Interview | Antisemitismusforscher Wolfgang Benz - "Entscheidungsträger verfallen beim Wort Antisemitismus in Schreckstarre"

Do 08.02.24 | 11:56 Uhr
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Symbolbild: Israelische Fahnen und ein Plakat mit der Aufschrift «Nein zu Antisemitismus, Hetze und Hass». (Quelle: dpa/Roberto Pfeil)
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Audio: rbb24 Inforadio | 08.02.2024 | Sabine Dahl | Bild: dpa/Roberto Pfeil Download (mp3, 9 MB)

Die Freie Universität Berlin wird für ihren Umgang mit Antisemitismus-Vorfällen kritisiert. Besonders laut, seit ein jüdischer Student von einem Kommilitonen verprügelt wurde. Wolfgang Benz erklärt, warum sich die FU und andere schwer tun im Umgang mit Antisemitismus.

rbb: Herr Benz, die Freie Universität steht nach dem Vorfall zwischen zwei Studenten in der Kritik. Es heißt, die Uni unternehme zu wenig gegen Antisemitismus. Trifft das ihrer Meinung nach zu?

Wolfgang Benz: Ich würde die Frage doch ein bisschen differenzieren. Dieser Antisemitismus-Vorwurf wird ja im Augenblick pauschal und überall ganz schrecklich schnell erhoben. Mich selbst entsetzt zunächst einmal: Tut denn die Freie Universität genug gegen Gewalt - und da scheint mir doch erstmal die nächstliegende Frage: Wird ein solcher Kommilitone denn nicht sofort exmatrikuliert? Da hieß es, es gebe formale Bedenken. Aber hier ist doch unter allen Umständen und zuallererst die Grenze: Gewalt - egal wegen was - in der Auseinandersetzung kann in der Universität genau so wenig oder vielleicht noch weniger gelten als irgendwo anders.

Zur Person

Archivbild: Der Historiker Wolfgang Benz sitzt am 03.06.2011 in seinem Haus. (Quelle: dpa/Tim Brakemeier)
dpa/Tim Brakemeier

Wolfgang Benz (83 Jahre alt) ist Historiker und Antisemitismusforscher.

Benz leitete bis 2010 das Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität (TU) Berlin. Einige seiner Publikationen gelten als Standardwerke auf dem Gebiet, beispielsweise die Bücher "Was ist Antisemitismus?" (2004) und "Handbuch des Antisemitismus" (2009).

Zur Exmatrikulation muss man sagen: Das ist nach Angaben der Freien Universität offenbar nicht möglich nach aktueller Rechtslage. Aber sie sagen: Die FU unternimmt zu wenig gegen Gewalt. Wie will man aber feststellen, wenn man einen Studenten annimmt, ob der zu Gewalt neigt oder nicht?

Wenn Gewalt geschehen ist, dann muss doch ein deutliches Zeichen der Abschreckung erfolgen. Das ist rechtlich derzeit nicht möglich - da muss aber irgendetwas Deutliches getan werden. Das wäre nach meinem Gefühl der erste Schritt. Und dann muss, kann und darf gefragt werden: Ist die FU antisemitisch? Gibt es da zu viel Antisemitismus? Aber das ist mir im Grunde zu pauschal.

Sie werden aber auch die Geschehnisse der letzten Monate verfolgt haben: Im Dezember besetzten pro-palästinensische Studenten einen Hörsaal der FU. Da hat sich die Hochschulleitung auch ein bisschen indifferent verhalten. Hat die FU also ein Problem mit Israelhass und Antisemitismus oder nicht.

Zunächst haben doch wohl ganz eindeutig einzelne Gruppen, denn eine Universität ist immer eine Ansammlung von Gruppen, Probleme. So hat sich die allgemeine Polarisierung über die Eskalation der Situation im Nahen Osten auch in der Freien Universität abgespielt, das ist weiter nicht verwunderlich, nur dass sich da nicht deutlich genug positioniert wird. Dass Radau und antisemitische Parolen keinen Platz in der Universität haben, dass die keinen Platz in unserer Gesellschaft haben dürfen, das scheint mir doch so vollkommen klar, dass ich mich wundere, wie zögerlich gehandelt wird, dass da nichts außerordentlich deutlich und direkt unterbunden wird. Argumente: ja, Auseinandersetzung: ja, selbstverständlich, aber Geschrei, Beleidigungen: Nein.

Haben Sie eine Erklärung, warum die Uni-Leitung so zögerlich ist?

Ich stelle allgemein derzeit fest, dass Entscheidungsträger, wenn nur das Wort Antisemitismus irgendwo am Horizont erscheint - als Vorwurf erscheint es mir viel zu schnell - dann eben in Schreckstarre verfallen und nicht mehr zu handeln wissen und nicht adäquat zu handeln wissen.

