Fragen und Antworten - Das bedeutet die Nato-Übung "Air Defender" für Berlin und Brandenburg
Die Nato will ab Montag die europaweite Luftwaffenübung "Air Defender 2023" abhalten - 10.000 Soldaten und 250 Militärflugzeuge sind an dem Manöver beteiligt. Auch auf Berlin und Brandenburg hat das Auswirkungen - besonders auf Fluggäste.
Was ist bei "Air Defender 2023" geplant - und warum hält die Nato diese Übung ab?
Am Manöver "Air Defender 2023" nehmen vom 12. Juni bis zum 23. Juni unter deutscher Führung 25 Nationen und 10.000 Soldaten mit 250 Flugzeugen teil, darunter 70 Maschinen aus Deutschland. Die Streitkräfte proben gemeinsam die Verteidigung. Laut des Bundesverteidigungsministers Boris Pistoris (SPD) ist es die größte Verlegungsübung von Luftstreitkräften seit Gründung der Nato. Laut der Bundeswehr soll das sogenannte "Artikel-5-Beistandsszenario" nachempfunden werden – der Fall, dass ein oder mehrere Nato-Partner angegriffen werden und die anderen Bündnispartner Beistand leisten.
Die Luftwaffe schickt 64 Flugzeuge in die Luft. Abwechselnd werden über Deutschland 30 Eurofighter, 16 Tornados, fünf A400M und drei A330 AAR zur Betankung sowie zwei LJ35, zwei A-4 und vier leichte Unterstützungshubschrauber (LUH) 145 üben. Auch F-35-Kampfjets der Amerikaner und der Niederländer sind dabei.
Ich habe einen Flug gebucht, der im Zeitraum der Übung stattfindet. Auf was muss ich mich einstellen?
Während der zweiwöchigen Operation sollen jeweils von Montag bis Freitag drei Lufträume zeitversetzt für die zivile Luftfahrt gesperrt werden. Am Wochenende sollen keine Übungen stattfinden. Die Militärübung kann auch Teile der zivilen Flugpläne durcheinanderwirbeln. Fluggäste müssen während der zwei Wochen mit massiven Verspätungen rechnen, bis hin zu Flugausfällen. Davon gehen unter anderem die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) und der Flughafenverband ADV aus. Die Luftwaffe und die US-Natrionalgarde sprachen dagegen von "minimalen Auswirkungen" - darauf verlassen sollte man sich als Fluggast bei der Planung lieber nicht.
Die Übung ist so groß, dass sie Auswirkungen auf den gesamten europäischen Luftraum hat. Die Fluggesellschaften fliegen mit einer Maschine am Tag oft mehrere Flughäfen an. Auf jeder einzelnen Verbindung kann es zu Verspätungen kommen - und das läppert sich dann über den Tag. Wann es wo zu Verspätungen oder Flugumleitungen kommt, ist unmöglich vorherzusagen. Wäre die Militärübung nicht im Ablauf geheim und hätten die Beteiligten nicht die Möglichkeit, spontan Pläne zu ändern, würde sie wenig Sinn ergeben. Deshalb sind die Fluggesellschaften bisher auch zurückhaltend in der Kommunikation, was "Air Defender" angeht. Sie wollen ihre Fluggäste nicht verwirren, indem sie ihre Infos immer wieder über den Haufen werfen müssen.
Habe ich Anspruch auf Entschädigung?
Leider ist das äußerst unwahrscheinlich. Denn die Fluggesellschaften tragen keine Verantwortung für die Verspätungen und Einschränkungen, die sich durch die Nato-Übung ergeben - wie sie es beispielsweise auch nicht bei Unwettern tun. Zu dieser Einschätzung kommt auch die "Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr", die unter anderem für Fluggastrechte zuständig ist [soep-online.de].
Fällt ein Flug aber komplett aus, was die Ausnahme sein dürfte, gelten die üblichen Rechte: Man hat Anspruch auf eine Erstattung des Ticketpreises oder eine Umbuchung auf den frühestmöglichen nächsten Flug, muss man wegen der Verzögerung beispielsweise übernachten, hat man auch Anspruch auf ein Hotel. Bei Nichtbeförderung kann sich die Fluggesellschaft auch nicht auf höhere Gewalt berufen. Einen Überblick Ihrer Rechte finden Sie hier [soep-online.de].
Generell gilt bei solchen Operationen das Motto "Ober sticht Unter": militärische Luftfahrt kommt vor ziviler. Nach Einschätzung von Quellen der Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg basierend auf Erfahrungswerten heißt das: Wenn die verantwortlichen Militärs ihre Kampfjets gerade in der Luft betanken möchten, obwohl jetzt eigentlich der zivile Flugslot unten am BER mit dem Start dran wäre, dann werden sie es einfach tun. Die Nato wird angesichts der Größe und Bedeutung dieser Übung für den militärischen Ernstfall wenig Wert auf die Auswirkungen auf den restlichen Luftverkehr legen. Schließlich ist das Manöver von allen Nato-Partnern abgesegnet worden.
Gibt es Ideen, wie die Auswirkungen auf Fluggäste beschränkt werden können?
