"Correctiv"-Lesung im Berliner Ensemble - "Als Zivilgesellschaft nicht pennen"
Eine Gruppe Politiker und Rechtsextremer plant die Deportation tausender Menschen aus Deutschland. Das Recherchenetzwerk "Correctiv" deckte den "Geheimplan gegen Deutschland" auf. Nun zeigt das Berliner Ensemble eine szenische Lesung, die die Geschehnisse darstellt. Von Cora Knoblauch
Im November 2023 traf sich ein exklusiver Zirkel von AfD-Politikern, Unternehmern und Akteuren aus der rechten Szene in Potsdam, um sich darüber auszutauschen, wie rechte Politik in Deutschland strategisch geplant und umgesetzt werden kann. Unter anderem ging es dabei um die Abschiebung von Millionen von Menschen aus Deutschland.
Das unabhängige Investigativkollektiv "Correctiv" hat das Treffen dokumentiert und seine Ergebnisse vergangene Woche unter dem Titel "Geheimplan gegen Deutschland" veröffentlicht. Am Mittwochabend wurde die Recherche in einer szenischen Lesung im Berliner Ensemble (BE) vorgestellt, über 40 Theater in ganz Deutschland haben den Abend übertragen.
Recherche auf der Bühne - geht das?
Viel ist über die Recherche von Correctiv in der vergangenen Woche diskutiert worden, vor allem in Social-Media-Kanälen und in den Medien. Im Publikum sitzt tatsächlich vor allem die Berliner Kultur- und Intellektuellenszene. Vor dem Haus: Polizeischutz und Security, ein gewöhnlicher Theater- oder Diskussionsabend ist es nicht. Das BE bietet einen kostenlosen Videostream auf seiner Internetseite für den restlos ausverkauften Abend an, über 40 Theaterhäuser haben sich kurzfristig angeschlossen und den Abend übertragen.
Reales, Erinnerungen, Fiktionales
Auf der Bühne steht ein langer Tisch, er ist elegant gedeckt mit Kerzen und Stoffservietten. So in etwa sah es aus im Hotel Adlon in Potsdam, in dessen Räumlichkeiten sich vor wenigen Wochen knapp 30 Menschen aus AfD und Neonazikreisen trafen, um einen "Geheimplan gegen Deutschland" zu diskutieren. Sechs Schauspielerinnen und Schauspieler aus dem Berliner Ensemble nehmen an dem Tisch Platz: Andreas Beck, Constanze Becker, Max Gindorff, Oliver Kraushaar, Veit Schubert und Laura Talenti.
Was nun folgt, ist eine ungewöhnliche Mischung aus Lesung, Szenenschauspiel und Kommentaren zu Personen und Akteuren. Die Schauspieler spielen Schlüsselszenen des Geheimtreffens nach, eine Art Reenactment, kommentierten die Rolle des jeweiligen Redners, seine Biografie. So ist Veit Schubert mal AfD-Kandidat, mal Vorstandsmitglied des Vereins Deutscher Sprache. Den exakten Wortlaut aller Reden gibt "Correctiv" nicht wieder. Protokolle der Gespräche wurden aus der Erinnerung geschrieben, behaupten zumindest die Schauspieler, manches sei fiktional.
Wieviel Einblick die Journalistinnen und Journalisten in die Veranstaltung wirklich hatten oder ob sie gar einen Maulwurf am Esstisch im Hotel Adlon platzieren konnten oder sogar eine Wanze, das bleibt an diesem Abend offen. Dass unter anderem mithilfe einer in einer Armbanduhr versteckten Kamera gefilmt wurde, dieser Coup im Stil von James Bond wird mit dem Publikum augenzwinkernd geteilt.
Komik, wo es nichts zum Lachen gibt
Um Klagen und Anzeigen zu entgehen, betont jeder Darstellende seine Figur als Schauspieler, bevor er in die Rolle eines Redners schlüpft. Es gibt dem Abend einige slaptstickhafte Momente, wenn Constanze Becker zum Beispiel sagt: "Mein Name ist Gerrit Huy, AfD-Abgeordnete im Bundestag. Ach nee, ich bin eine Schauspielerin, die Gerrit Huy spielt und die im Bundestag sitzt." Anschließend redet die Schauspielerin, die Gerrit Huy spielt, lieber gleich von Deportationen als von der wolkigen Remigration, einen Euphemismus, den einige Teilnehmende der Runde offenbar für salonfähig halten.
Diese Momente der Komik passen nicht so recht zu Dramatik der in Potsdam verhandelten Inhalte.
"Unsere Demokratie nicht kaputt machen lassen"
Die aufgeladene, angespannte Stimmung im Publikum entlädt sich, als Schauspieler Veit Schubert einen emotionalen Appell ans Publikum richtet: "Vielleicht wird dieser Abend Teil einer neuen Erzählung, die damit beginnt, dass wir uns gegen die faschistischen Kräfte in diesem Land wehren. Es könnte eine Erzählung sein, die zeigt, dass wir viele sind, dass wir laut sind. Dass wir als Zivilgesellschaft nicht pennen, sondern dass wir hellwach sind. Und dass wir uns unsere Demokratie nicht kaputt machen lassen." Es folgt ein minutenlanger, frenetischer Applaus.
Zumindest eines hat dieser Abend gezeigt: Die Theaterhäuser sind mitnichten im Tiefschlaf, sondern hellwach und bereit, aktuellen politischen Diskursen eine Plattform zu geben.