischen wie Gesellschaftlichen die unterschiedlichen Positionen von jungen Menschen hören und berücksichtigen. Junge Menschen sind eben keine homogene Masse, sie sind sehr unterschiedlich.
Gleichzeitig haben wir bei unseren Recherchen gemerkt, dass sich junge Menschen schwertun, sich über Politik zu äußern und sich in ihrer Meinungsfreiheit bedroht fühlen.
Ja, diese Verunsicherung besteht auf drei Ebenen. Erstens ist da die Dominanz von rechtpolitischen bis rechtsextremen Parteien in den sozialen Medien. Da werden Minderheitenmeinungen gleichwertig mit den Haltungen an der gesellschaftlichen Mehrheit gestellt. Das verunsichert junge Menschen.
Zweitens hören wir von rechtspopulistischen Kräften immer wieder, man dürfe gar nichts mehr sagen, und es gäbe eine Einschränkung der Meinungsfreiheit. Das bleibt nicht ohne Folgen. Wir müssen Jugendlichen deshalb vermittteln, dass es auch Grenzen der Meinungsfreiheit gibt - und die haben wir im Grundgesetz verankert.
Drittens treten Rechtspopulisten betont neutral auf und beschweren sich, dass Pädagogen nicht neutral seien. Dabei müssen diese nicht neutral sein. Wo die freiheitlich-demokratische Grundordnung aufhört, enden jedoch die Grenzen der Neutralität. Gegen jede Aussage, die diese freiheitlich-demokratische Grundordnung mit den Füßen tritt, müssen auch Pädagogen aktiv aufstehen.
In unseren Interviews haben Jugendliche in Brandenburg Narrative aus dem Rechtspopulistischen übernommen, ohne sich dem Lager zuzuordnen, sprechen zum Beispiel von "Altparteien". Wie erklären Sie sich das?
In der schon erwähnten Jugendwahlstudie 2024 haben sich 33 Prozent der Befragten der politischen Mitte zugeordnet. Aber 17 Prozent davon haben die AfD gewählt. Das heißt, wir haben auch eine Normalisierung von rechtspopulistischen Aussagen und wir sollten darüber diskutieren, welche Ursachen das hat.
Zum Beispiel ist die junge Generation aufgewachsen mit einer AfD, die in Landräten und Parlamenten sitzt. Und auch weil das Links-Rechts-Schema der Politik zunehmend aufweicht - wir sehen es an neuen Parteien wie dem Bündnis Sahra Wagenknecht -, nehmen junge Menschen fluidere Meinungen ein. Dazu gehören auch Positionen, die teilweise sogar gegeneinanderstehen und ein diffuseres Bild geben. Das müssen wir aber gesamtgesellschaftlich diskutieren, statt nur auf Jugendliche zu gucken.
Es heißt ja auch, dass junge Erwachsene von einer "Ihr müsst es besser machen"-Haltung erschlagen sind. Zusätzlich zu all den Krisen und Kriegen um sie herum. Was wäre eine gerechtere Haltung gegenüber der jungen Generation?
Die Erwartungshaltung der Erwachsenenwelt an junge Menschen, dass sie eine Kraft für gesellschaftliche Veränderungen sind, ist gar nicht so falsch. Aber ich nehme da eine Doppelmoral wahr. Es braucht auch Selbstkritik der Erwachsenenwelt, was sie selbst ändern kann. Und welche Grundlagen sie schaffen kann, damit Jugendliche die Erwartungshaltung, die an sie gestellt wird, überhaupt erfüllen können. Damit sie selbstbewusst Positionen vertreten können, die spürbar im politischen Diskurs übernommen werden. Schlicht gesagt, damit wir sie berücksichtigen.
Wie schaffen wir das?
Nach der Wahl sind viele progressive Parteien wie die Linken und die Grünen aus dem Landtag geflogen. Als Landesjugendring fordern, dass trotzdem Positionen junger Menschen, die zukunftsgewandt sind, einfließen: Stimmen, die für eine Lösung der Klimakrise sind. Und Stimmen, die für eine jugendgerechte Ausgestaltung unserer Gesellschaft sind.
Die hoffentlich bald zustande kommende Landesregierung soll die Wünsche von jungen Menschen zum zentralen Regierungsziel machen: Mehr Beteiligung, eine bessere finanzielle Ausstattung der Jugendarbeit, eine bessere politische und demokratische Bildung. Und ganz wichtig sind nachhaltige Lösungen für politische Krisen und Probleme, die eben gerade auch zu Lasten einer jungen Generation gehen. Nicht zuletzt fordern wir, dass auch Minderheiten und Minderheitsmeinungen verstärkt gesehen werden. Und wir wünschen uns mithilfe vielfältiger Positionen einen vielfältigen, demokratischen Diskurs.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Martin Schmitz.