Das Nachtflugverbot wird während der zweiwöchigen Übung etwas aufgeweicht, auf Bitte der Bundesregierung. Die Gemeinsame Luftfahrtbehörde Berlin-Brandenburg (LuBB) teilte am Donnerstagnachmittag mit, dass sie bei verspäteten Flügen im jeweiligen Einzelfall prüft, "ob eine Ausnahmegenehmigung für Starts- und Landungen außerhalb der Betriebszeiten erteilt werden kann." Es sei nicht auszuschließen, dass Verspätungen bis circa 1 Uhr morgens eintreten können. Normalerweise gilt am BER ein hartes Flugverbot zwischen 0 Uhr und 5 Uhr. Von 23:30 Uhr bis 0 Uhr sowie von 5 Uhr bis 5:30 Uhr dürfen keine planmäßigen Flüge starten oder landen.
Störungen für den zivilen Luftverkehr könnten deutlich gemildert werden, wenn Anträge von Fluggesellschaften auf Starts und Landungen außerhalb der normalen Betriebszeiten der Flugplätze von den zuständigen Behörden genehmigt würden, wenn die Voraussetzungen vorliegen, hieß es in einem Brief des Bundesverteidigungsministers Boris Pistorius (SPD) und des Verkehrsministers Volker Wissing (FDP).
Der Hintergrund: Die Maschinen müssen abends rechtzeitig an ihrem Bestimmungsort stehen, um am nächsten Tag wieder planmäßig losfliegen zu können. Die Gefahr von Verspätungen durch die "Air Defender"-Auswirkungen ist aber hoch. Würden die Flugzeuge erst nach Betriebsschluss des BER und Eintritt des Nachtflugverbots ankommen, würden sie den Start am nächsten Tag nicht rechtzeitig schaffen - und so würden sich die Verspätungen nur immer weiter verschleppen und verlängern. Was Chaos begünstigt.
Fliegen die Militärmaschinen während der zwei Wochen auch nachts?
Nein. Die Übungsflüge sollen in drei Lufträumen stattfinden, die wochentags jeweils im Wechsel genutzt werden. Geübt werden Manöver in Flughöhen zwischen 2.500 und 10.000 Metern. Dabei soll ein Übungsraum Ost über Mecklenburg-Vorpommern und der Ostsee jeweils von 10 bis 14 Uhr als einziger auch für Tiefflüge reserviert sein. Er deckt Mecklenburg-Vorpommern, einen Teil Berlin-Brandenburgs und ein großes Gebiet zwischen Leipzig und Dresden ab.
Die anderen Lufträume kommen für Menschen in Berlin und Brandenburg nicht in Betracht. Auch die Lärmbelästigung dürfte sich in Grenzen halten, auch wenn es dazu keine genaueren Angaben der Verantwortlichen gibt.
Laut könne es besonders während der Starts und der Landungen an den sechs beteiligten Standorten werden, sagt die Bundeswehr. Die liegen aber allesamt jenseits von Berlin und Brandenburg: In Schleswig-Holstein (Jagel/Hohn), Niedersachsen (Wunstorf), Rheinland-Pfalz (Spangdahlem), Bayern (Lechfeld), den Niederlanden (Volkel) und der Tschechischen Republik (Čáslav). Beschwerden über Fluglärm sind beim Luftfahrtamt der Bundeswehr unter der kostenfreien Telefonnummer 0800 8620730 möglich.
Ist die Übung für Bürgerinnen und Bürger gefährlich?
Die Übung ist laut Bundeswehr für die Zivilbevölkerung ungefährlich. Wie ein Sprecher der Luftwaffe mitteilte, werden zwar alle Szenarien, wie beispielsweise der Luftkampf, real geflogen. Allerdings hätten die Systeme der Luftstreitkräfte die Möglichkeit, einen Luftkampf digital zu simulieren. Davon werde bei der Übung Gebrauch gemacht.
Wie kam es zu der Übung?
Bereits vor fünf Jahren schlug die Bundesregierung der US-Regierung vor, eine gemeinsame Übung in Deutschland im Jahr 2023 durchzuführen. Zunächst war sie deutlich kleiner geplant. Durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat das Manöver aber einen deutlich größeren Stellenwert bekommen.
Natürlich geht es den Bündnismitgliedern auch - wie bei solchen Übungen üblich - um eine Demonstration von Stärke, wie die US-Botschafterin in Berlin betonte. "Es würde mich sehr wundern, wenn irgendein Staatsoberhaupt der Welt nicht zur Kenntnis nehmen würde, was dies (das Manöver) in Bezug auf den Geist dieses Bündnisses, das heißt: die Stärke dieses Bündnisses, zeigt. Und das schließt Herrn Putin ein", sagte Botschafterin Amy Gutmann. So wie es sich bei der Nato um ein defensives Bündnis handele, sei auch die Übung defensiv ausgelegt, sagte der Luftwaffen-Inspekteur Ingo Gerhartz am Mittwoch.
Kritik an dem Manöver kommt aus der Opposition. "Ich bezweifele, dass die Nato mit dieser Machtdemonstration der Superlative sonderlich Eindruck bei der russischen Führung schinden wird", sagte der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Gregor Gysi. "Auch das Vorgänger-Manöver der Nato 2021 hat Putin nicht davon abgehalten, einige Monate später die Ukraine zu überfallen."
Was kostet das alles?
Konkrete Zahlen zu den Kosten und auch zum durch die Übung verursachten zusätzlichen CO2-Ausstoß liegen laut des Luftwaffen-Inspekteurs Gerhartz noch nicht vor. Die meisten Flüge erfolgten jedoch im Rahmen der regulären Flugkontingente und ein beträchtlicher Teil der Kosten würde auch im normalen Betrieb anfallen. "Sicherheit gibt es nicht zum Nulltarif", sagte Gerhartz.
Sendung: rbb24 Inforadio, 09.06.2023, 9:25 Uhr
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