"Die Optimistinnen" am Gorki - "Unsere Mütter streikten und protestierten, sangen und tanzten"
Emel Aydoğdu bringt Gün Tanks Roman "Die Optimistinnen" sehr frei und warmherzig auf die Bühne im Gorki-Studio. Vier Schauspielerinnen räumen mit Klischees von türkischen Gastarbeiterinnen der 1970er Jahre auf. Von Barbara Behrendt
Die Kultur ist dieser Tage der Ort, an dem die politischen Debatten ausgetragen werden, die das Land umtreibt. Gerade hat das Berliner Ensemble die AfD-Recherche der Journalist:innen von "Correctiv" auf die Bühne gebracht. Einen Tag später liegen am Eingang des Gorki-Studios Aktivist:innen im Schnee, aufgetürmt zu einem blutbeschmierten Leichenberg und ein weiterer Aktivist ruft "Genocide, Genocide!" Die Aktion am Donnerstag soll Protest gegen die Antisemitismus-Klausel des Kultursenators Joe Chialo demonstrieren und gleichzeitig das Berliner Maxim-Gorki-Theater für sein Statement nach dem 7. Oktober kritisieren, nach dem Überfall der Hamas auf Israel.
"Wie wird es sein, wenn sie uns deportieren?"
Auf der Bühne des Gorki-Studios geht es dann bei der Uraufführung "Die Optimistinnen" zurück zu den Plänen der AfD. "Der Witz ist, dass man sich nie öffentlich traut darüber zu spekulieren, wie es wohl sein wird, wenn sie uns eines Tages deportieren", sagt Aysima Ergün als Erzählerin. Wer noch immer nicht wisse, wer mit "sie" gemeint sei, der habe ja wohl "Erbseneintopf in der Birne". Auch Zeitungen oder Politiker wie Friedrich Merz zählten dazu.
Doch es bleibt einer der wenigen Momente, in denen der Abend garstig wird. Davon abgesehen hält es die Regisseurin Emel Aydoğdu mit dem Geist und Titel des Buchs, an dem sie sich in ihrer Uraufführung nur sehr frei orientiert: Gün Tanks Debütroman "Die Optimistinnen", 2022 erschienen.
Geschichten migrantischer Arbeiterinnen neu erzählt
Drei Schauspielerinnen und eine Musikerin sitzen auf einer Art Belüftungsrohr auf der kleinen Bühne und stellen sich mit ihrer realen Biografie vor: Sema Poyraz ist eine türkische Migrantin zweiter Generation, Ceren Bozkurt ist vor sechs Jahren aus der Türkei nach Deutschland gekommen, Yanina Ceróns Vater ist aus Peru geflohen und bei Aysima Ergün hat schon die Großmutter in Berlin gearbeitet: "Meine Oma hat 20 Jahre im Krankenhaus in Moabit geputzt. Sie hat 20 Jahre lang ihren Körper zur Verfügung gestellt für dieses Land. Aber wenn über Menschen wie sie geredet wird, dann in einer Art und Weise, die mir nicht gefällt. Heute wollen wir diese Geschichten neu erzählen."
Die Erlebnisse von Nour und ihre Freundinnen Mercedes und Tülay als deutsche Arbeitsmigrantinnen, die Gün Tank im Roman auffächert, werden hier nur gestreift. Emel Aydoğdu verknüpft sie mit den Biografien vieler anderer Arbeiterinnen, mit denen sie Interviews geführt hat. Frauen, die hart geschuftet haben und, ähnlich wie im Roman, die Alleinverdienerinnen ganzer Familien in der Türkei waren – während ihre wenigen deutschen Kolleginnen die Erlaubnis des Ehemanns zum Arbeiten brauchten. Nour ist schockiert, als sie aus Istanbul in der Oberpfalz ankommt und hauptsächlich deutsche Frauen mit langen Kleidern und Kopftüchern sieht, während sie selbst mit den selbstgenähten Miniröcken angereist ist.
Ohne die "Gastarbeiterinnen" keinen Streik
Überhaupt räumt der Roman (und die Inszenierung) mit rassistischen Klischees über migrantische Arbeiterinnen in Deutschland auf. Im Zentrum steht dabei der Streik von 1973 beim Automobilzulieferer Pierburg in Neuss. Dieser sogenannte "Wilde Streik", der eben nicht von Gewerkschaften organisiert wurde, sondern von den migrantischen Arbeiterinnen, ist in die Geschichte eingegangen. Fünf Tage lang mobilisierten die Frauen fast 3.000 Beschäftigte, ihre Arbeit niederzulegen. Ohne die Arbeiterinnen aus der Türkei, aus Griechenland, Spanien, Italien wäre die "Leichtlohngruppe II", die Frauen für die gleiche Arbeit deutlich schlechter bezahlte, wohl erst Jahrzehnte später abgeschafft worden. "Eine Mark mehr!" – Von dieser Forderung setzten die Frauen immerhin 65 Pfennig pro Stunde durch.
"Wenn über unsere Mütter, Tanten und Großmütter in Deutschland gesprochen oder geschrieben wird, nennt man sie unterdrückt, schwach, unselbstständig oder abhängig", sagt Aysima Ergün. "Unsere Mütter streikten und protestierten, sangen und tanzten."
Und genau das zeigen sie auf der Bühne. Während Zeitungsartikel von den Streiks der 1970er Jahre eingeblendet werden, tun sich die vier als Freundinnen-Team zusammen, wuchten Marmorplatten durch die imaginierte Fabrik, schwenken Protest-Plakate, singen türkische Streiklieder und tanzen kämpferisch über die Bühne. Das wirkt ansteckend: Viele im heterogenen Publikum singen die türkischen Strophen wissend mit, klatschen, manche werden sogar für einen Tanz auf die Bühne geholt.
Unaufgeregt und trotzdem mitreißend
Doch weil es in der Gegenwart nicht unbedingt besser aussieht in puncto Ausbeutung migrantischer Arbeitskräfte, zitiert die Regisseurin auch aus einem Interview mit Duygu Kaya. Seit zwei Jahren führt sie einen Rechtsstreit über die unhaltbaren Arbeitsbedingungen beim Lebensmittel-Lieferanten "Gorillas". Zumindest Kayas Engagement ist ermutigend.
Es entsteht eine ästhetisch unaufregende Inszenierung, mitreißend und herzerwärmend. Wichtig – gerade in einer Zeit, in der uns Optimistinnen allzu naiv erscheinen. Dabei gibt ihnen das Leben oftmals Recht: Gün Tanks Mutter, Azize Tank, von der dieses Buch (auch) handelt, hat sich von der Arbeiterin in der Porzellanfabrik zur Politikerin im Bundestag hochgearbeitet.
Höchste Zeit, dass das verzerrte Bild von migrantischen Arbeiterinnen berichtigt wird - die beste Gegenwehr gegen krude Deportationspläne von Rechtsextremen.
Sendung: rbb Kultur, 19.01.2024, 08:10 Uhr