Interview | Antisemitismusforscher Wolfgang Benz - "Entscheidungsträger verfallen beim Wort Antisemitismus in Schreckstarre"
Die Freie Universität Berlin wird für ihren Umgang mit Antisemitismus-Vorfällen kritisiert. Besonders laut, seit ein jüdischer Student von einem Kommilitonen verprügelt wurde. Wolfgang Benz erklärt, warum sich die FU und andere schwer tun im Umgang mit Antisemitismus.
rbb: Herr Benz, die Freie Universität steht nach dem Vorfall zwischen zwei Studenten in der Kritik. Es heißt, die Uni unternehme zu wenig gegen Antisemitismus. Trifft das ihrer Meinung nach zu?
Wolfgang Benz: Ich würde die Frage doch ein bisschen differenzieren. Dieser Antisemitismus-Vorwurf wird ja im Augenblick pauschal und überall ganz schrecklich schnell erhoben. Mich selbst entsetzt zunächst einmal: Tut denn die Freie Universität genug gegen Gewalt - und da scheint mir doch erstmal die nächstliegende Frage: Wird ein solcher Kommilitone denn nicht sofort exmatrikuliert? Da hieß es, es gebe formale Bedenken. Aber hier ist doch unter allen Umständen und zuallererst die Grenze: Gewalt - egal wegen was - in der Auseinandersetzung kann in der Universität genau so wenig oder vielleicht noch weniger gelten als irgendwo anders.
Zur Exmatrikulation muss man sagen: Das ist nach Angaben der Freien Universität offenbar nicht möglich nach aktueller Rechtslage. Aber sie sagen: Die FU unternimmt zu wenig gegen Gewalt. Wie will man aber feststellen, wenn man einen Studenten annimmt, ob der zu Gewalt neigt oder nicht?
Wenn Gewalt geschehen ist, dann muss doch ein deutliches Zeichen der Abschreckung erfolgen. Das ist rechtlich derzeit nicht möglich - da muss aber irgendetwas Deutliches getan werden. Das wäre nach meinem Gefühl der erste Schritt. Und dann muss, kann und darf gefragt werden: Ist die FU antisemitisch? Gibt es da zu viel Antisemitismus? Aber das ist mir im Grunde zu pauschal.
Sie werden aber auch die Geschehnisse der letzten Monate verfolgt haben: Im Dezember besetzten pro-palästinensische Studenten einen Hörsaal der FU. Da hat sich die Hochschulleitung auch ein bisschen indifferent verhalten. Hat die FU also ein Problem mit Israelhass und Antisemitismus oder nicht.
Zunächst haben doch wohl ganz eindeutig einzelne Gruppen, denn eine Universität ist immer eine Ansammlung von Gruppen, Probleme. So hat sich die allgemeine Polarisierung über die Eskalation der Situation im Nahen Osten auch in der Freien Universität abgespielt, das ist weiter nicht verwunderlich, nur dass sich da nicht deutlich genug positioniert wird. Dass Radau und antisemitische Parolen keinen Platz in der Universität haben, dass die keinen Platz in unserer Gesellschaft haben dürfen, das scheint mir doch so vollkommen klar, dass ich mich wundere, wie zögerlich gehandelt wird, dass da nichts außerordentlich deutlich und direkt unterbunden wird. Argumente: ja, Auseinandersetzung: ja, selbstverständlich, aber Geschrei, Beleidigungen: Nein.
Haben Sie eine Erklärung, warum die Uni-Leitung so zögerlich ist?
Ich stelle allgemein derzeit fest, dass Entscheidungsträger, wenn nur das Wort Antisemitismus irgendwo am Horizont erscheint - als Vorwurf erscheint es mir viel zu schnell - dann eben in Schreckstarre verfallen und nicht mehr zu handeln wissen und nicht adäquat zu handeln wissen.
Und wie erklären Sie sich das?
Ich erkläre mir das so, dass der Antisemitismus-Vorwurf seit längerer Zeit verengt wurde, auf die Haltung gegenüber Israel, die ja in allererster Linie eine politische Entscheidung ist und dass man Angst hat. Alle möglichen Stadtverwaltungen, Universitätsgremien, Verbände, Behörden – haben schreckliche Angst hat, das Falsche zu tun. Die einen reagieren dann über und die anderen gar nicht. Und das ist das derzeitige Dilemma eines politisierten und für alle möglichen Zwecke instrumentalisierten Antisemitismus-Begriffs.
Sind die Lehrer an den Hochschulen ganz ähnlich wie an den Schulen in Deutschland nicht gut darauf vorbereitet, dass zum Beispiel der Nahost-Konflikt bei ihnen im Hörsaal landet?
Ich weiß nicht, ob man sie darauf so gut vorbereiten konnte. Sie haben, jedenfalls Angst, sich zu positionieren. Oder aber, sie haben sich in eines der beiden Lager begeben. Sie sind entweder bedingungslos für Israel und lehnen Palästina und alles, was damit zu tun hat, pauschal ab oder umgekehrt, sie haben jetzt ausschließlich Empathie für die Zivilbevölkerung und für die politischen Bestrebungen in Palästina und lehnen Israel radikal ab. Das halte ich für ganz schlimm und gefährlich. Ich beobachte es täglich auf allen Ebenen und halte dagegen und versuche klar zu machen, dass Empathie für Israel, die selbstverständlich für uns in Deutschland ist, nicht Empathie für die palästinensische, leidende Zivilbevölkerung ausschließt. Ich muss doch nicht die Palästinenser hassen, weil ich gegenüber Israel positive Gefühle habe.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Dahl für das rbb24 Inforadio (08.02.2024, 7.05 Uhr). Dies ist eine redigierte Fassung. Das vollständige Audio ist am Textanfang hinterlegt.