Amri-Anschlag auf Breitscheidplatz - Berliner Polizist soll AfD-Chatgruppe mit Dienstgeheimnissen versorgt haben

Fr 05.06.20 | 19:43 Uhr | Von Georg Heil, Oliver Noffke und Reiko Pinkert
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Polizist mit Handy (Quelle: imago/Grafik:rbb)
Audio: Inforadio | 05.06.2020 | P. Eckstein | Bild: www.imago-images.de

Ein Berliner Polizist soll Interna zum Anschlag auf dem Breitscheidplatz an seine AfD-Parteifreunde weitergegeben haben. Unter den Empfängern ist auch ein Verdächtiger in der Neuköllner Anschlagsserie. Von G. Heil und O. Noffke (rbb) sowie R. Pinkert (NDR)

Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt nach Informationen des ARD-Politikmagazins Kontraste und des NDR gegen einen Polizeihauptkommissar wegen des Verdachts auf Verrat von Dienstgeheimnissen. Detlef M. soll Mitglied der AfD sein und Parteifreunde über den Messenger Telegram mit Interna der Polizei versorgt haben zum Anschlag auf den Breitscheidplatz durch den Islamisten Anis Amri. Bereits 90 Minuten nach der tödlichen Lkw-Fahrt vom 19. Dezember 2016 soll der Beamte Informationen in einer Chatgruppe geteilt haben.

Am Folgetag wurden über die Telefonnummer des Polizisten Ergebnisse der kriminaltechnischen Untersuchung des Lkw an die Gruppe verschickt. Weitere Nachrichten folgten, versehen mit dem expliziten Hinweis, diese erst einmal nicht weiter zu schicken, sonst könne es anschließend keine Informationen mehr geben. In der Chatgruppe: AfD-Mitglieder aus Neukölln. Islamophobe Äußerungen wurden nach Erkenntnissen des Berliner Landeskriminalamts ebenfalls in der Gruppe geäußert, sogar der Holocaust sei geleugnet worden.

Verdächtiger in Neuköllner Anschlagsserie unter Empfängern

Zusätzliche Brisanz erhalten die Ermittlungen, da ein gewisser Tilo P. zu den zwölf Mitgliedern des Chats gehört. Der Rechtsextreme ist einer von drei Tatverdächtigen in einer Serie von politisch motivierten Anschlägen, die ab 2013 in Neukölln verübt wurden. Eine Anklage wegen Sachbeschädigung gegen P. besteht bereits, ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Brandstiftung läuft noch. Aus der AfD soll er mittlerweile ausgetreten sein, um einem Parteiausschlussverfahren zuvorzukommen.

Im Zuge der Ermittlungen zu der Anschlagsserie wurde im September vergangenen Jahres P. Mobiltelefon sichergestellt. Bei der Auswertung stießen die Ermittler auf die Chatgruppe und den mutmaßlichen Geheimnisverrat durch ihren Kollegen Detlef M. Ob gegen den Beamten auch in einem internen Disziplinarverfahren ermittelt wird, konnte die Berliner Polizei auf Anfrage nicht mitteilen.

Ziel der Anschläge war auch Ferat Kocak, Stellvertretender Sprecher der Neuköllner Linken. Im Februar 2018 ging sein Auto in Flammen auf. "So etwas beängstigt mich und meine Familie, da wir schon längst nicht mehr wissen, wem wir vertrauen können und wer hier geschützt wird", sagt er zu den Ermittlungen gegen Polizeihauptkommissar M. auf Anfrage von Kontraste und NDR. Kocak fragt sich, wie viele Verbindungen zwischen der rechten Szene und Berliner Sicherheitsbeamten noch aufgedeckt werden müssten, "damit die Forderung der Betroffenen des rechten Terrors in Neukölln nach einem Untersuchungsausschuss endlich ernst genommen wird?"

 

Anschläge zielten auf Menschen, die sich gegen Rechts engagieren

Kocaks Parteifreundin Martina Renner, die für die Linke im Bundestag sitzt und dort Mitglied im Amri-Untersuchungsausschuss ist, fordert harte Konsequenzen: "Wer Polizeiinterna an Demokratiefeinde und mutmaßliche Brandstifter weitergibt, muss aus dem Dienst fliegen."

