Serie | Parlamentswahl in Polen - Das Ringen um den Naturschutz der Oder und einen deutsch-polnischen Nationalpark

Sa 14.10.23 | 11:21 Uhr
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Die Oder im Nationalpark Unteres Odertal
Audio: Antenne Brandenburg | 13.10.2023 | Sabine Tzitschke | Bild: rbb

Fischsterben, ein gemeinsamer Nationalpark und der Ausbau: Nicht nur zwischen Deutschland und Polen, sondern auch in der polnischen Politik selbst sorgt die Oder für Debatten. Für die einen eine starke Wirtschaftsader, für andere ein Naturreservat.

Die Oder trennt zwei Länder und zwei Naturschutzgebiete. Nach der polnischen Parlamentswahl am Sonntag könnten letztere zu einem gemeinsamen Nationalpark fusionieren - so lautet die Forderung einer der derzeitigen Oppositions-Parteien. Auch die unterschiedlichen Sichtweisen über den Naturschutz sind im polnischen Wahlkampf ein Thema.

Seit fast 30 Jahren Pläne für gemeinsamen Nationalpark

Die Oder bildet bei Schwedt (Uckermark) und Krajnik Dolny eine einzigartige Auenlandschaft. Auf polnischer Seite, in der Wojewodschaft Westpommern, gibt es zwar ein Landschaftsschutzgebiet, aber auf Tourismus-Wander- oder Paddelkarten ist das Untere Odertal nie so richtig zusammengewachsen. Und doch spielt die Oder, die eine 160 Kilometer lange, natürliche Grenze zwischen Polen und Deutschland bildet, im aktuellen polnischen Wahlkampf eine Rolle. Dort geht es um Naturschutz, die Vertiefung des Flusses und einen gemeinsamen Nationalpark.

Ideen für ein grenzübergreifendes Schutzgebiet gab es bereits vor mittlerweile mehreren Jahrzehnten. Bei der endgültigen Gründung im Jahr 1995 war Brandenburg in Sachen Naturschutz einfach zu streng, erinnert sich der SPD-Landtagsabgeordnete Mike Bischoff. "Das erste Nationalpark-Gesetz in Brandenburg - bis heute auch das einzige - hatte die schärfsten Umweltauflagen bundesweit. Daraus resultierte, dass die Angler, die Fischer, die Jäger und die Touristen raus sollten. In der Region war helle Aufruhr."

Unterschiedlicher Umgang mit dem Grenzfluss

Der Aufruhr hat sich zwar gelegt, aber die deutschen Angler schauen immer noch neidisch auf das polnische Oderufer. Beim Nachbarn ist die Bewegungsfreiheit für Petrijünger einfach größer, sagt Dirk Schmidt, Chef der uckermärkischen Angler. "Gerade wenn man hier als deutscher Angler im Bereich der Oder-Brücke unterwegs ist. Und auf der anderen fahren sie mit Kind und Kegel mit Auto bis ans Wasser. Wenn es geht, waschen sie das Auto sogar noch da."

Zwar spricht sich Schmidt deutlich gegen die Autowaschungen aus, deutet aber auch an, dass sich Menschen in der Natur auf polnischer Seite unbeschwerter bewegen können. Egal ob als Land- oder Viehwirt, als Camper oder nur am Lagerfeuer.

Unterschiedliche Standards hindern gemeinsames Agieren

Aus deutscher Perspektive spricht deshalb von vielen Seiten einiges gegen einen gemeinsamen Nationalpark. Dennoch wirbt Frank Bretsch, der erste Beigeordnete der Uckermark und selbst Angler, um Verständnis für die polnische Lebensweise. "Wer natürlich Standards für einen Nationalpark innerhalb Europas unterschiedlich definiert und setzt, der wird auch ein verschiedenes Ergebnis bekommen. Je mehr das in gemeinsamen Gesprächen passiert, desto weniger ist eine Regierung in Warschau gezwungen, ein Statement abzugeben, was sich wie ein 'Basta!' anhört."

