Rechtsruck bei jungen Menschen - "Es braucht auch Selbstkritik der Erwachsenenwelt"

Do 10.10.24 | 06:10 Uhr
  39
Symbolbild:Zwei Freundinnen sitzen auf einem Hügel und genießen gemeinsam den Sonnenuntergang im Landkreis Oder-Spree in Ostbrandenburg.(Quelle:picture alliance/dpa/P.Pleul)
Bild: picture alliance/dpa/P.Pleul

Die Landtagswahlen in Brandenburg haben gezeigt: Rund ein Drittel der jungen Wählerinnen und wähler stimmte für die AfD. Björn Schreiber vom Verein Landesjugendring Brandenburg analysiert im Interview die Gründe dafür.

rbb|24: Herr Schreiber, mit Blick auf die Wahl: Was macht die Generation junger Menschen in Brandenburg besonders?

Björn Schreiber: Junge Menschen sind demographisch gesehen - gerade in Brandenburg - in der Minderheit. Auch wenn sie ab 16 wählen dürfen, sind sie nicht die größte Wahlgruppe und nicht die größte Zielgruppe demokratischer Parteien. Wir sehen das auch in Umfragen. Die Jugendwahlstudie 2024 hat ergeben, dass 41 Prozent der Befragten der Aussage "Ich bin mir sicher, der Regierung sind wir einfachen Menschen egal" zustimmen oder voll zustimmen. Dieser Anstieg in der Frage sollte auch Politikerinnen und Politikern zu denken geben, inwieweit ihr Handeln an die Wünsche und Ziele der Jugendgenerationen zugeschnitten ist.

Sie betonen in Ihrer Wahlanalyse [ljr-brandenburg.de], dass alle zu sehr auf das Drittel schauen, das für die AfD gewählt hat und dabei die anderen zwei Drittel vergessen.

Zum einen ist die gesellschaftliche Sorge berechtigt, dass junge Menschen konservativer bis populistischer werden. Zum anderen vergessen wir dabei zu oft, dass eine Mehrheit junger Menschen hinter dieser Demokratie steht und demokratische Parteien gewählt hat. Sie will die Demokratie unterstützen und mitgestalten. Die steigenden Zahlen im Ehrenamt, die wir in unseren Jugendverbänden sehen, belegen das. Wir müssen im Politischen wie Gesellschaftlichen die unterschiedlichen Positionen von jungen Menschen hören und berücksichtigen. Junge Menschen sind eben keine homogene Masse, sie sind sehr unterschiedlich.

Zur Person

Björn Schreiber, Portraitfoto. (Quelle: photothek media lab)
photothek media lab

Landesjugendring Brandenburg e.V. - Björn Schreiber

Björn Schreiber ist Geschäftsführer beim Landesjugendring Brandenburg e.V., der sich aus Jugendverbänden sowie Stadt- und Kreisjugendringe gegründet hat. Der Interessensverband für junge Menschen setzt sich für demokratische Bildung und eine bessere Jugendarbeit in Brandenburg ein.

Gleichzeitig haben wir bei unseren Recherchen gemerkt, dass sich junge Menschen schwertun, sich über Politik zu äußern und sich in ihrer Meinungsfreiheit bedroht fühlen.

Ja, diese Verunsicherung besteht auf drei Ebenen. Erstens ist da die Dominanz von rechtpolitischen bis rechtsextremen Parteien in den sozialen Medien. Da werden Minderheitenmeinungen gleichwertig mit den Haltungen an der gesellschaftlichen Mehrheit gestellt. Das verunsichert junge Menschen.

Zweitens hören wir von rechtspopulistischen Kräften immer wieder, man dürfe gar nichts mehr sagen, und es gäbe eine Einschränkung der Meinungsfreiheit. Das bleibt nicht ohne Folgen. Wir müssen Jugendlichen deshalb vermittteln, dass es auch Grenzen der Meinungsfreiheit gibt - und die haben wir im Grundgesetz verankert.

Drittens treten Rechtspopulisten betont neutral auf und beschweren sich, dass Pädagogen nicht neutral seien. Dabei müssen diese nicht neutral sein. Wo die freiheitlich-demokratische Grundordnung aufhört, enden jedoch die Grenzen der Neutralität. Gegen jede Aussage, die diese freiheitlich-demokratische Grundordnung mit den Füßen tritt, müssen auch Pädagogen aktiv aufstehen.