Brandanschläge, Sachbeschädigungen und Diebstahldelikte: Besonders intensiv verlief die Anschlagsserie zwischen Ende 2016 und Mitte 2017. Opfer der Straftaten waren überwiegend Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. In dieser Hochphase wurde auch das Fahrzeug einer Neuköllner Bezirksverordneten der SPD angezündet. Zehn Tage nachdem ein Buchhändler aus dem Bezirk eine Diskussionsrunde mit dem Titel "Was tun gegen die AfD? Aufstehen gegen Rassismus" organisiert hatte, brannte auch sein Wagen.

Die Berliner Polizei, die nach öffentlicher Kritik und Ermittlungspannen eine Sonderkommission unter dem Namen "BAO Fokus" eingerichtet hat, rechnet mittlerweile 72 Straftaten zum Tatkomplex in Neukölln, darunter 23 Brandstiftungen.

Bianca Klose, Projektleiterin der Mobilen Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR), findet, die ausbleibenden Ermittlungserfolge in der Anschlagsserie werfen Fragen nach möglichen Verbindungen zwischen Tätern und der Polizei auf. "Ob diese durch freundschaftliche Kontakte oder ideologische Überschneidungen zustande kommen - ein Polizist reicht theoretisch aus, um Daten weiterzugeben oder die Aufklärung zu torpedieren."

Schon einmal bestand der Verdacht, dass ein Polizeibeamter Informationen zu der Anschlagsserie an einen Tatverdächtigen weitergegeben haben könnte. Mitarbeiter des Berliner Verfassungsschutzes meinten, einen Beamten des Landeskriminalamts bei einem Treffen mit dem Verdächtigen Sebastian T. in einer Gaststätte beobachtet zu haben. Die "BAO Fokus" geht von einer Verwechslung durch die Verfassungsschützer aus. Das Strafverfahren gegen den Beamten wurde mittlerweile eingestellt.

Beitrag von Georg Heil, Oliver Noffke und Reiko Pinkert

39 Kommentare

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  1. 39.

    Was schreiben sie hier für einen Quatsch und wo haben sie diese Zahlen her?
    "85-90 % der Deutschen sind Antifa," - haben sie jetzt die AfD-Wähler von der Gesamtbevölkerung abgezogen und schlussfolgern daraus, dass der Rest "Antifa" ist?
    Also ich zähle mich nicht zum linksradikalen Spektrum und dem rechtsradikalen gehöre ich ebenfalls nicht an.

  2. 38.

    Sie verwenden eine linksradikale Wortwahl. Das was hier und heute als "Antifa" unterwegs ist sind Leute, die der linksautonomen Szene zuzuordnen sind (Rote Zora, Gipfel in Hamburg, Ereignisse in Connewitz usw.).
    Der überwiegende Teil der Bevölkerung Deutschlands distanziert sich davon, da das genauso verfassungsfeindlich ist wie das Pedant "Rechtsradikal".

  3. 37.

    Sie begreifen es nicht? 85-90 % der Deutschen sind Antifa, Weil Demokraten. Das Grundgesetz und die nachfolgenden Gesetze sind antifaschistische verfasst, damit nie wieder Bestrebungen von Unrecht und Willkürherrschaft in DE aufkommt. Oder wollen Sie Faschismus als demokratisch bezeichnen? Dann fehlt irgendwas bei Ihnen.

  4. 36.

    Es handelt sich halt mal wieder um das typische Ablenkungsmanöver, das von er Frage ablenken will, warum in den letzten Jahren immer öfter Nazis in Staatsorganen wie Polizei, KSK, Bundeswehr auffliegen und dort sogar Karriere machen können, man aber so gut wie nie von Linksextremen, Antifas, Autonomen in diesen Organen hört. Da muss man den Linksradikalen halt verzweifelt woanders suchen. Es ist ganz einfach: Der autoritäre Charakter von Rechten, Rechtsradikalen und Nazis fühlt sich in Uniform stark, er unterwirft sich gerne Befehlsstrukturen in der Hoffnung, selber irgendwann beim Befehlen nach unten treten zu können. Autonome, die ein Auto anzünden, sind zum Kotzen, Nazis in Staatsorganen gefährden die Demokratie.

  5. 35.

    "Es ist schade, dass hier auf den Opfern des Anschlags herumgetreten wird "

    Wo wollen sie das gesehen haben?

