Nestlé und Mars auf dem Tierarztmarkt - Mit dem kleinen Liebling zum großen Konzern
Hat das Tier ein Leiden, geht's - wie beim Menschen - zum Doktor. Allerdings stecken in Berlin und Brandenburg hinter der Hälfte der Kleintierkliniken Konzerne. Nestlé- und Mars haben den Tierarztmarkt für sich entdeckt - mit Folgen für die Branche. Von Karolin Krämer
Wenn das Haustier krank ist und schnell Hilfe braucht, überlegen viele Tierbesitzerinnen und Tierbesitzer wohl vor allem eines: Wo ist der nächste Tierarzt und hat der auch gute Bewertungen? Wer aber hinter der Praxis oder Klinik steckt, wissen die meisten nicht. Die Versorgung im Notfall bieten vor allem Kleintierkliniken an. In Berlin und Brandenburg gehören drei von sechs Kleintierkliniken den beiden größten Konzernen im tiermedizinischen Bereich: Evidensia und AniCura. Während Nestlé seit 2019 an der Tiermedizin-Gruppe Evidensia beteiligt ist, hat Mars 2018 den Anbieter für tierärztliche Versorgung AniCura übernommen.
Damit sind die beiden Unternehmen zentraler Bestandteil der nottierärztlichen Versorgung. Denn klassischerweise liegt diese vor allem in der Hand von Kliniken. Laut Tierärztekammer gibt es in Berlin neben drei Praxen derzeit vier Kleintierkliniken, die rund um die Uhr versorgen. Immer wieder müssen Notdienste jedoch wegen Personalmangel eingeschränkt werden, wie 2022 in der Kleintierklinik der Freien Universität Berlin. Vorübergehend vollständig eingestellt werden musste der Notdienst an der AniCura-Klinik in Potsdam im Jahr 2021.
Tiermedizin ist mehr als nur ein bisschen Katzen streicheln
Beim Blick auf die Studierendenzahlen der Tiermedizin ist ein Personalmangel kaum vorstellbar: Über 1.500 Studierende bildet der Fachbereich Veterinärmedizin allein an der Freien Universität Berlin aus. Genug also, um etliche Praxen und Kliniken zu füllen. Doch im tiermedizinischen Bereich herrscht seit Jahren Personalmangel. Zurzeit gibt es in Berlin 354 und in Brandenburg 529 niedergelassene Tierärztinnen und Tierärzte. Immer mehr kommen ins Rentenalter und die Nachfolge gestaltet sich schwierig.
Durchschnittlich 3.500 Euro brutto pro Monat als Einstiegsgehalt nach fünf Jahren Studium – für viele Tierärztinnen und Tierärzte, die frisch von der Uni kommen und nach einer Anstellung suchen, klingt das nicht gerade lukrativ. Denn ihr Job ist mehr als nur ein bisschen Katzen streicheln: Zwischen Notdiensten, Überstunden und Wochenenddiensten bewegen sich viele junge Tierärztinnen und Tierärzte an ihrer Belastungsgrenze. Auch die Arbeit selbst - etwa das Einschläfern eines Tieres - kann Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben. So ist es nicht verwunderlich, dass Tierärztinnen und Tierärzte häufiger an Depressionen und Suizidgedanken leiden als andere Berufsgruppen. Das belegt eine Studie der Freien Universität Berlin und der Universität Leipzig aus dem Jahr 2020.
Die Chance der Investoren - zu wenige Nachfolger für die Praxen
Keine rosigen Aussichten also, wenn weder die Arbeitsbedingungen noch das nicht tariflich gebundene Gehalt den Job attraktiv machen.
