Die Köpenicker in der Krise - Union Berlin verteidigt ungenügend
Zum siebten Mal in Serie verliert Union und offenbart dabei erneut Schwächen in der Defensive. Trainer Urs Fischer spricht die Fehler klar an. Seine Mannschaft setzt seine Vorgaben derzeit nicht um. Von Till Oppermann
Etwas entgeistert guckte Sheraldo Becker nach 42 Minuten bei Unions Auswärtsspiel in Dortmund aus der Wäsche. Nach einem Alleingang im Vollsprint über 50 Meter hatte er aus spitzem Winkel parallel zur Grundlinie aufs Dortmunder Tor geschossen. BVB-Torwart Gregor Kobel parierte, ein Union-Mitspieler war nicht mitgelaufen, um den Abpraller zu verwerten.
Frei nach dem Motto: "Was ihr könnt, kann ich schon lange", brauchte Becker danach mehr als eine Minute, um wieder in der eigenen Hälfte aufzutauchen, wo seine Mitspieler schon längst den Gegenangriff verteidigten. Das ging gut, der 1. FC Union Berlin ging mit einer 2:1-Führung in die Pause. Und doch war diese Szene eine Vorschau für das, was nach dem Seitenwechsel passieren sollte.
Innerhalb von neun Minuten verloren
Denn innerhalb von wenigen Minuten gab Union das Spiel gegen den BVB aus der Hand und kassierte zwei Gegentreffer. Anschließend sollte jedem klar geworden sein, dass die Probleme der Mannschaft nicht nur mit den vielbesprochenen Verletzungen der beiden unangefochtenen Stammspieler Rani Khedira und Robin Knoche zu erklären sind. Nicht nur in Dortmund agierte Unions Mannschaft zu inaktiv, wirkte teilweise sogar teilnahmslos. Die Eisernen sind aktuell allgemein nicht in der Lage, sich über 90 Minuten auf ihren Plan zu konzentrieren und ihre Spiele so zu kontrollieren.
Natürlich war in Dortmund der Gewaltschuss von Nico Schlotterbeck, der den Ball aus 25 Metern zum Ausgleich in den Winkel gehämmert hatte, ein Traumtor. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass dem BVB-Abwehrspieler eigentlich nichts anderes übrig geblieben war, als abzuschließen. Acht verteidigende Unioner hatten sich vorher hinter dem Ball zurückgezogen, ohne Anstalten zu machen einen Dortmunder anzugreifen. "Wir sind schlapp und in den Zweikämpfen zu weit weg", kritisierte Rekordtransfer Robin Gosens nach Spielende. Allerdings war auch er an Unions Einbruch nicht ganz unschuldig.
Union verteidigt nicht bundesligareif
Denn auch Gosens war zu weit weg, als Marco Reus über seine linke Abwehrseite das 3:2 durch Julian Brandt vorbereitete. Nachdem er bei einem Eckball nicht zum Kopfball gekommen war, nahm er zu langsam die Verfolgung der konternden Dortmunder auf. Den noch schlimmeren Fehler machten seine Kollegen: Janik Haberer etwa ließ sich die Möglichkeit entgehen, den Konter mit einem der taktischen Fouls zu beenden, für die Union in den letzten Jahren so berüchtigt war.
Die Kollegen in der Konterabsicherung wiederum guckten nur auf den Ball und ließen sich von Reus in die Mitte locken. Auf Dortmunds rechter Angriffsseite startete Brandt in den freien Raum, stand frei vor dem Tor und traf. "Anstatt den Ball zu attackieren, weichen wir", schimpfte Trainer Urs Fischer auf der Pressekonferenz nach dem Spiel und fasste zusammen: "Wie du das zweite und dritte Gegentor bekommst, das geht auf diesem Niveau nicht." Mehrmals sprach der Schweizer davon, dass man "andere Absprachen" habe.
Fischer bleibt der Richtige
Am Ende verloren die Köpenicker mit 2:4, die siebte Pflichtspielniederlage in Serie. Unions letzter Negativlauf dieser Art ist lange Jahre her. Am Ende der Saison 2004/05 stieg der Verein in die Oberliga ab. Von solchen Horrorszenarien sind die Unioner heute noch relativ entfernt. Zumal sie schlimmstenfalls in die zweite Liga müssten und nicht nach Eberswalde oder Falkensee wie damals vor 18 Jahren.
Auch wenn Pal Dardai, Trainer beim Stadtrivalen Hertha BSC, mal sagte, dass heutzutage kein Trainer sieben Niederlagen hintereinander überlebe, zweifelt bei Union niemand ernsthaft daran, dass Fischer der richtige Trainer ist. Der Schweizer wirkt angesichts der ständigen individuellen und taktischen Fehler seiner Mannschaft zwar langsam etwas ratlos, er analysiert sie aber auch ziemlich schonungslos. Besserung ist also möglich, wenn die Mannschaft es will.
Vielleicht sollte Fischer ihr bei der nächsten Videoanalyse anstelle der Fehler gegen Dortmund einfach Ausschnitte aus der letzten Saison zeigen, als Union die beste Abwehr der Liga stellte und Gegner regelmäßig mit harten Zweikämpfen in die Verzweiflung trieb. Der Fischer-Ball war selten sonderlich schön, aber in seiner ganzen Zeit bei Union immens erfolgreich. Gruppentaktisch gehörte die Mannschaft zu den besten in Europa. Vielleicht muss Union wieder dahin zurück, um in Zukunft wieder zu siegen.
Erste Halbzeit kein Gradmesser
Worauf sich die Eisernen in der Länderspielpause lieber nicht zu viel einbilden sollten, ist ihre Pausenführung in Dortmund. Zwar waren sich Gosens und Fischer einig, dass Union in der ersten Halbzeit ein sehr gutes Spiel gemacht habe, aber dafür, dass Dortmund keinen Rhythmus fand, gab es andere Gründe als Unions Abwehrarbeit.
Insgesamt dreimal war das Spiel mehrere Minuten lang unterbrochen. Schiedsrichter Patrick Ittrich musste bei zwei Abseitstoren und einem Foul an Sheraldo Becker den VAR heranziehen, um die richtige Entscheidung zu treffen. "Da war es schwierig, das Tempo hochzuhalten", erklärte der Dortmunder Trainer Edin Terzic. Es entwickelte sich ein Kick, der mit Bundesliganiveau wenig zu tun hatte. Wenn er so eingesetzt wird, raubt der VAR dem Fußball Attraktivität. Nicht nur während der langen Pausen, sondern auch danach.
Sendung: rbb24 Inforadio, 07.10.2023, 18:15 Uhr