In unseren Interviews haben Jugendliche in Brandenburg Narrative aus dem Rechtspopulistischen übernommen, ohne sich dem Lager zuzuordnen, sprechen zum Beispiel von "Altparteien". Wie erklären Sie sich das?

In der schon erwähnten Jugendwahlstudie 2024 haben sich 33 Prozent der Befragten der politischen Mitte zugeordnet. Aber 17 Prozent davon haben die AfD gewählt. Das heißt, wir haben auch eine Normalisierung von rechtspopulistischen Aussagen und wir sollten darüber diskutieren, welche Ursachen das hat.

Zum Beispiel ist die junge Generation aufgewachsen mit einer AfD, die in Landräten und Parlamenten sitzt. Und auch weil das Links-Rechts-Schema der Politik zunehmend aufweicht - wir sehen es an neuen Parteien wie dem Bündnis Sahra Wagenknecht -, nehmen junge Menschen fluidere Meinungen ein. Dazu gehören auch Positionen, die teilweise sogar gegeneinanderstehen und ein diffuseres Bild geben. Das müssen wir aber gesamtgesellschaftlich diskutieren, statt nur auf Jugendliche zu gucken.

Es heißt ja auch, dass junge Erwachsene von einer "Ihr müsst es besser machen"-Haltung erschlagen sind. Zusätzlich zu all den Krisen und Kriegen um sie herum. Was wäre eine gerechtere Haltung gegenüber der jungen Generation?

Die Erwartungshaltung der Erwachsenenwelt an junge Menschen, dass sie eine Kraft für gesellschaftliche Veränderungen sind, ist gar nicht so falsch. Aber ich nehme da eine Doppelmoral wahr. Es braucht auch Selbstkritik der Erwachsenenwelt, was sie selbst ändern kann. Und welche Grundlagen sie schaffen kann, damit Jugendliche die Erwartungshaltung, die an sie gestellt wird, überhaupt erfüllen können. Damit sie selbstbewusst Positionen vertreten können, die spürbar im politischen Diskurs übernommen werden. Schlicht gesagt, damit wir sie berücksichtigen.

Wie schaffen wir das?

Nach der Wahl sind viele progressive Parteien wie die Linken und die Grünen aus dem Landtag geflogen. Als Landesjugendring fordern, dass trotzdem Positionen junger Menschen, die zukunftsgewandt sind, einfließen: Stimmen, die für eine Lösung der Klimakrise sind. Und Stimmen, die für eine jugendgerechte Ausgestaltung unserer Gesellschaft sind.

Die hoffentlich bald zustande kommende Landesregierung soll die Wünsche von jungen Menschen zum zentralen Regierungsziel machen: Mehr Beteiligung, eine bessere finanzielle Ausstattung der Jugendarbeit, eine bessere politische und demokratische Bildung. Und ganz wichtig sind nachhaltige Lösungen für politische Krisen und Probleme, die eben gerade auch zu Lasten einer jungen Generation gehen. Nicht zuletzt fordern wir, dass auch Minderheiten und Minderheitsmeinungen verstärkt gesehen werden. Und wir wünschen uns mithilfe vielfältiger Positionen einen vielfältigen, demokratischen Diskurs.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Martin Schmitz.

Kommentar

Bitte füllen Sie die Felder aus, um einen Kommentar zu verfassen.

Kommentar verfassen
*Pflichtfelder

Aus datenschutzrechtlichen Gründen werden Kommentare, bei denen die E-Mail-Adresse in den Feldern Name, Wohnort oder Text geschrieben wurde, nicht freigegeben. Mit Nutzung der Kommentarfunktion stimmen Sie unserer Netiquette sowie unserer Datenschutzerklärung (Link am Ende der Seite) zu. Wir behalten uns vor, Kommentare, die nicht zu einer konstruktiven Diskussion beitragen, nicht freizugeben oder zu löschen. Wir geben keine Auskunft über gelöschte oder nicht freigegebene Kommentare. Mit der Abgabe eines Kommentars erklären Sie sich mit diesen Regeln und den Kommentarrichtlinien des rbb einverstanden.

39 Kommentare

  1. 39.