Und wie erklären Sie sich das?

Ich erkläre mir das so, dass der Antisemitismus-Vorwurf seit längerer Zeit verengt wurde, auf die Haltung gegenüber Israel, die ja in allererster Linie eine politische Entscheidung ist und dass man Angst hat. Alle möglichen Stadtverwaltungen, Universitätsgremien, Verbände, Behörden – haben schreckliche Angst hat, das Falsche zu tun. Die einen reagieren dann über und die anderen gar nicht. Und das ist das derzeitige Dilemma eines politisierten und für alle möglichen Zwecke instrumentalisierten Antisemitismus-Begriffs.

Sind die Lehrer an den Hochschulen ganz ähnlich wie an den Schulen in Deutschland nicht gut darauf vorbereitet, dass zum Beispiel der Nahost-Konflikt bei ihnen im Hörsaal landet?

Ich weiß nicht, ob man sie darauf so gut vorbereiten konnte. Sie haben, jedenfalls Angst, sich zu positionieren. Oder aber, sie haben sich in eines der beiden Lager begeben. Sie sind entweder bedingungslos für Israel und lehnen Palästina und alles, was damit zu tun hat, pauschal ab oder umgekehrt, sie haben jetzt ausschließlich Empathie für die Zivilbevölkerung und für die politischen Bestrebungen in Palästina und lehnen Israel radikal ab. Das halte ich für ganz schlimm und gefährlich. Ich beobachte es täglich auf allen Ebenen und halte dagegen und versuche klar zu machen, dass Empathie für Israel, die selbstverständlich für uns in Deutschland ist, nicht Empathie für die palästinensische, leidende Zivilbevölkerung ausschließt. Ich muss doch nicht die Palästinenser hassen, weil ich gegenüber Israel positive Gefühle habe.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Sabine Dahl für das rbb24 Inforadio (08.02.2024, 7.05 Uhr). Dies ist eine redigierte Fassung. Das vollständige Audio ist am Textanfang hinterlegt.

31 Kommentare

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  1. 31.

    Der wird ne Bewährungsstrafe bekommen. Berliner/ deutsche Gerichte schicken Straftäter auch für so eine brutale Tat nicht ins Gefängnis.

  2. 30.

    Äh?
    Was soll denn da verhältnismäßig sein?
    Dies ist ja nicht mal ein Apfel-Birnen-Vergleich ...

  3. 29.

    Was mich schockiert: ein Gewalttäter wird nicht exmatrikuliert. Der soll nach dem Willen des Gesetzgebers Privileg des Hochschulstudiums weiterhin geniessen.
    Zur Erinnerung: jemand ohne Abitur ist vom Studium an der Uni automatisch ausgeschlossen. Wo bleibt da die Verhältnismässigkeit?

  4. 28.

    Die Universität muss in diesem Fall eigentlich gar nichts tun. Wenn der wahrscheinliche Täter nach seiner Straftat verurteilt wird, hat er sicherlich einige Jahre Knast zu erwarten, ist damit sowieso aus der Universität raus und wenn er keinen deutschen Pass hat, kann er nach absitzen der Haftstrafe in sein Heimatland zurückkehren. Jegliche weitere Diskussion erübrigt sich.

  5. 26.

    Kurze Anm. zur Fragestellung,ob Arbeitgeber bei "privaten" Prügeleien Maßnahmen ergreifen müssen..
    Nein, müssen Sie nicht, aber sie können.
    Und zwar, wenn Gefahr besteht, daß durch gewalttätige Mitarbeiter Kollegen zu Schaden kommen können.
    Das dazu.
    In diesem Falle liegt ein öffentliches Interesse vor (Antisemitismus), manifestiert in einem Streit von zwei Besuchern einer öffentl. Einrichtung (FU). Egal, wo das letztendlich stattfand.
    Die mangelnde Klarheit der FU-Statements sind das Problem.

  6. 24.

    Es geht hier nicht um Zivilrecht, es geht um Strafrecht. Jemanden ohne einen Rechtfertigungsgrund körperlich zu misshandeln, ist eine Straftat. Wenn die Gesellschaft so etwas nicht ahndet, ist sie auf dem falschen Weg. Antisemitismus spielt dabei erstmal keine Rolle. Der Historiker hat Recht, wenn er sagt, dass die Antisemitismus-Keule zu schnell zur Anwendung kommt.

  7. 23.

    Der Vorsitzende des Zentralrat der Juden in Deutschland hat in einem Interview davon gesprochen das viele Universitäten in Deutschland zu No-Go Areas für jüdische Studenten geworden sind. Sie erfahren dort Anfeindungen von islamistischen und linksradikalen Studenten.