    "angebliche Chats" Aha. Es sind keine angeblichen chats und das Weitergeben von Informationen an Unbefugte stellt in der Tat eine Straftat dar. Aber darum geht es ihnen ja nicht. Sie wollen die Taten des Rechtextremisten herunterspielen.

  6. 34.

    Ihr aufgezeigter Link zeigt doch, dass auch über autonome Brandanschläge berichtet wird, was ningeln Sie hier rum? Also, was soll das hier zum Thema? Ablenkung vom eigentlichen Bericht? Mein Deutschlehrer hätte gesagt "Thema verfehlt, Inhalt 5,setzen". Schon peinlich.
    Trotzdem eine Antwort auf Ihren Thread: in Deutschland ist schon, da es hier die freiheitliche demokratische Grundordnung gibt, alles Antifa. Das Grundgesetz ist ANTIFAschistisch demokratisch, nachfolgende Gesetze ebenfalls. Fast Alle Parteien bekennen sich zur Demokratie, auch im Tun, trotz unterschiedlicher Ansichten zu unterschiedlichen Themen. Naja, nicht alle, die AfD und ihre Jünger beweisen in ihrem Tun immer wieder, dass das GG für sie so, wie es ist, in Frage gestellt wird. Sie versuchen mit dem Wort Antifa somit zwischen 85 und 90 % der Bundesbürger sinnfrei zu diffamieren....

  7. 33.

    Das Märchen von der linksextremen Antifa glauben nur Deppen. Gegen die Antifaschisten können eigentlich nur Faschisten etwas haben. Auch Kirchen, Gewerkschaften und unter anderen dieSPD sind Antifa, alles Linksextreme? Oder wollen Sie von den wahren Gewalttätern ablenken?

  8. 32.

    Positiv ist, das so etwas aufgedeckt und dann hoffentlich auch verfolgt wird. Polizisten sind nicht automatisch bessere Menschen, Gründe für die Berufswahl sicher verschieden. So wie in der gesamten Gesellschaft. Anspruchsvollere Aufnahmekriterien wären wünschenswert, aber dann gäbe es nicht genug Kandidaten für die Drecksarbeit.

  9. 31.
    Antwort auf [Mark] vom 05.06.2020 um 15:47

    Was nörgeln Sie hier ständig rum? Ich habe wörtlich aus dem Im Zwischenbericht von "BAO Fokus"zitiert.

  10. 30.

    Ich finde es sehr gut und angemessen, dass im Zusammenhang mit rechtsextremen Netzwerken innerhalb der Polizei auch Expert*innen herangezogen werden.

    Eine oder zwei Korrekturen gibt es aber dennoch. Es sollte hervorgehoben werden, dass die sog. "BAO Fokus" zunächst dem zivilgesellschaftlichen Druck nach Aufklärung der rechtsextremen Anschlagsserie folgte, dann aber zur Verschlusssache erklärt wurde. Eine Aufklärung ist damit de facto nicht gewollt. Insofern kann man Herrn Kocak nur beipflichten, dass eine überparteiliche Untersuchung durch das Parlament dringend geboten ist. Ferner hat sich auch der Generalbundesanwalt äußerst zurückhaltend gezeigt. Fragt sich, wie viel noch passieren muss, damit auch er die überregionale Bedeutung von Einschüchterung von Politiker*innen oder Aktivist*innen gegen Rechts als wichtig genug auffässt.

    Ferner gab es keine versehentlichen "Pannen", sondern vorsetzliche Manipulations- und Vertuschungsversuche der Polizei zu rechten Netzwerken.

  11. 29.

    Zum Verständnis der Polizei und Rassismus hier (anders als in den USA) lohnt ein Blick zurück. Wie entstand die Polizei hier? Wichtige Entwicklungs- bzw. Rückschritte, wie z.B. das "Kreuzberg-Urteil" oder die Funktion der Polizei im Nationalsozialismus ... Leider wird über (Dis-)Kontinuitäten bei der Polizei bezüglich des Problems rassistischer Handlungen nicht viel in der breiten Öffentlichkeit berichtet ;)

  12. 28.

