Laternen und Tankstellen - Wie Berlin die Lade-Infrastruktur für E-Autos ausbauen will
Jedes vierte neuzugelassene Auto in Berlin fährt elektrisch – doch der Ausbau der Lade-Infrastruktur geht nur langsam voran. Abhilfe sollen hochleistungsfähige Stromtankstellen bieten und Straßenlaternen, die zu Ladepunkten umgerüstet werden. Von Tobias Schmutzler
- Schwarz-rote Koalition will 2.000 neue Ladestationen pro Jahr
- Aktuell gibt es in Berlin aber gerade mal 3.000 Ladesäulen insgesamt
- Neues Projekt rüstet Straßenlaternen zu Ladepunkten um
- Berliner Stadtwerke wollen bis 2030 in jedem Bezirk große Strom-Tankstellen bauen
- Experten fordern transparente, digitale Verfahren bei Verwaltung und Netzbetreiber
Fast kein Geräusch und eine stufenlose Beschleunigung: Das sind die zwei Dinge, die Gernot H. wohl am liebsten an seinem neuen Elektroauto mag. "Das Fahren finde ich toll. Das Fahrverhalten ist super, das Auto spricht viel direkter an als ein Verbrenner", sagt der Rentner aus Biesdorf.
Seit einem Monat haben er und seine Frau Gudrun V. den Elektro-SUV einer deutschen Marke. Eineinhalb Jahre haben sie nach dem Kauf auf die Lieferung gewartet. Wichtig war beiden, dass der neue Wagen eine Reichweite von gut 500 Kilometern haben soll – für ihre regelmäßigen Fahrten an die Ostsee. Mit diesem Kriterium fielen die meisten kleineren Elektrofahrzeuge raus, sagen sie.
Gernot H. ärgert sich allerdings oft, wenn er unterwegs laden will und einen öffentlich zugänglichen Ladepunkt sucht. Obwohl er sich jederzeit auf dem Display im Cockpit die nächste Ladestation anzeigen lassen kann, hat er deshalb vorgesorgt.
Auf 22 Elektroautos kommt in Berlin eine öffentliche Ladestation
"Wir hätten uns nicht für ein E-Auto entschieden, hätten wir nicht unsere eigene Lademöglichkeit zu Hause." Dort hat sich das Paar eine sogenannte "Wallbox" in die Tiefgarage einbauen lassen, also eine Industriestromdose, die ihr Elektroauto mit 11 Kilowatt Strom pro Stunde lädt. Denn das Netz an öffentlichen Ladesäulen ist aus ihrer Sicht in der Breite noch nicht verlässlich genug.
Die aktuellen Statistiken unterstützen diese Sicht. In Berlin gibt es laut der Berliner Agentur für Elektromobilität zum Stand Ende März 2023 fast 60.000 E-Autos. Darunter sind gut 34.000 rein batteriebetriebene Fahrzeuge und 26.000 Plug-in-Hybride. Insgesamt machen beide Arten von Elektroautos bisher zwar nur 4,3 Prozent aller Pkw in Berlin aus. Aber der Anteil wächst – und deswegen muss das heute noch lückenhafte Netz an öffentlichen Ladesäulen schneller mitwachsen.
Rechnerisch kommen auf eine öffentlich zugängliche Ladestation im Moment 22 Elektroautos. Dieses Verhältnis ist zwar etwas irreführend, da viele E-Auto-Fahrerinnen und -Fahrer, gerade in den Außenbezirken, auch zu Hause laden können, so wie Gernot H. und Gudrun V. Trotzdem zeigt die Zahl, dass grundsätzlich zu wenig Ladesäulen verfügbar sind. Denn auch wer eine Wallbox zu Hause hat, wird unterwegs mal Strom tanken wollen. So steuert das Paar aus Biesdorf regelmäßig die Ladesäule auf dem Parkplatz ihres Stamm-Baumarkts an.
Leistungsstarke Strom-Tankstellen an Supermärkten und Baumärkten
Mit Stand Mai 2023 gibt es in Berlin 2.700 Ladesäulen im öffentlichen Raum. Darunter über 2.300 "normale" Stationen mit mittlerer Ladeleistung von 11 bis 22 Kilowatt pro Stunde. Deutlich seltener sind die fast 400 Schnell-Ladesäulen, auch High-Power-Charger genannt, die Leistungen bis zu 150 Kilowatt und darüber hinaus bieten.
So leistungsstark ist auch die Ladesäule an der Stromtankstelle auf dem Baumarktparkplatz, an der Gernot H. und Gudrun V. gerade ihr Auto laden. Solche Schnelllader werden gerade reihenweise vor Supermärkten und anderen Einkaufsorten aufgebaut. Sie sollen Kunden mit E-Autos locken: Wer hier einkauft, kann in der Zwischenzeit das Auto laden.
"Im Vergleich mit der Wallbox zu Hause ist das Tanken an der Schnellladesäule natürlich teurer", sagt Gudrun V. "Aber zu Hause dauert das Laden eben auch viel länger. Also, ich würde tendenziell immer nur zu Hause laden, wenn ich die Wahl habe. Aber wenn man unterwegs ist, muss man ja auch mal solche öffentlichen Stationen nutzen." Der Preis an der 300-kW-Säule liegt hier vor dem Baumarkt bei stolzen 80 Cent pro Kilowattstunde. Deutlich teurer als die etwa 35 Cent, die das Paar für den Strom aus der eigenen Steckdose zahlt.