Opposition will gemeinsames Schutzgebiet

Das 'Basta!' der amtierenden polnischen Regierung - also das Ende der Pläne für einen gemeinsamen Nationalpark - spielt nun tatsächlich eine Rolle im polnischen Wahlkampf. Die sozialdemokratisch linke "Lewiza"-Partei hat in ihrem Programm einen gemeinsamen Nationalpark angekündigt. Das sagt Jakub Korcynski, ein Germanistik-Student aus Stettin und Kandidat für das Unterhaus Sejm. "Da sind wir einstimmig in der Opposition. Wir finden, dass das Ökosystem der Oder für Deutschland und auch in Polen essenziell ist. Im Park Narodowy Doliny Dolnej Odry (der Landschaftsschutzpark Unteres Odertal auf polnischer Seite, Anmerk. d. Red.) wollen wir einen Nationalpark einführen, dass hier auch die Biodiversität und einfach die Oder von den Menschen geschützt wird."

Streit um den Oderausbau

Doch wie passt Biodiversität mit dem Oderausbau zusammen? Denn während sich einige die Errichtung des Nationalparks auch auf polnischer Seite wünschen, wollen andere den Ausbau des Flusses vorantreiben. Die Arbeiten zur Vertiefung der Fahrrinne sind unter der PiS-Regierung fortgesetzt worden, auch wenn Polens Oberstes Verwaltungsgericht wegen Umweltbedenken einen Baustopp angeordnet hatte. Eine Wiederwahl der PiS würde weniger Umweltschutz bedeuten, befürchten umweltbewusste Wähler. Einer von ihnen ist der Künstler und Umweltschützer Ryszard Matecki. "Ich denke, dass Wirtschaft und Naturschutz koexistieren können. Schiffe und Lastkähne können durchaus die Oder befahren. Nichtdestotrotz soll man die Stimmen der Umweltschützer nicht ignorieren. Hier muss man miteinander reden. "

Die Weltbank hat in der vergangenen Woche die Kredite für den Oderausbau gestoppt. Das geht aus einem Brief der Länderdirektorin der Weltbank für die Europäische Union hervor. Dennoch ist der Ausbau in Höhe der Uckermark nicht vom Tisch, erklärt Frank Bretsch vom Landratsamt diplomatisch. "Wenn die polnische Regierung und das polnische Volk ein Interesse daran haben, dass ein Fluss schiffbar wird, dann tun sie ja nichts anderes als das, was Deutsche mit dem Rhein oder der Elbe bereits getan haben. Wirtschaftsinteressen per se einfach mal zu verdammen, ist etwas sehr, sehr Schlechtes. Denn niemand kommt hierher, um uns zu besichtigen. Menschen kommen hierher, um zu leben und zu arbeiten. Dazu muss Wirtschaft entwickelt werden und das gehört genauso in den Fokus, wie der Naturschutz und der Tourismus."

Eine Wahl für oder gegen den Naturschutz?

Immerhin hat die PiS-Regierung als Reaktion auf das Fischsterben im vergangenen Juli dem "Sondergesetz zur Revitalisierung der Oder" zugestimmt. Das sieht Investitionen von umgerechnet 250 Millionen Euro in die Oder vor. So sollen entlang des Flusses 123 Kläranlagen aus- und neu gebaut oder modernisiert werden. Auch eine Modernisierung der Staustufen ist vorgesehen. Zudem soll eine neue Kontrollbehörde die Abwässer kontrollieren. Bußgelder für die Verschmutzung der Oder gibt es aber so gut wie keine, urteilt die Opposition. Zudem wird kritisiert, dass die PiS nichts unternommen habe, um den polnischen Bergbau zu verpflichten, die Einleitung stark salzhaltiger Abwässer in die Oder zu reduzieren. Ob es mehr oder weniger Umweltschutz in Polen geben wird, wird die Wahl dann entscheiden.

Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 13.10.2023, 19:30 Uhr

Mit Material von Magdalena Dercz, Jakub Paczkowski und Sabine Tzitschke

29 Kommentare

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  1. 29.

    "Aber wie lange glauben sie geht diese Art der Landwirtschaft noch gut" Ehrlich: Ich weiß keine Antwort. Es muß wahrscheinlich einfach irgendwie gehen, solange das Gesamtbevölkerungswachstum nicht gestoppt ist - in China hat es ja schon funktioniert.

  2. 28.

    Aber wie lange glauben sie geht diese Art der Landwirtschaft noch gut, inklusive der Schaffung von Nahrung für die Massentierhaltung und da reden wir noch nicht von der Methan und CO2 Emission.
    Unsere gesamte Mikrobiologie findet in einer Schicht von 30 cm unter der Erdoberfläche statt.

  3. 27.

