Konzertkritik | Elektro-Musik - Klänge wie aus einem Stahlwerk beim Festival "Heroines of Sound"

Renommierte Klangkünstlerinnen sind zurzeit beim Festival "Heroines of Sound" im Berliner Radialsystem zu hören. Seit Donnerstag und noch bis Sonntag präsentieren sie dort ihre elektro-akustischen Werke. Von Hans Ackermann
"Heroines of Sound - Heldinnen des Klanges" - unter dieser Überschrift kommen bis zum Sonntag Komponistinnen aus aller Welt im Berliner Radialsystem zusammen. Sie wollen das zehnte Jubiläum eines Festivals feiern, das sich den "Pionierinnen der elektroakustischen Musik" widmet.
Weibliche Komponistinnen erhalten gerade einmal fünf Prozent der jährlichen Ausschüttung der musikalischen Verwertungsgesellschaft Gema - zumindest dieser Zahl zufolge ist Komponieren weitgehend immer noch "Männersache". Doch mit dem Festival wollen Frauen, die mit Synthesizern und Computern arbeiten und avantgardistische Werke schaffen, auch im zehnten Jahr der "Heroines of Sound" auf sich aufmerksam machen.
So wie die österreichische Komponistin Elisabeth Schimana, die am Donnerstag im Saal des Radialsystems mitten im Publikum vor ihrem Computer sitzt: Dort erzeugt sie tiefe elektronische Töne, die sie auf sechs im Raum kreisförmig angeordnete Lautsprecher verteilt. Direkt davor sitzen Musikerinnen und Musiker aus dem "Black Page Orchestra". Die drei Männer und drei Frauen hören die Töne aus ihrem jeweiligen Lautsprechen und spielen sie mit Cello und Kontrabass, mit Trommeln und Becken nach. Auf diese Weise führen sie die "akustische Partitur" der Komponistin aus, mischen akustische Klänge mit elektronischen Sounds.
Virale Assoziationen
"Virus 2.5" nennt die gebürtige Innsbruckerin ihr elektro-akustisches Werk, das Konzert und Performance zugleich ist: "Ein Virus braucht immer einen Host", erklärt Schimana, "ich bin der Host und meine Viren, die Musikerinnen müssen, so gut es geht, daran andocken."
Eine gute halbe Stunde dauert dieser spannende "virale" Konzertauftakt, bei dem sich mit der 1958 geborenen Elisabeth Schimana eine echte Pionierin der elektronischen Musik präsentiert. Nach dem Konzert spricht sie über souveränen Umgang mit elektronischen Klangerzeugern: "Ich habe jeden einzelnen Oszillator in meinen Fingern und kann damit sehr fein arbeiten".
Das Werk habe übrigens nichts mit Covid zu tun, erzählt die Klangkünstlerin noch. Ihr Konzept "virusartig" agierender Musikerinnen habe sie schon um das Jahr 2011, weit vor der Pandemie entwickelt. Während sie spricht, verstaut sie ihren Computer in einer großen Tasche, ist ein wenig in Eile, denn sie will den zweiten Teil des Konzerts in der benachbarten "Halle" nicht verpassen.
Nur mit Gehörschutz
Dort bekommt jede Besucherin und jeder Besucher am Eingang erst einmal einen Gehörschutz ausgehändigt. Nicht etwa die kleinen Schaumstoffkegel, die man sich mehr oder weniger wirkungslos in die Ohren steckt, sondern massiven Gehörschutz. Ohrschützer, die in Holzwerkstätten an der Kreissäge oder im Straßenbau am Preßlufthammer vorschriftsmäßig getragen werden müssen. Auf der großen Videoleinwand läuft zusätzlich noch der eindringliche Hinweis, dass der Gehörschutz unbedingt und ausnahmslos zu tragen sei. Im Publikum wird darüber hier und dort gelacht - bis dann der erste Schlag ertönt, der sich sofort höchst unangenehm im ganzen Körper bemerkbar macht. Ein Infraschall-Attacke im tiefsten Frequenzbereich, die mit einer schrillen, sirenenhaft-warnenden Tonsequenz eingeleitet wird. Geräusche, die man aus Stahlwerken kennt, wenn dort der Dampfhammer herunterkracht. Ohne Gehörschutz würde man diesen Lärm nicht aushalten, selbst mit den eng anliegenden Schützern kommt noch eine spürbare Menge an Schallenergie an den Trommelfellen an.
"Anatomie der Freiheit"
Mit Spitzenwerten um 100 Dezibel - wie eine spontane Messung ergibt - hat die aus Belgrad stammende Komponistin Maja Bosnic hier Klangkunst geschaffen, "die einen geradezu physisch packt", wie sie im Programmheft schreibt. Tiefe und laute Klänge, "deren Vibrationen im menschlichen Körper zu spüren sind". Damit werde nichts Geringeres als die "Anatomie der Freiheit" thematisiert. Tatsächlich vibrieren Zwerchfell und innere Organe in einer Weise, die alles andere als Wohlbehagen auslöst.
Nach gut zehn Minuten kommt per Videoschirm die Aufforderung "Remove Ear-Protection". Das Black Page Orchestra spielt dann noch drei weitere Werke, darunter die Uraufführung von "Mesh". Ein gelungenes Auftragswerk der Komponistin Billy Roisz, die hier Bild- und Tonstörungen mit ihren typischen Verzerrungen und Feedbacks in Klangkunst verwandelt.
Am meisten überzeugt an diesem Abend aber der "Virus", mit dem die Komponistin Elisabeth Schimana ihr intelligentes Konzept realisiert - und letztlich mehr erreicht, als jedes krachende Klanginferno bewirken könnte.
"Heroines of Sound", sagt Schimana, sei für Frauen ein wichtiges Festival, weil Komponistinnen dadurch Aufmerksamkeit bekommen würden. "Und das ist das, was wir Frauen so lange nicht hatten und worum wir kämpfen - denn auch wir machen interessante Sachen."
Sendung: rbb24 Inforadio, 07.07.2023, 06:55 Uhr
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