  8. 22.

    Falls der Schläger verurteilt wird ist das Wenigste das er, falls er keinen deutschen Pass hat, ausgewiesen wird. Solche radikalen Antisemiten braucht das Land nicht.

  9. 21.

    In dieser Stadt scheinen Anti-Israel Demonstrationen, ob gewalttätig oder nicht, ob antisemitische Sprüche skandiert werden oder nicht Narrenfreiheit zu haben.
    Aber das schlimmste an dem Vorfall ist, dass die zuständige Senatorin erklärt, man solle sich nicht in Diskussionen zwischen Studenten einmischen. Hier wurde von der Senatorin das Zertreten der Gesichtsknochen als Diskussion unter Studenten verharmlost. Wie bei allen Aktivitäten von radikalen Palästinensern unter tatkräftiger Hilfe linksradikaler Gruppen, die fast jeden Tag irgendwelche Anti-Israel Demonstrationen veranstalten, ist die Staatsmacht sehr, sehr zurückhaltend.
    Was die Ursache dieser Zurückhaltung ist, ist schwer zu erklären. Hat man Angst vor der Aggressivität der Palästinenser oder vor der öffentlichen Beschuldigung dieser Gruppen rassistisch zu sein?

  10. 20.

    Herrn Benz fehlt es offenbar an Einblick in universitären Alltag. Der Hass in den antisemitischen Protesten etc. baut aber darauf auf. In sämtlichen allg. Hochschulen gibt es Kurse für Antidiskriminierung: antirassistische Seminare, antisexistische, antiklassistische, evtl. Seminare gegen Ableism, wenn man Glück hat. Der Fokus auf Antisemitismus wird aber selten gelegt. Bewusst. Teile der Lehre sind durchsetzt mit antisemitischen Ansichten. Hochschulen sind Orte der Gesellschaftskritik, zu der auch Kapitalismuskritik zwingend gehört. Genau im Zusammenhang mit letzterer sind verschwörungsideologische Erzählungen und ihre Andeutungen sehr weit verbreitet. Ferner gibt es Hochschulen, auf deren Meldebögen zu vorgefallenen Diskriminierungen Antisemitismus nicht vorhanden ist. Es gibt Unis, die haben ihren Tag der Offenen Tür an einem der höchsten jüdischen Feiertage. Die Judith Butlers (israelbez. Antisemit) und Co. werden unkritisch zitiert. Es gibt viel Diskrimnierung an Unis.

  11. 19.

    Niemand ist verpflichtet gegenüber Israel "positive Gefühle" zu haben, aber auch von 20 bis jährigen kann man erwarten dass sie de Unterschied zwischen Israel und den derzeitigen politischen und militärischen Akteuren erkennen ( für diese Personen hege ich allerdings auch keine positiven Gefühle ). Eine derartige Betrachtungsweise setze ich insbesonders bei bei jungen Menschen die eine universitäre Bildung genießen als selbstverständlich voraus, Gewaltlosigkeit in Wort und Tat sowieso.

  12. 18.

    Ja, weil es "traurig" ist, dass der Zusammenhang jetzt nicht mehr besteht und ich m.E. nicht gegen eine Netiquette verstoßen habe.

  13. 17.

    Ich verstehe diese Aufregung nicht. Die Uni hat mit dem Vorfall überhaupt nichts zu tun. Die einzige Verbindung ist, dass beide Personen an der gleichen Uni eingeschrieben sind. Wenn jetzt beide bei der gleichen Wohnungsbaugenossenschaft Mieter wären, würde man auch die Wohnungsbaugenossenschaft zu Maßnahmen gegen eine dieser beiden Personen auffordern?

    Es geht hier ganz klar um Zivilrecht. Das müssen beide Parteien miteinander ausfechten.

    Dass ich selber jegliche Form von Gewalt verurteile, steht wiederum auf einem anderen Blatt.

  14. 16.

    Wer sagt denn, dass es ein antisemitischer Vorfall war?
    Es haben sich zwei Studenten geprügelt …
    Oder habe ich was übersehen?

  15. 13.

    "Den Fall des Sängers hätte ich wohl nicht erwähnen dürfen ... traurig!"
    Und machen es dennoch wieder.......traurig! Was ist so schwer daran zu akzeptieren, dass ein Kommentar von Ihnen gelöscht wurde?

  16. 12.

    ......soll ich jetzt auch immer erwähnen, wie oft mein Kommemtar braucht, ehe er veröffentlicht wird? Im übrigen wurde Ihr erster Kommentar aus gutem Grund gelöscht. Entweder haben andere Foristen sich beschwert oder die rbb Redaktion hat etwas entdeckt, was nicht in Ordnung war.

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