Vor dem Landesparteitag - Berliner SPD stellt die Führungsfrage
Bei Wahlen im Sinkflug, die Mitglieder gespalten und das Rote Rathaus verloren: In der Berliner SPD brodelt es wie lange nicht. Viele finden die schwarz-rote Koalition falsch. Auf dem Parteitag am Freitag müssen sich die Landesvorsitzenden warm anziehen. Von Jan Menzel
- Landeschefin Franziska Giffey erwartet "kontroversen" Parteitag
- Jusos fordern per Antrag Neuaufstellung
- Kritik gibt es auch auf Bezirksebene
- Kommission soll Lage der Berliner SPD analysieren
- Neuwahlen erst im nächsten Jahr
Mit einer "knackigen Aussprache" rechnet der Reinickendorfer SPD-Kreisvorsitzende Jörg Stroedter. Der Abgeordnete Mathias Schulz aus Mitte stellt nüchtern fest: "Der Unmut ist sehr groß." Und die Landesvorsitzende Franziska Giffey sagt unumwunden: "Natürlich wird es kontrovers." Zumindest in der Erwartungshaltung, was die Stimmung auf ihrem Parteitag betrifft, sind sich die Berliner Sozialdemokraten weitgehend einig.
Bei dem Treffen der Delegierten in einem Hotel in Friedrichshain steht nicht nur eine einfache Wahlanalyse auf der Tagesordnung. Die einst große Volkspartei SPD ist von den Wählern geschrumpft worden. Die Koalition mit der CDU erscheint den einen als letzter Rettungsanker. Andere können darin nur den Weg in eine Sackgasse erkennen. Und nicht wenige treibt die Frage um, ob die beiden Landesvorsitzenden Raed Saleh und Franziska Giffey noch die richtigen an der Parteispitze sind. Nicht auszuschließen ist, dass es sogar Rücktrittsforderungen gibt.
Jusos fordern Neuaufstellung
Der Parteinachwuchs Jusos hatte schon mit einer NoGroKo-Kampagne im Rahmen des Mitgliedervotums versucht, die schwarz-rote Koalition zu stoppen. Vier Wochen nach der Wahl des Regierenden Bürgermeisters legen die Jusos mit einem Antrag nach, der es in sich hat. Die SPD habe es in den vergangenen Jahren versäumt, ihre miserablen Wahlergebnisse ehrlich zu analysieren, heißt es darin. Nach den Koalitionsverhandlungen mit der CDU und dem knappen Mitgliederentscheid sei die Partei "in etwa zwei gleich große, sich gegenüberstehende Teile gespalten". Die notwendige Konsequenz ist für die Juso-Landesvorsitzende Sinem Tasan-Funke, dass die SPD "relativ schnell zu einer Neuaufstellung" kommen müsse.
Was die Jusos darunter genau verstehen, ist in dem Antrag eigens aufgeführt: Senatorinnen und Senatoren, Staatssekretärinnen und Sekretäre sowie Fraktionsvorsitzende sollen künftig nicht mehr in Doppelfunktion auch Landesvorsitzende sein bzw. dem geschäftsführenden Landesvorstand angehören. Würde dieser Antrag tatsächlich den Weg in die Statuten finden, müssten unter anderem Wirtschaftssenatorin Giffey und Fraktionschef Saleh den Parteivorsitz abgeben.
Mit diesem Ansinnen steht der Parteinachwuchs keinesfalls alleine da. Am deutlichsten wird der SPD-Kreisvorsitzende in Tempelhof-Schöneberg, Lars Rauchfuß, wenn er sagt: "Es kann personell so nicht weitergehen." Er attestiert der Führungsriege eine "Wagenburg-Mentalität" und kritisiert, dass nicht versucht worden sei, auf die Gegner der Koalition mit der CDU einzugehen und sie einzubinden.
Parteispitze setzt auf Kommission
Wie groß die Unzufriedenheit und inzwischen auch der Widerstand gegen den Kurs und die neue Koalition sind, ist der Parteispitze nicht entgangen. Sie hat eine Kommission mit dem Namen "Wahlen-wieder-gewinnen-und-Parteiorganisation" eingesetzt. Sie soll Analysen liefern und die Organisationsstruktur der SPD beleuchten. Der Parteitag ist als Auftakt gedacht, und Raed Saleh, der Partei- und Fraktionsvorsitzende, setzt auf eine Umarmungsstrategie: "Wir wollen den Parteitag nutzen gemeinsam, kritisch und an der Sache orientiert, um das Beste für die SPD und die Stadt zu diskutieren."
Allerdings liegen die Auffassungen, was das Beste ist, recht weit auseinander. "Der Versuch, sich konservativen Kräften anzubiedern, ist klar gescheitert", bilanziert Juso-Chefin Tasan-Funke mit Blick auf die zweimalige Spitzenkandidatin Giffey und die jüngsten Wahlergebnisse. Giffey wiederum stellt fest: "Ich glaube nicht, dass wir Wahlen gewinnen, wenn wir linker als die Linke und grüner als die Grünen sind." Und der Reinickendorfer Jörg Stroedter findet, dass die Aufstellung im Großen und Ganzen gar nicht so schlecht ist: "Arbeitssenatorin Kiziltepe auf der einen Seite, Giffey auf der anderen Seite – da bildet sich ganze inhaltliche Spektrum ab."
Reguläre Wahlen erst in einem Jahr
Kiziltepe wird gemeinhin dem linken Parteiflügel zugeschlagen und gilt manchen schon als kommende Hoffnungsträgerin. Giffey wiederum wird dem rechten Parteiflügel zugeordnet. Kiziltepes Name wird - mit unterschiedlichen Absichten - regelmäßig genannt, wenn es um eine mögliche Neubesetzung an der Parteispitze geht. Doch eine Wahl steht turnusmäßig erst auf den Parteitag im nächsten Frühjahr an. "Wir haben jetzt einen gewählten Landesvorstand", betont daher auch die Landesvorsitzende Giffey.
Sie will zunächst abwarten, welche Erkenntnisse die "Wahlen-wieder-gewinnen-Kommission" zu Tage fördert. Auch die Sprecherin des Parteilinken-Forum DL 21, Ülker Radziwill, findet diese Reihenfolge richtig. Von einer Trennung von Amt und Mandat in einer so "krassen" Form, wie von den Jusos vorgeschlagen, hält sie nichts. Dass es bei der nächsten Wahl aber einige personelle Änderungen im Landesvorstand geben wird, liegt für Radziwill auf der Hand. Wie genau diese aussehen müssen, sagt sie nicht.
Für Mathias Schulz aus Mitte, der zu den Gegnern der großen Koalition gehört, hängt die Lage der SPD unmittelbar mit den handelnden Personen zusammen. "Die Partei braucht Luft zum Atmen, sie muss Ideen-Motor sein”, fordert er. Das Ziel müsse eine "regierungsunabhängige Parteiführung" sein. Auch wenn dieser Parteitag wohl ohne einen personellen Paukenschlag über die Bühne gehen wird, Schulz ist überzeugt: "Der Prozess ist nicht auf dem Parteitag abgeschlossen."
Sendung: rbb24 Inforadio, 26.05.2023, 05:00 Uhr