Interview | Co-Elternschaft - "Das Wichtigste ist, dass die Kinder umsorgt sind"
Immer mehr Menschen entscheiden sich in Deutschland für eine Co-Elternschaft. Die Berliner Familienberaterin Jenny Wilken sieht in dieser Konstellation viele Vorteile für Eltern und Kinder. Die rechtliche Absicherung lasse allerdings zu wünschen übrig.
rbb24: Frau Wilken, mit welchen Fragen und Problemen kommen Co-Eltern zu Ihnen?
Jenny Wilken: Oft sind es Absprachen, die im Vorfeld nicht klar getroffen wurden - zum Beispiel zu Finanzen oder zur Wohnsituation. Oft ist auch das Zeitmanagement ein Problem: Wie teilt man sich die Zeit mit dem Kind ein, wer hat welche Rolle?
Wenn das Kind geboren wird, kann es auch zu Problemen führen, dass der andere Co-Elternteil sich ein bisschen außen vor fühlt, vor allem beim Stillen des Neugeborenen. Es tauchen viele verschiedene Themen auf, die man in der Beratung dann oft gut klären kann. Wenn unsere Beratung nicht genügt, verweisen wir weiter an Mediator:innen.
Was braucht es, damit Co-Elternschaft erfolgreich ist, so dass möglichst wenig Probleme auftauchen?
Das Wichtigste ist eine gute Kommunikation miteinander, dass sich die Elternteile immer wieder und konstant über ihre eigenen Empfindungen und ihre eigenen Vorstellungen austauschen - am besten schon in der Kennenlernphase. Da sollten dann Fragen über die Art von Erziehung geklärt werden: Ob man dieselben Werte teilt, wie ein Familienleben aussieht oder wie man den Alltag gestaltet. Ob der klar getrennt sein soll, wie in einem Wechselmodell, oder wie in einer großen Patchworkfamilie zusammen geschieht.
Welche Vorteile einer Co-Elternschaft mit zwei oder mehreren Elternteilen sehen Sie im Vergleich zu einer klassischen Vater-Mutter-Kind-Familie?
Ein Vorteil der Mehrelternschaft ist, dass mehrere Personen beteiligt sind, die Care-Arbeit leisten können und das Kind mitversorgen können, so dass die einzelne Person auch ein bisschen entlastet ist.
Außerdem erleichtert eine Co-Elternschaft die Familiengründung für viele Menschen. Schwule Männer können auf diese Weise Väter werden, ohne den teuren Weg über eine Leihmutterschaft im Ausland zu gehen. Frauen sind nicht zwingend auf Reproduktionsmedizin angewiesen.
Oft stehen die Erwachsenen im Fokus, wenn von Co-Elternschaft die Rede ist. Wie aber geht es Kindern, die so aufwachsen? Also die zum Beispiel mehr als zwei soziale Eltern haben?
Erste Studien zu Co-Elternschaften oder auch Mehr-Elternschaften zeigen, dass es den Kindern nicht schlechter geht als in anderen Familien. Im Gegenteil ist es eher positiv, wenn mehr Personen die Care-Arbeit leisten können und das Kind gut betreut und versorgt ist. Wir haben bisher kein negatives Feedback, dass die Kinder Probleme hätten, sondern es ist vor allem wichtig, dass die Kinder umsorgt sind. Für die Kinder ist es deren Realität und Normalität, wie sie aufwachsen, und das ist erstmal das Wichtigste.
Der Definition nach bestehen Co-Elternschaften aus Elternteilen, die sich ohne romantische Liebe zusammengefunden haben, um ein Kind gemeinsam großzuziehen. Inwieweit machen die Kinder dann die Erfahrung, was romantische Liebe ist?
Die Eltern führen ja Partnerschaften. Nur eben außerhalb der Elternschaft. Da kriegen die Kinder sehr wohl mit, wie romantische Liebe funktionieren kann und funktioniert. Der einzige Unterschied ist, dass die Elternteile, bei denen sie aufwachsen, nicht in einer romantischen oder sexuellen Beziehung leben, sondern auf einer eher freundschaftlichen Basis.
Rechtlich abgesichert sind Co-Elternschaften in Deutschland bisher nicht. Das deutsche Recht sieht nur zwei Elternteile vor. Was bedeutet das für die Familien?
Als leibliches Elternteil gilt die gebärende Mutter oder die gebärende Person. Und das ist im deutschen Familienrecht immer noch die Mutter. Das ist etwas, was schon lange kritisiert wird. Die zweite rechtliche Stelle kann vom Co-Vater besetzt werden. Alle anderen beteiligten Personen, die die Sorge für das Kind mittragen, fallen in Deutschland raus. Das ist frustrierend.
Im Koalitionsvertrag hatte die Ampelkoalition schon festgeschrieben, dass es das Abschaffungsrecht reformieren möchte. Wir warten jetzt seit zwei Jahren auf einen Gesetzesentwurf, es sind noch nicht mal Eckpunkte da. Das kann man durchaus als queerpolitisches Versagen formulieren.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Christina Rubarth.
Sendung: rbb24-Abendschau, 18.12.2023, 19:30 Uhr