Zum einen möchte sich der Nachwuchs immer seltener selbstständig machen, zum anderen stehen oft nicht die monetären Mittel zu Verfügung, um eine Praxis oder sogar Klinik zu übernehmen. Und hier kommen die Investoren ins Spiel: Denn sie haben nicht nur das nötige Großgeld, um eine Einrichtung zu finanzieren, sondern werben teilweise auch mit besseren Arbeitsbedingungen. Während Evidensia angibt, "das 'Lebenswerk' der Verkäufer*innen weiter[zuführen] und […] den jeweiligen Standorten und ihren Mitarbeiter*innen langfristige und sichere Zukunftsaussichten" anzubieten, bietet AniCura nach eigener Aussage "durch flexible Arbeitszeitmodelle, faire Bezahlung, Nachfolgeplanung und administrative Entlastung der Praxen eine Alternative zur Selbstständigkeit."
Überstunden auch in kettengeführten Betrieben
Von diesen vermeintlich besseren Bedingungen merkt Tierarzthelferin Rosalie (Name von der Redaktion geändert) nichts. Sie arbeitet in Teilzeit in einer kettengeführten Praxis in Berlin. "Wir machen genauso viele Überstunden und kommen nicht pünktlich raus", erzählt sie. "Es ist immer Personalmangel. Die Leute melden sich krank oder kommen nicht und dann stehst du allein da als Helfer oder vielleicht noch zu zweit."
In der Tierarztwelt sind die Meinungen gegenüber Investoren gespalten. Während einige eine Monopolisierung befürchten und aus moralischen oder strukturellen Gründen nicht an einen Konzern verkaufen möchten, begrüßen andere, wie die Kleinmachnower Tierärztin Ute Busch, die Investoren als Unterstützung in der ohnehin schon überlasteten Tiermedizin.
"Gerade die großen Kliniken sind mir eine Ergänzung und ich bin ganz froh, dass ich als einzeln geführte Tierarztpraxis keine Notdienste anbieten muss." Vor zehn Jahren hat sie sich mit einer eigenen Praxis selbstständig gemacht. 60 Arbeitsstunden pro Woche sind bei ihr keine Seltenheit. Notdienste bietet sie allerdings keine an. "Als ich mich selbstständig gemacht habe, habe ich Tag und Nacht das Telefon bei mir gehabt", erzählt die Veterinärmedizinerin. "Das könnte ich nicht mehr gewährleisten, weil ich sonst irgendwann auch völlig am Rande meiner Grenzen wäre." Dass ein Konzern ihr die Kundinnen und Kunden abwerben könnte, befürchtet sie nicht. Zu lange kennt sie dafür ihre Kundschaft, die ein Vertrauensverhältnis zu ihr aufgebaut hat.
Monopolisierung durch Futtermittel und Tiermedizin aus einer Hand?
In Skandinavien und den USA zeichnet sich ein anders Bild ab. Hier liegt der Großteil der Kleintierpraxen- und -kliniken in Investorenhand. Dass die Konzerne auch den deutschen Tierarztmarkt beherrschen könnten, sieht Heiko Färber vom Bundesverband Praktizierender Tierärzte jedoch nicht. "Mittlerweile sind die Corporates in einer Größenordnung, wo sie auch umfangreiche interne Abstimmungsprozesse haben. Ich glaube, demgegenüber sind all die Praxen, die nicht bei den Ketten organisiert sind, wesentlich schneller, Entscheidungen zu treffen." Diesen Umstand bestätigt Rosalie. Oft dauere es einige Tage, bis eine Absprache zwischen ihrer Chefin und ihr auch wirklich getroffen werden könne, weil erst der Konzern eingebunden werden müsse.
Ute Busch betrachtet die Entwicklung der Corporates jedoch auch kritisch – vor allem im Hinblick auf die Verknüpfung von Futtermittelindustrie- und Tiermedizin. "Man darf natürlich nicht vergessen, dass so ein großer Konzern wie Mars sein Geld auch mit Hundefutter verdient. Und natürlich auch die Patientendaten haben möchte. Die Entwicklung ist vielleicht jetzt noch positiv. Aber vielleicht ist es in zehn Jahren schon so monopolisiert, dass dann auch die Besitzer subtil beeinflusst werden und das möglicherweise Folgen hat, die wir jetzt noch nicht einschätzen können."
Sendung: radioeins, 27.04.2023, 17:10 Uhr