    Im Wiki stehts auch, nur habe ich dort keinen Hinweis auf das Buch in Verbindung mit dem Begriff gefunden. Lediglich im Artikel über Frau Kelly ist das Buch erwähnt, ohne Hinweis auf den Begriff. Auch die Zitatesammlung dort sieht schlecht aus. Vll. sollte man es doch mal lesen. Winterabende können lang sein.

  2. 38.

    Das haben Sie von Wikipedia, gell? Die meisten hier kennen aber Wiki nicht, weil sie sich nur auf TikTok und telegram rumtreiben.

  3. 36.

    Haha jetzt ist schon eine simple Frage verdächtig.
    Wahrscheinlich ist schon Kritik an den alten Parteien zu viel des Guten..

  4. 35.

    Die Jugend wurde und wird nicht ernst genommen. Alle Sorgen, die die öffentlich kundtun, sei es durch Klimastreik oder sonstige Aktionen wird kriminalisiert oder als als antisozial gebrandmarkt. Selbst ein erkämpfter Empfang beim Kanzler endet in Ratlosigkeit. Mit 16 kann man noch keine Partei gründen.

  5. 34.

    Nö, Altpartei ist keine Erfindung der AfD, auch dann nicht wenn es die Mainstreamspatzen allerorten vom Dach pfeifen. Petra Kelly benutzte es mehrmals in dem Buch "Um Hoffnung kämpfen. Gewaltfrei in eine grüne Zukunft."
    Die verstorbene Frau Kelly war nochmal welcher politischen Richtung zu zuordnen und wann erschien das Buch?

  6. 33.

    Der Begriff "Altpartei" in seiner verbalen Zusammenziehung und in seiner dauerhaften, nicht nur einmaligen Verwendung ist eine Erfindung und ist Praxis der AfD.

    Dies ist die heutige Variante des Anfangs der 1930er Jahre, als von der "alten Kraft" und der "neuen Kraft" geredet und plakatiert wurde. Wer als wer angesehen wurde, dürfte wohl Allgemeinwissen sein. Es ist die bezeichnend und Teil ihrer Janusköpfigkeit, dass die AfD sich dessen bedient und zugleich doch diesen Bezug leugnet.

  7. 32.

    Ich sprach nicht von einem undemokratischen Verhalten, ich sprach nur von einem sprunghaften Verhalten. Das übrigens habe ich immer so gesehen. Wer Kontakt zu Jugendlichen oder eigenen Kindern hat, der weiß das, dass die vielmehr in der eigenen Gruppe denken als sich individuell im Zweifelsfall mit dem Wortgewaltigsten aus der jeweiligen Gruppe anzulegen.

    Von daher bin und war ich auch skeptisch gegenüber einem herabgesetzten Wahlalter von 16 Jahren und habe dies hier und da auch geäußert.

    Der kometenhafte Aufstieg und der pulverisierte Zerfall der lebensalter-jüngsten Piraten-Partei dürfte für diese Art von Sprunghaftigkeit Beleg genug sein. Bemerkenswert, dass vor lauter Freude über den Wahlzuspruch das bei den Grünen nicht bemerkt worden ist.

  8. 31.

    In meiner Schule war das so: "in der Schule sollte vor allem selbstständiges Denken gelehrt werden". Mein Lebensalltag seither: Ok im Leben, ein Desaster im Kontakt mit Behörden. Eigenes Denken wird als Angriff empfunden.

    Den gleichen Eindruck bekomme ich, wenn ich die Altparteien über die AfD herziehen höre.

  9. 30.

    Das Erstaunen darüber, dass die Jugend nicht so handelt wie die Alten "schon immer", zeigt ja, wie weit alle Staunenden von der Jugend entfernt leben. Ist halt nicht die Wählergruppe, daher fü die nächsten 4 J. kaum existent.
    <>
    Das Auffälligste am Wahlergebnis ist eher, dass die SPD so hohe Werte bei der alten Bevölkerung hat. Ansonsten sind die Werte ja relativ gleichmäßig verteilt.

  10. 29.

    "[...] Aber soweit hat da wohl keiner gedacht als man mal wieder versucht hat sich als das arme Opfer zu stilisieren, was grandios und vorhersehbar gescheitert ist."

    Naja, eigentlich haben die ihr Ziel erreicht. Und Menschen wie "Steffen" versuchen, den Opfermythos aufrecht zu erhalten...