    Gibts denn jetzt auch eine Sonderabteilung "BAO Fokus" , die auch bei diesen mutmaßlich linksextremistischen Gewalttaten gegen die AfD ermittelt, oder beschränkt sich "BAO Fokus" auf den Uraltsachstand von mutmaßlich rechten Gewalttaten?
    Im Zwischenbericht von "BAO Fokus" heißt es schließlich "Seit Durchführung offener exekutiver Maßnahmen im Februar 2018 ist es zu keinen weiteren Brandstiftungen gekommen, die dem Tatkomplex zugerechnet werden. Die letzten diesem Komplex zugerechneten Farbschmierereien 3 wurden im März 2019 begangen."

  13. 27.

    Oje, schon wieder eine Verschwörung!! Aber ganz ehrlich, so ärgerlich der Sachverhalt ist, es wird ja aufgeklärt. Und eine kritische Berichterstattung tut ihr Übriges. Ich bin sehr froh darüber, dass der weit aus größte Teil unserer Polizei anständige und auf dem Boden des GG agierende Menschen sind.

  14. 26.

    Gerade lese ich, dass der Typ sehr brisantes anstelle der internen Kleiderordnung ausgeplauscht hat. Spiegel: "Polizist soll Interna über Breitscheidplatz-Anschlag an AfD-Freunde verraten haben " ok, wenns weiter nix is.

  15. 25.

    Achja, genau, das Standard-Sprech der stets hier aufkreuzenden echten Deutschen (Bio-Deutsche?) und Aluhütchen, Derailing, whataboutism kann man sagen. Wortklaubereien um Extremisten und Verfassungsfeinde. Nebenkriegsschauplätze eröffnen und ablenken. Hatten wir bei der getöteten Radlerin vorgestern auch - da waren wieder alle Radler, die je bei Rot eine Ampel überquerten, Schuld am Tod der Frau. Genau.

    Aber Achtung, hier wird nicht die Mitgliederpostille geschrieben, dort werden solche Sachverhalte vermutlich geglaubt... - hier gibt es noch ein paar Menschen, die beim Lesen mitdenken.

    Danke dafür übrigens :-)

  16. 24.

    Ach, bestimmt wieder nur ein schwarzes Schaf...
    ...es ist immer wieder auf’s neue zum kotzen was da für Typen Unterschlupf finden!

  17. 23.

    Und das ist nur EIN Polizist, von dem jetzt etwas bekannt wurde ...

  18. 22.

    Damit der RBB auch mal von anderen Brandanschlägen auf PKWs (auch welchen in Berlin) berichten kann, hier eine Übersicht in der Süddeutschen Zeitung.

    https://www.sueddeutsche.de/politik/extremismus-berlin-auto-von-afd-politiker-angezuendet-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-200406-99-607352

    Vielleicht könnte die im Artikel zitierte Linkspartei-Abgeordnete Renner, im Bundestag mit "Antifa" Sticker auftretend, für Aufklärung sorgen. Denn nach dem Text der Süddeutschen gibt es bei manchen Anschlägen auch Täterhinweise zur "Antifa".

  19. 21.

    Die Geschichte vom türkischstämmigen Linkspartei-Funktionärs Ferat Kocak und dem Brandanschlag auf seinen PKW vor mehreren Jahren einschließlich Bild vom brennendem PKW in Neukölln ist immer wieder aufregend.
    Allerdings sollten die Mutmaßungen von Bianca Klose, Projektleiterin der Mobilen Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR), zurückgewiesen werden, dass " ausbleibenden Ermittlungserfolge" wegen "möglicher Verbindungen zwischen Tätern und der Polizei" zu sehen seien.
    Inzwischen gibt es eine Vielzahl von Brandanschlägen auf Autos in Berlin, die leider bisher auch nicht aufgeklärt werden konnten.

  20. 20.

    "Kocaks Parteifreundin Martina Renner, die für die Linke im Bundestag sitzt und dort Mitglied im Amri-Untersuchungsausschuss ist, fordert harte Konsequenzen"

    Renner scheint eine echte Kämpferin zu sein.

    Die Linken-Bundestagsabgeordnete Renner stellt sich in einer Rede im Parlament auf die Seite der Antifa und trägt dabei sogar einen Button der vom Verfassungsschutz beobachten linksextremen "Antifa". Bundestagsvizepräsident Kubicki rügt dies und fordert Renner auf, den Button abzunehmen .

    https://www.welt.de/politik/deutschland/article201051712/Wolfgang-Kubicki-ruegt-Martina-Renner-wegen-Antifa-Sticker.html

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