Erdbeben-Katastrophe in Türkei und Syrien - "Mein Cousin ist unter den Trümmern gestorben"
Schwere Erdbeben haben in der Türkei und in Syrien massive Zerstörungen angerichtet. Mehr als 5.000 Menschen verloren ihr Leben. Auch in Berlin und Brandenburg sorgen sich Menschen um Verwandte in der Region - oder trauern bereits um sie.
- Nach zwei schweren Erdbeben am Montag in der Türkei und Syrien steigen die Opferzahlen
- Hilfe vor Ort wird durch extremes Wetter und Schneefall stark beeinträchtigt
- Türkische und syrische Communities in Berlin und Brandenburg sammeln Spenden
- Auch viele Hilfsorganisationen stellen Sachspenden und Soforthilfen bereit
Nach zwei schweren Erdbeben an der türkisch-syrischen Grenze ist die Zahl der Toten bis Dienstagfrüh auf mehr als 5.000 gestiegen. Aus beiden Staaten liefen bereits nach dem ersten Beben der Stärke 7,9 in der Nacht Berichte über eingestürzte Häuser ein.
Am frühen Nachmittag folgte eine zweite Erschütterung mit einer Stärke von 7,7, die weitere Gebäude zum Einsturz brachte. Zerstörte Straßen und unterbrochene Internet-Verbindungen machten es auch Stunden später schwer, das ganze Ausmaß der Katastrophe zu überblicken.
"Wir konnten niemanden erreichen"
Für Menschen mit türkischen oder syrischen Wurzeln sind die Bilder aus der Region erschütternd. Der Berliner Nihat Sorgec ist in in Antakya geboren und aufgewachsen, nicht weit vom Erdbeben-Gebiet im Süden der Türkei. "Ich habe Verwandte dort. Mein Cousin ist unter den Trümmern gestorben und wir wissen noch nicht, was mit den anderen passiert ist", sagt der Geschäftsführer des Bildungswerks in Berlin-Kreuzberg im Gespräch mit dem rbb.
"Wir konnten niemanden erreichen. Ich habe überall Nachrichten verschickt." Wenig später habe Sorgec von seiner Schwester erfahren, dass Verwandte bei dem Erdbeben ums Leben gekommen sind. "Das ist schrecklich für uns und wir müssen das noch verarbeiten", sagt Sorgec der rbb24 Abendschau.
Schneefall behindert Rettungseinsätze
Mehmet Topcu aus Potsdam-Babelsberg hat ebenfalls besorgt mehrmals seine Familie angerufen. Seine Eltern seien draußen in der Kälte und im Schnee. "Keiner soll zurück in die Wohnungen, weil man Angst vor Nachbeben hat", sagt der Imbiss-Besitzer dem rbb.
Ein drohender Schneesturm könnte die Situation in den Erdbebengebieten in der Türkei und Syrien nach Einschätzung der Hilfsorganisation Care deutlich verschärfen. Aktuell befinden sich unzählige Menschen aufgrund von Warnungen vor Nachbeben oder, weil ihre Häuser und Unterkünfte eingestürzt sind, im Freien - trotz eisiger Kälte.
Die Hilfsarbeit werde durch das extreme Wetter und den Schneefall stark beeinträchtigt, weil viele Straßen nicht passierbar seien und man zahlreiche Lagerhäuser und Vorräte nicht erreichen könne.
Deutsch-türkische Community in Berlin mit spontanen Spendenaufrufen
Nach den schweren Erdbeben reagierte die deutsch-türkische Community in Berlin mit spontanen Spendenaufrufen. "Ich fange sofort an zu weinen, wenn mich Bilder aus der Türkei erreichen", sagte Sozialpädagogin Züleyha Kafkas Öztürk am Montag der Deutschen Presse-Agentur (DPA). Gemeinsam mit dem Konservatorium für türkische Musik in Kreuzberg habe sie eine von mehreren Spendenaktionen in Berlin gestartet.
Decken, Jacken, Mützen: Gesammelt werde alles, was gegen die Kälte schützen kann. Denn das Erdbeben traf die Menschen bei Eiseskälte mitten in der Nacht. "Umso glücklicher bin ich, wenn ich sehe, wie viele Menschen hierher kommen, um zu helfen", sagte Öztürk. Noch am selben Abend sollen mit Hilfe des türkischen Konsulates in Berlin die Spenden in die betroffenen Gebiete versendet werden.
Sie selbst sei Überlebende eines Erdbebens Anfang der 90er Jahre in der Türkei - für Öztürk daher eine Herzenssache. "Ich weiß noch, wie mir damals geholfen wurde. Nachdem ich mein Hab und Gut verloren hatte, waren es auch Spenden anderer, die mich am Leben erhalten hatten", sagte die Sozialpädagogin. Dass so viele hilfsbereite Menschen trotz ihrer Trauer mit Koffern und Kartons voll mit Spenden ankämen, mache sie stolz.
Hilfsorganisation sagen Unterstützung zu
Auch mehrere Hilfsorganisation sagten ihre Unterstützung zu.
Die Johanniter schicken ein Erkundungsteam in die Region. Momentan befinde es sich in der Orientierungsphase, sagte Magdalena Kilwing, Leiterin der Not- und Soforthilfe in der Johanniter-Auslandshilfe, am Dienstagmorgen im rbb. Im Fokus sei vor allem der Bereich Gesundheit. Man könne Medikamente und Equipment liefern, außerdem in Bezug auf die Winterhilfe etwa Schlafsäcke und warme Kleidung, so Kilwing im rbb24 Inforadio. Außerdem konzentriere man sich auf die Zusammenarbeit mit anderen Helferinnen und Helfern: "Ganz viel Arbeit besteht darin, sich zu vernetzen."
Das Bündnis "Aktion Deutschland hilft" kündigte eine Soforthilfe von einer Million Euro an. Neben medizinischer Hilfe würden auch Zelte, Heizstrahler, Decken, Thermokleidung sowie Grundnahrungsmittel für mindestens 5.000 Menschen dringend benötigt, die über Partnerorganisationen bereitgestellt werden sollten.
Die Diakonie Katastrophenhilfe stellte für Nothilfemaßnahmen "in einem ersten Schritt 500.000 Euro" bereit, wie das Hilfswerk der evangelischen Kirche mitteilte. Ein Team eines türkischen Partners sei auf dem Weg in die stark betroffene Region Hatay. Es müsse sichergestellt werden, "dass die Überlebenden bei derzeit einstelligen Temperaturen eine Unterkunft finden". Auch auf der syrischen Seite seien die Zerstörungen enorm. Hier sei gleichfalls eine Partnerorganisation in die Gebiete entsandt worden.
Soforthilfen und Sachspenden
Caritas International stellte 250.000 Euro bereit. "Unsere Partnerorganisationen in beiden betroffenen Ländern arbeiten unter Hochdruck daran, die genauen Bedarfe zu erheben", erklärte das Hilfswerk des Deutschen Caritasverbandes. Das gesamte Ausmaß des verheerenden Erdbebens sei unklar. Vor allem die Informationen aus Syrien kämen sehr verzögert.
Die Hilfsorganisation Misereor sagte vorerst 100.000 Euro Soforthilfe zu, ebenso wie die Welthungerhilfe. Das Beben habe eine Region getroffen, "in der Millionen Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien Schutz gesucht haben", teilte die Welthungerhilfe mit. "Es wird damit gerechnet, dass noch viele Opfer unter den Trümmern liegen."
Berliner sammeln tonnenweise Hilfsgüter
Sendung: rbb24 Abendschau, 06.02.2023, 19:30 Uhr