    Wahrscheinlich, wenn es nicht ein Trugschluss unserer Wahrnehmung ist, weil das Eine eine innerdeutsche Entscheidung und das hiesige Thema ein europäisches ist, indem ein Player sich unermüdlich über seine eigene Rechtssprechung hinwegsetzt und diese sogar bewusst versucht durch Beschränkung und Eigenbesetzung zu manipulieren.

  4. 26.

    "mit Herbiziden die Mikrobiologe und damit die Böden zu zerstören" Was glauben Sie, wie einfach die Ernährung von 80 Mio Deutschen oder Mrd in der Welt wird, wenn Sie keine Herbizide mehr einsetzen würden? Es sollte ein angemessener Einsatz sein, aber einen Verzicht sehe ich sehr kritisch für die Grundnahrungsmittelerzeugung (bis auf kleine Nischenmärkte, die aber nicht wirklich ins Gewicht fallen in der Tonnage).

  5. 25.

    Ich möchte mit Paracelsus antworten: "Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift; allein die Dosis machts, dass ein Ding kein Gift sei."
    Zu Ihrem beispiel Nitrat vielleicht mal zum Bodensee gucken. Wegen der extrem zurückgegangen Nitrateinträge, gingen dort auch die Fischbestände zurück (es wächst dann halt auch weniger potentielles Futter im See), so daß man nun den See künstlich düngt. Es kommt auch ein vernünftiges Maß an. Kein Bauer ist glücklich über vom Feld ausgeschwemmten Dünger Richtung Vorfluter, das ist nicht nur ein Düngerverlust und damit eine potentiell schlechtere Ernte, das ist ein finanzieller Verlust auch ohne jetzt vordergründig an die Umwelt zu denken.

  6. 24.

    Na, jedenfalls scheint die Zerstörung der letzten noch halbwegs naturnahen Flusslandschaft in Mitteleuropa weit weniger zu interessieren, als eine kleine Verfahrensänderung bei der Erteilung artenschutzrechtlicher Ausnahmegenehmigungen.

  7. 23.

    Sie müssen mit ihren Andeutungen schon präziser werden. Ist es ok Nitrate in die Oder einzuleiten und mit Herbiziden die Mikrobiologe und damit die Böden zu zerstören? Ist es ok Wölfe abzuknallen? Massentierhaltung ein zwingendes Muß?
    Das es unausweichlich ist bestimmte Dinge einfach tun zu müssen??

  8. 22.

    Na, jedenfalls scheint die Zerstörung der letzten halbwegs naturnahen Flusslandschaft in Mitteleuropa weit weniger Interesse zu finden als eine Verfahrensfrage bei der Erteilung artenschutzrechtlicher Ausnahmegenehmigungen.

  9. 21.

    Korrigiere: So macher. Wie ist es mit "Viele Polen arbeiten hier, weil es in Polen zu wenig Jobs gibt und kein Bürgergeld"? Als ob Leben ohne "Job", also fremdbestimmte abhängige Arbeit nicht auch ginge, wie es vor Generationen auch war, ohne "Marktwirtschaft".

    Tätigsein nicht zum Erwerb, sondern als Teil des Lebens, zum Lebenserhalt. Nicht zum Anhäufen von Dingen. Privat wie gesellschaftlich.

  10. 20.

    Auf wieviel ha betreiben Sie Landwirtschaft? Oder sind sie nur als Stadtmensch in Erkner zu Hause? Viele Brandenburger gehören weiterhin zu den Landwirten oder sind in der Landwirtschaft (und auch Tierproduktion) beschäftigt, da sieht das mit der Natur nicht ganz verklärt aus, wie der Blick mancher Städter.

  11. 19.

    „Problemwölfe“?!! Wenn ich mir die aktuellen Konflikte dieser Erde so ansehe, gibts nur mit einer Spezies richtige Probleme.

  12. 18.

    Entschuldigung aber ich nehme für mich schon in Anspruch das kleine Einmaleins von Alexander von Humboldt und Charles Darwin verstanden zu haben.
    Übrigens so schwierig ist das auch für niemanden, der einfach mal in der Natur innehält und nichts tut als hinzusehen und hinzuhören.

  13. 17.

    Sie müssen zwischen Politik und Menschen unterscheiden, die längst begriffen haben, wie wichtig gerade im Zuge des Klimawandels die Natur sein wird und denen, wie die Cree so treffend bemerkten:
    „ Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann“.

  14. 16.