  11. 28.

    Die Bezeichnung "Altparteien" haben bereits die Grünen genutzt. Aber Fakten scheinen Ihnen ja nicht so wichtig wie Parolen.

  12. 27.

    Diesen Standpunkt müssen Sie aber erklären und mit Fakten unterlegen, nicht einfach nur behaupten. Dieser Treutler war sogar erstaunlich ruhig und gefasst, ob der Inszenierung durch die CDU und hat sich ganz klar an die bestehende Geschäftsordnung gehalten, die von den Vorgängerregierungen genau so demokratisch und parlamentarisch beschlossen wurde. Diese kommt damit einem Gesetz gleich und gilt so lange, bis eine neue beschlossen wird. Dafür muss das Parlament aber konstituiert sein. Wo war er also undemokratisch in seinem Verhalten? Es war die CDU, die die Geschäftsordnung ändern wollte und dies sogar bereits bevor überhaupt die Beschlussfähigkeit des neuen Parlaments festgestellt werden konnte. Wie soll denn ein Parlament etwas beschließen, wenn es noch gar nicht beschlussfähig ist?

  13. 26.

    Richtig, da sieht man sofort was die AfD von demokratischen Regeln hält: nichts.

    Ein besseres Beispiel für die Machtfantasien der AfD lässt sich kaum finden: Mit Ansage und vorher klarem Ergebnis verstößt man, im Glauben die Allmacht zu besitzen, gegen die Verfassung.

    Nur so als Denkansatz für einige hier: Ein nicht beschlussfähiger Landtag kann keinen neuen Landtagspräsidenten wählen, ergo hat die AfD sich damit selbst geschadet und niemand anderem. Aber soweit hat da wohl keiner gedacht als man mal wieder versucht hat sich als das arme Opfer zu stilisieren, was grandios und vorhersehbar gescheitert ist.

  14. 25.

    Das stimmt, die Jugendlichen haben heute viel mehr als zu meiner Zeit. Materiell mehr, mehr Möglichkeiten, mehr Freiheiten. Aber die Erwachsenen machen es ja vor. Je mehr man hat, desto mehr will man. Das geht allerdings aus vielen Gründen nicht. Vielleicht sollte in der Schule vor allem selbstständiges Denken gelehrt werden

  15. 24.

    Aber das ist doch das Problem. Die meisten machen sich kein Bild. Oder was glauben Sie, wie viele Jugendliche politisch Diskussionen anhören oder sich anders intensiv informieren, jenseits von sozialen Medien?

  16. 23.

    >>>Wie darf ich denn die alten Parteien nennen ohne mich verdächtig zu machen? <<<

    Sie haben sich bereits verdächtig gemacht.

    Die ständige Betonung der "Altparteien" dient nur der Schmähung, oder haben sie dafür sachliche Gründe? Die AfD existiert immerhin seit fast 12 Jahren. Eine "Jungpartei" ist die AfD somit nicht mehr.

  17. 22.

    >>>Die brauchen keine Belehrungen und Umerziehungen, sondern gute Zukunftsperspektiven und Sicherheit.<<<

    Ja, genau, die arme Jugend von heute. Bei aktuell soviel beruflichen Auswahlmöglichkeiten kann man schon in Sorgen und Zukunftsängsten verfallen.

  18. 21.

    Hier passiert genau das, was auch Jugendliche nicht mehr hören wollen. Der Herr Schreiber beklagt das Linke und Grüne aus dem Landtag geflogen sind und bezeichnet diese als progressiv, also fortschrittlich. Das meint, alle anderen sind rückwärtsgewand. So etwas möchte auch ein junger Mensch nicht mehr hören. Er möchte sich ein eigenes Bild machen, ohne dabei bevormundet zu werden. Auch deshalb haben wir m.E. ein Erstarken politischer Ränder.

  19. 20.

    Ja Steffen, Sie bringen es sehr gut auf den Punkt. Nur sind hier so viele Stimmungsmacher unterwegs, dass es sinnlos erscheint, denen die Tatsachen vor Augen zu halten. Dabei merken sie nicht, dass das stetige ‚Bashing‘ gegen die AfD das Gegenteil von dem bewirkt, was sie erreichen wollen. Nervig!

Nächster Artikel