Straßenlaternen werden zu Ladestationen umgerüstet
Mit schnellem Aufladen kann Philipp Sindberg nicht punkten – aber mit einer innovativen Idee. Sindberg ist Manager beim Unternehmen Ubitricity, einer Tochter des Tankstellenriesen Shell. Im Auftrag des Senats rüstet Ubitricity aktuell Straßenlaternen zu Ladepunkten für Elektroautos um. 300 Laternen hat das Unternehmen in Berlin bisher umgerüstet, vor allem in Marzahn-Hellersdorf und Steglitz-Zehlendorf. Bis Ende des Jahres sollen es 1.000 sein.
"Wir nehmen die Bestandslaterne und ändern innen ein bisschen die Technik", erklärt Philipp Sindberg, der gerade ein Elektroauto an eine Laterne im Mädewalder Weg angeschlossen hat, eine der Wohnstraßen rund um den S-Bahnhof Kaulsdorf. "Da wird ein Sicherungskasten ausgetauscht, so dass wir den Ladepunkt aus einer bestehenden Phase versorgen können. Dann wird der Ladepunkt montiert und in Betrieb genommen." Das gehe recht schnell und in großer Menge, sagt der Head of Strategic Relations bei Ubitricity: "Ein Zwei-Mann-Team kann am Tag zehn bestehende Laternen zu Ladepunkten umwandeln."
Ideal zum Laden in der Nacht
Einen Haken hat der Laternen-Ladepunkt allerdings: Nur 3,7 Kilowatt Strom pro Stunde kommen aus dem grauen Kasten, der an die Straßenlaterne montiert ist. Aus Sicht des Unternehmens ist das allerdings kein Nachteil: Zwar ist die Leistung geringer als bei anderen gängigen Ladesäulen, aber sie reiche für einen bestimmten Anwendungsfall. "Im ersten Moment zucken die Leute: 3,7 kW – ist das nicht wenig?", sagt Philipp Sindberg. "Aber wenn man berücksichtigt, dass ein Fahrzeug über 22 Stunden am Tag steht, dann bleibt – insbesondere über Nacht – extrem viel Zeit, um nachzuladen."
Standgebühren, wenn der Akku voll ist, gibt es beim Laden an der Straßenlaterne außerdem nicht – anders als bei anderen Arten von Ladestationen. Somit sind die öffentlich geförderten Laternen-Ladepunkte ein Angebot für alle, die zu Hause keine Lademöglichkeit haben – gerade auch für Mieterinnen und Mieter in den Berliner Großsiedlungen wie in Marzahn-Hellersdorf.
Berliner Stadtwerke planen zwei High-Power-Charger pro Bezirk
Ähnlich wild wie der Mix der verschiedenen Stationsarten und Leistungslevels ist auch die Mischung der Betreiber in Berlin. Zehn Anbieter haben einen Vertrag mit dem Land, um Ladesäulen verschiedener Art aufzubauen, darunter vor allem private Unternehmen. Aber auch die Berliner Stadtwerke mischen seit einem Jahr mit. Von einem privaten Unternehmen haben die Stadtwerke 500 Stationen übernommen, jetzt bauen sie ihr Netz selbst aus.
Bis 2030 planen die Stadtwerke die Errichtung 1.800 weiterer Ladepunkte im öffentlichen Raum. Schnellladesäulen haben sie bisher nicht im Angebot. Das soll sich bis Jahresende ändern, dann wollen die Stadtwerke ihre erste Stromtankstelle eröffnen. Bis Ende des Jahrzehnts plant der städtische Versorger, in jedem Bezirk mindestens ein bis zwei solcher High-Power-Charger mit sechs bis zwölf Ladepunkten zu bauen, sagte Robert Juchem, Leiter Elektromobilität bei den Berliner Stadtwerken, am Sonntag in der rbb24 Abendschau.
Die Berliner Stadtwerke würden ihren Ladesäulen-Ausbau grundsätzlich auf die Außenbezirke konzentrieren, so Juchem. Auch er wünsche sich ein schneller wachsendes Netz, doch für Verzögerungen sorge vor allem die Standortfrage: "Wir haben einen Wettbewerb um Standorte – mit Fahrradwegen, Umwidmungen von Straßen, verkehrsberuhigten Zonen."
Expertin fordert transparente digitale Verfahren
Die schwarz-rote Koalition hat sich in ihrem Koalitionsvertrag das sehr ambitionierte Ziel von 2.000 neuen Ladepunkten pro Jahr gesetzt. Damit dieser Ausbau schnell Realität wird, braucht es transparente Verfahren, sagt Kathrin Goldammer, Geschäftsführerin des Reiner-Lemoine-Instituts. "Die Ladeinfrastrukturplanung muss sehr schnell gehen – und die Umsetzung auch. Der beste Weg dahin sind schnelle digitale Prozesse, sowohl beim Netzbetreiber wie auch bei Behörden. Nur so können wir die nächsten 1.000 Ladestationen schneller aufbauen."
Mehr Tempo beim Ausbau fänden auch Gernot H. und Gudrun V. gut. Sie wünschen sich vor allem mehr Schnelllader, mit denen sie die Batterien ihres Autos bequem beim Einkaufen füllen können. Gernot H. stöpselt seinen Elektrowagen von der leistungsstarken 300-Kilowatt-Säule ab. Innerhalb einer guten Viertelstunde wird hier der 77-Kilowatt-Akku seines Autos voll geladen.
Sendung: rbb24 Abendschau, 16.07.2023, 19.30 Uhr