    Seit Jahrmillionen reguliert sich die Natur selbst. Erst wir Erdzerstörer-Menschen leben nicht mehr in und mit ihr, sondern erdreisten uns, alles Leben unserem künstlich geschaffenen "24/7 Produktion" mit globalen Lieferketten im "Giga"-Format zu unterwerfen.
    Wir selbst schaffen all diese Probleme, und nicht nur für uns selbst.
    Nein, wir müssten nicht unser Überleben an Geld aus einem Erwerbsjob binden.
    Abertausende Generationen vor uns hatten ganz andere Modelle.
    Da liegt das Problem. Die Kommentatoren bisher scheinen völligt verinnerlicht zu haben, dass es ganz "natürlich" sei, solch eine Selbst- und Erdzerstörung zu betreiben. Das ist aber unnatürlich und krank.
    Wir selbst können es anders gestalten. Die natürlichen Kreisläufe überrollen uns sonst sowieso und zwingen uns in Re-Aktion. Siehe Brände dank Forst-Wirtschaft, Trockenheit dank Agrar-Wirtschaft, Grundwasser-Vergiftung dank Industrie und globaler Produktion statt nachhaltigem Kleinbauerntum.

  15. 15.

    War zur Kranichwoche bei Schwedt, standen abends zum Einflug-Anschauen und merkten ganz deutlich (der Naturführer sagte uns, wo wir nicht stehen sollten): Die Tiere flogen zielgerichtet zu den Schlafplätzen, solange sie uns nicht sehen konnten. Ab einem Punkt mussten sie uns aber sehen können – und bogen ab, mussten einen großen Umweg nehmen. Sie müssen Gefahren umfliegen, da oben gibts keine Ambulanz.
    Wenn nun unten in diesem Schutzgebiet (überlebenswichtig für die Tiere, sie überstehen sonst den Vogelzug nach und von Süden nicht) – wenn dort Schiffverkehr ist, sie aber zur anderen Seite kommen müssen, was dann?

  16. 14.

    Danke dafür: "Ansatz eines polnischen Gewässerexperten Schiffe an den Fluss anzupassen und nicht den Fluss an Schiffe" – der muss wohl umsichtigen Verstand oder Wikinger-DNA-haben.

    Die Wikinger-Langboote hatten nicht mal 1m Wassertiefe, waren dabei effektive Lastschiffe und allen anderen weit überlegen, das Erfolgsmodell dieser Zeit.

  17. 13.

    Viele Polen arbeiten hier, weil es in Polen zu wenig Jobs gibt und kein Bürgergeld.

    Im übrigen, man muss schon vielseitig in Medienkonsum sein, auch an ausländischen, um dieses Thema objektiv beurteilen zu können.

  18. 12.

    Ich frage mich, wo hier die vielen empörten Naturschützer bleiben, die Zeter und Mordio schreien, nur weil das Verfahren zur Erteilung von Ausnahmegenehmigungen für die Entnahme einzelner Problemwölfe ein wenig vereinfacht wird? Aber an solchen, den Natur und Landschaft in ganz erheblichem Umfang beeinträchtigenden Planungen wie dem Oderausbau scheint die Wolfslobby kein Interesse zu haben.

  19. 11.

    Nochmal, sie ignorieren fleißig die Fakten und die im übrigen ausgewogene Zusammenfassung in diesem Artikel.
    Nennen sie mir ein Beispiel in Deutschland, wo sich die Regierung über ein rechtskräftiges Urteil einfach hinweggesetzt hat; ein Einziges!
    Polen ist Mitglied der EU. Und auch in der EU gibts dazu klare Spielregeln.
    Im Gegensatz zu ihnen kann ich keine verbitterten Polen gegen Deutschland erkennen, sondern sehe nur das übliche Wahlkampf-Getöse der PIS.
    Und im Übrigen leben und arbeiten unvermindert viele Polen bei uns. Wie passt sowas denn zu ihrer Aussage??

  20. 10.

    Tja, wenn man an eigene Unfehlbarkeit glaubt, und den Oberlehrer "rauskehrt", ist man kein guter Nachbar, zumal wenn man ihm in der Vergangenheit viel Schlimmes angetan hat.

    Übrigens, der Ton macht auch die "Musik", und über den Nachbar - Polen nur Negatives zu berichten......., ich verstehe inzwischen das Misstrauen der Polen gegenüber Deutschland.

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